Die Gegenwart - Wiedersehen #7

Selbst mit dem Siegelring Anelas hatte Ragnar lange gebraucht, bis er einen Kapitän fand, der sich nicht verweigerte, ihn nach Pela zu bringen. Dort gäbe es keinen Hafen, waren die meisten Antworten und schreckliche Stürme träfen jedes Schiff, welches es wagt, sich der verfluchten Insel zu nähern. Selbst wenn es einem gelänge, das Eiland zu erreichen, würden einen die Mariner in Stück reißen, kaum nähere man sich der Küste.
Ragnar musste zugeben, dass er die Geschichten über die Mariner ähnlich erzählt bekam. Einst waren die Länder Gela und Pela eins gewesen. Doch dann versuchten die Vrynn in ihrer Gier nach Macht und Wissen den heiligen Schrein der Wasserwesen, der Mariner, zu betreten. In ihrer Wut über diesen Frevel entbrannte ein Krieg zwischen den Völkern, der darin endete, dass eine gewaltige Welle über das Land gekommen sein sollte. Diese trennte den heutigen kleinen Kontinent Pela vom Rest des Landes ab. Man hatte seitdem nichts mehr von den Marinern gehört, vielleicht existierten sie gar nicht mehr. Der Krieg hatte viele Opfer auf ihrer Seite gefordert.
Aber wo sollte Ragnar sonst nach einem der Elementargegenstände suchen? Es lag doch auf der Hand, dass der dem Wasser geweihte nur in ihrer Obhut sein konnte.
Ein leichter Wellengang ließ den Zweimaster hin- und herschaukeln, während vor ihnen nun langsam die Ausläufer des Kleinkontinents sichtbar wurden. Der Kapitän trat mit beunruhigter Miene neben ihn. In seinem Gesicht las er die Furcht davor, sich weiter zu nähern.
„Dieses Land ist verflucht, wir sollten besser umkehren, bevor es zu spät ist."
Ragnar hob beide Brauen. „Erst erklärt ihr euch bereit, mich hinzuführen, und nun, so kurz vorm Ziel, wollt ihr aufgeben?"
„Ich habe den Geschichten nur wenig abgewonnen. Aber seht doch, die Wellen werden stärker."
Wie zur Bestätigung seiner Aussage ließ eine etwas höhere Welle ein paar Tropfen Wasser bis zu ihnen hinaufspritzen.
„Ich denke, daran ist nichts Ungewöhnliches", erwiderte Ragnar trocken.
„An diesem plötzlichen Auftreten schon."
An der Bugseite des Schiffs raste eine Welle heran, die fast halb so hoch, wie das Schiff selbst war. Sie prallte mit solcher Wucht gegen die Bordwand, dass die komplette Takelage erschüttert wurde.
„Seht ihr! Es beginnt!"
Es kam Ragnar vor, als wäre da plötzlich ein starker Wind, den er zuvor noch nicht bemerkt hatte. Eine dicke Wolkendecke schob sich unaufhaltsam in ihre Richtung vor. Wellen, wie die, die gerade eben das Schiff erschütterten, waren keine Seltenheit mehr und wurden von immer höheren übertrumpft. Er wollte nach vorne gehen, um sich die Sache genauer anzusehen, da ruckte das Schiff gehörig zur Seite. Der Lupa rutschte auf dem nassen Holz aus und prallte gegen die Reling. Beinahe hätte es ihn darüber hinweggeworfen, aber er konnte sich gerade noch festhalten.
Der Wind war zu einem fürchterlichen Heulen angeschwollen, der die Segel unkontrolliert flattern ließ. Der Kapitän reagierte schnell, ließ diese einholen und die Ruderbänke besetzen. Sein Befehl ging im Tosen der über sie kommenden Brecher fast unter. Ein besonders hoher kam längsseits des Schiffs auf sie zu und überspülte Ragnar mit Wasser. Mit verzweifelter Kraft hielt er sich weiter fest, während das Schiff sich zur Seite neigte. Er befürchtete schon, sie würden kentern, aber dann machte es doch wieder einen Ruck zurück, der ihn fast von Bord katapultierte.
„Ihr solltet unter Deck gehen, Ragnar!", rief der Kapitän ihm zu. Er hatte mittlerweile seinen Hut verloren. Sein weißer Bart und das lichte Haar klebten ihm an der Haut. Alles in allem machte er eher einen erbärmlichen, denn einen autoritären Eindruck.
