Die Gegenwart - Ignatz #2
Er spürte wie seine Haare unter der Einwirkung der Hitze, entbrannten, die Risse, die sich in seiner Haut bildeten, aber er blendete den Schmerz geflissentlich aus. Der Boden wurde brennend heiß und verbrannte seine Hände und Knie. Er biss sich so fest auf die Unterlippe, dass Blut daraus hervortrat.
Keuchend riss er sich nach wenigen Sekunden auf und stolperte den Gang weiter entlang. Sein Körper schien nur noch aus Schmerz zu bestehen. Seine Gedanken kreisten darum, die Qualen zu beenden, Erlösung zu finden. Er hatte viele schreckliche Dinge erlebt, doch diese Pein übertraf alles bisher Dagewesene. Als er eine riesige runde Höhle erreichte, an deren Grund ein brodelnder Lavasee stand, hätte er sich am liebsten in diesen hineingestürzt, aber Ohrgott hielt ihn auf. Es war, als kralle er sich in sein Gehirn, bringe ihn zurück aus der Welt aus Schmerz in die Realität. Ahiro ließ sich erschöpft auf die zerschundenen Knie fallen und atmete aus.
„Ich kann nicht mehr. Lass mich!"
„Wir sind fast da", sagte Ohrgott tonlos. „Gib jetzt nicht auf, Junge."
Ahiro gönnte sich einige Augenblicke, in denen er einfach nur auf die brodelnden Massen unter sich starrte, gegen den Griff in seinem Kopf ankämpfte, während sein ganzer Körper pulsierte. Beißender Schwefelgeruch stieg ihm hierbei in die Nase, was ein Brennen in seinen ohnehin schon malträtierten Atemwegen auslöste.
„Diese Gase bilden mit Wasser eine Säure, welche deinen Körper zerfressen wird. Es wäre ratsam, sie nicht einzuatmen."
Ahiro konnte sich nicht vorstellen, dass irgendetwas sein körperliches Leiden noch Steigern konnte. Er machte eine unwirsche Handbewegung in Richtung seines Begleiters. Schlussendlich trat er dennoch zurück, hielt sich den Stoff seines Oberteils vor die Nase und suchte nach einem Weg nach unten.
„Und du schickst mich da runter?" Er entdeckte einige herausragende Felsstücke. Sie boten die einzige Möglichkeit, nach unten zu gelangen, da die Wände ab einer gewissen Tiefe sicher zu heiß würden, um daran hinabzuklettern.
„Halt die Luft an, so lange es geht."
Ahiro grummelte unwillig, trat ein Stück von dem Abgrund weg und atmete tief ein. Selbst abseits der sichtbaren Dämpfe, die von unten hinaufstiegen, brannte ihm der Atemzug in den Lungen.
„Mach schnell!"
Beherzt tat er den ersten wagemutigen Sprung ungefähr zehn Fuß in die Tiefe. Für einen Außenstehenden musste es wie ein Selbstmordversuch wirken, aber Ahiro wusste, dass er sicher landen würde. Das nächste Trittbrett für ihn nach unten lag gut drei Schritt von ihm entfernt. Er hätte einen derartigen Sprung nie gewagt. Nur das Wissen, dass er es schaffen würde, beflügelte ihn zu Taten, welche sogar über seinen Mut hinausgingen. Er stieß sich kraftvoll ab, erreichte den Vorsprung und verlor auf losem Geröll seinen festen Tritt. Beinahe wäre er in den Abgrund gefallen, aber er hielt sich gerade so noch fest. Der Beutel rutschte ein Stück von seiner Schulter und ein paar der Figuren fielen nach unten in den See. Er wollte nach ihnen greifen, aber er brauchte beide Hände, um sich festzuhalten. Wütend dachte er an die stundenlange Arbeit zurück, die ihn diese kleinen Schätze gekostet hatten.
Die Aufregung hatte ihn atmen lassen. Es fühlte sich an, als würde er an seinem eigenen Erbrochenen ersticken. Als würde jedes Luftholen ihn mehr töten, denn am Leben halten.
Seine Finger waren durch die Verbrennungen schon nahezu taub, sodass er praktisch keinen Schmerz verspürte. Sich hinauf zu hangeln kostete ihn derartige Kraft, dass ihm der Geifer aus den Mundwinkeln troff. Er konnte sich dennoch nur wenige Augenblicke ausruhen und den Beutel festziehen, bis er die nächsten, glücklicherweise etwas näher liegenden Vorsprünge mit kurzen Sprüngen erreichte. So kam er abschnittsweise immer tiefer nach unten.
