Die Gegenwart - Wiedersehen #3

Sie kamen langsamer voran, als der Hauptmann es sich erhofft hatte. Die Verletzungen, die der Wolf vom Kampf davongetragen hatte, zwangen ihn, öfters Pausen einzulegen. Sie boten ihm zwar mehr als einmal an, auf einem der Pferde mitzureiten, aber er lehnte jedes Mal ab.
Salia kommentierte das immer wieder damit, dass er ein stolzer alter Narr war. Und sie hoffe, er habe diese Eigenschaft nicht an seinen Sohn weitergegeben, sonst müsse ihre Tochter das den Rest ihres Lebens ertragen. Fragen, was ihre Tochter mit Asmos zu schaffen hatte, wich sie jedoch jedes Mal galant aus. Vlorren gefiel diese Geheimnistuerei nicht, aber wie konnte er erwarten, dass sie ihm so schnell vertrauten?
„Wie kam es zu all den Narben auf eurem Körper?", fragte Vlorren einmal, während sie zu zweit an einem Feuer saßen.
„Ich habe mich auf jeden Fall nicht selbst ausgepeitscht", erwiderte Ragnar mit einem Schmunzeln.
Der Hauptmann sah ihn weiter erwartungsvoll an.
Ragnar strich sich nachdenklich über eine längliche Narbe, die nahezu seinen gesamten Arm hinauf wanderte. „Bevor ich auf Reisen ging, befand ich mich lange Zeit in Gefangenschaft. Man versuchte, praktisch jede Information, die ich preisgeben konnte, aus mir herauszupressen.
Vlorren nickte verstehend. „Habt ihr dem Drängen eurer Peiniger nachgegeben?"
„Nach so vielen Zeitkreisen der Folter, wie ich erlebt habe, würde wohl jeder früher oder später brechen. Zumindest scheinen meine Aussagen ihnen gereicht haben. Danach war ich nur noch ein wertloses Stück Fleisch für sie und man sperrte mich in ein einfacheres Verlies."
„Wonach euch die Flucht gelang?"
„Mithilfe meiner heutigen Begleiterin, ja."
„Ihr seid Asmos Vater, aber was für eine Rolle spielt sie bei alldem?"
Der Lupa lächelte verschmitzt. „Ihr werdet wohl nie aufgeben, oder?"
„Ich muss euch beide an den Hof meines Königs bringen. Das Ganze birgt ein nicht abwägbares Risiko."
„Ihr traut uns nicht ganz."
„Wer außer ein Narr würde das so ohne Weiteres tun?"
„Also gut. Ihr sollt die Grundzüge der Geschichte erfahren." Er lehnte den Kopf an die angewinkelten Arme und erzählte: „Es begann, dass Salias Tochter in das Dorf meines Sohnes kam. Ihr Auftrag lautete, Asmos zu töten. Irgendeine Prophezeiung einer uralten Hexe hatte ihn dazu verdammt. Doch obwohl sie vom Volk der Absconden abstammte, brachte sie es nicht über sich, ihm ein Ende zu bereiten."
„Eine Absconde? Das heißt Salia ist auch ..."
„Eine Tochter des Assassinenvolks. Ich bin überrascht, dass ihr über sie Bescheid wisst."
„Ich habe meine Quellen", sagte Vlorren kurz angebunden und musste dabei an seine blondhaarige Informantin denken. Der Gedanke, dass sie ihm einmal absichtlich etwas von Nutzen offenbart hatte, brachte ihn zum Schmunzeln.
„Wie auch immer, die beiden verliebten sich. Aber Sahira – so hieß das Mädchen – ist aus irgendeinem Grund geflohen und er folgte ihr. Daraufhin zerstörten andere ihres Volkes Asmos' Heimat. Als er erfolglos zurückkehrte, fand er nur Zerstörung vor. Es muss ihn schier den Verstand gekostet haben, das zu sehen. Außerdem stand zu befürchten, dass man nach ihm suchte. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen."