„Ich bin kein Freund des Gedankens, da unten eingesperrt zu sein, wenn wir untergehen."
„Beschreit es nicht!", rief er erbost, doch es ging im Klagen des zum Sturm angeschwollenen Windes unter.
Langsam gewöhnte Ragnar sich daran, dass ihr Gefährt überhaupt nicht mehr gerade fuhr, sondern nur noch wie ein Spielball herumgeschleudert wurde. Um ihn herum herrschte hektisches Treiben. Einer der Matrosen war bereits von Bord gespült worden, aber es war nahezu unmöglich, ihn inmitten des Sturms zu bergen. Es schien Ragnar, als näherten sie sich dem Land gar nicht mehr. Viel mehr trieben sie auf der Stelle. Mit emsigen Ruderschlägen stemmte sich die Besatzung gegen die titanischen Kräfte der See. Eine Welle hob das Schiff ein Stück weit empor und trug es näher an die Insel heran. Doch kaum sank der Wasserspiegel wieder, ging ein heftiger Ruck durch den Rumpf und sie standen still.
„Wir sind auf einer Sandbank gelandet!", schrie der Kapitän erbost.
Ragnar sah über die Reling, konnte unter sich jedoch nur blaues Wasser ausmachen. Die Erhöhung musste weit darunter liegen, doch der Tiefgang des Schiffes ließ sie die Sandbank dennoch erreichen. Eine weitere Welle preschte von rechts heran und schleifte sie über den Grund hinweg. Das Schiff drohte zu kentern, aber im buchstäblich letzten Moment hatten sie die Stelle offenbar überwunden und das ganze Konstrukt richtete sich stöhnend auf.
„Und jetzt rudert uns zur Küste, sofort!"
Die Matrosen zögerten nicht lange, diesem Befehl Folge zu leisten. Die Angst unterzugehen, ließ sie ihre Kräfte noch einmal verdoppeln und tatsächlich kamen sie ihrem Ziel langsam aber sicher näher. Der kurz darauf einsetzende Regen nahm Ragnar nahezu jegliche Sicht.
„Wie wollt ihr bei diesem Wetter ohne einen Hafen vor Anker gehen Kapitän?", rief er. Seine Worte wurden beinahe vom Wind verschluckt.
„Wir haben keine Wahl, als sie in seichtes Gewässer zu bringen!"
Und er schien diesen wahnwitzigen Plan tatsächlich durchsetzen zu wollen. Die Küste in Form eines weitläufigen Kiesstrands war nun nicht mehr weit entfernt und sie fuhren, nur noch durch kleinere Wellen behindert, mit voller Fahrt darauf zu. Das Schiff kreischte förmlich auf, als der mit Eisen verstärkte Bug auf den Grund der See stieß. Wie ein Pflug grub sich das Schiff in das weiche Erdreich und rutschte weiter auf das Ufer zu. Die dabei entstehenden Erschütterungen warfen einen Großteil der Besatzung zu Boden. Nur mit Mühe hielt der Steuermann das Ruder weiter gerade. Dann endete ihre Fahrt abrupt. Sie hatten nicht mehr die nötige Kraft inne, um noch weiter über den Meeresgrund zu schleifen. Der Rumpf hatte sich so darin verkeilt, dass sie nicht einmal umfielen.
„Anker werfen!", gab der Kapitän den abschließenden Befehl.
Ragnar sah zum Himmel, wo sich das Wolkendach langsam wieder lichtete. Auch der Wind hatte nachgelassen und wenn er hinter sich sah, so war die See doch merklich ruhiger als bisher. Sie hatten es tatsächlich geschafft. Der Mythos um den harschen Seegang, der einen davon abhalten sollte die Insel zu betreten, hatte sich als wahr erwiesen.
„Wir werden abwarten, bis sich alles ein wenig beruhigt hat, bevor wir mit den Beibooten an Land gehen", meinte der Kapitän zu Ragnar.
Dieser nickte nur leicht darauf. Er musste sich eingestehen, dass er eine gehörige Portion Angst gehabt hatte, zu kentern. Aber nun konnte er sich wieder auf die Aufgabe konzentrieren, die vor ihm lag.


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