Mit jedem Meter, dem er dem lavagefüllten Schlund näher kam, wuchs die Hitze und damit die Angst, den Vulkan nicht mehr lebend zu verlassen.
Ob ich zuerst verbrenne oder meine Lunge so verätzt ist, dass ich keinen Atemzug mehr tun kann?
Seine Trinkflasche hatte er bereits während des Aufstiegs geleert. Doch eine Pause würde ohnehin keine Linderung verschaffen. Der säuerliche Geschmack auf seiner Zunge ließ ihn trotzdem ständig an Wasser denken. Wie um es ihm noch schwerer zu machen, wurden die Wände des Schachts immer gerader und boten nur noch kleine Trittmöglichkeiten. Als er schon eine Weile nur noch diese Ausbuchtungen genutzt hatte, stockte er mitten in der Bewegung. Der nächstliegende Stein würde ihn nicht tragen. Er war verjüngte sich in Richtung des Abgrunds und egal welches Szenario Ahiro in Gedanken durchging, er würde davon abrutschen.
Er balancierte mit einem Fuß auf dem faustgroßen Trittstein, berührte immer wieder zögerlich die Wand, um nicht den Halt zu verlieren, und atmete so flach wie möglich.
Er stellte sich vor, den übernächsten Stein mit einem weiten Sprung zu erreichen. Er bot genug Platz, um mit beiden Füßen darauf zu stehen. Zwar erschien kein Bild vor seinen Augen, wie er es manchmal sah, aber er fühlte einen leichten Schmerz, eine Vorahnung auf das, was passieren würde. Die Frage war nur, ob er sich nur wehtun, oder in das flammende Inferno unter ihm fallen würde.
Er sah zweifelnd nach hinten. Sein Weg war der einzige nach unten. Mit jedem Atemzug verließen ihn weiter seine Kräfte.
Was habe ich zu verlieren, dachte er sich schmunzelnd. Wenn ich stürze, dann habe ich zumindest einen schnellen Tod.
Er unterdrückte die instinktive Furcht zu fallen, ging in die Hocke und sprang mit aller Kraft, die er noch innehatte. Mit dem Knie schrammte er über den heißen Stein und riss seine Hose an dieser Stelle vollends auf, landete aber sicher auf dem Vorsprung. Einen stillen Fluch ausstoßend, schlug er mit der Faust gegen den Fels.
Zumindest hatte er überlebt. Er verkniff es sich seine Beine eine Weile zu schonen, denn langsam aber sicher spürte er die immer stärker werdenden Schwefeldämpfe in Augen und Lunge. Tränen bildeten sich in seinen Augenhöhlen und das Atmen kam ihm vor, als würde er sich Brombeerranken den Hals hinunterschieben. Ohne größere Mühe brachte er auch den letzten Teil der Strecke hinter sich. Er war dem Lavasee nun so nahe, dass einzelne Lavatropfen von unten an ihm vorbei spritzten. Sein feines Gespür warnte ihn jedoch immer früh genug.
Vor ihm breitete sich eine weitläufige Höhle aus, auf deren Boden lange erkaltetes Lavagestein wie ein Teppich lag.
„Ich spüre seine Nähe", hauchte Ohrgott ehrerbietig.
Ahiro ließ den Blick durch die vom orangefarbenen Licht erhellte Höhle schweifen. Er blinzelte mehrmals, um die gereizten Pupillen von Tränen zu säubern. Dennoch sah er nichts außer Nebel und glühende Lava.
„Weiter! Weiter!", drängte der dunkle Geist.
Ahiro verdrehte die Augen. Er drang weiter in das Gewölbe ein, das von natürlich gewachsenen Säulen aus Stein gestützt wurde. Die Hitze des Vulkans nahm stetig ab, je tiefer er kam und auch die Luftqualität verbesserte sich zusehends. Gleichzeitig schwand aber auch das Licht. Als die Höhlendecke immer niedriger wurde, hielt er auf Aufforderung Ohrgotts an.
„Hier ist es", sagte er nur.
Ahiro sah sich verwirrt um. „Wo?"
Darauf wusste auch er keine Antwort.
Mit akribischer Genauigkeit untersuchte er die Decke und die nähere Umgebung. Mit den Händen erspürte er eine Erhöhung im umliegenden Gestein. Sie fühlte sich an wie das Heft eines Schwerts.
„Nimm es."
