Die Gegenwart - Wiedersehen #8

Asmos' Flotte war schon vor dem ersten Morgengrauen aufgebrochen. Der große Mantel spendete außer ein paar silbrigen Strahlen kaum Licht. Dementsprechend war es mehr als nur unangenehm kalt. Selbst die hartgesottenen Seemänner, die es gewohnt waren bei eisiger Kälte zu arbeiten, wollten so kurz nach dem Aufstehen nicht recht in die Gänge kommen. Der Wind war viel zu schwach, um die Boote anzutreiben, somit waren sie einzig und allein auf die Ruderkraft der Matrosen angewiesen. Während Asmos zu der sich langsam entfernenden Küste sah, verlor er den Glauben daran, überhaupt noch anzukommen. Er war nur froh, dass die anderen Anführer nicht mit auf seinem Schiff fuhren. Sie waren nicht erfreut gewesen, gegen ein Volk zu ziehen, das es sich in Höhlen gemütlich machte. Dort gab es für sie kein Land, keinen Reichtum zu gewinnen.
Nach der erfolglosen Suche wegen des gestohlenen Blutsteins, war ihr Vertrauen in ihn ohnehin schon am Wanken. Das hier machte es nicht gerade besser. Wüssten sie, dass er das tat, um eine einzelne Frau zu befreien und dass während ihrer Abwesenheit Gardener Zann seine gierigen Hände nach der Hauptstadt Flarrenz ausstreckte, würden sie ihn wohl hier und jetzt entmachten. Doch jetzt waren sie bereits auf See und Asmos hatte sie dringlich davor gewarnt, die Absconden zu unterschätzen. Er hatte es zu einer persönlichen Sache gemacht, sie davor gewarnt, dass diese Meuchelmörder nicht davor zurückschreckten, ihre Kinder und Frauen zu töten, um sie zur Kapitulation zu zwingen. Damit war er der Wahrheit nahegeblieben.
Nach mehreren Stunden Fahrt, die Asmos dafür genutzt hatte, eine Unmenge von Papierkram im Bauch des Schiffes zu erledigen, nahm der Wind wieder zu. Das Schiff fuhr nun beträchtlich schneller und ruhiger. Asmos schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass es so bleiben würde, allein schon, weil er nun das kleine Tintenfässchen auf seinem Schreibtisch nicht mehr permanent festhalten musste. Er verfluchte Anela dafür gesorgt zu haben, dass er selbst auf dieser Reise nicht von dem ganzen Regierungskram wegkam.
Der einzige Gedanke, der ihn nicht verzweifeln ließ, war Sarah oder Sahira, wie er erfahren hatte. Während er sie in den letzten Zyklen fast gänzlich hatte verdrängen können, kettete sie sich nun mit eisernem Willen an sein bewusstes Denken. Er durchlebte wieder all diese wunderschönen Momente. Als er sie zum Wasserfall geführt hatte, ihre bezaubernde Gestalt am abendlichen Fest und natürlich das erste Mal, wo sich ihre Lippen berührten. Unweigerlich erinnerte er sich auch an das eine Mal zurück, wo es ihm vergönnt gewesen war, sich mit ihr zu vereinen. Damit einhergehend fühlte er sein Blut stärker in den unteren Regionen seines Leibes zirkulieren. Er hatte nach ihr keine andere mehr gehabt. Einmal davon gekostet, vermisste er die fleischliche Lust nun nahezu, wie das einfache Gefühl des Verliebtseins.
Mit einem Seufzer entwich er seinem Gedankenstrom und konzentrierte sich wieder auf das Dokument, das noch auf seine Bearbeitung wartete. Resignierend stellte er fest, dass er angefangen hatte, Kreise darauf zu malen. Er legte es beiseite und trat an das einzige Fenster der engen Kabine. Draußen herrschte nach wie vor gutes Wetter für die Fahrt. Wenn es so weiterging, würde es nicht mehr lange dauern. Nicht mehr lange, bis er sie wieder in die Arme schließen konnte.
