~ 12.2 ~

Mein Herz fühlte sich an, als würden sich tausend kleine Nadeln unentwegt und unbarmherzig in es hineinbohren.

Obwohl ich innerlich längst gewusst hatte, dass Jeongguk kein derartiges Interesse an mir hatte, tat die Tatsache, dass er es gerade so kalt und emotionslos ausgesprochen hatte, um nochmal ein so Vielfaches mehr weh.

Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen, meine Sicht verschwamm von den heißen Tränen, die in mir aufstiegen.

Mein Blick wanderte zu Mina und in meine unbändige Trauer mischte sich noch ein anderes, ebenso starkes Gefühl: Wut.

Mit großen Schritten kam ich auf sie zu gehechtet. Sie schien meinen plötzlichen Stimmungswechsel bemerkt zu haben und wich schnell ängstlich zurück, aber mittlerweile waren alle Sicherungen bei mir durchgebrannt.

Jeongguk liebt mich nicht. Ich bin ihm scheinbar völlig egal, so wie er mich hier zurückgelassen hat.

Mit einem Satz sprang ich auf die zierliche Person vor mir zu und drückte sie mit meinen Händen an den Handgelenken fest an die Wand hinter uns, sodass eine Armlänge weiterhin Abstand zwischen uns entstand.

Erschrocken wimmerte sie auf, doch ich hatte keine Gnade mehr mit ihr. Sie hatte mir alles ruiniert.

»Was fällt dir eigentlich ein, du kleine Schlampe? Tauchst hier auf, beleidigst mich und meine Freunde, verbündest dich hinter meinem Rücken mit meiner Mutter, dringst in meine Privatsphäre ein und erwartest dann auch noch, dass ich dich in irgendeiner Form noch haben wollen würde? Sag mal, hast du den Schuss nicht gehört oder was?« Immer fester drückte ich ihre Handgelenke gegen die Wand.

»Tae«, wimmerte sie nur immer wieder, doch ich kam gerade erst in Fahrt.

»Ich weiß nicht, was in Gottes Namen mit dir alles verkehrt läuft, aber lass dir eins gesagt sein. Du hälst dich in Zukunft von mir, meiner Familie, meinen Freunden und von Jeongguk fern. Sollte ich dich noch einmal hier irgendwo rumschleichen oder irgendwelche armseligen Intrigen schmieden sehen, dann vergesse ich mich. Und glaub nicht, dass es mich aufhalten würde, dass du ein Mädchen bist, ganz im Gegenteil – das macht es für mich nur noch leichter.« Ich warf ihr einen eisigen Blick zu.

»Taehyung, du machst mir Angst«, flüsterte Mina, sich weiterhin an der Wand windend, doch ich drückte ihre Handgelenke noch ein Stück fester zu.

»Das solltest du auch haben. Um ehrlich zu sein habe ich dich nie wirklich gemocht. Du warst immer nur das dumme kleine Mädchen, mit dem ich meine Eltern und ihre nervigen Fragen zum Schweigen bringen konnte. Man könnte dich mir auch nackt auf den Bauch binden und da unten würde sich bei mir nichts regen. Und zu allem Überfluss hast du auch noch einen grauenhaften Charakter, also viel Erfolg schonmal bei der späteren Partnersuche.« Ich lachte kurz hart auf. »Maße dir nie wieder an, so etwas zu sagen wie dass du mich kennen würdest, genauso wenig, dass ich nur verwirrt sei. Du kennst mich nicht und hast es nie getan. Jeongguk ist der erste Mensch, dem ich mich wirklich vollkommen öffnen konnte ohne dabei auf Ablehnung, Hass oder, das schlimmste von allen dreien, gnadenloser Selbstüberschätzung in Form von narzisstischen Tendenzen, wie zum Beispiel bei dir zu stoßen. Wage es nicht, dich nur einmal noch mit Jeongguk auch nur zu vergleichen. Immerhin vergleiche ich auch nicht die nahezu perfekten neurologischen Vernetzungen in unserem Gehirn mit dem Dreck unter meiner Schuhsohle. Denn nicht mehr bist du wert. Und richte meiner Mutter schöne Grüße von mir aus, wenn du jetzt deinen Scheiß aus meinem Zimmer holen gehst und danach aus meinem Leben verschwindest.« Ich atmete einmal tief durch nach diesem Redeschwall.

Das hatte gut getan.

Vor allem, weil es sich schon bereits so lange aufgestaut hatte.

Ruckartig ließ ich Minas Handgelenke los, wodurch sie weinend auf dem Boden zusammensackte.

Ich hatte Mitleid mit ihr. Mitleid, da sie so eine verabscheuungswürdige Person war.

Yoongi hatte mich von Anfang an gewarnt, aber ich hatte die Fragen meiner Eltern nicht mehr ertragen und sie war verfügbar gewesen.

»Jetzt geh schon«, schrie ich das Häufchen Elend am Boden wimmernd an.

