Die Vergangenheit - Verrat #4

„Und wie war dein Bad auswärts?", fragte Asmos, als sie wieder im Dorf ankam.
„Entspannend", antwortete sie kurz angebunden, aber in keiner Weise unfreundlich.
„Reichst du mir mal eben die Zange?" Asmos deutete auf einen Haufen von scheinbar wahllos verstreuten Werkzeugen, die am Fuße der Trittleiter lagen. Sarah wühlte eine Weile darin herum, bis sie das benötigte Stück gefunden hatte, und gab es ihm. Es war schmutzig, wohl schon eine Ewigkeit nicht gewaschen. Als sie es ihm reichte und bemerkte, dass ihre Hand danach rußig schwarz war, schenkte sie ihm einen bösen Blick. Asmos lachte unverhohlen, während er einen Draht zur Befestigung der Lampions zurecht drehte.
„Das wird sicher gut aussehen heute Abend", kommentierte sie seine Arbeit.
Er wischte sich den Schweiß mit dem Unterarm von der Stirn und nickte zuversichtlich. „Es ist jedes Mal wunderschön."
„Aus welchem Grund veranstaltet ihr das Ganze?"
Asmos trat von der Leiter, um sich einen weiteren Lampion zu nehmen. „Wir ehren damit unsere schönen Frauen", sagte er mit einem Zwinkern.
„Sehr witzig." Sie legte die Hände auf die Hüften und sah ihn prüfend an. „Ich wette, du weißt es nicht einmal."
„Da könntest du goldrichtig liegen."
„Du bist ein Banause."
„So was nennt man auch männlich."
Sarah verdrehte die Augen und wandte sich ab.
„Wo ist eigentlich Anya?"
Asmos runzelte die Stirn. „Ich dachte, ihr beide trefft euch am Nachmittag?"
„Hast du etwas dagegen, wenn ich es vorverschiebe?", fragte sie mürrisch.
Asmos bog den Draht um das über ihm hängende Seil, sprang von der Leiter und landete neben ihr. „Ja, denn jetzt gehörst du noch mir."
„Ich gehöre gar keinem", entgegnete sie erbost.
„Ach nun sei doch nicht so." Er wollte nach ihrem Arm fassen, aber sie wich ihm flink aus.
„Du bist dreckig, wasch deine Hände! Wer hat dir überhaupt erlaubt, mich ständig anzugreifen? Hast du keine Manieren?"
Perplex über ihren plötzlichen Ausfall, erwiderte er gar nichts darauf.
„Du solltest besser etwas üben, statt hier diese Laternen festzumachen und mir nachzustellen."
„Das Üben überlasse ich lieber den anderen", sagte er kleinlaut.
„Du musst dir ja ziemlich sicher sein, dass du gewinnst."
„Ich rede es mir zumindest ein." Er lachte verlegen und fuhr sich durchs Haar, wo er einen Teil des Drecks seiner Hände hinterließ.
„Gönn dir auch noch ein Bad, sonst kannst du dort allein hingehen", meinte sie abschätzend.
„Natürlich ...!"
„Und ich werde nach Anya suchen", erwiderte sie und wandte sich ab. Sie drehte ihm nur kurz das Gesicht zu, um seine Reaktion auf ihre harsche Art zu sehen. Wie er da so stand, schwitzend im Schein des Mantels, die Kleider dreckig und die Dekoration für das Fest vorbereitend, wirkte er richtig männlich, geradezu verwegen. Zumindest täte er das, würde er sie nicht so dämlich anstarren. Sie verlor sich kurz in liebevollen Gedanken an ihn, welche stets von ihrer Aufgabe überschattet waren. Es fühlte sich falsch an, so zu ihm zu sein. Aber der Dolch, den sie zwischen ihren Brüsten platziert hatte, kühlte nicht nur ihren Körper, sondern auch ihr Gemüt. Sie entschied sich, ihn in Asmos Haus zu verstecken, und betete, dass er nicht seinen Tod bedeutete.

