Die Gegenwart - Ventar #3

Thorben sah den Brand des Waldes aus der Ferne. Die Siedlungen der Volith lagen noch ein gutes Stück entfernt. Möglicherweise war Ahiro auf einen Spähtrupp gestoßen. Er holte alles aus seinem Pferd heraus, was dem erschöpften Tier noch möglich war. Er musste ihn einfach einholen.
Als er den Waldrand erreichte, stieß ihm ätzender Qualm entgegen. Die Luft um ihn herum flimmerte vor Hitze. Er band sich ein Tuch um Mund und Nase, um sich vor Asche und Staub zu schützen, ehe er sein Pferd mit Gewalt dazu zwang einzureiten. Er folgte einem geradlinigen Pfad, welcher ihn direkt durch den Wald führte.
Je tiefer er in diesen eindrang, desto infernalischer wurde das Feuer, das ihm den Schweiß in Strömen aus den Poren trieb. Es wurde immer schwerer, sein Pferd unter Kontrolle zu halten. Ein Zweig krachte von einem brennenden Baum herab und landete knapp vor ihnen. Das Tier scheute und drohte ihn abzuwerfen, aber indem er ihm die Schenkel kraftvoll in die Seite presste, brachte er es zur Ruhe.
Er erreichte nach weiterem Ritt eine Stelle, an der das Holz teilweise bis zum Boden heruntergebrannt war. Bäume lagen im Weg, es gab keine Möglichkeit, das Inferno zu umgehen. Er ließ seinen Blick nach einem Anhaltspunkt durch den umliegenden Wald schweifen. Seine Sicht trübte sich immer mehr, er befürchtete langsam, hier noch sein Augenlicht zu verlieren. Ein geringer Preis, verglichen mit dem, den er zahlen musste, würde er versagen. Links von sich entdeckte er eine Schneise, die nicht vom Feuer, sondern von brachialer Gewalt geschlagen wurde. Kurzum entschlossen ließ er sein Pferd darauf zureiten. Es war daran gewohnt, Befehle strikt zu befolgen, auch wenn es sich dabei selbst verletzen würde. Aber das Feuer, welches an seinen Beinen züngelte, war zu viel: Es wieherte schmerzerfüllt auf, stieß sich mit den Hinterbeinen ab und warf ihn von sich. Danach rannte es panisch davon, mitten in die Flammen.
Thorben hatte keine Zeit, um sein Reittier zu trauern. Er flog in hohem Bogen aus dem Sattel und krachte in einem Haufen unter seinem Gewicht zerbrechender, brennender Äste.
Er drückte sich in die Höhe, aber er fand inmitten des Geästs keinen Halt. Mit der Linken schützte er sein Gesicht vor den Flammen. Seine Kleidung fing rasch Feuer. Seine Haut warf Blasen, bald würde sie verbrennen – Panik drohte in ihm aufzusteigen. Entschlossen rollte er sich zur Seite, solange bis er festen Grund unter sich spürte. Mit einem Sprung erhob er sich, stolperte über einen im Weg liegenden Ast und fiel erneut hin. Er wagte einen flüchtigen Blick vor sich.
Um ihn herum brüllte ihm das Inferno entgegen. Es war, als stünde er mitten in einem Kamin. Aber direkt vor sich erstreckte sich eine kleine Lichtung, die noch großteils vor dem Feuer geschützt geblieben war. Er hatte keine Zeit, sich aufzurichten. Mit den Händen kroch er nach vorne. Sein Gesicht wurde Opfer der Flammen. Nur indem er die Augen zusammenpresste, konnte er diese vorerst retten.
Er hatte schon fast den Glauben daran verloren, als er die Lichtung erreichte. Er rappelte sich auf, nur um den Mantel abzuwerfen, sich dann wieder fallen zu lassen und durch Herumrollen das Feuer zu löschen. Als er spürte, wie die Pein ein wenig nachließ, hörte er auf. Thorben gönnte sich einen Moment der Ruhe. Sein Gehirn blendete für Sekunden alles um ihn herum aus. Nur noch nebensächlich spürte er die hohen Temperaturen.
