~ 13.2 ~
[Hinweis: Dieses Kapitel enthält zum Teil Inhalte, auf die manche Leser sensibel reagieren könnten]
Mit zittrigen Fingern versuchte ich, meinen Schlüssel in das dafür vorgesehene Schlüsselloch der Haustür unseres großen Anwesens zu schieben, doch das aufmüpfige Stück Metall schien sich zu wehren und zu winden, immer wieder flutschte es zur Seite, wodurch ich leise kichernd mehrere Male das Loch verfehlte.
Konzentriert riss ich meine Augen auf und fokussierte den Schließzylinder angestrengt, als könnte ich es so zwingen, endlich meinen widerspenstigen Freund in sich aufzunehmen.
Abermals musste ich kichern.
Ich wusste gar nicht so genau, weshalb.
Ob es wohl an der Tequilaflasche lag, die ich mir, nachdem ich Taehyungs Wohnung verlassen hatte, gekauft und auf dem Weg nachhause runtergeschüttet hatte?
Unmöglich: Alkohol hatte auf mich und meinen Gemütszustand normalerweise eine betäubende Wirkung, noch kein Mal hatte ich mich nach dem Konsum auch nur annähernd wie jetzt gefühlt.
Dabei hatte ich auch nichtmal viel getrunken, zumindest für meine Verhältnisse. Während meiner sonstigen Eskapaden, hielt ich um einiges mehr aus; die fühlten sich momentan jedoch an, als wären sie in meinem letzten Leben gewesen, so lange war ich nun schon nicht mehr auf der Piste gewesen.
Warum hatte ich gerade überhaupt so ein Bedürfnis nach dieser klaren, konzentrierten Flüssigkeit verspürt?
Nachdem Taehyung sich wieder einigermaßen beruhigt und wir uns aus unserer, gefühlt Stunden andauernden, Umarmung nur widerstrebend hatten lösen müssen, hatte ich ihn nachhause gebracht, wo ich dann noch lange geblieben war.
Selbstverständlich nur um sicherzugehen, dass es ihm auch wirklich gut ging. Mit derartigen Angstzuständen war, aus eigener Erfahrung, wirklich nicht zu spaßen.
Erneut wand sich das kleine Stück Metall unter meinem Griff und ich seufzte einmal entnervt auf.
Wie sehr ich mich nach seinen Berührungen sehnte, schoss es mir zusammenhangslos durch den benebelten Kopf.
Nach seinen zarten, kleinen Händen, seinen Umarmungen, den leicht geröteten Wangen, wenn er mich verlegen anschaute, den vollen, geschwollenen Lippen, während er auf meinem Schoß saß und mich flehend von oben herab durch seine dichten Wimpern anschaute und nicht zu vergessen nach seinem überraschend gut trainierten Oberkörper, auf den ich das letzte Mal mehr oder weniger freiwillig eine gute Sicht erhaschen konnte, ehe er sich meinem Blick entzogen und sein Hemd erneut zugeknöpft hatte.
Da hatte ich sie auch schon wiedergefunden; die Gründe, weshalb mein Körper am Ende des Abends förmlich nach Alkohol, dem Saft, der meine Gefühle sonst abtötete, geschrien hatte.
Ich schaffte es nicht, mich von dem Jungen fernzuhalten, ebenso wenig wie ich es ertrug in seiner Nähe zu sein.
Was war nur bloß verkehrt mit mir?
Allein in den letzten Stunden hatte ich meine Meinung ungefähr ein dutzend Mal geändert.
Immer, wenn er gerade nicht in meiner Nähe war, war der Gedanke, einen strikten Kontaktabbruch durchzuziehen zwar schmerzhaft, aber erträglich, da der rationale Teil meines Gehirns die Oberhand hatte.
Sobald ich mich aber sorgte wegen ihm, weil ich wusste, dass etwas nicht in Ordnung war, schien dieser Teil gänzlich auszusetzen.
Auf mich wirkte es in diesen Momenten schier unmöglich, mich auch nur ansatzweise von ihm fernzuhalten.
Es war zum Verrückt werden.
Die letzten Wochen ohne ihn waren schlicht die Hölle gewesen.
Aber ich hatte keine Wahl gehabt, solange meine Eltern in der Stadt waren, durfte ich kein Risiko eingehen; darüber hinaus wäre es auch überaus schwierig gewesen, frischere Verletzungen zu verstecken.
Ich ging schon so viel zu viele Risiken ein, obwohl ich mir immer wieder selbst sagte, wie dumm und egoistisch das sei.
Eigentlich hatte ich den Vorschlag mit der Nachhilfe schon im selben Moment, in dem die Worte über meine Lippen kamen, bereut. Doch sobald ich seine wohlklingende Stimme hörte, setzte mein Gehirn gelegentlich einfach aus.