Drei Tage später machten sie in der Ferne endlich das lang erwartete Himmelsgebirge aus. Asmos war sofort an Deck und durch nichts mehr zurückzutreiben, als man ihm davon berichtete. Auch seine Krieger, die teilweise zum Rudern abgestellt wurden, freuten sich darauf, endlich von dem Schiff herunterzukommen. In Gedanken ging Asmos ihren Plan immer und immer wieder durch. Er war simpel, ohne jegliche Raffinesse oder sonst etwas, was ihnen einen Vorteil einbringen würde. Sie konnten nicht einmal mit dem Überraschungsmoment trumpfen. Salia hatte ihn vorgewarnt, dass ihr Kommen, schon lange bevor sie in die Stadt Lot Sotto eindringen würden, bemerkt würde.
Eine Chance, die Aculeten auszulöschen, bestand ohnehin nicht. Die einzige Hoffnung war, sie lange genug hinzuhalten, um Sahira zu befreien. Salias Informationen nach würden sie, solange sie dem Kern der Stadt fernblieben, nur mit der Gegenwehr der Miliz zu rechnen haben. Asmos hoffte, dass sie recht behielt. Würden ihre Widersacher ihr Heer gegen sie aussenden, wäre es um sie geschehen. Er hatte schon einmal gegen einen einzigen ihrer gekämpft und er wusste, dass sie seinen Soldaten weit überlegen waren.
„Anker werfen!"
Das Kommando ließ Asmos aufhorchen. Einige hundert Meter vor sich sah er bereits Land. Am liebsten hätte er vor Euphorie einen Luftsprung vollführt, aber das ziemte sich für seine Position nicht. Schon wurden die Beiboote zu Wasser gelassen. Die Uferregion war zu seicht, um das gewaltige Schiff bis dorthin zu fahren. Einen Hafen konnten sie nicht anfahren. Es war so schon gefährlich genug, hier mit einer ganzen Armee aufzutauchen. Die umliegenden Ländereien könnten das als Kriegserklärung ansehen.
An Land angekommen, scharte sich Asmos Leibgarde um ihn herum. Gemeinsam mit ihnen und Salia bildete er die Vorhut ihrer Truppe, deren einzelne Teile sich sammelten, ehe sie ihnen folgen konnten. Asmos wartete absichtlich nicht auf den Rest. Sie würden sich mit ihm besprechen wollen, das Vorgehen abklären. Spätestens jetzt würden sie die Unausgereiftheit und womöglich auch die wahren Gründe seines Plans durchschauen. Dazu durfte er ihnen keine Gelegenheit lassen.
Der mit Säulen flankierte Eingang in das Höhlensystem des Himmelsgebirges war dank Salias Hilfe bereits nach wenigen Stunden emsigen Marschierens gefunden. Hier war gerade mal Platz für drei oder vier Mann nebeneinander zu gehen. Wie ein riesiger Bandwurm zog sich die Menge an Kriegern durch den Bauch des Berges. Da sie ohnehin bemerkt würden, zündeten sie Fackeln an, um nicht im Finstern zu tappen.
Salia erklärte ihnen, dass die Absconden auch in dieser Umgebung relativ gut sahen. Ihre Augen waren der Dunkelheit angepasst, die Pupillen in der Lage, sich viel weiter auszudehnen als die eines Vrynn. Die sie umgebende Stille gepaart mit der allgegenwärtigen Finsternis, schlug nicht nur Asmos aufs Gemüt. Einzig die unzähligen Schrittgeräusche durchbrachen das Schweigen des Gesteins. Salia führte sie zielsicher voran. Sie wurden ständig von zwei Wächtern mit hohen Schilden gedeckt, um zu verhindern, dass ein verborgener Schütze ihre einzige Chance, zum Ziel zu gelangen, auslöschte.
Nach schier unendlich langem Marschieren gelangten sie an eine breite Abzweigung. Sie wählten den Weg nach links, der noch tiefer nach unten in den Berg führte. Die Luft wurde merklich kälter, aber die Anspannung ließ Asmos das gar nicht merken. Der Gang vor ihnen wurde langsam wieder breiter, sodass bald acht Mann nebeneinander marschieren konnten. Und dann tauchte völlig unerwartet ein Lichtschein vor ihnen auf.