Es bedurfte gar nicht der Aufforderung. Ahiro fasste mit der rechten nach dem Griff und zog kraftvoll daran. Der erwartete Widerstand blieb aus und mit einem rötlichen Glühen glitt die Elementarwaffe hinaus. Staunend betrachtete er die eingeritzten Intarsien, die goldgelb aus der orangeroten Klinge hervorstachen. Das Schwert schien vollkommen aus sanft glühendem Stein zu bestehen. Es hatte eine ungewöhnliche Form, welche an den Reißzahn eines Raubtiers erinnerte, aber nicht in die Scheide seiner alten Waffe passte.
„Ignatz - die Feuerzunge", flüsterte Ohrgott ihm zu.
Die Waffe erglühte in einem unnatürlich hellen Licht, als reagiere sie auf ihren Namen. Ahiro konnte sie sehen: nicht einfach nur die Waffe in seiner Hand, viel eher das Innere dieser. Als besäße sie eine Seele, zu deren Grund er hinabblickte. Es fühlte sich an, als wate er durch ein riesiges Flammenmeer. Ihm war, als könne er jedes Knistern verstehen, als spräche sie in einer geheimen Sprache mit ihm. Eine Sprache, die weniger auf das Hören, sondern viel mehr auf das Fühlen zurückging.
Er sah ein Land, das von unendlich vielen Vulkanen durchzogen war. Sie alle spuckten heiße Lava und Aschewolken in die Höhe, verbrannten alles um sie herum. War das der Beginn ihrer Zeit? Von weit oben, wie als flöge er durch die Luft, sah er die feurigen Massen, die in Flüssen und Bächen durch das Land auf eine zentrale Stelle zuflossen. Ob durch ein tieferes Bewusstsein oder nur durch die Steigung des Geländes gelenkt, jeder Vulkan schickte eine zielgerichtete Lavaspur aus, die sich auf das Zentrum des Inselreichs zu bewegte. Dort bildeten sie einen riesigen See aus heißer Lava, der sich immer weiter vergrößerte.
Auf einmal verlor Ahiro seine Schwerelosigkeit, fiel hinab, tiefer und tiefer. Entsetzt schrie er auf, ruderte wie wild mit den Armen, aber er konnte es nicht verhindern. Sein Körper fiel mitten in den See, tauchte hinab, Hitze hüllte ihn ein. Dort, in den Tiefen des Sees sah er es: Zuerst war er verwundert darüber, dass er keinen Schmerz fühlte, doch dann nahm ihn etwas anderes in den Bann. Die Lava tief am Grund des Sees bildete eine wirbelnde Masse, verfestigte sich zu einer Waffe.
Ruckartig wurde er zurückgerissen, tauchte aus der heißen Lava auf, flog schneller als jeder Pfeil zurück. Sein Geist durchdrang mühelos den dicksten Fels, bis er wieder in seinem Körper angelangt war. Keuchend schüttelte er sich. Er streckte verwundert seine Glieder, um wieder ein Gefühl dafür zu bekommen. Sein Körper fühlte sich an, als hätte er ein langes Bad hinter sich. Sauberer als je zuvor. Der brodelnde Schmerz war vergangen und wäre die Decke nicht so niedrig, er wäre am liebsten gesprungen. Als hätte das Feuer des Schwertes sein Inneres gesäubert, alte Wunden ausgebrannt. Mit einem letzten Blick auf die Elementarwaffe befestigte Ahiro sie notdürftig mit einem Stück Seil an seinem Gürtel, bevor er die erste Erschütterung bemerkte. Von einem auf den nächsten Augenblick ging die Welt um ihn herum im Chaos unter. Der Vulkan wurde im Sekundentakt von starken Beben durchzogen, die ihn beinahe von den Beinen warfen. Fluchtartig verließ er die Höhle. Das Magma war in Bewegung gekommen. Unter der Oberfläche blubberte es wie verrückt.
„Der Vulkan wird bald ausbrechen, du musst hier raus!"
„Ist dir das auch schon aufgefallen?!", fragte Ahiro unwirsch und verfolgte seinen Weg zurück.
„Hättest du dir nur den Greifhaken aufgehoben."
„Dann wäre ich jetzt nicht hier."
„Du hättest den Dolch benutzen können."
„Nur über meine Leiche."
„Das kannst du jetzt vielleicht haben."