„Und wieso hat es euch hierher nach Süden verschlagen?"
„Ich wollte möglichst viel Abstand zu meinen Verfolgern gewinnen. Und ich nahm an, dass Asmos damals dasselbe dachte."
Vlorren legte ihm die Hand auf die Schulter und lächelte ihm aufmunternd zu. „Morgen werden wir in Winbruck ankommen, dann werdet ihr euren Sohn wieder sehen. Ich danke Euch für Euer Vertrauen."
„Keine Ursache, ich weiß es zu schätzen, dass Ihr eine derartige Gefahr für uns eingeht."
Der Hauptmann nickte knapp, erhob sich dann und schritt in Richtung seines Zelts. „Ihr solltet ein wenig schlafen. Euer Körper braucht Ruhe, um zu genesen."
„Dasselbe gilt für Euch, Hauptmann."
Am darauffolgenden Morgen gab Vlorren bekannt, dass sie ihr Ziel gegen Abend desselben Tages erreichen würden. Dazu legten sie weniger Pausen ein, was der langsam genesende Lupa mittlerweile verkraftete. Während der Großteil des Zuges als geschlossene Gruppe ritt, zogen beständig zwei bis drei Späher voraus und achteten auf eventuelle Gefahren. Vlorren rechnete nicht mit irgendwelchen Hindernissen – nicht so nahe an Winbruck. Die einzige Gefahr, die in umherziehenden Wegelagerern bestand, konnte man ausschließen, da diese nie einen derart großen Zug angriffen. Umso verblüffter war er, als am frühen Nachmittag, ein Späher in Eile zu ihnen zurückkam. Er war in östliche Richtung geritten und in halsbrecherischem Galopp wieder zur Gruppe zurückgekehrt.
„Herr, ich habe eine Truppe bewaffneter Soldaten entdeckt!", sagte er atemlos.
„Aus dem Osten?" Der Hauptmann runzelte irritiert die Stirn. Selbst wenn die Medianer, durch deren Land sie gezogen waren, einen Angriff planten, so würden sie doch eher dem Verlauf des Flusses folgen und von dort aus nach Süden vorstoßen. „Ich denke, du hast dich geirrt, mein Freund. Warum sollten unsere Nachbarn so überstürzt auf diesen kleinen Besuch reagieren?"
„Die Truppen kommen nicht aus Medianu. Es sind unsere eigenen Männer – angeführt vom Ratsherrn Gardener Zann."
Diese Botschaft verschlug ihm derart die Sprache, dass er sich an seinem eigenen Speichel verschluckte. Erst als er seinen Hals frei gehustet hatte, gab er den Befehl anzuhalten. Salia, die vor ihm auf dem Pferd saß, hatte dem Gespräch bis jetzt nur teilnahmslos zugehört. Nun ließ Ragnar sein Pferd auch zu den dreien traben, um dem Verlauf zu folgen. Er hatte sich dazu entschieden seine Wolfsgestalt aufzugeben, als immer öfter Siedlungen am Rande des Weges auftauchten. Für sein großes Gewicht hatte man sicherheitshalber ein Packpferd entladen, das die nötige Kraft aufbrachte, ihn zu tragen.
„Irgendwelche Probleme Vlorren?", fragte er in seiner gewohnt ruhigen Stimmlage.
„Ich fürchte, einer unserer eigenen Leute zieht gegen Asmos in den Krieg. Ein Ratsherr, der des letzt erst seine Geringschätzung gegenüber ihm zum Ausdruck brachte, kommt mit einer kleinen Armee nach Westen."
„Dann sollten wir zusehen, dass wir schneller sind."
Vlorren schüttelte den Kopf. „Laut unserem Späher kommen sie zügig voran. Sie haben flinke Pferde und wenig Gepäck für einen Überraschungsangriff gewählt, schätze ich."
„Also werden sie uns einholen und noch vor den Toren der Hauptstadt niedermetzeln?", fragte er betont gelassen.
