6 - Eine unerwartete Einladung
꧁✧⭑✩⭑⚔︎⭑☾ Eine unerwartete Einladung ☽⭑⚔︎⭑✩⭑✧꧂
Levis Tränen waren inzwischen getrocknet, trotzdem starrte er immer noch zusammengekauert an die eiserne Wand direkt vor ihm. Er saß schon seit Stunden in derselben Position. Seine Glieder waren steif und schmerzten. Die Kälte der Metallzelle war ihm in jeden Knochen gefahren. Er zitterte am ganzen Leib. Über ihm schien ein sanftes, rötliches Licht durch das Fenster und zauberte glühende Streifen an die Wand über seinem Kopf. Die Morgendämmerung hatte eingesetzt.
Levi war sich inzwischen sicher, dass der Magier nicht mehr auftauchen würde, um ihn zu retten. Er würde ihn in dieser Zelle verrotten lassen. Zusätzlich zu seinen schmerzenden Extremitäten fühlte sich seine Blase an, als würde sie bald platzen. Er versuchte nicht darüber nachzudenken, wann der Moment kommen würde, an dem ihm sein letztes bisschen Würde egal sein würde. Dem Kater ging es nicht besser. Immer wieder mauzte er verzweifelt und ließ die Schnurrbarthaare traurig hängen.
Levi hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, doch jetzt fielen ihm langsam die Augen zu. Er wehrte sich dagegen, doch verlor er den Kampf und döste langsam ein.
Ein seltsam warmes Gefühl in seiner Hosentasche weckte Levi aus seinem traumlosen Halbschlaf. Verwirrt griff er an sein Bein. Es strahlte so viel Wärme aus, dass sein Körper sich plötzlich wie von alleine regte. Vorsichtig, damit die Zelle nicht zu sehr schwankte, erhob er sich aus seiner sitzenden Position. Seine Knie knackten ungesund. Der Kater blickte fragend zu ihm auf. Draußen dämmerte es immer noch. Er hatte also nicht lange geschlafen. Dann griff er in seine Hosentasche, um herauszufinden, was ihm so plötzlich Wärme spendete.
Schon als seine Finger den runden Gegenstand umfassten, wusste er, was er hervorziehen würde. Er behielt recht. In seiner Hand befand sich die Taschenuhr, die der Offizier ihm abgenommen und zurück an den Eisprinzen gegeben hatte. Jetzt war sie wieder hier bei ihm in seiner Hand. Der rote Edelstein in der Mitte des Schmuckstücks leuchtete rosa. Die Magie, die von ihm ausging, erfüllte Levis Körper mit neuen Lebenskräften und schenkte ihm Hoffnung. Erleichtert atmete er aus, presste die Uhr an seine Brust und lehnte sich gegen die kühle Wand. Plötzlich gab sie hinter ihm nach. Levi schrie los. Er spürte den kalten Wind, der an seinem Körper zerrte. Der freie Fall raubte ihm die Luft zum Atmen. Und dann schlug er auf seiner Matratze auf.
Das Metallgestell ächzte unter dem Aufprall seines Körpers. Dann war es still. Levi bewegte sich nicht. Er starrte an seine Zimmerdecke, krallte sich mit den Fingern in seine Bettdecke. Eine einzelne Träne löste sich aus seinem Augenwinkel und rann seine Wange entlang. Der Kater schmiegte sein Köpfchen an seine Wange, als wollte er ihm damit sagen, dass nun alles wieder gut war.
Levi lag noch eine Weile regungslos im Bett, als es leise an seiner Zimmertür klopfte. Aiko, schoss es ihm durch den Kopf. Die Arbeit, dachte er als Nächstes. Er verzog sein Gesicht. Nach dieser zermürbenden Nacht – und diesmal war er sich sicher, dass es kein Traum war, denn er trug immer noch das weiße Hemd und die dunkelgrüne Kniebundhose – würde er nicht zur Arbeit gehen können. Sein Körper schmerzte und seine Muskeln waren immer noch eiskalt.
