Die Vergangenheit - Unsicher #4

Als sie am späten Nachmittag zurückkehrten, wusste Sarah beinahe alles über ihre möglichen Gegner. Sie hatte Asmos für seine Mühen einen weiteren Kuss auf die andere Wange gegeben. Er hatte in gespielter Beleidigung auf dem Rückweg kein Wort mit ihr gesprochen.
Im Dorf bereitete man bereits alles für das Fest vor. Asmos wurde mit Dankbarkeit begrüßt, nachdem sich seine Heldentat herumgesprochen hatte. Sie halfen beide tatkräftig mit, das Dorf mit Girlanden und Fackeln zu dekorieren.
Sarah unterhielt sich viel mit anderen ihres Alters und ließ Asmos mit Thorben allein. Er fühlte sich irgendwie benutzt, auch wenn er sich selbst für dieses Gefühl schalt.
„Du magst sie, was?", fragte ihn Thorben, während sie eine vogelscheuchenartige Figur im Boden verankerten.
„Ich kenne sie gerade mal einen Tag."
„Das reicht bei so einer Hübschen aus."
Asmos lachte und winkte ab. „Bei dir vielleicht."
„Und warum siehst du sie dann andauernd an?"
„Ich habe die Verantwortung für sie."
„Und es ist Zufall, dass du ziemlich ruppig zu den Männern bist, die mit ihr reden?"
„Also gut, ich finde sie sehr anziehend!"
Thorben klopfte ihm ermunternd auf die Schulter. „Das muss gut tun, es raus zulassen."
„Sie ist aber so unnahbar."
„Dann musst du aufdringlicher werden."
„Wunderbare Idee."
„Hast du eine bessere?"
„Ich könnte warten und sehen, ob sie Interesse hat."
„Dann denkt sie, du hast keines und geht zu einem anderen. Außerdem, wie viel Zeit hast du denn noch? Bald wird sie weiter ziehen."
„Das wird sie ohnehin."
„Vielleicht bleibt sie bei dir."
Asmos schlug den letzten Pflock, welcher die Puppe im Gleichgewicht hielt, in die Erde und richtete sich auf. „Das glaube ich weniger."
„Wenn du denkst, dass sie so oder so von dannen zieht, kannst du sie ja fragen. Was hast du zu verlieren?"
„Sie schläft in meinem Haus. Sie wird Angst haben, dass ich sie nachts überfalle."
Sie nahmen eine weitere der Puppen von einem Stoß und trieben den Stock, der sie hielt ein Stück tief ins Erdreich. Danach schlugen sie dünne, spitz zulaufende Holzpflöcke rund herum in den Boden. Die Arbeit war nicht anstrengend. Die beiden genossen es, zusammenzuarbeiten. Gerade als Asmos die Puppe festhielt und Thorben die Befestigungen einschlug, passierte es: Thorben, den Asmos eigentlich als äußerst zielsicher kannte, schlug daneben und traf Asmos Daumen. Zufälligerweise war gerade Sarah in unmittelbarer Nähe. Als der Getroffene mit einem Aufschrei zurücksprang, eilte sie sofort herbei.
„Du verdammter ...", wollte Asmos gerade fluchen, doch als er den Gesichtsausdruck seines Freundes bemerkte, hielt er inne. Thorben zwinkerte ihm zu, bevor Sarah sich über ihn beugte und seinen Finger besah, der langsam aber sicher anschwoll.
„Das sieht aber nicht gut aus", meinte sie besorgt und strich sanft über den Nagel.
Asmos presste die Augen zusammen und murmelte: „Es geht schon."
„Nein, das geht nicht schon", entgegnete sie grimmig und zog ihn hoch. „Du solltest den Finger kühlen!"
Sarah zog ihn hinter sich her, bis sie den Dorfbrunnen erreichten. Asmos schaute ihr apathisch zu. Sie warf den Eimer, der sich auf dem Brunnenrand befand, in die Tiefe. Platschend traf er die Wasseroberfläche, worauf sie die armlange Kurbel betätigte und ihn wieder nach oben beförderte. Sie tauchte Asmos Hand, ohne weiter zu fragen, in das kühle Nass.
„Ich fühle mich ein wenig bemuttert", beschwerte Asmos sich schwach, aber sie erstickte seine Gegenwehr im Keim.
„Das sagt jemand, der sich von seiner Mutter bekochen lässt."
„Du kannst es ja für mich tun."
Sie sah ihn einen Moment einfach nur schweigend an, während ihr Gesicht zusehends röter wurde. Er wusste nicht, ob es Verlegenheit oder Zornesröte war. Statt einer heftigen Reaktion drehte sie sich nur um und ging zurück. Enttäuscht rief er ihr hinterher: „Ich kann vielleicht auch kochen!" Aber sie reagierte nicht.
Asmos leerte den Kübel missmutig aus und kehrte zu seinem Kameraden zurück. „Tolle Idee Thorben", sagte er, während er die Puppe wieder in Position brachte.
„Hat sie dich abgewiesen?", fragte er mitfühlend.
„Dazu hat sie sich nicht einmal die Mühe gemacht."
„Tut mir leid."
„Schon in Ordnung, du hattest ja recht. Was hatte ich zu verlieren?"
Den ganzen Tag über arbeiteten sie weiter an den Vorbereitungen. Abends hielt Asmos mit Thorben Wache, während Sarah in seinem Haus zu Bett gegangen war.
Spät des Nachts, als die letzten silbrigen Strahlen des großen Mantels die Landschaft in ein monotones Licht tauchten, kehrte er zurück.
Vor seinem Haus stand eine einsame Gestalt. An ihrem schlanken Wuchs erkannte er, dass es Sarah war. Ihre langen Haare, welche sie zu Zöpfen geflochten hatte, glänzten wie pures Silber. Verwirrt trat er näher heran. Das konnte nicht nur an dem spärlichen Licht, in das sie getaucht war, liegen.
Sie sprach irgendetwas in einer fremd klingenden Sprache. Trauer lag in ihrer Stimme vergraben. Wahrscheinlich vermisste sie ihre Familie. Bisher hatte sie kein Wort mehr darüber verloren. Vielleicht erwartete sie von ihm, das Thema anzusprechen. Eine Weile später fasste sie sich wieder und kehrte ins Haus zurück. Glücklicherweise bemerkte sie Asmos nicht, der sich an der Hinterwand des Hauses versteckte.
Ihre Haarfarbe war wieder normal. Er musste sich getäuscht haben. Verwirrt folgte er ihr einen Moment später hinein. Sie tat, als würde sie schlafen. Asmos legte sich neben das Bett auf den Boden. Was war das nur für eine Sprache, in der sie gesprochen hatte? Er war nicht oft außerhalb des Dorfs unterwegs. Mancherorts sprachen die Leute Dialekte, die ihm schwer verständlich waren. Aber das hier hatte nach etwas geklungen, was er noch nie gehört hatte. Sie verwirrte ihn immer mehr. Sein Gefühl sagte ihm jedoch, dass er ihr vertrauen konnte. Früher oder später würden sich sämtliche Fragen auflösen.


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