Der Hauptmann nickte daraufhin ernst. „So weit werden wir es nicht kommen lassen. Ich werde ihnen entgegenreiten – vielleicht handelt es sich auch nur um einen Irrtum."
„Seid ihr des Wahnsinns oder sucht ihr nur den Tod?", schaltete sich Salia in das Gespräch ein.
Vlorren lachte auf diese Aussage hin. „Jemand muss Asmos vorwarnen. Die Truppen sind derweil derartig beschäftigt mit der Suche nach diesem Dieb, dass keiner für einen Waffengang vorbereitet ist. Ich werde euch die nötige Zeit verschaffen."
Er wandte sich erneut an den Späher. „Mit wie vielen Männern müssen wir rechnen?"
„Sie reiten in zwei Verbänden zu je dreihundert, wenn nicht vierhundert Mann. Er muss Verstärkung aus umliegenden Städten erhalten haben."
„Eine Übermacht von vierzigfacher Stärke, es gibt Schlimmeres, würde ich sagen", meinte Vlorren schmunzelnd. „Ragnar, wenn ihr bitte diese werte Dame mit euch nehmen würdet."
Er wollte Salia aus dem Sattel helfen, aber diese schubste ihn zurück. „Das kann nicht euer Ernst sein. Ihr werdet sterben verdammt noch mal!"
„Das Sterben gehört zum Kriegsdienst. Manchmal müssen kleine Opfer gebracht werden, um größere zu verhindern. Außerdem habe ich nicht vor, blindlings in eine aussichtslose Schlacht zu reiten. Womöglich lässt sich die Sache auch gütlich regeln oder durch Verhandlungen Zeit schinden." Er gab Ragnar einen Wink, worauf dieser Salia aus dem Sattel heraushob und auf sein Pferd dazusetzte.
„Ich bin doch kein Reissack! Schickt ein paar eurer Männer als Ablenkungsmanöver, aber keinem ist gedient, wenn ein wichtiger Anführer in den Tod zieht!"
„Es freut mich, dass sich eure Meinung mir gegenüber gebessert hat. Aber wie könnte ich von den meinigen erwarten, sinnlos für mich zu sterben und selbst in den sicheren Schutz der Stadt zu reiten?"
Daraufhin schwieg sie bedrückt.
Ragnar reichte dem Hauptmann die Hand und nickte ihm mit festem Blick zu. Dieser ergriff sie lächelnd.
„Ich danke euch für alles Vlorren."
„Bringt wieder ein Lächeln auf Asmos Züge Ragnar. Und richtet ihm meinen Gruß aus."
„Das werde ich."
Vlorren wendete sein Pferd dem kleinen Trupp zu, der sich in respektvollem Abstand um sie versammelt hatte.
„Wir ziehen in Richtung Osten. Dort wartet eine vierhundert Mann starke Armee darauf, uns mit Herzenswärme zu empfangen. Wer sich davor fürchtet, heute Abend schon nicht mehr auf dieser Erde zu verweilen, der möge weiterziehen. Der Rest folgt mir!"
Niemand wagte es, zurückzubleiben. Es waren seine Männer, er hatte sich an der Ausbildung eines jeden persönlich beteiligt. Bis auf einen.
Vlorren legte dem Späher, der nach Osten geritten war, die Hand auf die Schulter. „Und du wirst diese beiden hier sicher nach Winbruck begleiten. Richte Anela meine Grüße aus und sag ihr, ich kenne meine Leute. Das nächste Mal soll sie es mir etwas schwerer machen."
Er zwinkerte dem verblüfften Mann zu, dann hob er verabschiedend die Hand zu den Dreien.
„Ebene Wege meine Freunde!"
Mit einem energischen Ruck an den Zügeln ließ er sein Pferd nach Osten reiten. Die restlichen neun Krieger folgten ihm, ohne zu zögern. Der helle Strahl des Mantels ließ ihre Rüstungen auch noch aus weiter Entfernung aufleuchten. Vielleicht zum letzten Mal.