Schnell rappelte Mina sich auf und verließ das Café.

Unmittelbar darauf brach ich auch schon an die Wand gekauert zusammen.

Obwohl Mina jedes Wort, was meine Lippen verlassen hatte, verdient hatte, kam ich trotzdem nicht umhin, mich für das alles schuldig zu fühlen.

Natürlich war sie deshalb kein weniger schlechter Mensch, aber ich war es, indem ich derart die Kontrolle über mich verlor.

Indem ich mich überhaupt derart provozieren ließ.

Diese unsagbare Last plötzlich von meinen Schultern geschüttelt zu haben, tat einerseits so gut und war andererseits doch so schmerzhaft.

Ich hatte nie gemerkt, wie stark mich die Frage meiner Sexualität belastet hatte. Wenn meine Eltern mir Löcher in den Bauch gefragt hatten, wann ich denn meine erste Freundin vorstellen würde, wenn Mina mal wieder versuchte, mich mit allen Mitteln zu verführen und ich mir in dem Moment eigentlich nichts sehnlicher wünschte, als einfach nur ganz wo anders zu sein.

Weg von diesen Menschen, weg von meinen quälenden Gedanken, von den vielen Fragen, auf die ich keine Antwort fand.

Das alles hatte ich jahrelang immer und immer wieder runterschluckt,weggesperrt, ignoriert, gelächelt und weitergemacht.

Ich hatte eine regelrechte Mauer um meine Gefühle gezogen und der einzige, der es geschafft hatte, einen kurzen Blick hinter sie zu erhaschen, war Jeongguk.

Und ausgerechnet der wollte nichts von mir wissen.

Abermals durchzuckte meinen Körper ein stechender Schmerz, der von meiner Brust aus her strahlte.

Meine Emotionen schienen verrückt zu spielen, ich konnte nicht mehr klar denken.

Die unglaubliche Wut, die ich bis eben noch empfunden hatte, verpuffte und ich spürte nur noch dieses riesige, klaffende, alles verschlingende Loch in meinem Herzen, welches Jeongguks Worte soeben in mich gerissen hatten.

Sie brannten schmerzhaft auf meiner Haut, mein Körper schien völlig aus den Fugen geraten zu sein.

Natürlich konnte der Jüngere nichts dafür, trotzdem machte es die Situation nicht besser.

Heiße Tränen liefen mir meine Wangen hinab, immer stärker schwoll der Schmerz in meiner Brust an, bis er kaum noch zu ertragen war.

Als hätte sich eine unsichtbare Last um meinen Brustkorb geschnallt, die mir beinahe gänzlich die Luft abschnürte.

Mein Atem, der bereits beschleunigt ging, verschnellerte sich immer weiter, ich begann helle Flecken am Rande meines Blickfelds tanzen zu sehen, auf einmal blendete mich der strahlende Deckenleuchter und nahm mir gänzlich die Sicht.

Mir trat der kalte Schweiß auf die Stirn, ich begann ein anschwellendes Rauschen zu hören, meine Zunge fühlte sich taub an und ich hatte das Gefühl, den richtigen Rhythmus fürs Atmen verloren zu haben.

Verzweifelt versuchte ich ihn taub und blind wiederzufinden, immer wieder schnappte ich nach Luft, hechelte und rang mit mir, doch meine Lungen nahmen keinen weiteren Sauerstoff mehr auf.

Mein Herz fing immer mehr an zu rasen, als drohte es, aus meiner Brust zu springen, die nackte Panik ergriff mich.

Ich blinzelte durch meinen Tränenschleier und dachte fast eine dunkle Schattengestalt auf mich zukommen zu sehen, bevor mich die dumpfe, allumfassende Schwärze empfing, die ich nur zu gern entgegennahm.

__


»Taehyung. Taehyung. Tae!« Ich vernahm, wie jemand an meinen Schultern rüttelte, doch ich konnte weiterhin nichts erkennen.

Meine Wahrnehmung war eingeschränkt, als wäre ich am Grunde eines Sees und jemand würde mir von der Oberfläche aus etwas zurufen.

Dumpf und hohl vernahm ich die Stimme.

»Tae, du musst atmen! Versuch tief in den Bauch zu atmen, langsam tief ein und langsam tief aus.«

Wie ein Blitz durchzuckte es mich, als ich plötzlich eine warme Hand auf meiner Brust spürte. Ich wusste sofort, wem diese gehörte.

›Ich will nicht, nein ich kann nicht, wollte ich erwidern, doch mir schien die Kontrolle über meinen Körper vollkommen verwehrt.

Wieder wurde ich von einer Welle der Angst überschwemmt.

Was war gerade los? Warum gehorchte mir mein Körper nicht mehr?

Immer verzweifelter schnappte ich nach Luft, hatte dabei aber das Gefühl, Wasser zu erhaschen, wodurch meine Lungen höllisch zu brennen begannen.

