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Taehyung PoV

Die Sonne schien unbarmherzig auf unser aller Köpfe herab, als ich gut gelaunt meinen Heimweg antrat.

Es war ein ausgesprochen schöner Tag für diese Jahreszeit. Die Bäume, die unsere kleine Allee säumten, hatten mittlerweile auch das letzte Laub verloren, leise knirschten die vertrockneten Blätter unter jedem meiner Schritte, die ich auf dem asphaltierten Boden tat.

Obwohl eine kühle Brise wehte, genoß ich die letzten Sonnenstrahlen des ausklingenden Herbstes.

Nicht mehr lange und man würde auf den Straßen nur noch Menschen dick verpackt in riesige Winterjacken und überdimensionale Schals sehen, mit gestrickten Mützen und Handschuhen bis fast zur Unkenntlichkeit vermummt.

Versteht mich nicht falsch, der Winter war eine schöne, ja gar fast anmutige Jahreszeit.

Wenn die ersten dicken Flocken vom Himmel rieseln und sich spielerisch in deinem Haar verfangen, wenn du fröstelnd deinen eigenen Atem sehen kannst und trotzdem deinen Schritt verlangsamst, weil du es in keinem Fall verpassen möchtest, wie sich die erste dünne Schneedecke über alles legt und die Welt stehenzubleiben scheint.

Wenn du im muckeligen Zuhause mit einem dicken Pulli und einer heißen Schokolade in der Hand staunend vor der Fensterscheibe hockst und den Eisblumen am Fenster beim wachsen zusiehst, funkelnder Kristall für Kristall.

Von den Fotos mal ganz zu schweigen, die man zu dieser Jahreszeit schießen konnte.

Jedoch hätte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit in meinem derzeitigen Zustand in jeder Wetterlage nur das Positive gesehen.

Nach dem mehr oder minder klärenden Gespräch, dass ich vor wenigen Wochen mit Jeongguk führen konnte, war unser Verhältnis besser als je zuvor.

Zwar kämpfte ich noch immer mit meinen Gefühlen ihm gegenüber, aber ich hatte beschlossen, diese vorerst auf Eis zu legen.

Was auch immer es noch alles war, was den Jüngeren derart belastete; wenn ich jetzt noch mehr Gefühle ins Spiel brachte, würde er wahrscheinlich gänzlich überfordert sein und wieder auf Abstand gehen und das war definitiv das Letzte, was ich erreichen wollte.

Ich musste meinen Egoismus zurückschrauben und an ihn und seine Gesundheit denken.

Gerade tat ich ihm lediglich als guter Freund wahrscheinlich einfach am besten.

Wir hatten noch viel geredet an besagtem Tag; über seine Kindheit hatte Jeongguk zwar weiterhin geschwiegen und auch auf seine Verletzungen war er nicht bereit gewesen, einzugehen, das war für mich jedoch zweitrangig.

Alleine den Versuch rechnete ihm hoch an.

Den ganzen Abend hatten wir noch auf der Couch gesessen – eng aneinander gekuschelt – und geredet, ich hatte gespürt, wie sein Herz förmlich etwas leichter wurde, nachdem er einige Dinge endlich ausgesprochen hatte.

Bis schließlich meine Mutter abends heimkam und wie so oft für uns nicht mehr als ein paar abschätzige Blicke übrig hatte, doch immerhin verlor sie dieses Mal kein weiteres Wort darüber.

Generell hatte sich unser Verhältnis seit wir hergezogen waren drastisch verschlechtert.
Mit meinem Vater – zu dem ich nie eine sonderlich enge Verbindung hatte – war alles beim Alten, er ging seit Kurzem wieder reduziert arbeiten, aber mit meiner Mutter schien ich nicht mehr warm zu werden.

Ich bog in unsere schmale Einfahrt ein. Leise schloss ich die Haustür auf und zog sie behutsam hinter mir zu.

Ich wusste nicht, ob meine Mutter arbeiten war oder nicht, deshalb wollte ich so leise wie möglich in mein Zimmer huschen, um einem potentiell unangenehmen Gespräch aus dem Wege zu gehen.

Langsam schlich ich weiter, da ertönte ein strenges ›Taehyung!‹ aus der Mitte des Raumes.

Seufzend ließ ich meine Schultern hängen und richtete meinen Blick auf sie.

Meine Mutter stand mit verschränkten Armen vor unserem Esszimmertisch und schien mich und mein Kommen bereits erwartet zu haben.

»Hallo eomma«, murmelte ich, zog hastig meine Schuhe aus und ging scheinbar unbeteiligt in mein Zimmer, die angespannte Stimmung im Raum ignorierend, jedoch hielt meine Mutter mich mit einer weiteren harschen Erwähnung meines Namens auf.

Abermals aufseufzend drehte ich mich nochmal zu ihr um. »Was ist?«, versuchte ich möglichst monoton zu fragen.