In seiner direkten Umgebung brachen lodernde Äste aus dem Blätterdach und fielen polternd am Rande der Lichtung zu Boden. Der Rauch der Brandherde, die ihn umgaben, drang ungehindert in seine Atemwege ein. Ein leichter Wind wehte eine Wolke aus Staub heran, die ihn zum Husten brachte. Röchelnd setzte er sich auf. Er war der Bewusstlosigkeit näher gewesen, als er es sich eingestehen wollte. Sofort kehrten die Schmerzen zurück. Er zwang sich, vollends aufzustehen, um seine verbrannte Haut nicht unnötig zu belasten. Seine Kleidung war mit Brandlöchern übersät, seine Armbrust musste er unterwegs verloren haben.
Seufzend sah er sich auf der Lichtung um. Das Feuer nahm auch von ihr mehr und mehr Besitz ein und keine Spur von seinem Ziel. Hatte er ihn vielleicht auf eine falsche Fährte gelockt? Waren seine Sinne derartig ausgeprägt, dass er die Verfolgung bemerkt hatte? Er untersuchte noch einmal den Boden unter sich. Als er genauer hinsah, entdeckte er niedergetretenes Gras, teilweise auch solches, das ausgerissen wurde. Wahrscheinlich durch hektische Schrittbewegungen. Er mutmaßte, dass es hier zu einem Kampf gekommen war. Thorben nahm seine Kräfte zusammen und lief quer über die Lichtung. Sein Geist ließ Bilder vor seinen Augen ablaufen, die er mit aller Gewalt zu verdrängen gedachte. Es durfte nicht sein. Hinter einem umgefallenen Stamm entdeckte er sie dann. Erst betete er, es könne eine andere sein, er würde sich nur täuschen. Aber als er sie in den Schutz des unversehrten Grasbodens zog, gab es keinen Zweifel mehr. Sie lag ganz friedlich da, als würde sie nur schlafen. Wäre da nicht die hässliche Halswunde, so hätte er tatsächlich versucht, sie zu wecken.
Sein Geist versank in Melancholie, als er sich das Unleugbare eingestand. Sie war tot und würde nicht wieder zurückkehren. Thorbens Beine verloren von einem auf den anderen Moment ihre Kraft und er sank auf die verbrannten Knie. Doch seine wie tauben Gliedmaßen spürten es kaum.
Arjali war mehr für ihn gewesen als eine Auftraggeberin, mehr als eine Mentorin, ja sogar mehr als nur eine Freundin. Mit der Hand fuhr er liebevoll durch ihre Haare. Zu Lebzeiten hatte er es nicht gewagt, sie zu berühren. Er hätte ihr so gerne seine Gefühle offenbart, wäre da nicht die Angst gewesen, zurückgewiesen zu werden. Nun war diese Möglichkeit verstrichen. In stummen Kummer weinte er. Das Feuer trocknete ihm jegliche Träne, kaum dass sie seinen Augen entwichen. Er legte ihren Kopf in seinen Schoß, nahm seinen Mantel und bedeckte ihren Körper bis zum Hals, damit man die Wunde nicht mehr sah. Eine Weile saß er nur so da, wippte mit dem Körper vor und zurück – unentschlossen und kraftlos.
Alles, was er getan hatte, war umsonst. Er war einem Schatten über so lange Zeit gefolgt, ohne zu merken, dass ein solcher nicht gefangen werden konnte. Schließlich küsste er sie auf die Stirn und flüsterte ihr einen Abschiedsgruß ins Ohr. Wie ein zerbrechliches Kind, welches man in seine Wiege legt, bettete er sie auf das Gras und richtete sich auf.
Nein, es war noch nicht vorbei. Er hatte ihm alles genommen – Freunde, Familie, alles, was ihm etwas bedeutete. Und selbst, wenn er nichts gegen ihn ausrichten konnte, selbst, wenn er nur das nächste erbärmliche Opfer seines Blutdursts würde – er würde gegen ihn kämpfen bis zum Letzten. Thorben riss sein Schwert aus der Scheide und stieß es Richtung Westen in die Luft. Dort wartete die nächste Elementarwaffe auf Ahiro. Er würde ihn finden und töten - koste es, was es wolle. Ein heftiger Windstoß ließ ihm die Flammen wütend entgegenwehen. Er fürchtete sich nicht vor dem Feuer, er kannte keine Furcht mehr.


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