»Du musst dich beruhigen. Du musst die Angst zulassen, du darfst dich nicht gegen sie wehren. Es wird dir nichts geschehen, das verspreche ich dir, bitte vertrau mir. Ich bin bei dir.« Wie durch Watte drang die Stimme des Jüngeren an mein Ohr, da spürte ich plötzlich, wie er meine Hand mit seiner umschloss und sie fest drückte.

Die Angst zulassen? Was meinte er damit? Warum hatte ich überhaupt Angst? Was war eigentlich geschehen?

Meine Atmung ging flach und erfolgte in kurzen Stößen.

»Tae, bitte, du musst mir vertrauen. Du musst der Angst ins Auge blicken, du darfst ihr nicht ausweichen.« Immer mehr Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit.

Weshalb war er verzweifelt? Ging es ihm nicht gut?

Ich versuchte meine Gedanken, so gut es eben ging, in geordnetere Bahnen zu lenken, ich versuchte die Angst zu zulassen.

Angst vor Zurückweisung,
Angst vor meinen Eltern,
Angst davor, dass mein Leben sich zu sehr verändern würde,
Angst, dass ich meinen Traum nie erfüllen könnte und allen voran die Angst, Jeongguk zu verlieren.

Unermüdlich prasselten die Emotionen auf mich herab, doch ich bot ihnen die Stirn.

Nach und nach wurde meine Atmung geregelter, ich erlangte Schritt für Schritt die Kontrolle über meinen Körper zurück.

Minimal öffnete ich meine verklebten Augen und sah im ersten Moment nur helle Flecken über mein Sichtfeld hüpfen, das grelle Licht blendete mich und meine Augenlider begannen zu flackern.

Nach und nach erkannte ich einen dunklen Schattenumriss, der sich scheinbar über mich gebeugt hatte und leise flüsternd auf mich einredete.

Ich spürte, wie fremde Fingerkuppen sanft über meine verschwitzte Stirn strichen. Ich zwang mich angestrengt, meinen Blick zu fokussieren.

Endlich gelang es mir, meine Augen zur Gänze aufzuschlagen und blickte direkt in Jeongguks vor Sorge verzerrtes Gesicht.

Als er bemerkte, dass mein Blick auf ihm ruhte, begannen seine Augen zu leuchten.

»Taehyung«, flüsterte er und strich mir sanft durchs Haar, bevor er seine warme Hand an meiner Wange platzierte.

»Jeongguk, was ist passiert?« Meine Stimme war brüchig und kaum zu verstehen.

Auf seiner Stirn bildeten sich einige Sorgenfalten »Scheinbar hast du dich mit Mina gestritten und danach eine Panikattacke erlitten. Ist dir das schonmal passiert?«

Stumm schüttelte ich den Kopf und verspürte unmittelbar einen ziehenden Schmerz in meinem Nacken.

Es fühlte sich an, als sei mein ganzer Körper verkrampft.

Bilder der vergangenen Stunden flackerten bruchstückhaft vor meinem inneren Auge auf »Jeongguk, es tut mir so schrecklich Leid, ich wollte nicht-« Ruckartig versuchte ich mich aufzusetzen, ein unbändiger Schwindel ließ mich jedoch sofort wieder zurück in Jeongguks Schoß sinken.

»Tae, es ist alles gut. Du brauchst dich bei mir für nichts zu entschuldigen, dich trifft doch keine Schuld. Ich hätte nicht so hart zu dir sein sollen, ich habe ja gesehen, wie sehr dich das Ganze belastet.« Betreten senkte der Jüngere den Kopf.

Ich räusperte mich. »Jeongguk?«

»Ja?« Er schaute mich erneut an

Unbeholfen wich ich seinem Blick aus. »Hasst du mich jetzt? Ich meine, s-sind wir noch Freunde?« Eine Träne verirrte sich und lief langsam die, bereits auf meiner Wange getrockneten, Tränenbahnen hinab.

Geschockt weitete Jeongguk nur seine Augen. »Was redest du denn da? Natürlich sind wir noch Freunde. Nichts, was du sagst oder tust, kann daran etwas ändern.« Er legte seine Hand unter mein Kinn und zwang mich so, seinem Blick standzuhalten. »Das darfst du niemals vergessen. Ich bin immer für dich da.«

Erneut stützte ich mich auf und bevor Jeongguk mich runterdrücken konnte, schlang ich meine Arme eng um ihn und zog ihn in eine feste Umarmung.

Tonlos liefen auf ein Neues vermehrt einige Tränen über mein Gesicht, aber diesmal nicht aus Wut oder Angst.

Sondern aus dem unbeschreiblichen Glücksgefühl, was mich durchströmte bei dem Gedanken, jemanden zu haben, der mich so akzeptierte, wie ich wirklich war.

Die kleinen Stiche, die weiterhin durch mein Herz fuhren, immer wenn ich ihn ansah, waren nur ein kleiner Preis, den ich dafür zu zahlen bereit war.

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