Die Gegenwart - Terroar #1
Die Nacht war über das Land hereingebrochen, während Ahiro stetig weiter Richtung Norden zog. Seine Wunden waren nur teilweise verheilt und eine seiner Vorderpfoten geschwollen, sodass er mehr hinkte, als ging. Dennoch wollte er nicht auf die Geschwindigkeit seiner animalischen Form verzichten. Jeden Tag, den er länger in diesem Gebiet verweilte, barg Todesgefahr für ihn. Er fand kaum Wasser in dieser trostlosen Gegend und schlief fast nie. Langsam aber sicher drohten seine Kräfte zu versagen.
„Wir sind fast da", beruhigte Ohrgott ihn.
Er sollte recht behalten. Hinter einem Wall aus Dornengestrüpp, innerhalb einer Einbuchtung am Rande des Gebirges, spürte Ohrgott ihr Versteck auf. Vastar, das geheime Reich der Parven.
Ahiro gab die Verwandlung auf. Hier benötigte er brachiale Gewalt, keine Geschwindigkeit. Seine Haut war mit Verbrennungen übersät und seine linke Hand fühlte sich seltsam taub an. Er zog Ignatz, das Feuerschwert, welches, kaum dass er es berührte, hell lodernd aufbrannte. Es beleuchtete seine nähere Umgebung und erwärmte seinen abkühlenden Körper. Mit schnellen, kraftvollen Hieben zerteilte er das Gestrüpp vor sich. Das Feuer seiner Waffe tat ihr übriges, ihm einen Weg hindurch zu bahnen.
Er beeilte sich, den unscheinbaren Höhleneingang zu erreichen, bevor jemand das Feuer bemerken würde. Im Laufen scheidete er Ignatz, um in der Dunkelheit unerkannt zu bleiben. Es schien keine Wachen zu geben. Vorsichtig, stets darauf bedacht nicht erkannt zu werden, schritt er voran. Einen Pfeilschuss vom Eingang entfernt, stockte er in der Bewegung.
Seine voraussehende Natur spürte Gefahr. Vor ihm lag alles im Dunkeln. Nur dank seiner scharfen Augen sah er überhaupt etwas. Er nutzte kurz die Leuchtkraft seiner Waffe, um den Weg vor sich auszuleuchten, ehe er sie wieder in die Scheide gleiten ließ. Wäre er nicht vorgewarnt gewesen, hätte er niemals die Unzahl an Trittplatten entdeckt, die ungefähr zwei Meter weit den gepflasterten Weg vor ihm bedeckten.
Er wusste aus alten Geschichten, dass die Parven ein technisch begabtes Völkchen waren. Eine Weile lang hatte er eine ihrer Erfindungen bei sich getragen. Niemand hatte ihr Reich je von innen gesehen - so die Legende.
Mit einem beherzten Sprung überwand er die Fallen und folgte weiter dem Weg. Nun würde er der erste Außenstehende sein, der einen Fuß über die Schwelle ihrer Heimat setzte. Der Gang im Innern war für die Körpergröße eines Parven gebaut, sodass Ahiro leicht gebückt gehen musste, um sich nicht den Kopf anzustoßen. Für das kleinwüchsige Parvenvolk war diese Höhe genau richtig.
Als er ein Licht in der Ferne ausmachte, beschleunigte er seine Schritte. Er sehnte sich danach, dem beengten Gang zu entkommen, und wurde unkonzentriert. So wurde er auch nicht vorgewarnt, bevor er ein reißendes Geräusch hörte, welches eine vor den Weg gespannte Schnur verursachte. Eine sichelförmige, rasiermesserscharfe Axt raste aus einer Spalte in der Wand herbei. Ahiro wich ihr durch eine Rolle nach vorne aus. Sie schwang nach links und verschwand in der dortigen Wand, bevor sie aus eben dieser wieder hervorschoss. Im selben Moment tauchte knapp vor Ahiro eine weitere der tödlichen Scheiben auf, gerade so, dass wenn die eine links hervorkam, die andere von rechts heransauste. Kaum das er sich versah, war der gesamte Gang vor ihm voll der todbringenden Waffen.
Ahiro schluckte schwer, bei dem Gedanken, dass er das seiner eigenen Nachlässigkeit zu verdanken hatte. Wie schon unzählige Male dankte er seinen Eltern für die Gaben, welche sie ihm in die Wiege gelegt hatten. So überwand er nahezu gefahrlos die ersten schwingenden Schneiden. Sein Gespür sagte ihm jedoch irgendwann, dass es kein Durchkommen mehr gab. In immer kleineren Abständen zogen sie ihre tödlichen Halbkreise. Er könnte zwar vielleicht an ein oder zwei von ihnen vorbeikommen, würde aber früher oder später unweigerlich erfasst werden. Die Abstände wurden zu kurz, um zwischen zwei Gefahrenstellen stehen zu können.