Als der Abend langsam über das Dorf hereinbrach und die ersten schick angezogenen Dorfbewohner sich zum Festplatz begaben, war Sarah noch nicht wieder aufgetaucht. Asmos hatte erwartet, dass sie bald zu ihm zurückkommen würde, nun war er bereits zuhause gewesen und hatte erfolglos an der abgeschlossenen Tür seiner Mutter angepocht. Er machte sich nicht wirklich Sorgen, dass ihnen etwas passiert sein könnte, aber ein gewisses Unbehagen nagte an ihm, was ihn nahezu verrückt machte.
Vielleicht hatte sie es sich auch anders überlegt. Er hatte sich bereits vor gut einer Stunde in Schale geworfen oder zumindest in etwas, was er als halbwegs elegant empfand. Nun stand er da in seiner schneeweißen Tunika, einer schwarz eingefärbten Hose und einem breiten Ledergürtel, den er zu seinem sechzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, und fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Er hatte sogar sein struppiges Haar mit einer Unmenge von Schweinefett unter Kontrolle gebracht. Danach hatte er eine ganze Weile gebraucht, um den Geruch mithilfe des Sekrets gut duftender Blumen loszuwerden. Und nun, nach all seinen Bemühungen mit Sarah mithalten zu können, stand er da wie bestellt und nicht abgeholt. Er musste an die unfreundliche Art denken, die sie ihm hatte zukommen lassen. Nun gefiel es ihm nicht mehr so sehr, dass sie schwer zu haben war.
„Hey mein Freund, wurdest du versetzt?"
Asmos drehte sich abrupt zu Thorben um, als dieser ihn ansprach. Lächelnd bemerkte er, dass er sich an seine Prinzipien hielt und eine Tracht eher praktischer Natur wählte. Er trug ein kurzes braunes Hemd und eine einfache farbgleiche Hose. An seinen Armen hatte er zwei Lederschützer angebracht und auch unter seiner Hose machte er etwas Derartiges an den Schienbeinen aus. Er plante wohl, die Kämpfe heute Abend zu gewinnen.
Seine Begleitung war Emilia. Asmos kannte sie als äußerst keckes Mädchen, die sich nicht viel sagen ließ. Ihr rotes Haar fiel ihr wild über die Schultern und bedeckte das dazu passende rote Halsband. Sie hatte für das Fest eine schlichte Bluse und einen kurzen Rock gewählt. Zusammen mit den fast kniehohen, viel zu groß wirkenden Stiefeln machte sie ihrem freizügigen Ruf alle Ehre. Sie passte gut zu Thorben, fand Asmos.
Ihre Freundin Nora, die Tochter des Dorfältesten war das genaue Gegenteil von ihr. Zwar ähnelte ihre Verhaltensweisen, aber sie achtete viel mehr auf ein gepflegtes Äußeres. Sie hatte ihr blondes Haar akkurat aufgesteckt und trug ein bis zum Boden reichendes grünes Kleid mit einer Vielzahl von schmückenden Elementen wie Rüschen und Ähnlichem. Um ihren Hals hing ein goldenes Medaillon. Sie hatte eine unverhohlene Schwäche für Asmos. Vielleicht war sie deswegen noch ohne Begleitung. Sie warf Asmos einen entsprechenden Blick zu. Er tat, als bemerke er es nicht. Eine Zeit lang hatte er darüber nachgedacht, ihrem Werben nachzugeben. Aber Nora hätte von ihm auf lange Zeit erwartet, etwas Besseres aus sich zu machen, womöglich in die Stadt zu ziehen. Dabei war er mehr als glücklich mit dem, was er hatte.
Lächelnd wandte er sich Thorben zu. „Sie wird sicher noch kommen", meinte er fest.
„Wenn du Hilfe brauchst, sie zu suchen, sag es."
„Du gehst mit der Neuen?", mischte sich Emilia ein, worauf sich Noras Gesichtsausdruck merklich verdüsterte.
„Voraussichtlich", erwiderte Asmos vage.
„Bestimmt hast du sie wie ein echter Kavalier auf Knien darum gebeten, hm?", bohrte sie weiter.