„Wir müssen weiter. Er wird sie nicht lange hinhalten können", sagte Ragnar ruhig, als sie am Horizont zu verschwinden drohten.
Salia schwieg zuerst bedrückt. „Du hast wohl recht", brachte sie schließlich hervor.
„Folgt mir, ich kenne einen schnelleren Weg dorthin, als die Hauptstraße", wendete der Späher sich an sie.
Als sie seine Aufforderung mit einem Nicken quittierten, ritt er auch schon los. Das Pferd hatte sichtlich Mühe mit dem zusätzlichen Gewicht, aber es hielt sich wacker. Gegen Abend konnten sie die Zinnen des Winnbrucker Schlosses im verblassenden Schein des Mantels aufleuchten sehen. Das Stadttor stand zu dieser Zeit noch offen und sie passierten es unbehelligt. Ohne weitere Umschweife ritten sie die Hauptstraße entlang in Richtung des nördlichen Stadtteils. Nicht wenige warfen der Gruppe irritierte Blicke zu. Aber keiner wagte es, sie aufzuhalten. Ragnar nahm an, dass das an dem Wappen, das ihr Anführer trug, lag. Erst im Inneren der Burganlage, als sie das Hauptgebäude betreten wollten, versperrten ihnen zwei gekreuzte Hellebarden das Weiterkommen.
„Wen bringst du da mit?", fragte einer der Wächter und nickte in Richtung des Lupa und der Absconde.
Der junge Mann schien sichtlich mit den Worten zu ringen, worauf Ragnar an seiner statt antwortete: „Freunde des Königs."
„Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass der König das genauso sieht", erwiderte er stirnrunzelnd.
„Ich bringe sie im Geheiß Vlorrens – es handelt sich um einen Notfall", schaltete sich ihr Führer ein.
„Was kann schon so dringend sein, dass wir diese zwei Waldläufer hier hereinlassen müssen?"
„Vlorren ist tot. Eine gewaltige Armee reitet auf uns zu und wir müssen den König warnen."
Der Wächter schien zuerst an seinem Verstand zu zweifeln, aber er sah ihn derart ernst an, dass er zögerte. Er wechselte einen kurzen Blick mit seinem Nachbarn, der daraufhin die Schultern zuckte.
„Also gut, aber ich werde euch begleiten – nur für den Fall."
Ragnar musste zugeben, dass selbst er, der für seine ruhige Art bekannt war, ein wenig Aufregung empfand, als sich die zwei gewaltigen Türflügel vor ihm öffneten.
„Asmos hat sich einen besseren Lebensstil gegönnt, wie mir scheint", murmelte er, während er über den roten Läufer in Richtung des Thronsaals schritt.
Dort versperrten erneut zwei Wächter eine etwas kleinere Ausgabe des äußeren Tors. Diese machten ihnen ohne Weiteres Aufhebens Platz und öffneten die Tür.
Im Inneren gewahrte Ragnar sofort seinen Sohn, der gerade in eine intensive Diskussion mit einer Frau vertieft war. Er musterte ihr weizenblondes Haar, die feinen Züge ihres Gesichts und schmunzelte. Asmos verstand etwas von hübschen Frauen. Er selbst hatte sich stark verändert. Seine Haare waren länger und von dunklerem Ton und er ließ sich einen Bart stehen. Auch die Haut und sein ganzes Erscheinungsbild wirkten gröber. Der Einfluss des in ihm erwachten Lupabluts – seines Bluts.
Der junge König bemerkte sofort die unerwarteten Gäste und beendete abrupt das Gespräch.
Zuerst erkannte er Ragnar wieder. Er schien sich nicht besonders über dessen Erscheinen zu freuen, war aber wohl überrascht, ihn zu sehen. Als sein Blick weiter zu Salia wanderte, dachte Ragnar zuerst, er erkenne jemanden in ihr wieder, aber der Augenblick verging rasch und wurde durch offensichtliches Misstrauen ersetzt. Seine Hand legte sich, wie zufällig, auf den Heft seines Schwerts.