Ahiro beruhigte seinen hektischen Atem, versank in Konzentration und schloss die Augen. Seine Hand, die schmerzhaft pochte, verlor ihr stetes Zittern. Der schleifende Klang der Scheiben verging. Alles um ihn herum versank in Stille. In Gedanken ließ er die vor ihm liegende Hürde wieder an sich vorbeiziehen. Grünlich schimmernde schemenhafte Klingen zogen an ihm vorbei. Er analysierte ihre gleichmäßigen Bewegungen, suchte einen Weg hindurch. Sein Gespür sagte ihm, ob er richtig lag. Immer wieder waren da kurze Momente, wo er sich sicher fühlte, doch selbst diese hinterließen ein zartes Flackern der Gefahr. Seine Weitsicht hatte ihre Tücken, gab nie gänzlich verlässliche Antworten. Ahiro versuchte, gelassen zu bleiben, auch wenn er langsam unruhig wurde. Sein Atem ging flach und stoßweise. Es würde ein Risiko sein. Neben der Unsicherheit seines Gespürs bedeutete ein Ausrutscher oder dergleichen das Ende.
Plötzlich erkannte er eine Möglichkeit, die sich besser anfühlte als alle anderen zuvor. Die tödlichen Fallen veränderten ihr Schwingverhalten mit der Zeit. Möglicherweise ging dem, was auch immer sie antrieb, die Kraft aus. Er wartete, bis die eben eingetretene Stellung der Klingen wieder eintreten würde. Noch zwei Schwünge, noch einen ...
Er riss die Augen auf und rannte los. Millimeter von ihm entfernt rasten die Klingen herab und zerzausten sein Haar mit dem damit einhergehenden Luftzug. Mit tänzelnden Bewegungen schlängelte er sich weiter nach vorne. Immer wieder wirkte es, als würde er im nächsten Moment getroffen werden, doch jedes Mal entging er dem Tod mit einem galanten Ausweichmanöver. Keuchend ließ er sich auf die Knie sinken, als die tödliche Allee endlich passiert war.
„Du kannst dich nicht lange ausruhen", beschwor Ohrgott ihn, „sie werden sicher gleich kommen, um deine Überreste zu inspizieren."
„Nur werden sie keine finden."
„Du sagst es."
„Also los." Ahiro richtete sich auf, ignorierte seine Erschöpfung und hechtete los. Als er den Gang verließ, betrat er einen ersten unscheinbaren Raum. Erneut verdankte er es nur seinen Sinnen, dass er die Schießscharten in den Wänden bemerkte. Der Boden war von verschieden gefärbten Platten bedeckt, die für ihn aber keinerlei Sinn ergaben.
„Welch tödliche Falle", murmelte Ahiro mit einem fröhlichen Grinsen auf den Lippen, „für jemanden, der nicht weiß, was die Zukunft ihm bringt."
Zielsicher sprang er von einer Platte auf die nächste. Er folgte weder irgendeiner besonderen Farbe noch einem logischen Muster. Einmal ging es nach vorne, dann wieder zur Seite, nur um schlussendlich in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen. Eine gefühlte Ewigkeit später erreichte er das andere Ende, ohne irgendeine Falle ausgelöst zu haben. Es wunderte ihn nicht, dass jeglicher Wächter, den es mit Sicherheit gab, keine Eile hatte. Diese Vorrichtungen kosteten selbst ihn viel Zeit, sie zu überwinden. Jeden anderen hätten sie mit höchster Wahrscheinlichkeit umgebracht.
Schon nach kurzer Wegzeit erreichte er den nächsten Raum, der diesmal nicht mehr von Fallen, sondern von den Parven selbst bewacht wurde. Er schlich sich an den türlosen Eingang und spähte hinein. Die kleinwüchsigen, gedrungenen Gestalten beschäftigten sich mit einem lockeren Kartenspiel. Scheinbar erwarteten sie zu Recht keinen Angriff.
„Dabei hast du doch die Falle ausgelöst", sinnierte Ohrgott in seinen Gedanken.
„Vielleicht schlüpft öfter mal ein Tier hindurch", mutmaßte Ahiro. Er überprüfte rasch ihre Bewaffnung. In ihren Gürteln waren zwei einhändige Beile befestigt. Beine und Arme waren von Lederschienen geschützt. Kettenhemden und Helme hingen fahrlässig an den Wänden. Der Raum wies kaum Einrichtung auf. In einer Ecke stand der Kartentisch, welcher mit drei Stühlen besetzt war. Vielleicht gab es noch einen dritten Wächter. Einige Fackeln, teilweise abgebrannt, beleuchteten den Raum mehr schlecht, als recht. Überraschenderweise roch er kaum Rauch. Dieser zog über Löcher in der Decke ab, als würde er gewaltsam dort hineingesogen.
