~ 16.5 ~
Die Anzahl der künstlichen Lichter ließ mit jedem weiteren Schritt, den wir taten, nach, bis uns schließlich nur noch das über uns befindliche Sternenzelt sanfte Beleuchtung spendete.
An einer lichten Stelle des Gehölzes verlangsamte ich schlussendlich meinen Schritt.
Mit leuchtenden Augen wandte ich mich Jeongguk zu.
Ich wusste nicht, warum ich ihn ausgerechnet jetzt hergeführt hatte.
Generell war mein Kopf dafür, dass sich die Ereignisse bis vor wenigen Stunden noch nur so überschlagen hatten, erstaunlich leer.
Vielleicht lag es an der Anwesenheit oder viel mehr an der körperlichen Nähe zu dem Jüngeren.
Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, wie wir beiden gerade zueinander standen, ob er mit mir nun was zu tun haben wollte oder nicht, aber nach seinem Gefühlsausbruch hatte ich das dringende Bedürfnis, ihm irgendwie etwas zurückzugeben.
Und hier standen wir nun: der Ort, an den ich mich immer verzog, wenn mir alles zu viel wurde.
Vielleicht würde er ja bei ihm ebenfalls Wirkung zeigen.
Vorsichtig legte ich meine Hände auf seine Schultern und drückte ihn sanft hinunter auf die morsche, hölzerne Bank vor uns.
Eigenhändig hatte ich sie damals in dieses winzige Waldstück geschleppt, weil es mir irgendwann zu bunt geworden war, ständig auf dem kalten, meist nassen Waldboden zu hocken, wenn es mich hierher verschlug und ich den Sternenhimmel betrachten wollte.
Immer noch erwiderte Jeongguk lediglich, keinen Ton von sich gebend, meinen Blick, seine Miene war unergründlich.
Ich setzte mich dicht neben ihn, mein Hemd fröstelnd etwas enger um mich schlingend.
Da löste sich der Schwarzhaarige plötzlich aus seiner Schockstarre.
Mit mechanischen Bewegungen entledigte er sich seines Mantels und warf ihn mir, ehe ich überhaupt die Möglichkeit hatte zu protestieren, über die Schultern.
Vereinzelt wirbelnde Schneeflocken verfingen sich in seinen dunklen, glänzenden Haaren, als er schließlich den Kopf schief legte und mir ein mattes Lächeln schenkte. »Ich habe es bereits angedroht, diese hier wirst du wohl jetzt ebenfalls behalten müssen.«
Wie konnte er sich nur nach einem derartigen Zusammenbruch immer noch mehr um mich, als um sich selbst sorgen?
Stumm erwiderte ich seinen Blick und wusste nicht so recht, was ich erwidern sollte.
Zu viele Fragen schwirrten in meinem Kopf, aber ich war nicht in der Lage, auch nur eine davon in Worte zu fassen.
Ich sah, wie Jeongguks Blick langsam über mich glitt, woraufhin mir wie aufs Stichwort die altbekannte Röte ins Gesicht schoss.
»Ich habe dich so schrecklich vermisst«, murmelte der Jüngere, wohl mehr zu sich selbst als zu mir, doch trotzdem war ich auf die Reaktion, die diese Worte aus seinem Mund in mir auslösten, nicht gefasst gewesen.
Wie schaffte ein einziger Mensch es, dermaßen widersprüchliche Signale senden?
Anstatt zu antworten, verschränkte ich abermals unsere Finger miteinander, woraufhin kurz darauf bereits feine, elektrische Schläge durch meine Handfläche fuhren.
Ob das jemals aufhören würde, wenn ich den Jüngeren berührte?
»Ggukie, was ist nur los?«, setzte ich vorsichtig an. »Bitte, du kannst mir alles sagen, nur stoß mich nicht mehr von dir weg. Nicht schon wieder.« Als wäre das möglich, rückte ich noch näher an ihn heran.
Sein, bis dahin ausdrucksloses, Gesicht verzog sich schmerzerfüllt, weshalb sich auch die Kruste auf seiner Wange leicht zusammenzog. »Ich-«, doch er brachte weiterhin nicht mehr über die Lippen.
»Du kannst dir nicht vorstellen, was für Sorgen ich mir um dich gemacht habe.« Ich sah ihn eindringlich an.
»DU hast dir Sorgen gemacht? Wer hat denn vor einer Woche einen besoffenen Anruf bekommen und musste sich danach halbtot zu dem anderen schleppen?«, rief er sarkastisch im Affekt, bereute es jedoch offenbar im selben Augenblick bereits.
Die verschwommenen Erinnerungen des Abends ausblendend, stockte ich verdutzt. »Halbtot?«, hakte ich nach, meine Stirn in tiefe Falten gelegt.
»Vergiss, was ich gesagt habe.« Wieder schenkte der Jüngere mir eines seiner falschen Lächeln.
»Ich werde es nicht vergessen«, beharrte ich. »Hast du mit irgendwas Ärger? Also mehr als sonst? Lass mich dir doch helfen«, flehte ich beinahe.
Der Jüngere überlegte. »Ich habe-«, er stockte kurz., »etwas mehr Ärger als sonst, ja.« Vorsichtig strich er mit seinen Fingerkuppen über meine Wange. »Und aus dem Grund möchte ich dich daraus halten. Nur du machst es mir so verdammt schwer.« Ein tiefes Seufzen entfuhr ihm.