Unter großen Anstrengungen schaffte ich es schließlich, den Schlüssel in die, für ihn vorgesehene, Öffnung zu bugsieren und ihn umständlich einige Male zu drehen, bevor die Haustür endlich aufsprang.
Taumelnd betrat ich unseren großen Vorflur. Meine Schuhe hinterließen dreckige Abdrücke auf dem polierten Marmorboden.
Erneut von einem meiner Kicheranfälle geschüttelt, ich dachte gerade daran, wie Taehyung und mein widerspenstiger Schlüssel eine tiefgründige Unterhaltung über das Leben und die Tatsache, dass ich anscheinend zu dumm war, auch nur einen von ihnen anständig zu behandeln, führten, währenddessen tastete ich blind im Stockdunklen nach dem Lichtschalter.
Ein leises Klicken ertönte, verdutzt kniff ich die Augen zusammen, da die veränderten Lichtverhältnisse mich derart unvorbereitet trafen, und wandte mich um.
Ich hatte den Lichtschalter nicht betätigt.
Von einem Moment auf den anderen war ich vollkommen ausgenüchtert.
Kalte Panik stieg in mir auf, als ich durch den Tränenschleier blinzelte, der sich aufgrund es gleißenden Lichts in meinen Augen gebildet hatte, da sah ich sie.
Heroisch, wie einem alten griechischen Drama entsprungen, standen meine Eltern auf der hellen Steintreppe, die sich seitlich an der linken Wand des Flurs um ihre eigene Achse emporschlängelte.
Meine Mutter ließ ihre blutrot lackierten Fingernägel abwechselnd quälend langsam über das goldene Geländer fahren und erzeugte so ein Geräusch, bei dem sich mir sämtliche Härchen des Körpers aufstellten.
Doch es war der Blick meines Vaters, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Stumm stand ich da, meine Eltern wie Racheengel auf mich herabschauend, und mein Kopf war leer.
Die Stimme meines Vaters war schärfer als die Klinge eines Schwertes: »Wo bist du gewesen, Jeongguk? Ist mir ein Auftrag entfallen, den wir dir gegeben haben?« Ruhig, aber durchdringend hallten die gesprochenen Worte durch unsere große Eingangshalle. »Zum Beispiel den nächsten Schnapsladen zu überfallen?«, schrie er aus dem Nichts, sein Kopf nahm von der einen auf die andere Sekunde eine dunkelrote Färbung an. »Wo bist du gewesen?«, zischte er sogleich wieder leiser, jedoch um einiges eindringlicher.
Von oben herab bohrten sich seine toten Augen tief in mich hinein.
Nein. Nein. Bitte nicht jetzt. Nicht in diesem Zustand.
Krampfhaft versuchte ich mich zusammenzunehmen, doch der Boden unter meinen Fußen schwankte verdächtig und ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.
Es fühlte sich an, als würde mein Vater mit seinem markdurchdringenden Blick jeden meiner Gedankengänge, jede einzelne Erinnerung, jedes noch so kleine Detail akribisch genau vor sich ausgebreitet sehen, eine Sektion bei vollem Bewusstsein, als steckte er seine Finger gierig zwischen meine verschlungenen Hirnwindungen, ehe er alles erneut verdrehte und verknotete.
»Wir werden uns nicht wiederholen, Jeongguk. Sonst weißt du, was geschehen wird. Die Zeit, die du danach die Universität nicht besuchen können wirst, wird dein Problem sein.« Die glockenklare Stimme meiner Mutter zerschnitt die Luft.
Sie trat einen Schritt nach vorn auf die nächste Treppenstufe.
Fieberhaft überlegte ich, was ich jetzt antworten sollte.
Um mich machte ich mir keine Gedanken, Taehyungs Sicherheit stand im Vordergrund.
Doch ich wusste nicht, inwiefern ich die Programmierungen in meinem derzeitigen Zustand austricksen konnte. Unruhig fuhren meine Augen durch den Raum, als suchte ich nach einem Ausweg, einem Notfallplan.
»Ich war etwas trinken«, gab ich wahrheitsgemäß zurück, jedoch vernahm selbst ich das seichte Zittern in meiner Stimme.
Reiß dich zusammen, verdammt!
»Du warst etwas trinken.« Erneut stieg sie eine Stufe tiefer. »Wo?« Nun durchbohrte mich auch ihr Blick.
»Ich war auf dem Weg nach Seoul.« Das entsprach ebenfalls der Wahrheit. Vielleicht, wenn ich es klug anstellte ...