In der dem Eingang am nächsten Ecke türmte sich der Unrat. Eine Alarmglocke, auf der sich schon eine zentimeterdicke Staubschicht gebildet hatte, hing außerhalb der Reichweite der Wächter an der linken Wand. Ahiro atmete mehrmals tief durch. Seine Voraussicht war zu kurz, um sicher zu sein, dass er beide unbehelligt überwältigen würde. Er fasste Ignatz Griff, der ihm Zuversicht spendete. Er entscheidete die Waffe vollständig und verbarg ihr Flackern mit seinem feuerfesten Mantel. Gerade als einer der Wächter seine Karte hob, um diese auszuspielen, sprang Ahiro aus der Deckung hervor. Der erste Wächter kam gar nicht mehr dazu, sich umzudrehen. Vielleicht bemerkte er noch den entsetzten Blick seines Kameraden, bevor Ahiro ihm den Kopf vom Rest des Körpers abtrennte. Die heiße Klinge glühte auf, als sie in Berührung mit dem Gewebe seines Feindes kam und brannte die Wunde sofort aus.
Ein Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte den Raum und nahm ihm den Atem. Der andere Wächter, ein bärtiger, schwarzhaariger Parve, ließ die Karten los und sah hinüber zu der Alarmglocke. Sie wussten beide, dass er tot wäre, bevor er sie erreichen würde. Ahiro schwang das Feuerschwert in seine Richtung, worauf er sich fallen ließ und das Beil hervorzog. Dummerweise hatte Ahiro dieses Manöver vorhergesehen, weswegen er entsprechend schnell die Klinge nach unten fahren ließ. Der Parve schrie zornig auf und schlug ihm entgegen. Die ungleichen Waffen stießen funkensprühend aufeinander. Er rollte sich zur Seite, um sich aufzurichten, aber Ahiro setzte ihm sofort nach. Ein dritter Parve tauchte in der Türöffnung auf.
„Also doch ein Dritter", fauchte Ahiro verärgert und wich vor seinem ersten Gegner zurück. Er verhinderte gerade noch durch einen Ausfallhieb, dass der Neuankömmling die Glocke läutete. Sein Schwert durchstieß qualmend dessen Rücken und kam aus dem Bauch wieder hervor. Ruckartig zog er es heraus und wand sich seinem letzten Gegner zu. Dieser führte einen wuchtigen Schlag von oben herab, was Ahiro mit der Klinge abwehrte. Aufgrund der geringen Größe des Parven musste er seine Waffe ungewohnt tief halten, was seine Verteidigung erheblich schwächte.
Der Wächter bewegte sich seitwärts auf die Glocke zu. Ahiro wollte ihm den Weg versperren, doch er drängte ihn mit einem waagerecht geführten Axthieb zurück, den Ahiro ins Leere laufen ließ. Er nutzte die Lücke, um ihm vor die Brust zu treten. Der Parve geriet ins Wanken und ließ seine Waffe klirrend fallen. Diesen Moment der Schwäche nutzte Ahiro sofort aus. Er hob Ignatz zu einem vernichtenden Schlag an und ritzte ihm von oben herab den Brustkorb auf.
Er bemerkte die nächste Gefahr zwar, bevor sie eintrat, aber es war zu spät: Scheinbar hatte der andere Parve seinen Schwertstoß überlebt und war zur Alarmglocke gekrochen. Keuchend reckte er sich in die Höhe und betätigte den Seilzug. Ahiro hörte ein Klicken, welches gleich darauf vom Aufkeuchen des Parven, dem er die Waffe in den Rücken schlug, unterbrochen wurde. Dem mechanischen Laut folgte ein schrilles Ringen.
„Sehr gut gemacht Ahiro!", fluchte Ohrgott, aber dieser wischte seinen wütenden Kommentar mit einer lässigen Handbewegung beiseite.
„Woher sollte ich wissen, dass der Kerl mit einem Loch in der Brust noch weiter kriecht?"
Er griff das Schwert linkshändig, um seine malträtierte Waffenhand zu schonen. Der nächste, mit schweren Steinblöcken gemauerte Gang, lag dunkel und bedrohlich vor ihm, aber er kannte keine wirkliche Furcht. Höchstens einen Reiz daran seine Fähigkeiten zu erproben. Ein Verlangen, seine Rachebedürfnisse mit Blut zu stillen.
Mutig lief er hinein. Er hatte keine Zeit mehr zu warten, denn nun würden jeden Moment zusätzliche Wächter zu den bereits Anwesenden stoßen. Von seinem Weg zweigten beinahe alle vier Meter weitere nach links und rechts ab. Er warf jeweils nur einen flüchtigen Blick hinein, um sich zu vergewissern, dass aus diesen keine Armee von Parven hervorquellen würde. Ohrgott versicherte ihm alle paar Minuten, dass er auf dem richtigen Weg wäre, um seine wachsenden Zweifel zu beruhigen. Als sein Glaube, dass der Weg je ein Ende nehmen würde, immer mehr ins Wanken geriet, traf er auf das Ende des Gangs. Eine wuchtige Holztür versperrte ihm den Weg. Instinktiv spürte er, dass sich dahinter eine weitere Gefahr, welcher Art auch immer, befand. Er würde es darauf ankommen lassen müssen. Mit beiden Händen drückte er gegen die mächtigen Türflügel, die sich nur schwerlich bewegen ließen. Kaum war ein genügend großer Spalt offen, zwängte er sich hindurch.
Er bereute diese Entscheidung sofort.
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