Ich wollte keinen Streit anzetteln, aber auch nicht meine Zeit verplempern, immerhin wollte ich vor meinem hagwon heute nachmittag noch mit Jeongguk telefonieren.

»Wir müssen reden«, fuhr sie mit ernster Stimme fort und deutete auf den Esszimmertisch. »Setz dich bitte.«

Na das könnte ja heiter werden.

Lustlos ließ ich mich auf einen der hellen Eichenstühle fallen, bevor meine Mutter ebenfalls andächtig Platz nahm. Da war ich ja mal gespannt.

»Was gibt's?«, startete ich das Gespräch.

»Nun ja«, setzte sie an, ihre Finger ineinander verschränkend, »mir ist aufgefallen, dass du in letzter Zeit viel mit diesem Jungen unternimmst. Jeongguk.« Seinen Namen spuckte sie förmlich aus.

Bereits gereizt zog ich eine Augenbraue in die Höhe. »Und?«, erwiderte ich lediglich.

Sie schürzte ihre Lippen. »Ja also, mich als deine Mutter beschäftigt das ja.«

»Was beschäftigt dich als meine Mutter?«, gab ich schnippisch zurück.

»Natürlich dein Umgang. Und dieser Jeongguk-Junge ...ich weiß nicht.« Sie seufzte einmal gespielt dramatisch auf. »Er gefällt mir nicht, Taehyung.«

»Tja, mir gefällt er dafür umso mehr.« Ich lächelte ihr heuchlerisch entgegen. Langsam wurde mir das Ganze hier zu bunt.

»Was ist das nur mit diesem Jungen und dir? Bist du etwa, also ich meine seid ihr-« Sie konnte ihren Satz nicht zu Ende sprechen, da fiel ich ihr bereits ins Wort.

»Schwul? Möchtest du wissen, ob wir zusammen sind?«, rief ich aufgebracht, von mir selbst verwundert über meine plötzliche Offenheit dem Thema gegenüber – und über meine plötzlich aufflackernde Wut.

Vielleicht lag es daran, dass ich in letzter Zeit doch viel mit Jimin gesprochen hatte oder weil ich mir die ganze Sache jetzt schon mehr als einmal durch den Kopf gehen lassen hatte.

Und wenn ich schwul war? Na und? Das änderte doch nichts an mir als Person.

Meine Mutter zuckte heftig zusammen, als hätte man ihr eine Ohrfeige verpasst, unmittelbar nachdem ich das Wort ausgesprochen hatte.

In ihrem Blick spiegelten sich Verachtung, Sorge und Angst wieder. Angst davor, dass ihr Sohn eine Schwuchtel sein könnte?

Allein der Gedanke versetzte mir viele kleine Stiche an der Stelle, an der ich mein Herz vermutete.

»Verdammt, Taehyung. Lass den Unsinn.« Sie schaute mich beinahe flehend an. Den Unsinn?

»Für dich ist sexuelle Orientierung also Unsinn? Und wenn Jeongguk und ich zusammen wären, und wenn ich schwul wäre und wir es täglich treiben würden, wo wäre bitte das scheiß Problem?«, fuhr ich sie wütend an.

Im Nachhinein trieb es mir die Schamesröte ins Gesicht für meine Wortwahl, in dem Moment packte mich aber eine so überwältigende Wut, dass die Worte einfach so aus mir heraussprudelten.

Auch meine Mutter schien davon mehr als geschockt zu sein, angewidert verzog sie das Gesicht und flüsterte: »Sowas möchte ich in meinem Haushalt nie wieder von dir hören.« Ihre Blicke durchbohrten mich, was mich jedoch nur noch mehr zum Ausrasten brachte.

»Das kann nicht dein Ernst sein«, wetterte ich

»Und wie das mein Ernst ist! Ich möchte nicht, dass du dich noch weiter mit diesem Jungen triffst«, entgegnete sie spitz.

»Von dir lasse ich mir garantiert nicht verbieten, mit wem ich mich zu treffen habe und mit wem nicht ...und vor allem lasse ich mir nicht vorschreiben, wen ich zu lieben habe.« Meine Stimme überschlug sich, ich spürte, wie die Ader an meinem Hals ungesund hervortrat. »Ich bin bald neunzehn und in er Lage meine eigenen Entscheidungen zu treffen.« Wütend funkelte ich sie an.

Unbeeindruckt verengte meine Mutter ihre Augen zu Schlitzen. »Dann kannst du ja auch auf unsere Unterstützung bei deinen Studiengebühren verzichten, wenn du schon so erwachsen bist«, erwiderte sie nur kühl.

Geschockt riss ich die Augen auf. Sie wusste genau, dass sie da bei mir einen wunden Punkt getroffen hatte; triumphierend lächelte sie mich dreist an.