„So was in der Art war es wohl", antwortete er irritiert, den warnenden Blick von Thorben ignorierend.
Emilia gab diesem kurz darauf einen Stoß mit dem Ellbogen in die Seite. „Siehst du? Asmos geht nicht einfach zu einem Mädchen und fragt: Hey du, wie wär's mit uns beiden heut' Abend?", meinte sie beleidigt.
„Sarah ist ja auch eine Lady aus der Stadt!", verteidigte dieser sich.
„Oh und ich bin wohl nur ein Bauerntrampel!" Sie trat mit dem Fuß auf, ehe sie in Richtung der Festlichkeiten davon stapfte.
„Hey warte!" Thorben grinste Asmos entschuldigend an. „Tut mir leid, ich muss meine Beute einfangen. Wir sehen uns dann, ja?"
„Ich hoffe es. Machs gut."
Nora bedachte ihn mit einem traurigen Blick, ehe sie den beiden folgte. Irgendwie tat sie ihm ja leid, aber sie war einfach nicht sein Typ.
Als sie davoneilte und Asmos erneut allein im schwachen Schein der Lampions stand, wusste er, dass sie endlich kam. Wie immer sah er das, was passierte, um einige Sekunden früher. Er wusste, dass sie auf ihn zukommen würde, als sie die Tür des Hauses seiner Mutter öffnete. Anya folgte gleich nach ihr. Er war es gewohnt, dass das außergewöhnlich gute Aussehen seiner Mutter trotz ihres Alters für Aufsehen sorgte. Sie trug ein ähnliches Kleid wie Sarah, nur mit Ärmeln, die ihre Arme vor der Kälte schützten. Als er es sich erlaubte, Sarah zu mustern, nahm es ihm den Atem. Er hatte sie schon immer für hübsch gehalten, aber was er nun vor sich sah, war zum Weinen schön.

Nora seufzte tief, als sie die beiden freundschaftlich streitenden Partner beobachtete. Warum nur interessierte sich Asmos nicht für sie? Jedes Mal putzte sie sich mehr heraus, um seine Aufmerksamkeit zu erringen. Während er in früherer Zeit prinzipiell kein Interesse an Frauen gezeigt hatte und geradezu versessen darauf war, seine Kampfkünste mit anderen zu messen, so war er diesen Zyklus ebenso vernarrt nach Sarah. Was hatte diese Frau, was sie nicht hatte? Als Thorben plötzlich den Mund öffnete und der Zwist zwischen ihm und Emilia endete, sah Nora in die Richtung, in die er sah. Für einen Moment stockte ihr der Atem.
Als Asmos Mutter auftauchte, war sie wenig überrascht über die Blicke der umstehenden Männer, welche jedes Mal aufs Neue deren Frauen verärgerten. Seine Mutter war überall für ihre natürliche Schönheit bekannt. Aber auch dafür, dass sie ihrem Mann, der sie vor langer Zeit verlassen hatte, die Treue hielt. Das brachte so einige Männerherzen zum Verzweifeln.
Hinter ihr, Hand in Hand mit Asmos, kam etwas auf Nora zu, was sie bisher noch nicht gesehen hatte. Es ließ sie verstehen, warum sich ein in Waffen vernarrter Asmos, so in den Bann einer Frau ziehen ließ. Sarah war eine Augenweide, dagegen kam sie nicht an, musste sie sich zugestehen. Anscheinend hatte sie viel Zeit in das Schminken ihres Gesichts gesteckt, aber das Ergebnis war sehenswert. Ihre Lippen waren mit Samtrose behandelt. Deren Saft, welcher äußerst schwer zu gewinnen war, verlieh ein tiefes, verführerisches Rot. Hervorstechend waren auch ihre Augen. Nora mutmaßte, dass sie hierfür Schwarzbeeren und blauen Fordrich genutzt hatte. Mit Ersteren hatte sie eine feine schwarze Linie unter ihren Augen gezogen, die sich an den Seitenrändern mit der blauen Farbe des Fordrichs, der ihre Lider bedeckte, vereinte. Auf ihrem sonst so blassen Gesicht wirkten diese Farben noch intensiver, geradezu hypnotisierend.
