Die Vergangenheit - Verrat #2
Der Besuch bei seiner Mutter erwies sich, wie er erwartet hatte, als außerordentlich peinlich. Kaum hatte diese auch nur andeutungsweise mitbekommen, dass Sarah seine Begleitung für das Fest sein würde, war sie ganz aufgeregt und gar nicht davon abzubringen, ihr eines ihrer Kleider aufzuschwatzen. Sarahs Einwand, dass das noch gar nicht entschieden war, wurde schlicht überhört. Es handelte sich um ein langes, schulterfreies Kleid aus feinen Leinen. Die beiden waren ähnlich groß, sodass es Sarah fast perfekt passte. Asmos hatte erwartet, dass ihr das Kleid zu minderwertig war, dachte, dass sie Seiden- oder gar Brokatgewänder gewohnt war, aber sie schien sehr zufrieden.
„Ich hätte nie gedacht, dass du so etwas tragen würdest", meinte sie zu Asmos Mutter, worauf diese ihr spielerisch aufs Bein schlug.
„Ich war auch einmal jung, ja?"
Die beiden verstanden sich mittlerweile so gut, als wären sie schon lange miteinander bekannt. Asmos freute sich darüber, es entkrampfte die Beziehung zu seiner Mutter ein wenig. Gleichzeitig ließ es seine Furcht wachsen, dass sie irgendwann fortgehen musste und die Idylle ein Ende nähme.
Aber jetzt schien dieser Moment noch weit entfernt zu sein, oder zumindest redete er sich das ein. Das Kleid stand Sarah auffällig gut. Es betonte ihre natürliche Schlankheit und ließ sie richtiggehend edel wirken. Er ging in den Nebenraum, damit sie wieder in ihr anderes Gewand schlüpfen konnte. Von drinnen hörte er gedämpft die Stimme seiner Mutter.
„Komm heute gegen Nachmittag noch einmal vorbei. Dann bereiten wir dich für das Fest vor."
„Das werde ich sowieso tun. Oder glaubst du, Asmos könnte etwas kochen?"
Beide lachten zugleich, worauf Asmos fast vom Stuhl gerutscht wäre. Sie machten sich jetzt schon lustig über ihn. Die nächsten Tage würden sicher mit weiterem unverhohlenem Spott erfüllt sein. Seufzend musste er sich jedoch eingestehen, dass der Vorwurf, dass er ein wenig von seiner Mutter abhängig war, einen guten Grund hatte.
Leider hatte Thorben schon eine ganze Weile vor ihnen gefrühstückt, sodass ihm der Beistand seines besten Freundes fehlte. Asmos Mutter hatte Andeutungen gemacht, dass er auf einer Art Brautschau war, um eine angemessene Begleitung für den Abend zu finden. Es war zwar nicht unbedingt notwendig, machte aber meist einen guten Eindruck nicht alleine zu kommen.
Nachdem er in die Kammer zurückkehrte, verabschiedete seine Mutter sich. Sie wollte noch einige Besorgungen machen. Worin auch immer diese bestanden, sie hielt es geheim. Auch Sarah konnte ihm nicht Näheres dazu berichten, oder sie behielt es für sich. In Asmos Haus zurückgekommen, ließ er sich auf einem Stuhl nieder, während sie sich auf das Bett setzte.
„Ich werde noch ein wenig beim Herrichten der Lampions helfen. Wenn du willst kannst du mir zur Hand gehen."
„Ich würde mich lieber waschen gehen, bevor ich heute Nacht schmutzig zum Fest erscheine."
„Das kannst du gerne hier erledigen. Ich habe einen kleinen Trog. Wenn du dir etwas Wasser über einem Kessel heiß machst, kannst du dich sogar ein wenig hineinsetzen."
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich habe bei unserem morgendlichen Ausblick einen hübschen kleinen See in der Nähe entdeckt."
Asmos hob beide Brauen. Die Leute im Dorf nutzten manchmal Teiche und Flüsse zum Baden. Aber auch die Hartgesottenen unter ihnen bevorzugten hierfür die heiße Zeit des Zyklus. In der Stadt badete man zumeist zuhause in einer extra dafür hergerichteten Wanne aus Keramik oder Metall. Zumindest hatte er das gehört. Umso mehr bewunderte er Sarah dafür, dass sie eben nicht so war.