„Dürfte ich erfahren, was ihr von Asmos wollt?" Anela stellte sich ein Stück vor ihn, als wolle sie ihn beschützen.
Er schob sie mit einer unwirschen Handbewegung zur Seite.
„Halt dich da raus Anela." Er sah die beiden direkt an. „Was wollt ihr hier?"
Ragnars Mundwinkel senkten sich. „Ich dachte, du würdest dich freuen, deinen Vater wiederzusehen."
„Dein Auftauchen hat bisher noch nie für etwas Gutes gestanden", erwiderte Asmos kalt.
„Tatsächlich bin ich nicht hier, um dir frohe Botschaft zu überbringen."
„Ach, was du nicht sagst. Du siehst auch nicht danach aus. Eher als wärst du bei einem Streit zweier Giganten zwischen die Fronten geraten."
„Ich durfte die Gastfreundschaft ihres Volkes genießen. Das ist übrigens Salia, die Mutter deiner ehemaligen Freundin Sahira."
Für einen Moment zögerte Asmos. Dann kehrte aber rasch wieder die Kälte in seine Züge zurück. „Ich bin erfreut."
„Ich nicht. Du bist der Grund dafür, dass meine Tochter nun im Pestackher tagtäglich um ihr Leben kämpft. An dich habe ich meine Familie verloren. Und nun stehst du vor mir als großer König, völlig uninteressiert, wie es der Frau geht, die dir dein Leben gerettet hat." Ihre Augen füllten sich mit Tränen der Wut. „Du bist ein Widerling!"
Ragnar legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Lasst uns bitte allein", sagte Asmos schwerlich beherrscht zu den Wachen. Auf Anelas fragenden Blick hin ergänzte er: „Du kannst meinetwegen bleiben."
Erst als Anelas Spion und der Wachmann den Raum verlassen hatten, fuhr er fort: „Ihr meint die, die mir als Dank für alles einen Dolch in die Brust rammte?" Asmos hatte Mühe, seine Stimme unter Kontrolle zu halten. Wut und Trauer drohten ihn zu übermannen.
„Sie hat dich gerettet du Narr! Nur so konnte sie den Schein erwecken, dass du tot bist. Mein Volk hätte dich bis zum bitteren Ende verfolgt! Wegen einer Prophezeiung, die dich zum Bezwinger der Absconden machte!"
Asmos fühlte sich wieder in die Vergangenheit zurückversetzt. Es war, als wäre es erst am vorigen Tag gewesen. Er spürte den harten Boden unter sich, das Gewicht der silberhaarigen Assassine, die sich über ihn beugte. Ihren warmen Atem an seinem Ohr.
„Jetzt hat deine Verfolgung endlich ein Ende."
Nun ergaben die Worte einen Sinn.
Aber die Prophezeiung bezog sich nicht auf ihn. Er wiederholte noch einmal die Verse, welche sowohl sie als auch der Dieb des Blutsteins, sein Sohn, gesprochen hatte:
„Kind der Viere, aus dem Blute zweier.
Kind des Verrats, Verrat am eigenen Fleisch.
Träger der Elemente, Untergang unseres Volkes.
Freund des Feinds aller.
Dein Kommen zeugt vom Tod des Volkes.
Dein Kommen zeugt von der Rückkehr der Alten."
Nachdenklich sah er in die Runde. „Der Dieb des Steines, ich glaube er ist das Kind von mir und Sarah. Er hat dieselben Worte gesagt, die sie damals zu mir sprach."
Salia hielt die Luft an. „Du hast ihr Kind gesehen? Wir hielten es für verschwunden."
„Zumindest sah er ihr wie aus dem Gesicht geschnitten aus. Es war, als sähe ich sogleich in mein, als auch in ihr Spiegelbild."
„Aber er kann unmöglich so schnell gewachsen sein. Er kann doch jetzt erst fünf Zeitkreise alt sein!"