Nachdem er sich schnell etwas anderes angezogen hatte, gab er Aiko Bescheid, dass er sich krank fühlte. Fürsorglich wie sie war, bereitete seine Mitbewohnerin ihm sofort einen Kräutertee zu, während Levi bei der Arbeit anrief und seinem Chef mitteilte, dass er heute nicht kommen konnte. Dieser war gar nicht erfreut über diese kurzfristige Krankmeldung, grummelte etwas Unverständliches in den Hörer und legte schnaubend auf. Levi war es egal.
Während er mit einem angewinkelten Bein im Bett saß, vorsichtig an dem heißen Tee schlürfte und dabei den Kater hinterm Ohr kraulte, ließ er Revue passieren, was letzte Nacht alles passiert war. Er versuchte zu verstehen, was es mit dem Magier, beziehungsweise dem Eisprinzen, auf sich hatte. In seinem Inneren tobte ein Sturm aus Gefühlen. Wut über das Verhalten des Prinzen wechselte sich ab mit der Erleichterung darüber, dass die Uhr aufgetaucht war und er nicht mehr in dieser schrecklichen Zelle saß. Gleichzeitig war er verwirrt und dann wieder verzweifelt, weil er nicht wusste, was er nun mit diesem verfluchten magischen Schmuckstück anfangen sollte, das schon wieder den Weg zu ihm zurückgefunden hatte.
Aiko streckte den Kopf zur Tür herein. „Ihr habt euch angefreundet?", fragte sie mit einem neckischen Blick zu dem Kater. Levis Mundwinkel zuckte nach oben. Wenn Aiko wüsste, was die beiden durchgemacht hatten. „Brauchst du noch etwas, bevor ich gehe?"
Levi lächelte ihr zu. „Nein, alles gut. Danke für den Tee, Ai."
Ihr niedliches Lächeln erschien. „Gut. Du kannst mich jederzeit anrufen, falls irgendwas ist. Und nach der Uni kaufe ich noch Katzenfutter, solange kannst du ihn mit meinem Lachs füttern." Levi grinste dankbar, bevor seine Mitbewohnerin sich auf den Weg zur Uni machte.
Nachdem Levi sich unter der Dusche aufgewärmt und dann eine Zeit lang grübelnd im Bett gelegen hatte, sprang er mit neuer Energie auf. Er musste diesem Gedankenkarussell entkommen und einfach mal abschalten. Er schnappte sich also seinen schwarzen Jutebeutel, versenkte seinen Roman darin und schlüpfte in seine Chucks. „Kommst du mit, Kater?"
Der Stubentiger hatte sich in Levis Bett zusammengerollt und leise schnurrend geschlafen. Mit müden, grünen Augen schaute er zu Levi auf, dann streckte er sich und sprang mauzend vom Bett. Zusammen gingen sie in den Park. Levi setzte sich auf seine Lieblingsbank im Schatten, während der Kater sich neben ihn in die von der Sonne aufgewärmte Wiese legte und weiter döste. Das Blättermeer über Levi rauschte sanft im Wind und bewegte die Sonnenflecken auf ihm hin und her. Es hatte etwas Beruhigendes.
Gerade als er sich so richtig in sein Buch vertieft hatte, setzte sich jemand neben ihn. Er schaute nicht auf. Er mochte es nicht, wenn sich Fremde zu ihm setzten. Am Schlimmsten war es für ihn, wenn diese Personen dann auch noch Smalltalk führen wollten, wo er doch einfach nur seinen Roman genießen wollte. Doch der Fremde blieb stumm.
Die Brise, die immer wieder die Blätter über Levi bewegte, trug eine sanfte Duftnote nach Orangenblüten an seine Nase. Sofort hob er den Kopf, drehte sein Gesicht zu dem Fremden und blickte in die freundlichen, hellgrauen Augen des Magiers. Levi klappte der Kiefer nach unten. Er hatte sich die letzten Stunden ausgiebig ausgemalt, was er dem Magier alles an den Kopf werfen würde, nur um jetzt doch wieder zu verstummen.