„Ab hier bist du dran", flüsterte Salia ihm zu.
Asmos ließ alle Vorsicht fahren. Wenn sie eine Chance haben wollten, wenigstens ein wenig für Verwirrung zu sorgen, dann nur dadurch, indem sie nun unerwartet rasch angriffen. Und es gab nur eine Möglichkeit Soldaten ohne größeren Aufwand zu so etwas zu bewegen.
„Zum Angriff!", schrie er mit solcher Lautstärke, dass seine Stimme mehrfach von den Wänden widerhallte. Er stieß die vor ihm postierten Leibwächter zur Seite und rannte los.
Nach dieser Aktion würde er entweder als Held oder als Wahnsinniger gelten. Aber das war ihm gleich. Er trug keinen Schild, einzig sein Schwert, das er im Laufen zog, würde ihm zur Verteidigung dienen. Vor sich machte er in einiger Distanz einen gewaltigen Mauerring aus. Links und rechts eines breiten Weges reihten sich schlicht gebaute Steinhäuser aneinander. Hier unten schien man nahezu alles aus dem Gestein des Berges zu fertigen. Man hatte sich Mühe gegeben, das gewaltige Gewölbe wenigstens ansatzweise durch Essen und Laternen zu erhellen. Dennoch war die ganze Stadt nur in ein schummriges Licht getaucht.
Als sich Asmos den ersten Behausungen näherte, wurde er stutzig und blieb stehen. Er hatte erwartet, von einem Ansturm an Feinden überrascht und niedergerungen zu werden. Fast hatte er schon seine voreilige Angriffslustigkeit bereut. Doch niemand behelligte sie, die Stadt schien wie ausgestorben. Wie erwartet war ihm der Rest der Truppe mehr oder minder formationslos gefolgt. Nun beeilten sich seine persönlichen Gardisten, einen Wall aus Schildern um ihn zu bilden. Die erste, durch ihn geweckte Euphorie wechselte bei den Männern rasch in Unsicherheit.
Es war eine Falle.
Hinter sich hörte Asmos eine Kaskade von zischenden Lauten, gefolgt von gellenden Schmerzensschreien.
„Raus aus dem Tunnel!", schrie Asmos, worauf sich alle eben diesem zuwandten.
Man war ihnen in den Rücken gefallen. Schon sah Asmos die restlichen Kämpfer aus dem Schwarz hinaus in die Stadt eilen. Ihnen folgte ein Hagel von Armbrustbolzen, die Dutzende töteten. Erneut ertönten die ihm wohlbekannten Geräusche abgefeuerter Armbrüste. Doch dieses Mal kamen sie nicht aus dem Tunnel. Während alle Blicke sich in dessen Richtung gewendet hatten, war aus den Nischen zwischen den Häusern eine kleine Armee von weiteren Schützen aufgetaucht. Erneut traf der Beschuss sie wehrlos in den Rücken.
„Passt auf, mein König!"
Asmos drehte sich ruckartig herum und erhaschte einen Blick auf einer seiner Gardisten, der ihm gerade mit seinem Schild den Kopf deckte. Zwei Bolzen ragten daraus hervor, als er ihn wieder senkte.
Er schätzte die Menge an Gegnern ab, doch diese versteckten sich bereits wieder hinter Häusern und in den unbeleuchteten Schatten. Wenn sie sich nicht wie Tiere abschlachten lassen wollten, mussten sie jetzt handeln.
„Die eine Hälfte macht den Tunnel frei, der Rest folgt mir!", brüllte er mit aller Kraft und setzte sich in Bewegung. Die Verbliebenen seiner Garde gaben sich alle Mühe, in seiner Reichweite zu bleiben. Doch während er nur mit einem leichten Lederpanzer zu kämpfen hatte, trugen sie schwere Kettenhemden und Schilde, die sie beim Laufen um einiges mehr behinderten.