Ich drückte seine Hand. »Egal, was für Ärger das ist – wir stecken da gemeinsam drin«, versuchte ich ihm Mut zuzureden, jedoch führte dies nur dazu, dass sich seine Miene weiter verdüsterte.
»Nein«, erwiderte er ernst. »Ich stecke da ganz alleine drin und so soll es auch bleiben.«
»Warum hast du dich dann überhaupt noch mit mir getroffen?«
Auf dem Gesicht des Jüngeren entstanden tiefe Sorgenfalten. »Weil es mir schlicht unmöglich erscheint, sich von dir fernzuhalten«, murmelte er leise.
»Dann lass es. Schließ mich nicht aus und verdammt nochmal halt dich nicht von mir fern, du bist nicht der einzige, den du damit verletzt!« Erneut musste ich mit den Tränen kämpfen.
Erstaunt blickte Jeongguk auf, echte Verwunderung spiegelte sich in seinem Blick.
Überraschte es ihn wirklich, dass er mich mit seinen letzten Handlungen auch ernsthaft verletzt hatte?
»Ich war so kalt«, nuschelte er, »und du hast mir so schnell geglaubt.« Beschämt betrachtete er seine, im Mondlicht schimmernden, Hände, eine von ihnen immer noch mit der meinigen vereint.
Mir fehlten die Worte.
Ich wusste weder, was ich denken geschweige denn noch hätte erwidern sollen.
»Du bist so perfekt«, flüsterte ich abwesend. »Und ich bin so ... unbedeutend.«
Pfeilschnell richtete sich daraufhin der Jüngere auf, der Blick mich durchbohrend. »Was redest du da nur, Tae? Wenn es doch genau andersherum ist.« Seine Miene wurde weich. »Du bist buchstäblich das Einzige, was für mich von Bedeutung ist.« Er verzog die Lippen zu einem matten Lächeln, doch dieses Mal erreichte das Lächeln seine Augen.
Verdattert starrte ich ihn an.
Was sollte an mir bitte perfekt sein?
Gerade im Vergleich zu ihm?
Das musste ich falsch verstanden haben.
Den Gedanken beiseite schiebend, erwiderte ich leise: »Dann schließ mich nicht mehr aus, bitte. Das ist das Schlimmste, was du mir antun kannst, allem anderen halte ich schon stand«, lächelte ich tapfer.
»Oh Tae«, murmelte Jeongguk nur, während er mir einen beinahe mitleidigen Blick zuwarf.
Ohne Vorwarnung legte der Jüngere einen Arm um mich und zog mich an seine starke, warme Brust.
Ich spürte sein klopfendes Herz, welches nur von dem meinen hätte übertönt werden können.
Ergeben kuschelte ich mich an ihn, ohne einen weiteren Gedanken an den ganzen Mist hier zu verschwenden.
Ich vergaß alles um mich herum und blendete die Stimme in meinem Kopf, die mich unaufhörlich schalt, gekonnt aus.
Gerade zählten für mich nur noch wir, das Glücksgefühl, was mich bei jeder Berührung durchströmte, bestärkte mich dabei.
Für einen kurzen Moment wollte ich es einfach nur genießen und die Konsequenzen meines Handelns mich später niederstrecken lassen.
Erneut tat sie sich beinahe übermächtig vor mir auf; unsere eigene, kleine Welt, in der nichts anderes von Bedeutung war.
Behutsam schmiegte ich mich in seine Halsbeuge, ehe ich auch schon den gewohnt unbeschreiblichen Duft, glücklich aufseufzend, einzog.
Beinahe synchron legten wir den Kopf in den Nacken und stierten gemeinsam herauf zum glasklaren, sich über uns erstreckenden, Sternenhimmel.
Staunend betrachtete ich stumm die Abermillionen funkelnder Punkte des gestirnten Himmelszelts.
Auf den ersten Blick noch so chaotisch und willkürlich erscheinend, war es doch für mich ein Leichtes, in meinem Kopf die Himmelskörper miteinander zu verbinden, die sich als eine Einheit zu einem Sternzeichen zusammenschlossen.
Wie oft hatte ich bereits genau hier gesessen und das getan?
Nur war ich jetzt zum ersten Mal in meinem Leben nicht allein.
Vielleicht war unsere Beziehung genau so, dachte ich stumm.
Im ersten Moment chaotisch und willkürlich, doch riskierte man einen näheren Blick, stieß man auf eine Verbindung, die tiefer und bedeutsamer war als jeder Ozean.
Vielleicht musste ich einfach nur mehr Vertrauen haben.
Offenbar schafften wir es immerhin beide kein Stück, uns von dem jeweils anderen fernzuhalten, so sehr wir es versuchten.
Mal außen vorgelassen, welcher Art unsere Beziehung nun tatsächlich war; solange ich wusste, dass Jeongguk auf Erden weilte, lebendig und munter, konnte er noch soweit von mir entfernt sein, solange ich nur wusste, dass ich ebenfalls in seinen Gedanken mein Unwesen trieb, solange war ich niemals allein.
Denn egal, wo man sich befindet auf dieser großen, runden Kugel mit so viel Wasser und so wenig Erde – wir alle schauen auf denselben Himmel und leben unter denselben Sternen.
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