„Hallo, Levi", sagte dafür der Magier.
„Hallo Levi? Mehr hast du nicht zu sagen?", brodelte es nun doch aus Levi hervor. „Du wusstest, dass ich in dieser gottlosen Zelle hocke und hast trotzdem bis zum Morgen gewartet, bevor du mir deine verdammte Uhr, die du by the way gerne wieder zurückhaben kannst, in die Tasche gezaubert hast und jetzt tauchst du hier auf, als wäre nichts gewesen?"
Mio presste die Lippen zusammen, ließ die Standpauke mit schuldbewusster Miene über sich ergehen und wartete geduldig ab, bis Levi all seiner Wut Luft gemacht hatte.
Levi zitterte, hatte ohne das Lesezeichen zwischen die Seiten zu klemmen, sein Buch zugeklappt und neben sich auf die Bank gelegt. Seine Unterlippe bebte, als er an das in der Luft hängende Gefängnis zurückdachte, in dem er über Stunden in Ungewissheit gesessen hatte.
„Es tut mir leid!", brachte der Magier hervor, nachdem Levi sich beruhigt hatte. „Ich wusste nicht, dass du in Vaporia warst und als mir klar wurde, dass du in dieser Wolkenzelle sitzt, konnte ich an nichts anderes denken, als dich daraus zu befreien." Levi schnaubte wütend, doch Mio sah aus, als würde er es ernst meinen. Er hatte seine Augenbrauen zusammengezogen und knetete nervös seine Hände. Von den kühlen Gesichtszügen des Eisprinzen, war keine Spur mehr übrig. Erst jetzt bemerkte Levi, dass Mio normale Kleidung trug. Eine helle Jeans und einen beigen Pullover, der zu groß an dem schlanken Körper hing. Jetzt sah der selbstbewusste Magier plötzlich aus wie ein kleiner Junge, der etwas ausgefressen hatte.
„Warum hast du mir dann nicht eher geholfen?", fragte Levi, der sich unterdessen wieder beruhigt hatte.
Mio blickte auf seine Hände, kaute auf seiner Unterlippe und hob den Blick dann wieder zu Levi. „Es ist mir verboten, in der Stadt zu zaubern ... überhaupt zu zaubern. Ich musste einen Augenblick abwarten, in dem meine Eltern es nicht mitbekommen konnten. Doch dieser vermaledeite Tanzabend zog sich bis in die Morgenstunden. Es tut mir wirklich leid, das musst du mir glauben." Seine Augen glänzten traurig und besänftigten Levis bis eben noch wütendes Gemüt.
„Okay", seufzte der Rosahaarige und sofort breitete sich ein vorsichtiges Lächeln auf Mios Lippen aus, das seine Grübchen zum Vorschein brachte.
Ohne es zu erwidern, griff Levi in seine Hosentasche, zog die Taschenuhr hervor und streckte sie Mio entgegen. Sofort erstarb das Lächeln wieder. „Behalt sie bitte", meinte der Magier. Levi zögerte. Er hatte sich geschworen, die Uhr so bald wie möglich loszuwerden und diesem Eisprinzen niemals zu verzeihen, und dennoch brachte ihn der flehende Blick des Magiers dazu, die Uhr seufzend zurück in seine Hosentasche zu schieben.
„Ich will es wiedergutmachen", meinte Mio lächelnd, als er die Geste sah. „Meine Eltern veranstalten in drei Tagen einen Ball. Ich lade dich dazu ein."
Levi zog eine Augenbraue nach oben. „Einen Ball?"
„Ja, genau. Nicht so etwas Stupides, wie die Veranstaltung gestern, sondern eine richtig große Feier im Palast. Ich würde mich sehr freuen, wenn du dabei wärst. Ich will wiedergutmachen, was du meinetwegen erleben musstest, bitte."
„Ich weiß nicht ...", murmelte Levi. Er hatte Mio die Sache noch nicht ganz verziehen und dieser königliche Ball hörte sich nicht an, als würde Levi sonderlich gut dorthin passen. Doch die bettelnden hellgrauen Augen hielten ihn davon ab, direkt abzusagen. „Ich überlege es mir noch."