Salia, die in der Zwischenzeit verschwunden war, holte zu ihm auf und führte ihn in die richtige Richtung. Regelmäßig kamen ihnen einzelne Schüsse aus Seitengasse entgegen. Während Asmos diesen keine größere Beachtung schenkte, lösten sich immer drei oder vier Mann von dem Tross, um ihre Widersacher unschädlich zu machen. Als sie um die Ecke bogen, stellte sich ihnen die erste größere Menge an Kämpfern entgegen. Sie trugen einfache Stoffrüstungen, die vorwiegend den Brustbereich schützten. An Waffen war vom Speer, über Dolche und Kurzschwerter fast alles vertreten. Sie wirkten eher wie ein wütender Mob als eine geordnete Gruppe. Allerdings musste Asmos Armee auch keinen anderen Eindruck auf sie machen. Mit wütendem Gebrüll gingen sie auf die Aculeten los.
Diese verzogen nicht einmal eine Miene. Es war, als wären sie völlig emotionslos. Sie setzten sich erst kurz bevor sie zusammentrafen überhaupt in Bewegung. Dafür aber umso schneller. Die ersten Vrynn liefen praktisch blind in ihre Klingen, die sie mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit schwangen, hinein. Die ihnen Nachfolgenden unterschätzen die Verteidiger nicht derartig. Schild an Schild drängten sie nach vorne. Erst im letzten Moment öffneten sie ihre Deckung, um zuzuschlagen. Ihre Gegner parierten die Schläge großteils mühelos. Mit blitzschnellen Hieben schlugen sie zurück, worauf sich weitere Vrynn ihren Vordermännern anschlossen und sich ins Getümmel stürzten. Asmos schloss sich den Kämpfenden an.
Er war ein guter Kämpfer gewesen, er konnte es mit ihnen aufnehmen. Seite an Seite mit einem Gardisten, der ihm nicht von der Seite wich, schlug er sich durch die Reihen der Verteidiger. Sein erster Kontrahent war ein äußerst kleinwüchsiger Aculet. Asmos tat sich schwer damit, überhaupt an ihn heranzukommen. Sein Gegner hielt ihn mit seinem Speer auf Distanz. Er ließ sich eine Weile zurückdrängen, ehe er den Speer zur Seite schlug und ihm einen Tritt ins Gesicht verpasste. Bevor der Taumelnde wieder Haltung annahm, hieb er von oben herab sein Schwert durch seinen Kopf.
Asmos ignorierte das Blutbad, das er anrichtete. Er wirbelte herum und stieß sein Schwert geradlinig dem Gegner des Gardisten in die Brust. Gemeinsam bedrängten sie den nächsten Aculeten. Dieser schwang ein kurzes, leicht gekrümmtes Schwert gegen sie. Asmos führte einen Hieb seitwärts aus, worauf er nach hinten auswich. Der Gardist neben ihm setzte mit einem Schwertstich nach. Ihr Feind konnte diesen nur nach oben hin parieren. Seine nun offene Verteidigung nutzte Asmos aus, um ihm mit einem weiteren von der anderen Seite geführten Hieb den Hals aufzuschlitzen.
„Verräterin!", hörte er einen Aculeten von hinten schreien. Dieser ging mit gleich zwei Schwertern auf Salia los. Sie war nur mit einem Lagdolch bewaffnet und wusste den wütenden Tiraden kaum etwas entgegenzusetzen. Ihr Gegner war allerdings derartig in Rage, dass er es gar nicht bemerkte, als Asmos ihm von hinten das Schwert ins Rückgrat jagte.
„Wir müssen weiter!", rief er ihr zu, „hier wird es langsam ungemütlich."
Sie nickte ihm nur verbissen zu.
„Geht es dir gut?"
„Nur ein leichter Kratzer." Sie löste die Hand von ihrem Bauch, wo ein hellroter Fleck sich langsam ausbreitete.
„Kannst du laufen?"
„Es muss gehen."
