Die Vergangenheit - Verrat #8
Sarah wartete, bis Asmos Atem völlig gleichmäßig ging, wartete, bis das rasche Trommeln seines Herzens zu einem dumpfen Schlagen überging. Erst als sie sich sicher war, dass er tief schlief, löste sie sich vorsichtig aus seiner Umarmung. Nun da das Liebesspiel, das ihre Gefühle in Aufruhr gebracht hatte, vorbei war, kehrte wieder der ernüchternde Gedanke an ihre Aufgabe zurück.
Sie war nun so weit gefasst, hatte schon genug geweint, um ihre Trauer im Zaum zu halten. Ihre alten Kleider hatte sie auf dem Tisch liegen gelassen, sie zog sie rasch wieder an. Ihre alte Gewandung fühlte sich eng auf ihrer vrynnänlichen Gestalt an. Hinter einem Regal beförderte sie den Dolch hervor. Seine scharfe Schneide fing die wenigen Strahlen des Mantellichts auf und ließ sie silbrig aufleuchten. Sie strich behutsam mit dem Zeigefinger über die flache Seite der Klinge. Der blanke Stahl fühlte sich eisig kalt auf ihrem erhitzten Körper an. Sie schauderte unwillkürlich. Ihr Blick glitt liebevoll über Asmos Körper. Wie gerne hätte sie noch einmal durch das kurz geschnittene, blonde Haar gegriffen, seine vereinzelten Bartstoppeln gestreichelt.
Schloss sie die Augen, sah sie ihn vor sich, sein ruhiger Blick mit den rehbraunen Augen nur auf sie gerichtet. Er hatte sie gänzlich in seinen Bann gezogen. Mit erhobener Waffe trat sie auf ihn zu. Ihre Schritte verursachten keinen Laut. Gefasst sah sie ein letztes Mal auf ihn herab, ehe sie mit der Linken die scharfe Klinge umfasste, um sie gleich danach ruckartig aus der Umklammerung zu reißen. Ein brennender Schmerz zog von der Hand aus durch ihren Körper. Ihr Atem raste für einen Moment. Mit einigen Tropfen des Bluts benetzte sie die Bettdecke, ging dann zur Tür, wobei sie weitere heiße Tropfen auf den Boden vergoss. Mit dem Fuß öffnete sie die Tür - sie war nicht verschlossen. Ehe sie das Haus verließ, griff sie an den Türstock und zog ihre Hand waagerecht daran entlang.
„Als hätte ich versucht, mich festzuhalten", murmelte sie, ehe sie endgültig hinaustrat.
Das Fest war bereits zu Ende. Nur noch die Überreste abgebrannter Feuer spendeten ein wenig Licht.
„Bitte glaube, dass ich tot bin, Sarah hatte es ohnehin nie gegeben." Eine einzelne Träne, geboren aus einem winzigen Moment, in dem sie ihre Gefühle überwältigten, rann ihre Wange hinab. Während sie ihren Weg bis zum Kinn suchte, verlor ihr blondes Haar seine Farbe, verfeinerten sich ihre Konturen, sie wurde wieder sie selbst - Sahira. Sahira, die Verräterin. Sie presste wütend die Augen zusammen, die Träne tropfte unbeachtet zu Boden. Sie hob den Blick gen Himmel. Der Mond, der in letzter Zeit beständig zugenommen hatte, strahlte sie hell an, doch sie hätte das Licht nicht einmal benötigt. Sahira war die Dunkelheit gewohnt. Wenn ihr Plan misslang, würde sie nichts anderes mehr zu sehen bekommen.
Als sie den Waldrand erreichte, tauchte der Wolf unvermittelt wieder vor ihr auf. Seine Haltung wirkte nicht drohend, viel eher interessiert, weswegen Sahira nach einem ersten Schreckmoment weiterging. Sie wusste, er würde ihr nichts tun und selbst wenn doch, so war es ihr egal. In ihrem Rücken spürte sie seinen wachsamen Blick, der ihr folgte, bis sie außer Sichtweite des Dorfes war.
Wie lange hatte sie hierfür trainiert? Tagelang hatte sie mit den Besten der Aculeten üben dürfen. Nur ein einziges Ziel hatte sie bewegt – unabhängig zu sein, endlich die Chance zu erhalten, die noch keine andere vor ihr hatte. Sie hatte die Verachtung der Hochgestellten ihres Volkes regelrecht genossen. Den Ärger und den Neid auf eine Mittelständige, die einen Auftrag vom Unendlichen selbst erledigen durfte. Und nun würde sie in Schande zurückkehren. Sie würden ihre Bestätigung bekommen, dass sie einfach nicht gut genug war – das man es einem wahren Assassinen hätte anvertrauen müssen.
Während sie tiefer und tiefer in den Wald eindrang, dachte sie noch einmal über die letzten Worte des Unendlichen nach. Kurz bevor sie ihn verlassen hatte, hatte er ihr die Prophezeiung der Seherin mitgeteilt:
Kind der Viere, aus dem Blute zweier.
Kind des Verrats, Verrat am eigenen Fleisch.
Träger der Elemente, Untergang unseres Volkes.
Freund des Feinds aller.
Dein Kommen zeugt vom Tod des Volkes.
Dein Kommen zeugt von der Rückkehr der Alten.
Sie verstand den Sinn der Worte nach wie vor nicht. Aber was bedeutete das schon?
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