Die Gegenwart - Wiedersehen #4

Ragnar beugte sich zu Anela hinab und legte ihr tröstend einen Arm um die Schulter.
„Vielleicht hat er ja auch überlebt, wer weiß das schon?" Zu Salia gewandt fuhr er fort: „Wie kannst du nur diese wahnsinnige Idee auch noch unterstützen? Wir müssen diesen Jungen finden. Wer weiß, was er neben der Auslöschung deines Volks sonst vorhat."
„Ich habe schon zwei meiner Kinder verloren, ich werde nicht auf den Tod des dritten warten. Wer weiß, ob sie überhaupt noch am Leben ist. Aber solange ein Funke Hoffnung besteht, werde ich alles tun, um sie zu retten."
„Es ist dir völlig egal, dass er die Absconden einer nach dem anderen töten wird?"
„Wenn Asmos recht behält, haben sie diesen Elitekrieger selbst geschaffen. Nun müssen sie mit den Konsequenzen leben."
„Eine ganze Rasse soll für die Fehler einiger weniger büßen?"
„Führen die Lupa nicht Krieg gegen uns? Was hast du davon, wenn du ihnen das Leben rettest?"
„Glaubst du etwa, er wird einfach aufhören? Die Waffen fallenlassen und es dabei belassen?"
„Wenn es sein Ziel ist, seine Mutter zu rächen, ja."
„Du bist kurzsichtig."
„Und du ein herzloser Narr. Nur weil du deine Familie im Stich gelassen hast, gilt das nicht auch für mich."
Bevor er etwas erwidern konnte, war sie auch schon aus dem Saal heraus. Ragnar seufzte und half daraufhin Anela beim Aufstehen.
„Und was habt ihr nun vor?", fragte ihn diese unvermittelt. Sie schien sich langsam wieder zu fassen. Ragnar bewunderte die Stärke dieser Frau. Sie zeigte sich äußerlich gelassen, nachdem der erste Schock verklungen war. Doch in ihren Augen las er die tiefe Qual, ob der Nachricht um Vlorrens Tod.
„Wenn hier jeder zu blind ist, die drohende Gefahr zu erkennen, dann werde ich ihn eben allein verfolgen."
„Ihr glaubt, Ihr seid ihm gewachsen?"
„Nein, aber wenn er seinen Vater verschont hat, gilt das hoffentlich auch für seinen Großvater."
Anela schmunzelte über diese Bemerkung.
„Und ihr, was werdet ihr als Nächstes tun?", hakte er nach.
Sie zuckte nachdenklich die Schultern. „Ich schätze, ich werde Asmos beistehen. Vlorrens Tod ist tragisch, aber ich kann ihn nicht rückgängig machen. Ich werde nicht auch noch ihn verlieren."
„Kümmert es Euch nicht, dass er Unzählige in den Tod führen will, um seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen?"
„Die Absconden sind eine Plage für jeden von uns. Es mag aus eigensüchtigen Gründen geschehen, aber langfristig wird es uns helfen, den Frieden zu wahren."
„Liebt ihr ihn?"
Sie musste auf diese Frage hin fast lachen. „Nein, wir sind nur Freunde."
„Eine Kameradschaft zwischen Wölfen wiegt oft mehr, als die meist kurzlebigen Beziehungen untereinander. Es ist gut zu wissen, dass mein Sohn jemanden an seiner Seite hat, der ihn stützt, wenn er droht zu fallen." Er wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht, die ihr nach der Nachricht von Vlorrens Tod entwichen waren. „Kümmert euch gut um ihn, denn ich fürchte, sein Fall wird tief sein."
Er wollte sich schon auf den Weg machen, da hielt sie ihn noch einmal am Arm fest. „Wartet. Wenn ihr euch schon allein geht, nehmt das." Sie streifte einen Ring mit dem königlichen Wappen vom Finger und gab ihm diesen. „Er wird euch wohl nicht passen, aber er gibt Euch meine Rechte."
„Wofür sollte ich diese benötigen?"
„Vielleicht braucht ihr ein Pferd, ein paar Begleiter, ein Schiff." Sie grinste ihn spöttisch an.
Er versuchte, den zierlichen Schmuck über einen seiner Finger zu stülpen, gab den Versuch aber rasch wieder auf und steckte ihn in eine Seitentasche seiner Hose.
„Wie kann ich euch danken?"
„Kommt nur wohlbehalten zurück. Asmos will es zwar nicht zugeben, aber er würde euch schwerlich vermissen."
„Ihr denkt, Ihr könnt ihn durchschauen?"
„Ich kenne ihn nur gut genug, um zu wissen, dass er sich äußerlich hart gibt, aber im Inneren doch so weich wie Schafswolle ist."
„Das muss er von seiner Mutter haben."
„Sicherlich."
„Ich hoffe, wir sehen uns einmal wieder", sagte Ragnar noch, bevor er sich endgültig umwandte.
„Das werden wir", sprach sie nur noch zu sich selbst.


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