Mit einer Handvoll Gardisten verließen sie das Getümmel und liefen in den schmalen Gassen zwischen den Häusern weiter. Der helle Klang aufeinanderprallender Klingen, gemischt mit den horrenden Schreien der Sterbenden folgte ihnen noch, als sie sich schon weit von der Stelle der Konfrontation entfernt hatten. Ein Bolzen brachte einen ihrer Begleiter zu Fall. Asmos eilte nach vorne, um den Mörder zu erwischen, doch dieser hatte sich schon wieder einige Häuserecken weiter verkrochen.
„Weiter! Weiter!", trieb er seine Männer an.
Salia wurde von Schritt zu Schritt langsamer. Schließlich nahm Asmos sie auf die Schulter und schleppte sie mit sich. Sie stöhnte schmerzerfüllt, während sie ihm den Weg dirigierte. Endlich erreichten sie ein sicher zwei Mann hohes, doppelflügeliges Metalltor. Es schien nicht weiter bewacht zu sein. Einzig zwei querliegende Holzbalken blockierten den Durchgang. Asmos setzte Salia ab und hechtete nach vorne. Niemand schien zu befürchten, dass jemand auf die Idee käme, diese Tür zu öffnen, denn er blieb völlig unbehelligt. Mithilfe zweier Gardisten wuchtete er die gewaltigen Riegel zur Seite. Mit vereinten Kräften zogen sie die Flügel der Tür auf. Dahinter herrschte eine geradezu greifbare Dunkelheit. Es war nicht einfach nur dunkel, es war, als würde dieser Ort keine Helligkeit zulassen. Kein Lichtstrahl leuchtete über die Schwelle der Tür. Asmos ließ sich eine Fackel entzünden und warf sie in die Höhle hinein. Doch sie spendete kein Licht und er konnte sie auch nicht mehr ausmachen, kaum dass sie die Grenze überschritt.
„Was ist das nur für ein Ort?"
„Ein Trainingsgebiet der besonderen Art", murmelte Salia, die mittlerweile zu ihnen herübergekommen war.
„Ich werde sie da rausholen", sagte Asmos kurzum und wollte losgehen.
„Nein!" Salia hielt ihn am Arm fest. „Sie wird kommen. Wo auch immer sie ist, Sahira wird merken, dass das Tor offen ist. Es ist nicht das erste Mal, dass ich dabei bin, wie diese Tür geöffnet wird."
„Es wurden noch mehr da reingeschickt?"
„Teilweise gingen sie sogar freiwillig", erwiderte Salia ernst.
„Und was ist, wenn sie nicht mehr am Leben ist?"
Salia trat nahe an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr. „Dann werden wir hier warten, bis deine Leute niedergemetzelt wurden, und ihnen daraufhin folgen."
Asmos wankte zwischen dem Verlangen, sich selbst Klarheit zu verschaffen und Salias Aufforderung zu folgen. Er könnte ohnehin nichts sehen. Wie sollte er Sahira dort also finden? Er sah nach hinten, überblickte im schummrigen Licht den Kampf, der am Eingang tobte. Noch sah es aus, als wären beide Parteien gleichstark. Doch das täuschte, nachdem sich nur ein kleiner Teil der Aculeten offen im Feld stellten. Von Minute zu Minute starben seine Leute im Bolzenhagel. Er hatte so viele in den Tod geschickt und das womöglich völlig umsonst.
Asmos meinte, ein kratzendes Geräusch zu hören und drehte sich abrupt um. Dann sah er etwas aufblitzen, direkt dort, wo die wabernde Finsternis aufhörte. Mit einem tierischen Fauchen sprang ihm eine Frau entgegen. In ihrer Hand blitze ein völlig zerstörter Dolch auf.
„Asmos, pass auf!", schrie eine ihm wohlbekannte Stimme. Er wurde zur Seite geschubst. Die Gestalt aus dem Dunkel streifte den Helm des Gardisten, der ihn gerettet hatte, und riss ihn dabei herunter.
Asmos konnte sich einen Moment nicht rühren. Entsetzt starrte er auf das vom Helm zerkratzte Gesicht des Gardisten. Seine Haare waren tiefschwarz und ein wenig kürzer als schulterlang. Und seine Züge waren eindeutig weiblich. Genau wie die Stimme, die er gerade eben gehört hatte.