»Das war nicht meine Frage«, knurrte sie, während das Geräusch ihrer Absätze auf den kühlen Marmorstufen widerhallte. »Wo?«
Ich versuchte verzweifelt, ihrem Blick standzuhalten. »Auf dem Weg nachhause«, entgegnete ich ruhig.
»Du weichst mir aus«, stellte sie leichtfertig fest. Sie stand mittlerweile auf der letzten Treppenstufe, nur noch wenige Meter von mir entfernt.
Mein Körper spannte sich unbewusst an.
Ich schwieg, jedoch war jedem Anwesenden klar, dass dies eine nonverbale Zustimmung meinerseits bedeutete. Ich fing an, zu schwitzen.
Hätte ich doch bloß nichts getrunken.
Plötzlich verspürte ich auf meiner Wange einen brennenden Schmerz.
Geschockt weiteten sich meine Augen, als ich unmittelbar in die grässliche Fratze meines Vaters blicken musste, die wie aus dem Nichts vor mir aufgetaucht war.
Scheinbar hatte er sich schneller bewegt, als ich es hatte wahrnehmen können oder mein, vom Alkohol benebeltes, Gehirn spielte mir weitere Streiche.
Reflexartig fasste ich mir ins Gesicht und vernahm dicke Blutstropfen, die warm über die Finger meiner rechten Hand liefen.
Mein Blick fiel auf die kurze, gebogene Klinge, um die mein Vater seine starke Faust geschlossen hatte. Mein Herz begann wie verrückt zu flattern.
Bitte nicht.
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Das grelle, beinahe beißende Licht brannte mir jäh in den Augen, als sie mich entblößt auf den nackten, kalten Metalltisch schnallten.
Ohne Widerstand ließ ich sie nacheinander meine Gliedmaßen an den scharfkantigen Ecken des Tisches fixieren.
Die Handschellen, die sie dabei nutzen, waren keine Gewöhnlichen; innenliegend besaßen diese besonderen Exemplare nämlich Zacken, die sich bei der Befestigung tief in deine Haut bohrten und dafür sorgten, dass du dir jede weitere Bewegung, die du danach tun wolltest, zweimal überlegtest.
Unaufhörlich rann weiteres heißes Blut aus der Wunde an meiner Wange.
Akribisch sorgte meine Mutter sorgte dafür, dass immer sobald die Gerinnung einsetzte und sich eine oberflächliche Kruste zur primären Blutstoppung gebildet hatte, sie sie mit dem Messer meines Vaters erneut langsam öffnete und dabei immer etwas tiefer in die daruntergelegenen Hautschichten vordrang.
Hin und wieder hieb sie mit der Klinge auch kleinere Schnitte in andere Körperstellen.
Stetige, monotone Wiederholungen, die abrupt und unerwartet unterbrochen werden, führen beim Opfer zu einem anhaltenden Unsicherheitsgefühl und unterstützen die Konditionierung, hallte eine unbekannte Stimme in meinem Kopf wider.
Erinnerungsfetzen zogen an meinem inneren Auge zuckend an mir vorbei; dunkle lange Gewänder, monotone, archaische Gesänge erfüllten meine Gedanken, mein Unterleib wurde von einem stechenden Schmerz durchfahren.
Ich zuckte nicht auf.
Aber dafür würden sie gleich schon noch sorgen.
Bereits nach den Elektroschocks war ich vollkommen ausgelaugt gewesen, sodass ich auf dem hölzernen Stuhl das Bewusstsein verloren hatte.
Heute jedoch schienen sie noch anderes mit mir vorzuhaben, sonst würde ich hier jetzt nicht liegen, gefesselt, frierend und allein.
Mit letzter Kraft versuchte ich meine Augenlider vom Zufallen abzuhalten. Ich durfte dem, immer schwerer auf meinem Körper lastenden, Schleier aus Dunkelheit nicht nachgeben.
Ich sollte mich den Schmerzen stellen und alle weiteren Stimmen in meinem Kopf unterdrücken, hatte mir meine Psychologin während unserer letzten Sitzung geraten.
Zwar war ich erst einige Male bei ihr gewesen und sie wusste nicht viel über meine eigentliche Situation, aber es war besser als gar nichts.
Taehyung zuliebe wollte ich versuchen, meine auf andere Leute zugegebenermaßen gruselig wirkenden, Aussetzer auf ein Minimum zu beschränken und sie sollte mir dabei helfen.
Fest biss ich die Zähne aufeinander, als die letzte Fessel sich mit einem metallischen Knacken um mein Fußgelenk schloss und die kleinen spitzen Dornen sich unbarmherzig in meine Haut fraßen.
Dann begannen sie.