Nora erwischte sich selbst dabei, wie sie in ihrem Blick zu versinken drohte. Asmos streichelte Sarah über die rötlich gepuderte Wange, ehe er seine Hand an ihre Seite legte. Ihr langes ärmelloses Kleid, das nur von zwei dünnen Trägern gehalten wurde, perfektionierte ihr Erscheinungsbild. Es besaß am Saum einen bis fast zur Hüfte reichenden Ausschnitt, der ihr viel Bewegungsfreiheit trotz des weiten Rocks gab. Ihr leichter Gang wirkte, als würde sie über den Boden schweben, statt zu gehen.
„Verdammt hat der ein Glück."
Thorbens Worte rissen Nora aus ihrer Schwärmerei heraus. Emilia gab ihm eine Ohrfeige für seine Bemerkung, aber man sah ihr an, dass sie ihm im Stillen Recht gab.
Die Dreiergruppe erreichte sie und eine peinliches Schweigen trat ein. Erst nach einer Weile bemerkten Emilia und Nora, dass sie Sarah nach wie vor anstarrten. Betreten senkten sie den Blick.
„Also ich für meinen Teil werde mich jetzt etwas unters Volk mischen", sagte Anya schmunzelnd, drückte Asmos aufmunternd die Schulter und verschwand in der Menge.
Alle sahen ihr nach, so als ob sie der letzte Rettungsanker inmitten dieser Situation gewesen wäre.
Asmos schob Sarah sanft zur Seite und stellte sich vor sie. Er rang merklich mit sich, sie anzusprechen. Schließlich wand er den Blick ab und hielt ihr einen schlichten hölzernen Anhänger hin, der an einem Lederband befestigt war.
„Was soll ich damit?", fragte sie ihn blinzelnd.
„Ich dachte, er passt gut dazu. Meine Mutter meinte einmal, ich soll ihm einem hübschen Mädchen geben."
Sie schmunzelte leicht und betrachtete das Stück. Es war ein Tier, ein Wolf, aber es schien, als würde etwas davon fehlen.
„Es gibt einen Zweiten von der Sorte", meinte Asmos auf ihren fragenden Blick hin.
„Ah und den hast du, hm?"
Er kratzte sich verlegen am Kopf. „Es zwingt dich keiner, ihn zu nehmen."
Mit einem Schulterzucken streifte sie ihn sich über den Hals. „Wo er doch für ein hübsches Mädchen ist." Sie zwinkerte ihm neckisch zu und sie gingen wieder zurück zu den anderen.
„Hast also doch noch deine Herzensdame gefunden", sagte Thorben dann endlich, stand auf und klopfte Asmos auf die Schulter.
Dieser lachte heiter auf und nickte. „Freust du dich schon auf die Kämpfe?"
Thorben klopfte sich wie zur Bestätigung auf seinen Lederarmschützer. „Freilich, wie jedes Mal."
„Jetzt geht das schon wieder los", stöhnte Emilia auf. Auf einen fragenden Blick Sarahs hin erklärte sie: „Du musst wissen, sie machen immer bei dieser Prügelei mit. Und jedes Mal stehen sie dann im großen Finale und machen eine ganz große Sache draus."
„Dieses werde ich aber gewinnen." Thorben schlug sich ermutigend auf die Brust.
„Das sagt er auch jedes Mal aufs Neue."
Sarah kicherte bei Emilias Worten und brachte damit Thorben zum Erröten. Asmos half seinem Freund, legte ihm kameradschaftlich den Arm um die Schulter und führte ihn in Richtung der Tische. „Komm, wir lassen uns von den Frauen gar nicht erst verunsichern. Trinken wir ein Bier auf deinen diesjährigen Sieg."
Die drei Mädchen sahen sich schmunzelnd an. Der Bann zwischen ihnen schien gebrochen.
„Und macht ihr auch bei den Streitereien mit?", fragte Sarah sie unvermittelt.