Ich konnte nicht fassen, dass diese Person vor mir wirklich meine Mutter sein sollte, ich erkannte sie kein Stückchen wieder.

Wo war die liebende Frau hin, die mich bei sonst ausnahmslos allem, was ich tat, unterstützte?

Meine Entscheidung, später in Richtung Journalismus zu gehen, hätten bestimmt nicht alle Eltern so locker aufgenommen, wie meine.

Doch meine Mutter hatte mich immer bestärkt und mir den Rücken freigehalten. ›Wenn das dein Traum ist, dann sorgen wir dafür, dass er in Erfüllung geht‹, hatte sie damals nur mit einem liebevollen Lächeln auf den Lippen geflüstert und mir zugezwinkert.

Wo war diese Frau von damals jetzt?

Ich spürte, wie mir eine Träne über die Wange lief. »Dann nehme ich lieber drei Nebenjobs an und schufte mich neben dem Studium halbtot, als Geld von einer Person anzunehmen, die nicht akzeptiert, wie ich wirklich bin«, flüsterte ich mit belegter Stimme, bevor ich unter ihrem geschockten Blick ruhig aufstand, den Stuhl zurück an den Tisch schob und den Raum verließ.

In meinem Zimmer angekommen, schmiss ich mich leise schluchzend auf mein Bett.

Die Genugtuung, mich jetzt auch noch heulen zu hören, wollte ich meiner Mutter nun wirklich nicht geben.

Ich musste hier raus.

Verzweifelt kramte ich mein Handy aus meiner Jackentasche und wählte mit zittrigen Fingern Jeongguks Nummer, der nach wenigen Sekunden bereits abnahm.

»Taehyung«, drang seine tiefe Stimme durch den Hörer und ließ meinen Herzschlag sich unmittelbar etwas beruhigen. Wie ironisch, zu Beginn hatte seine Stimme das genaue Gegenteil bewirkt, naja, manchmal tat sie das immer noch.

»Jeongguk«, flüsterte ich leise in den Hörer, meine Tränen und zittrige Stimme so gut es ging unterdrückend. Doch ihm konnte ich nichts vormachen.

»Geht es dir gut, was ist passiert?« Seine Stimme nahm automatisch eine besorgte Färbung an.

»Mir geht es soweit gut, aber: hast du gerade Zeit?«, fragte ich unsicher, am Ende hatte ich ihn bei irgendwas Wichtigem gestört, immerhin hatte er nicht nur mit der Uni, sondern auch mit seinen Firmenangelegenheiten immer viel zu tun.

»Tae, für dich habe ich immer Zeit, das weißt du.« Seine Stimme wurde weich und ich spürte mein Herz in meiner Brust schmerzen.

Ich mochte diesen Mann wirklich viel zu sehr.

»Ich muss hier einfach weg gerade«, murmelte ich in den Hörer.

Seit wir uns kannten, hatten Jeongguk und ich uns noch nie bei ihm zuhause getroffen, das war auch eine seiner Bedingungen für die Nachhilfe gewesen, und doch hoffte ein kleiner Teil von mir, dass er nur für jetzt einfach über seinen Schatten springen würde; ich ertrug die Präsenz dieser Frau einfach nicht mehr.

Kurze Zeit hörte ich nur das leise Knacken der Leitung, bevor Jeongguk erwiderte: »Okay, ich hole dich ab; wo bist du?«

»Z-zuhause. Aber ich warte dann an der Allee auf dich, ich kann hier nicht die Füße stillhalten«, murmelte ich weiter.

Ein kurzes Glücksgefühl durchströmte mich bei dem Gedanken, den Jüngeren gleich schon zu sehen.

»Alles klar. Ich bin so schnell es geht da«, erwiderte er mit fester Stimme, bevor er den Anruf beendete.

Unwirsch fuhr ich mir einmal durch mein eh schon zerzaustes Haar.

Aus Gewohnheit schnappte ich mir meine Kamera, warf mir bewusst Jeongguks Mantel über die Schultern und schritt ohne groß weiter drüber nachzudenken aus meinem Zimmer.

Meine Mutter stand in der Küche und wischte beinahe manisch über die Arbeitsfläche. Immer wenn sie Stress hatte oder etwas anderes nicht in Ordnung war, fing sie an wie eine Irre zu putzen.

Wortlos würdigte ich sie keines Blickes und huschte schnell an ihr vorbei. Gerade als ich meine Hand auf die Türklinke legte, erhob sie wider erwartend doch noch einmal ihre Stimme. »Wo gehst du hin?«, fragte sie skeptisch.

Süffisant grinsend drehte ich mich zu ihr um. »Dreimal darfst du raten«, entgegnete ich spitz, bevor ich die Klinke runterdrückte und die Tür hinter mir mit voller Wucht ins Schloss fallen ließ.

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