„Er trägt das Blut von Asmos Mutter in sich. Die Volith sind in diesem Alter zumindest schon mal jugendlich", mischte sich Ragnar in das Gespräch ein.
„Kind der Viere ... Könnte sich das darauf beziehen, dass er von allen großen Völkern des Kontinents abstammt?", fragte Asmos seinen Vater.
„Die Volith sind ein rein aus Frauen bestehendes Volk. Deine Mutter ging höchstwahrscheinlich aus einer Verbindung mit einem Vrynn hervor. Du selbst warst das Kind dieser Mischung und dem Blut der Lupa."
„Und euer Sohn erhielt durch meine Tochter das Erbe der Absconden", ergänzte Salia nachdenklich. „Womit auch der Verrat geklärt wäre. Es ist uns nicht gestattet, uns mit Wesen anderer Völker einzulassen. Und mit ihrem Handeln hatte sie ihre Mission und somit unseren Herrscher den Unendlichen verraten."
„Doch warum soll er ein Träger der Elemente sein?" Anela war dem Gespräch bisher schweigend gefolgt. Doch nun schien auch sie für das Thema entflammt.
„Er bekämpfte mich mit einem Schwert, das aus purem Feuer zu bestehen schien", sagte Asmos.
„Ignatz! Ich dachte, diese Waffe wäre lange zerstört", keuchte Ragnar auf.
„Wovon sprichst du?"
„Ich weiß darüber auch nicht viel mehr. Nur, dass es fünf Gegenstände geben soll, die die fünf uns beherrschenden Elemente vertreten. Feuer, Wasser, Luft, Erde und den großen Mantel. Über den Aufenthaltsort dieser kann ich nichts sagen. Der Stein des großen Mantels, der Blutstein oder Petarch war seit Langem den Lupa anvertraut, nachdem er den Vrynn nur Krieg und Tod brachte. Wir waren immun gegen seine Wirkung. Da diese Gegenstände nie vereint werden sollten, entschied man, eine davon zu zerstören. Man wählte die, die das größte Potenzial innehatte, Vernichtung zu verbreiten – die legendäre Feuerklinge Ignatz."
„Soll das heißen, dieser Kerl sammelt all diese Elementargegenstände?", fragte Anela.
„Du sprichst von meinem Sohn!"
„Er benötigt sie, um die Prophezeiung zu erfüllen", sagte Salia nachdenklich. „Die Vernichtung unseres Volkes."
„Und die Rückkehr der Alten, was auch immer die Alten sind", sagte Asmos. „Aber warum sollte er das Volk seiner Mutter zerstören?"
„Rache für seine Mutter."
„Du sagtest doch, er wäre als Kind verschwunden. Woher sollte er es wissen?"
„Jemand muss es ihm eingeflüstert haben", mutmaßte Salia nachdenklich.
„Jemand, der die Absconden tot sehen will."
„Lorica." Plötzlich wurde sie ganz aufgeregt, als wäre sie der Lösung ganz nahe. „Unser Volk hat sich vor vielen Zeitkreisen geteilt – in Aculeten und Lorica. Seit jeher sind diese Gruppierungen befeindet. Unsere einzigen Feinde, die Lupa einmal ausgenommen, sind die Lorica."
„Wenn ihr damit fertig seid, darüber zu fachsimpeln, wer unser Feind ist, sollten wir uns vielleicht überlegen, was wir gegen ihn tun", sagte Anela barsch.
„Wir müssen diesem Jungen, wer auch immer er nun wirklich ist, den Stein abnehmen", verlangte Ragnar sofort. „Er könnte damit weit mehr bezwecken, als nur die Aculeten zu vernichten! Mit seiner Macht könnte er den ganzen Kontinent in Krieg verfallen lassen."
„Meine Tochter muss nun schon seit fünf Zeitkreisen in einem dreckigen von Ungeheuern verseuchten Loch vermodern. Ich weiß nicht einmal mehr, ob sie noch am Leben ist. Zuerst gilt es, sie zu befreien!"