„Anela!", schrie er entsetzt auf.
„Ich wusste doch, dass du meine Hilfe brauchen würdest."
Hätte sich die Bewohnerin des Pestackhers nicht gerade zu ihnen umgewandt, hätte er ihr noch einiges zu sagen gehabt. Aber deren Anblick verschlug ihm die Sprache. Ihr Gesicht war unversehrt, aber völlig von wild wucherndem Haar umwölkt. Das einst silbrige Haar starrte derartig vor Dreck, dass es eher bräunlich wirkte. Auch der Rest ihres Körpers schien, bis auf einige Schürfwunden unverletzt. Dafür strahlte er eine Kraft aus, die Asmos schlucken ließ. Sie trug nur noch einen Stofffetzen, der sie mehr schlecht als recht bedeckte. Alles in allem wirkte sie auf ihn wie ein zu lange eingesperrtes Tier. Ein Tier, dass sich nun mit aller Gewalt seine Freiheit erkämpfen würde.
„Sahira ...", begann er, aber Salia unterbrach ihn sofort.
„Mein Kind!" Schluchzend und jeglichen Schmerz vergessend, rannte sie auf sie zu. Aber sie schien ihre Mutter nicht zu erkennen. Mit einem brutalen Handkantenschlag schlug sie sie zurück. Wimmernd landete Salia auf dem Boden. Einer der Gardisten half ihr auf, der Rest stellte sich schützend vor Asmos. Anela sprang an seine Seite.
„Darüber reden wir noch", raunte er ihr zu. Erneut wandte er sich Sahira zu, die sie alle aus hasserfüllten Augen ansah. „Sahira bitte ..."
Er trat ein paar Schritte auf sie zu, ignorierte das Aufbegehren seiner Wächter. Sie sah ihn einen Moment unschlüssig an. Dann beutelte sie den Kopf, wie ein Tier, das Schmerzen hat. Ein weiterer zögerlicher Blick. Schließlich drehte sie sich um und rannte davon. In die Richtung, aus der sie kamen.
„Verdammt! Hinterher!", schrie Asmos wütend.
Aber Sahira war flink dafür, dass er eine völlig erschöpfte, ausgezehrte Gefangene erwartet hatte. Er und Anela konnten ihr noch eine Weile lang auf der Fährte bleiben, dann verschwand sie auch schon hinter einer weiten Häuserfront. Asmos sank keuchend auf die Knie. Mit wütenden Hieben traktierte er den Weg unter sich, bis seine Hand aufgesprungen und blutig war. Anela hielt ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.
„Sieh es positiv, zumindest haben wir sie befreit. Und bei ihrer Geschwindigkeit glaube ich nicht, dass sie jemand aufhalten wird."
„Ich habe sie zum zweiten Mal verloren", antwortete er verzweifelt.
„Es bringt nichts, jetzt in Selbstmitleid zu versinken! Steh auf, bevor die nächsten unserer aculetischen Freunde hier auftauchen."
Er warf ihr einen bösen Blick zu, folgte ihrem Befehl dann jedoch. „Also gut, wir müssen nur noch Salia ..."
In diesem Moment durchbrach ein gewaltiges Krachen die kurze Stille. Sie standen auf einer Anhöhe, von der sie bis zum Höhleneingang sahen. Die Kämpfe waren mittlerweile verebbt. Beide Seiten hatten herbe Verluste getragen. Ein Großteil von Asmos Männern hielten den Eingang, während vereinzelte immer noch die Straßen durchstreiften und flüchtende Aculeten verfolgten.