Der Magier nickte glücklich. „Gut, dann komme ich in drei Tagen zu dir und wenn du dann möchtest, gehen wir zusammen zu dem Ball."
Levi seufzte. Was hatte er sich nun schon wieder eingebrockt?
„Du hättest mir übrigens schon bei unserem ersten Treffen sagen können, dass du ein Prinz bist", meinte Levi und blickte ernst in die hellgrauen Augen.
Der Magier zuckte mit den Schultern. „Glaub mir, der Magier ist dir lieber, als der Prinz", antwortete er kichernd.
„Aber auf den Ball hat mich der Prinz eingeladen?", fragte Levi verschmitzt nach.
Ohne den Blick von Levi abzuwenden, streifte sich Mio eine silberne Strähne hinters Ohr, die sich aus seinem lockeren Zopf gelöst hatte und antwortete: „Vielleicht eine Mischung aus beidem. Offiziell der Prinz, inoffiziell der Magier."
Plötzlich mischte sich der Kater ein und sprang auf die Bank.
Mios Lächeln wurde zu einem schiefen Grinsen. „Nanu, du bist ja immer noch eine Katze. Du hättest dich doch schon längst zurückverwandeln müssen", meinte er und streichelte dem Kater über den Kopf. Seine Worte brauchten ein paar Sekunden, um von Levis Gehirn verarbeitet zu werden.
„Moment mal", hauchte Levi. Fassungslos schaute er erst den Prinzen und dann den Kater an. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen, als er die Narbe des Katers sah, und die ihn plötzlich an jemanden erinnerte. „Sag mir nicht, dass das einer der verzauberten Jugendlichen ist!"
Mio kicherte. „Oh doch. Genau das. Aber ich habe keine Ahnung, warum er sich nicht zurückverwandelt hat. Der Zauber hätte sich nach kurzer Zeit wieder auflösen müssen. Aber seine neue Gestalt scheint ihm zu gefallen." Der Kater schnurrte laut, schmiegte sein Köpfchen immer wieder aufdringlich in Mios Hand, der ihn zärtlich streichelte.
„Das ist mir wirklich zu viel", stöhnte Levi und sank auf der Bank zusammen. „Ich hab einen Jugendlichen in meinem Bett übernachten lassen? Dafür komme ich in den Knast."
Mio schaute etwas verdutzt und brach dann in schallendes Gelächter aus. „Du hast eine Nacht in einer Wolkenzelle überlebt. Eure Gefängnisse sind ein Spaziergang dagegen."
„Zu früh, mein Lieber", grummelte Levi, doch konnte er ein Zucken seines Mundwinkels nicht unterdrücken.
Ohne Vorwarnung erhob sich der Magier plötzlich aus seiner Position und stand vor Levi. Der Kater mauzte protestierend, doch Mio ignorierte ihn. Er blickte auf Levi herab, der ihn verblüfft anschaute. „Ich muss jetzt wieder los, bevor sie meine Abwesenheit bemerken. Ich hole dich in drei Tagen abends ab." Er lächelte spitzbübisch, was seine Grübchen besonders zur Geltung brachte und verpuffte, direkt vor Levis Augen. Levi starrte den nach Orangenblüten duftenden Qualm an, der als einziges von dem jungen Mann übrig geblieben war.
„Hast ... hast du das auch gesehen, Kater?", stotterte Levi und wurde sich in diesem Moment der Ironie bewusst, dass er mit einem verzauberten Jugendlichen sprach. Der Kater mauzte entrüstet über das plötzliche Verschwinden, während Levi weiter plapperte: „Er hat mir gar nicht gesagt, wann er genau kommen wird. Und muss ich was Bestimmtes anziehen? Wo holt er mich eigentlich ab? Er weiß doch nicht, wo ich wohne, oder treffen wir uns wieder hier im Park? Der Typ macht mich wahnsinnig, Kater."
„Mauz", bestätigte der Kater.
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