„Ich begleite dich, wenn du willst", sagte er anzüglich, worauf sie ihm einen Klaps auf die Wange gab. Mit leicht geröteten Wangen schüttelte sie den Kopf.
„Ich verzichte, aber danke für das Angebot."
„Ich mache mir ein wenig Sorgen, dass du dich verirren könntest."
„Ich habe einen guten Orientierungssinn, keine Angst. Außerdem liegt es nicht weit entfernt."
„Und was ist mit wilden Tieren?"
Sie seufzte theatralisch auf. „Tu nicht so, als wärst du mein persönlicher Leibwächter."
Asmos verzog enttäuscht die Lippen.
„Mach dir keine unnötigen Sorgen, ja?" Sie gab ihm einen flinken Kuss auf die Wange und verließ das Haus. Verdutzt blieb Asmos sitzen, ehe er auch nach draußen ging, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. In Euphorie für das Fest waren schon viele Menschen auf den Beinen. Großteils sah er nur Männer, die Schnüre zwischen den Hütten aufspannten, Kohleessen füllten und Tische aufstellten. Die Frauen schienen entweder Schönheitsschlaf zu halten, oder sie befanden sich außerhalb des Dorfs. Asmos war es gleich. Thorben war nirgends zu sehen, also machte er sich allein an die Arbeit.
Die Frauen des Dorfes hatten in den letzten Tagen ganze Arbeit geleistet. Sie hatten Kugeln aus biegsamen Hölzchen geflochten, über die man ein dünnes Stück Stoff spannte. Mit Widerhaken wurden diese an den aufgespannten Seilen zwischen den Häusern festgemacht. Oben blieb eine große Öffnung, durch welche man Kerzen in die Form brachte. Diese standen auf metallenen Tellern, befestigt mit jeweils drei Kettchen. Sie waren eine Konstruktion des Dorfschmiedes, der zu derartigen Gelegenheiten auch einmal feinere Metallarbeiten übernahm. In der Nacht würden die Kerzen entzündet werden und die Kugeln wie schwerelose leuchtende Feuerbälle in der Luft schweben. Asmos mochte die dadurch entstehende wohlige Stimmung. Es brachte Frieden in das Dorf, das in letzter Zeit ständig unter vielen kleineren Übergriffen gelitten hatte. Er nahm sich eine Trittleiter, dazu einen der Lampions mitsamt einer auf einem Teller befindlichen Kerze. Es war leichter, das Ganze zu zweit zu erledigen, aber er hatte Übung darin, es auch allein zu tun.
Die Zeit für sich nutzte er, um unentwegt über Sarah nachzudenken. Sie hatte ihm zum Abschied einen Kuss gegeben. Wenngleich dieser nur auf die Wange war, hielt er das doch für ein Zeichen ihrer Zuneigung. Oder spielte sie nur mit ihm? Im Moment sorgte er für ihre Sicherheit und gewährte ihr einen Unterschlupf. Es war durchaus vorstellbar, dass sie ihn bei Laune hielt, um diesen Zustand nicht zu gefährden. In diesem Fall war es unerhört, dass er diesen Umstand ausnutzte.
Vielleicht sollte er mit ihr darüber reden. Gleichzeitig fürchtete er, zu viel Gerede würde das zarte Band zwischen ihnen beschädigen. Ihre Zeit war womöglich ohnehin begrenzt. Wollte er das riskieren? Am liebsten wäre es ihm, seine Mutter würde Sarah ausfragen und ihm hiernach berichten. Aber er würde sie unter keinen Umständen um ihre Hilfe bitten. Sicher würde sie ihn nur auslachen, weil er sich so anstellte. Aus ihrer Sicht war es ohnehin Sache der Frau, sich für einen Mann zu entscheiden. So hielten es die Volith. Aber Sarah war, auch wenn sie sich für eine Städterin manches Mal keck verhielt, nun mal keine ihres Volks. Würde sie ihre Zuneigung deutlich zeigen, wenn Asmos sich zurückhielt? Oder eher daraus schließen, dass er kein Interesse hatte?
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