Dem ersten Krachen folgte ein weiteres. Als würden Unmengen von Gestein brechen. Dann hagelte es Felsbrocken auf die Armee der Vrynn herab, als sich eine Horde von grünfarbigen, insektenartigen Wesen in das unterirdische Reich ergoss. Auf die Distanz konnte Asmos sie nicht gut ausmachen, aber es mussten Hunderte von ihnen sein. Sie gingen auf sechs Beinen, waren gut drei Mann groß und mit scharfen, sichelförmigen Klauen bewehrt. Alles, was ihnen in die Quere kam, wurde mit schnellen tödlichen Hieben erledigt. Die Vrynn wagten es gar nicht, sich ihnen entgegenzustellen und suchten ihr Heil in der Flucht. Vielen gelang dies sogar, da diese Monster gar kein Interesse an ihnen hatten. Zielgerichtet krabbelten sie geradewegs auf das Tor des steinernen Walls zu. Und plötzlich war dieser wie zum Leben erweckt. Eine Salve von Bolzen flog auf die herannahenden Monster zu. Ein einzelner konnten ihnen kaum gefährlich werden, aber die Masse an Geschossen brachte viele der Gestalten zu Fall.
Inmitten des krabbelnden Wirrwarrs entdeckte Asmos ein besonders gewaltiges Exemplar. Es war nicht grün wie die anderen, sondern von einem stechenden Rotton. Auf seinem Rücken saß eine ihm bekannte Gestalt – Ahiro.
Asmos musste sich beherrschen, um nicht in wahnwitziges Lachen auszubrechen. Die Situation überforderte seinen Verstand. Das konnte doch nicht sein! Vor seinen Augen erfüllte sich die gefürchtete Prophezeiung auf eine Weise, wie er sie nie erwartet hätte.
Mit dumpfem Krachen stießen die ersten der Kreaturen gegen die Tore des inneren Rings. Die weiter hinten postierten spuckten mit einer grünen Flüssigkeit auf die Wachen. Den gequälten darauf folgenden Schreien nach, musste diese Substanz ätzend oder etwas derartiges sein. Asmos schüttelte den Kopf über die brutale Vorgehensweise. Mit ihren bloßen Leibern rammten sie wieder und wieder das riesige Tor des Verteidigungsrings, bis es schließlich barst.
„Wir können nicht länger hierbleiben. Raus hier!", rief Asmos Anela zu, die nur mit heftigem Nicken antwortete.
Sie warteten noch, bis der Rest seiner Garde mit Salia zu ihnen gestoßen kam, ehe sie sich ihren Weg durch das Labyrinth an Häusern suchten. Dieses Mal wurden sie nicht mehr aufgehalten. Sie bewegten sich fernab der neuen Angreifer. Die Aculeten waren derweil damit beschäftigt, diese mit verzweifelter Kraft aufzuhalten. Auf den letzten Metern mussten sie über haufenweise Gerümpel, teils von zerstörten Behausungen klettern. Das insektenartige Volk hatte bei seinem Angriff eine breite Spur der Verwüstung hinterlassen.
Als die restlichen Überlebenden sie kommen sahen, folgten sie ihrem Beispiel und suchten das Weite. Asmos fragte über das Chaos hinweg den ein oder anderen nach Sahira, aber bei der Vielzahl an Aculeten, hatte keiner unterscheiden können, ob er nun gegen einen Mann oder eine Frau gekämpft hätte. Selbst wenn sie jemandem aufgefallen wäre, so hätte der Schrecken der letzten Minuten diese Erinnerung wohl gewaltsam aus dessen Gedächtnis getilgt. Das Einzige, was diese Männer nunmehr beherrschte, war die nackte Angst vor diesen Ungeheuern.
Asmos warf einen letzten Blick zurück. Mittlerweile waren sicher schon ein Dutzend der Wesen ins Stadtinnere vorgedrungen. Eine breite Masse an wesentlich organisierteren Aculeten stellte sich ihnen in den Weg. Mitten in dem Getümmel meinte er eine einzelne Gestalt auszumachen, die sich mit einer leuchtenden Klinge ihren Weg durch die Massen bahnte. Dann verließ er die Höhle und tauchte ein in das Dunkel des Tunnels.