„Nein, das überlasse ich den Männern, sich im Dreck zu wälzen", sagte Nora darauf.
„Für Frauen ist das einfach nichts. Da drinnen geht es manchmal ganz schön grob zu." Sie deutete auf einen schwarzhaarigen Jungen, welchem es ein wenig an Körpergröße mangelte. Er trank gerade ein Bier mit einem anderen, der sein großer Bruder hätte sein können.
„Der kleinere von den beiden heißt Lotar. Er ist ziemlich brutal und gewissenlos. Letztes Mal ist er rücksichtslos auf meinen Freund losgegangen. Na ja, vielleicht lag's daran, dass ich nicht seine Begleitung spielen wollte."
Sarah prägte ihn sich gut ein. Es wäre nicht ungewöhnlich, wenn ihr Ziel ein wenig brutal wäre. Eine gewisse Boshaftigkeit war sicherlich notwendig, wenn man ein Volk zerschmettern wollte, befand sie.
„Dann überlege ich es mir besser noch mal, da mitzumischen."
Die beiden starrten sie überrascht an. „Du hast dir überlegt mitzukämpfen?", sagten sie wie aus einem Mund. Sie schienen ihre Stärke nach ihrer zierlichen Statur zu bemessen. Ein Fehler, den sich viele erlaubten. Sarah zuckte nur lächelnd die Schultern.
„Ich dachte mir, es wäre spaßig."
„Du würdest dir nur dein Kleid dreckig machen", sagte Nora.
„Da hat sie recht", pflichtete Emilia ihr bei. Sie deutete kurz darauf zu Asmos und Thorben hinüber, welche sich gerade zwei große Krüge Bier hinunterspülten. „Vielleicht sollten wir ein wenig auf die Zwei aufpassen, bevor sie dann völlig enttäuscht feststellen, dass sie zu besoffen zum Kämpfen sind."
Sarah lachte hell über diese Bemerkung, gab ihr aber Recht. „Also gut, passen wir ein wenig auf unsere Riesenbabys auf."
Sie verbrachten den Abend damit, freundschaftlich miteinander zu reden. Emilia und Nora fragten Sarah geflissentlich über ihr Leben aus, wobei sie nicht selten darauf anspielten, ob sie nicht mit Asmos zusammenbleiben wollte. Sarah beantwortete derartige Anfragen meist mit Antworten wie: „Das hängt davon ab, wie gut er sich macht."
Was auch immer das bedeutete, es brachte Asmos jedes Mal in Verlegenheit, weswegen er sich meistens hinter seinem Bierkrug versteckte. Thorben lockerte die Stimmung mit derben Witzen auf, die umso schlimmer wurden, je mehr Bier er konsumierte. Alles in allem kamen sie sehr gut miteinander aus und Sarah lernte, die beiden andern Mädchen zu schätzen. An Thorbens Witzen hatte sie ihren Narren gefressen. Sie hing geradezu an seinen Lippen, was Asmos eifersüchtig verfolgte. Ein wenig erinnerte Thorben sie an ihren Bruder, der sie auch stets aufzuheitern wusste.
Neben einem der drei großen Feuer, die den Hauptplatz des Dorfes ausleuchteten, spielte ein Mann auf seiner Laute. Er hatte längeres, mit grauen Strähnchen durchsetztes, blondes Haar und einen sauber gestutzten Ziegenbart. Sarah hatte gehört, dass es in den Städten viele Musiker gab - zumeist mittellose Personen, die sich für ihre Darbietungen auf offener Straße die ein oder andere Spende erhofften. Hier schien das anders zu sein. Um ihn herum tummelten sich die Kinder, die ihn begeistert bei seinem Handwerk beobachteten. Einige Dorfbewohner wagten sogar ein Tänzchen zu seinen fröhlichen Liedern.
„Ich glaube, deine Liebste möchte tanzen Asmos!" Thorben schlug ihm grinsend auf die Schulter. „Komm schon, führ die Prinzessin zum Ball."