Nachdem sie mir irgendeine, mir unbekannte, psychedelische Substanz eingeflößt hatten, schritten sie langsam und uniform immer wieder um den metallenen Tisch, an dem ich befestigt war, bis mich ein unbändiger Schwindel erfasste.
Sie suchten sich wie gewohnt die schmerzhaftesten Körperstellen aus.
Ihrem Repertoire waren keine Grenzen gesetzt; Von Messern, kleinen, großen, gebogenen, kurzen, gezackten, über allerlei Operationsbesteck wie Skalpellen, Klemmen, Pinzetten und Nadeln bis hin zu den ausgefalleneren Sachen wie Schürhaken, Ketten mit spitzen Dornen, Widerhaken jeglicher Größe und nicht zu vergessen die guten, alten Zigaretten, mit denen sie viele kleine unregelmäßige Brandwunden auf meinem Körper verteilen konnten.
Es dauerte nicht lange, bis die Schmerzen kaum noch zu ertragen waren.
Mein gesamter Körper schien zu pochen, meine Augen waren verklebt von den Tränen, die mir stumm unaufhörlich die Wangen herunterliefen.
Durch den Schleier sah ich grelle Punkte am Rande meines flirrenden Blickfelds tanzen, mein Körper stand unmittelbar vor dem finalen shut down.
Ich würde es nicht schaffen.
Sie würden meine mentalen Ketten noch enger zurren und ich wäre gezwungen, ihnen alles zu erzählen: Von Taehyung, dem Kuss, unseren heimlichen Treffen, meinen Gefühlen; keine Sekunde würden sie mich mehr aus den Augen lassen, wobei das nebensächlich war.
Wenn sie Taehyung wirklich aufspürten ...
Ein unglaublicher Druck baute sich in meiner Brust auf und ich erbrach einen Schwall Blut.
Leicht zuckte ich auf, als ich gezwungen war, meinen Kopf schmerzhaft zur Seite zu drehen, um nicht an der zähen Flüssigkeit zu ersticken und sich die Spitzen dadurch noch tiefer in meine Hand- und Fußgelenke bohrten.
»Du hast den Mund wohl dieses Mal einfach zu voll genommen.« Teuflisch grinsend blickte mein Vater, unter meinem verzweifelten Röcheln und Würgen, auf mich hinab. »Jetzt wollen wir mal sehen, was du uns alles verheimlicht hast.« Sein Grinsen wurde breiter und entblößte seine unnatürlich weißen, geraden Zähne.
Sie gingen nun zu dem wirklich unangenehmen Teil über.
So sehr ich mich im Laufe meines Lebens dagegen gewehrt hatte, es war nie von Erfolg gekrönt gewesen.
Die Techniken, die sie benutzten, waren speziell auf Kinder wie mich abgestimmt worden und wurden innerhalb der Sekte streng unter Verschluss gehalten; Wissen, das sich seit Jahrhunderten anzusammeln schien.
Weiterhin röchelnd durch die Blutreste in meiner Kehle, zog ich meine letzten Register, ich konnte einfach nicht versagen, nicht für ihn.
Entgegen des Rats meiner Therapeutin ließ ich los.
Ich befreite mich von dem Schmerz, dem Leid und dem Schmutz, von dem ich gerade umgeben war und versuchte meine Gedanken gänzlich abzuschotten.
Einzig und allein Taehyung war jetzt wichtig.
Sein Schutz.
So sehr sie mir auch wehtaten, so sehr sie mich körperlich und seelisch auseinander nehmen würden, ich musste ihn einfach beschützen.
Ich lenkte meine Gedanken bewusst gänzlich auf ihn, seine rosa schimmernden Wangen, wenn er verlegen war, sein silbrig, in der Sonne glänzendes, Haar, wie er es lässig nach hinten warf, wenn er aus tiefstem Herzen lachte, seine besorgten, unergründlichen, kaffeebraunen Augen, die mich anschauten, als würden sie meinen Schmerz verstehen – er war vermutlich der erste Mensch, der sich aufrichtig um mich sorgte und ich würde ihn nicht hängenlassen.
Erneut musste ich würgen, dieses Mal war es jedoch nicht bedingt durch Blut. »Ich habe-«, rasselnd schnappte ich nach Luft, «euch nie belogen.« Lautstark schüttelte mich der Husten
»Ich wollte nur etwas-«, krampfhaft würgte ich, »etwas allein für mich«, presste ich mühsam hervor, mein Herz hämmerte unaufhörlich gegen meinen Brustkorb, meine Gliedmaßen erschlafften, kurz bevor ich hilflos dem immer stärker werdenden Sog aus Dunkelheit, der schon seit einiger Zeit unermüdlich an zerrte, nachgab.
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