Sie gelangten, ohne weiter behelligt zu werden, bis zum Eingang. Im Freien wurde aus den formationslosen Flüchtenden ein Tumult aus in alle Richtungen laufenden Fahnenflüchtigen. Die überlebenden Ratsherren hatten ihre liebe Not damit, ihre Männer beisammen zu halten und geordnet in Richtung der Schiffe zu lotsen. Einer von ihnen, ein jüngerer Hitzkopf namens Richard Leondra nutzte das allgemeine Chaos, um sich lautstark bei Asmos zu beschweren: „Was inArmins Namen war das denn gerade? Ich stand mit den meinigen diesen gigantischen Biestern direkt im Weg. Wir wurden überrollt! Ihr habt uns in der Hoffnung auf einen glorreichen Sieg da hineingeführt – wir durften uns jedoch von weit überlegenen, wahnsinnigen Schnittern dahinmetzeln lassen, nur um zuzusehen, wie die Überlebenden von dieser Horde zerquetscht wurden!"
Bevor Asmos überhaupt etwas erwidern konnte, war Anela auch schon zu ihnen getreten und mischte sich helfend ein: „Herr Leondra, es war weder abzusehen, dass diese Gegner eine derartige Stärke innehaben, noch, dass wir von uns unbekannten Insekten angegriffen werden. Den König trifft keinerlei Schuld an dieser Sache."
„Natürlich tut sie das. Er hat uns doch hierher geführt", begehrte der Ratsherr gereizt auf.
Mittlerweile hatte sich die Situation um sie schon ein wenig beruhigt und einige der anderen Heerführer waren an sie herangetreten und verfolgten das Gespräch.
„Zur Sicherheit unseres Landes!", hielt sie dagegen.
„Ich hatte nichts von einer Bedrohung durch dieses Volk, das am anderen Ende des Kontinents lebt, gespürt!"
„Ihr hättet ihre Anwesenheit schon noch zu sehen bekommen."
Er und Anela fixierten sich einen Moment lang mit wütenden Blicken. Schließlich wand der Ratsherr sich ab und sagte zu Asmos:
„Nun, da ich gerade mit eigenen Augen gesehen habe, wie diese Bedrohung von einer Horde insektoider Gestalten ausgelöscht wurde, können ich und meine Männer ja ruhigen Gewissens zurückkehren."
„Ich wünsche euch eine geruhsame Heimreise." Asmos bedachte ihn mit einem eisigen Blick, worauf Leondra eine mehr als gestellte Verbeugung andeutete und sich zum Gehen wandte.
„Männer! Wir rücken ab. Wer gerne bei König Asmos bleiben will, um sich dieses Abenteuer für ein paar weitere Tage zu gönnen, kann das gerne tun."
Darauf waren wohl nur die wenigsten begierig, denn neben ihm schlossen sich auch die Heerteile der anderen Führer an, bis Asmos mit seinem eigenen Regiment und einer Handvoll Leibgardisten zurückblieb.
„Schätze damit hat sich diese Sache wohl für uns erledigt", meinte Asmos zu Salia und Anela.
„Meine Tochter ist fort – hier hat sich überhaupt nichts erledigt!"
„Dafür brauchen wir aber keine Armee – das schaffe ich schon ganz gut allein." Asmos winkte einem seiner Gardisten zu und ließ sich ein Pferd bringen. „Ihr kehrt zurück, ihr werdet von mir hören."
„Was ist mit deinem Sohn? Willst du ihn einfach lassen, bis er womöglich das ganze Land in Schutt und Asche gelegt hat?", schaltete sich Anela ein.
„Was soll ich tun? Er ist nicht zu kontrollieren und zu stark ihn zu besiegen. Ich hätte ja gehofft, dass seine Mutter Einfluss auf ihn hat, aber die ist selbst nicht zu bändigen, wie es scheint. Nun da er seine Rache hatte, wird er hoffentlich kein weiteres Unheil anrichten."
„Das sehe ich anders."
Die Blicke der beiden wanderten fragend zu Salia.
„Es mag sein, dass ich mich irre, aber ich glaube, da drinnen etwas gespürt zu haben, was mich zutiefst beunruhigt."
„Was meinst du damit?"
„Ich denke ich weiß nun, was die Prophezeiung mit der Rückkehr der Alten meinte. Und wenn ich recht behalte, dann wird dieser Schlag Ahiros nur der Anfang zur Auslöschung jeglichen Lebens hier sein."


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