Der Weg aufwärts war um einiges schwerer als nach unten. Bei jeder Erschütterung spritzte die Lava funkensprühend umher. Er achtete nicht auf sein Gefühl, sondern schritt zügig voran, sprang von Vorsprung zu Vorsprung. Oftmals musste er nun doch an der sengend heißen Wand emporklettern, die seine Haut schwarz verbrannte. Er dankte dem noch anhaltenden Hochgefühl in seinem Inneren, das ihm den Schmerz erträglicher machte. Die steigende Hitze ignorierte er geflissentlich, genauso wie die völlige Erschöpfung, die sich seiner schon lange bemächtigt hatte. Als er oben angekommen war, strömte eine ganze Woge der giftigen Schwefeldämpfe herauf und beraubte ihn seines Atems. Er schrie vor Pein auf, als seine Atemwege verätzt wurden. Hustend kam er nur einige Schritt weit, bis er am Höhlenausgang zusammenbrach.
Das ist das Ende.
„Atme weiter!", schalt ihn Ohrgott.
In Ahiros Innerem brannte es. Nur schwerfällig schaffte er es, einen winzigen Atemzug zu tun. Die klare Luft hier draußen war wie Balsam für seine Lungen. Schnaubend zwängte er weiteren Sauerstoff in sein Inneres, bis er seine Glieder wieder rühren konnte.
„Du musst schneller sein", beschwor ihn Ohrgott und auch wenn er nicht gern auf seinen Gefährten hörte, so stimmte er ihm doch zu. Ihm blieb nur eine Möglichkeit. Eine Gestalt, in der er den Weg nach unten schneller schaffen könnte.
Er konzentrierte seine letzten Reserven. Sein Rücken bog sich ruckartig nach oben und ließ ein brutales Knacken verlautbaren, seine Kleidung verschmolz mit seiner Haut. Aus seinem ganzen Körper wuchs silbernes, dichtes Fell. Seine Gesichtsknochen zerplatzten und sein Antlitz verbog sich, bis es spitz zulief und langsam wolfsartige Züge annahm. Binnen weniger Augenblicke war die grotesk anmutende Verwandlung abgeschlossen. In Gestalt eines Wolfes hechtete er los. Er hatte diese Seite an sich erst vor Kurzem entdeckt und bewegte sich dementsprechend ungeschickt.
Unsicher über die Ausmaße seines Körpers blieb er immer wieder an Wänden hängen und riss sich die Haut an scharfkantigen Felsen auf. Eine Explosion ließ ihn innehalten. Dicker, undurchdringlicher Rauch schwängerte die Luft und eine Hitzewelle breitete sich über ihn aus. Sofort verspürte er wieder das ätzende Gefühl in seinen Atemwegen.
Er hielt die Luft an und sprang mit großen Sätzen den viel zu steilen Hang hinab. Wäre er erfahrener gewesen, so hätten ihm seine Krallen vielleicht etwas Halt geboten, aber so überschlug er sich mehrfach, rutschte ganze Passagen hinab und überlebte nur, da ihn Felsvorsprünge immer wieder abbremsten. Am Fuße des Vulkans angekommen, war sein Fell blutverschmiert. Ginge es nicht um sein Leben, hätte er sich ungeachtet jeglicher Gefahr einfach fallen gelassen, aber der Rauch, der sich, nun da er tief durchatmete, wieder in seinen Lungen ablegte und der drohende Ausbruch des Vulkans, trieben ihn voran. Während er über das verdorrte Land lief, spuckte der riesige Berg Feuer und Asche. Ein lautes Knallen kündigte jedes Mal eine neue Ladung an, vor der er sich in dem baumlosen Gebiet praktisch nicht schützen konnte. Ahiro ignorierte glühend heiße Ascheteile, die sein Fell verbrannten.
Was war noch so schlimmer Schmerz im Vergleich zum Tod? Im Vergleich dazu, versagt zu haben. Sein erster Erfolg ließ eine Welle von Euphorie in ihm aufsprühen. Er warf einen Blick über die Schulter. Flüssiges, tiefrotes Gestein floss aus dem Krater des Vulkans und breitete sich rasend schnell aus. Ein umherliegender Stein riss ihn von den Beinen. Innerlich verfluchte er sich dafür, überhaupt zurückgesehen zu haben. Als er sich wankend wieder erhob, spürte er einen stechenden Schmerz in der vorderen Pranke. Als er diesen ignorieren wollte, um weiter zu ziehen, verstärkte er sich um das Tausendfache. Er zog die Pfote winselnd an seinen Körper und lief mehr schlecht als recht mit drei Beinen.
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