„Wie stellst du dir das vor? Abgesehen davon, dass er derweil weiter nach den Elementargegenständen sucht, können wir nicht einfach da reingehen und sie rausholen! Hier geht es um mehr als eine Einzelne."
„Dein Sohn verfügt doch sicher über eine ausreichend starke Armee."
„Das ist doch Wahnsinn! Asmos, ich weiß du liebst dieses Mädchen, aber dem kannst du nicht zustimmen!"
Der junge König fuhr sich erschöpft mit der Hand durch das Haar und ließ sich auf seinen Thron niedersinken. Er hatte sein Leben auf Sarah ausgerichtet. Dann vergaß er sie plötzlich, obwohl sie doch das Wichtigste für ihn hätte sein sollen. Was interessierte ihn das Volk, das sie ihm genommen hatte? Wofür hatte er mehrere tausend Mann, die hinter ihm standen? Er presste Zeigefinger und Daumen auf seine Nasenwurzel.
„Als ich Sarah kennenlernte, zählte nichts für mich außer sie." Er breitete die Arme aus. „All das hier ist mir nichts wert, jetzt wo ich sicher weiß, dass ihr Angriff gegen mich aus Liebe und nicht aus Hass entsprungen war."
Ragnar packte ihn an den Schultern. „Mein Sohn. Dieser Stein wurde dir in der Hoffnung übertragen, dass du seine Macht weise nutzt und nicht aus rein selbstsüchtigen Gründen handelst."
„Wovon redest du? Ihr hofftet doch, ich würde aus Hass das Volk der Absconden auslöschen. Ihr dachtet, die Prophezeiung wäre auf mich gemünzt. Und jetzt redest gerade du mir ins Gewissen?"
Er schwieg betroffen und sah zu Boden.
Asmos winkte ab. „Sei unbesorgt. Ich habe nicht vor, blindlings draufloszustürmen und Chaos anzurichten." Er wandte sich Anela zu. „Kläre doch bitte mit Salia ab, welche Mittel wir benötigen, um weit genug in die Stadt einzudringen, sodass wir Sarah befreien können. Du Ragnar kannst dir derweil überlegen, wohin es meinen Sohn als Nächstes verschlagen wird. Sobald sie befreit ist, werden wir seine Verfolgung aufnehmen."
„Da wäre noch etwas Dringlicheres", sagte Ragnar. „Irgendein Ratsherr oder dergleichen zieht mit einer Armee gegen dich. Er dürfte in Kürze hier eintreffen."
Asmos ballte die Hände zu Fäusten. Der Verlust des Steins zog immer stärkere Wellen nach sich, doch er hatte nicht vor, sich davon abbringen zu lassen. Sein Ziel schien mit einem Mal in solch greifbarer Nähe. „Anela bitte gib Vlorren Bescheid er soll Späher entsenden, und mir sagen, wie viele Männer er brauchen wird, um die Stadt zu schützen", entgegnete Asmos nur kühl und erhob sich.
Er wollte gerade Richtung Tür gehen, da hielt ihn Ragnar noch einmal auf. „Vlorren ist höchstwahrscheinlich tot."
Die Nachricht traf sowohl Asmos als auch Anela wie ein Hammerschlag. Während sie jedoch langsam den Halt ihrer Knie einbüßte und zu Boden sank, ging er einfach weiter. Er wollte noch nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Er hatte einen Plan, auf den er sich nun konzentrieren musste. Mit einem übertrieben wuchtigen Schlag öffnete er die Türen und trat hinaus auf den Gang.
„Noch etwas Asmos", rief Salia ihm hinterher. „Sie heißt Sahira, nicht Sarah."
Er drehte sich kurz um, worauf sie ihm neckend zuzwinkerte. Sein Gesicht blieb eine starre Maske.
„Ich werde es mir merken."
Damit verschwand er in Richtung seines Zimmers.


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