Asmos keuchte entsetzt auf. Wahrscheinlich hatte er keine Ahnung, wie man tanzte. Sarah hatte einige grundlegende Dinge der Tänze der Aculeten gelernt, da diese die Basis ihrer Kampfweise bildeten. Die anderen Dorfbewohner zeigten auch nicht gerade ein ausgeprägtes Tanzmuster. Viel eher schien es hier darum zu gehen, sich zu amüsieren, als elegant zu wirken. Sarah lächelte innerlich, er würde sich so oder so nicht trauen. Umso erstaunter war sie, als er seinen Bierkrug mit einem Zug leerte, aufsprang und ihr die Hand hinhielt.
„Auch auf die Gefahr hin, mich schrecklich zu blamieren. Wagst du einen kleinen Tanz zu Gillians Musik?"
Sarah sah ihn erst erschrocken an, ehe sie kicherte. „Ist das wirklich dein Ernst?"
Emilia und Nora feuerten die beiden an. „Tanzen! Tanzen!"
Asmos blickte ihr tief in die Augen und nickte. „Mir war nie etwas ernster."
Ohne eine weitere Antwort zu geben, reichte sie ihm die Hand und erlaubte es ihm, ihr aufzuhelfen.
„Hey Gillian, spiel uns doch mal ein flottes Liedchen!", rief er dem Musiker zu.
Dieser hob kurz den Kopf und betrachtete das junge Pärchen. Lächelnd nickte er und wechselte den Rhythmus ein wenig. Asmos umfasste Sarahs Taille und nahm sie bei der Hand. Sie musste unwillkürlich grinsen, als er tatsächlich versuchte, auf irgendeine obskure Art und Weise zu tanzen. Dabei war er besonders geschickt darin, immer wieder beinahe auf ihre Füße zu trampeln. Sarah war mehr damit beschäftigt seinen Schritten auszuweichen, statt sich seinem Muster anzupassen. Kopfschüttelnd drückte sie ihn mit sanfter Gewalt zurück und übernahm die Führung.
„Oh, ein tanzendes Stadtmädchen", sagte Asmos keck, als er ihre fließenden, logisch aufeinanderfolgenden Bewegungen bemerkte. Sarah staunte nicht schlecht, als er sich ihr nach einigen ungeschickten Versuchen, rasch anpasste. Entweder er konnte sich Dinge unheimlich schnell einprägen, oder er wusste irgendwoher schon ihren nächsten Schritt. Zumindest hielt sie es für sehr unwahrscheinlich, dass die Bewegungen ihres Volks jemandem bekannt waren. Einen der ihrigen zu treffen war meist nur ein kurzes Schauspiel, das tödlich endete.
Es hatte sie beinahe einen halben Zyklus gekostet, die komplizierte Abfolge zu erlernen. Unmöglich, dass er sie so schnell nachahmen konnte. Wenn doch, dann gab sie gerade ein Geheimnis über ihre Kampfweise preis, die unter allen Umständen verborgen bleiben musste. Sie war so mit dem Gedanken beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkte, wie sich um sie herum eine ehrfurchtsvolle Ruhe ausbreitete. Einzig Gillians Musik, die schneller und schneller, geradezu fordernd wurde, durchbrach die Stille der Nacht.
Sie passte ihre Geschwindigkeit der Musik an und sie bewegten sich immer zügiger, sein Schritt blieb dem ihren trotzdem perfekt angepasst. Er erweiterte den Tanz sogar, indem er sie manches Mal anhob und schließlich ihren Rücken stützte und sie nach hinten beugte. Sein Mund war nah an ihrem Hals. Sein warmer Atem ließ ihre Haut kribbeln. Er zog sie wieder nach oben und nahm sie nah zu sich. Ihre vom Schweiß befeuchtete Stirn berührte die seine. Klatschen riss sie aus ihrer Zweisamkeit. Um sie herum hatte sich ein Kreis von Zuschauern gebildet, der ihnen Beifall für ihre Darbietung schenkte. Sarah bemerkte, wie sie rot anlief. Aus den Augenwinkeln sah sie Anya, die sie beide mit unverhohlener mütterlicher Fürsorge betrachtete.


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