23 - Der Priester
꧁✧⭑✩⭑⚔︎⭑☾ Der Priester ☽⭑⚔︎⭑✩⭑✧꧂
Hinter dem Tempel, in dem sie auf Wayan Surya Hanuman, den Priester, getroffen waren, erstreckte sich ein wunderschön angelegter Garten. Überall sprossen üppige Dschungelpflanzen. Der Garten war von einer Mauer aus schwarzem Gestein umgeben, die den heiligen Bereich von der restlichen Stadt abgrenzte. Inmitten dieses grünen Paradieses standen mehrere Hütten aus hellem Holz, die im Sonnenlicht golden schimmerten. Sie waren weit schöner und gepflegter als die einfachen Gebäude der Stadt. In einigen lebten die Heilerinnen und Heiler des Priesters, die hier ausgebildet wurden, während andere als Unterkünfte für Gäste dienten. Die größte und prachtvollste Hütte befand sich genau in der Mitte des Tempelgartens. Die Balken waren in einem dunklen Rot getüncht und mit kunstvollen Schnitzereien verziert. Dort lebte der Priester.
Levis und Mios Hütte war schlicht eingerichtet. Die Wände und Decke bestanden aus hellen Holzbalken. Der Boden war mit Bastteppichen bedeckt und die Luft roch nach frischen Blumen und Kräutern. In der Mitte des Raumes standen zwei knöchelhohe Betten aus Holz, auf denen dicke, weiche Matratzen lagen. Über den Betten hingen weiße Baldachine, die nachts vor Stechmücken schützen sollten und gleichzeitig den Raum in eine gemütliche Atmosphäre tauchten. Aus der Ecke des Raumes blickte sie eine Affenfigur aus Stein an. Davor lagen bunte Blüten und eine kleine Messingschale, von der ein dünner weißer Rauchfaden in die Luft stieg. Levi fand den Affen unheimlich.
Auf beiden Betten lag traditionelle Kleidung bereit, die sich Levi nach der wohltuenden Dusche zögerlich anzog: Eine weite, cremefarbene Hose, die am Bund mit einem eleganten, goldenen Gürtel zusammengehalten wurde. Dazu trug er ein passendes Oberteil aus einem leichten, weißen Stoff, bestickt mit feinen, goldenen Verzierungen entlang des Kragens und der Ärmel. Missmutig zupfte Levi an der Hose, als könnte er das Gefühl der Fremdheit damit vertreiben.
Im Gegensatz zu Levi gefiel sich Mio in der traditionellen Kleidung. Die dunkelrote Farbe und die goldenen Verzierungen passten perfekt zu seiner selbstbewussten Erscheinung. Mit einem verschmitzten Grinsen musterte er Levi. „Du siehst gut aus", sagte Mio und trat auf ihn zu. Levi zuckte mit den Schultern und betrachtete sich im Spiegel. „Es fühlt sich komisch an", murmelte er.
Mio schüttelte amüsiert den Kopf. Mit einer sanften Bewegung zog er Levi in seinen Arm, seine Hand streichelte über seinen Rücken und stoppte erst an seiner Hüfte. In Levis Brust breitete sich ein angenehmes Kribbeln aus. Als ihre Lippen sich trafen, war es wie immer ein vertrautes Gefühl, ein sanftes Zusammenspiel, das die Zeit für einen Moment stillstehen ließ. Der Kuss war weich und vorsichtig und trotzdem intensiv. Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach ihre Zärtlichkeit. Ein wenig enttäuscht darüber, löste sich Levi aus Mios Kuss.
„Teurer Prinz?" Die Stimme von Ketut Sarin drang durch das Holz. „Priester Wayan Surya Hanuman bittet euch zum Essen."
Im Garten warteten bereits Ennio und Sarkan. Beide trugen frische Kleidung, die jedoch deutlich schlichter war als die feinen Stoffe, die Mio und Levi trugen. Sarkan zog an dem Stoff, als würde er ihn einengen. „Ich sehe aus wie ein verdammter Priester", murrte er und schüttelte den Kopf, als Mio und Levi auf sie zukamen.
„Und gleich predigst du uns was über deine heilige Aeris", entgegnete Ennio, wobei sich ein schelmisches Grinsen auf sein Gesicht legte. „Oh großer Sarkan, sage uns, wann die Aeris wieder flugbereit ist."
Sarkan schnaubte, aber bevor er etwas erwidern konnte, kamen Vexira und Andiana aus der entgegengesetzten Richtung auf sie zu. Andiana stützte sich auf Vexiras Arm, ihr Lächeln war unbeschwert. Sie trug einen farbenfrohen Sarong, dessen Muster aus leuchtenden Blüten bestand. Sie wirkte trotz ihrer Verletzung deutlich entspannter als Vexira. Diese schien sich in ihrer Kleidung unwohl zu fühlen. Ihr Sarong war quietschgelb mit einem auffälligen, orangen Muster.
„Andi, ich wusste gar nicht, dass du auch hübsch aussehen kannst", neckte Ennio seine Zwillingsschwester. Andiana hob eine Augenbraue und boxte ihren Bruder in die Seite. „Hübscher als du allemal."
Mio lachte leise und verschränkte die Arme. „Lustig. Ich hätte euch bei Hofe engagieren sollen." Levi warf Mio einen warnenden Seitenblick zu.
„Das würde dir so passen, Goldjunge", meinte Ennio, dessen Grinsen noch breiter wurde. „Aber so viel Kohle könntest du gar nicht in Gold verwandeln, dass ich für dich den Hofnarren spielen würde."
Gespielt enttäuscht schüttelte Mio den Kopf. „Ach, Ennio, ich glaube, dir könnte man nicht mal mit einem ganzen Sack voll Gold so viel Manieren beibringen, dass man dich auf die feine Gesellschaft der oberen Ebenen loslassen könnte."
Vexira musterte beide mit einem scharfen Blick. „Ihr seid einander wirklich ebenbürtig: Beide ohne Anstand und mit großer Klappe. Können wir jetzt? Ich glaube, der Priester hat Wichtigeres zu tun, als auf euch Streithähne zu warten."
An der Anspannung in Mios Körper merkte Levi, dass es dem Prinzen missfiel, von seiner Leibwächterin zurechtgewiesen zu werden. Doch er hielt sich zurück und gab keine Antwort. Stattdessen stolzierte er mit erhobenem Kopf mitten durch die kleine Gruppe, wobei er Levi hinter sich herzog.
So fürstlich, wie die prachtvolle Hütte des Priesters von außen erschien, so schlicht war sie im Inneren. Ein großer, heller Raum, der nur von einer Trennwand aus grobem Bast im hinteren Bereich unterbrochen wurde – wahrscheinlich der Rückzugsort des Priesters. Die Wände waren nicht verziert, sondern ließen das Material in seiner natürlichen Form wirken. Auf dem Boden lag ein großer, handgefertigter Teppich aus geflochtenem Bast. Er war in sanften Erdtönen gehalten. Dezente Muster schlängelten sich fast meditativ in Kreisen darüber. In der Mitte des Raumes stand eine reich gedeckte Tafel, drum herum lagen runde Sitzkissen bereit.
Levi betrachtete die Köstlichkeiten auf dem Tisch. Der Duft von gewürztem Reis mischte sich mit dem der Currys, die nach Kokosnuss und Ingwer rochen. Auf einem geschnitzten Brett in der Mitte des Tisches lag ein goldbraunes Stück Fleisch. Levi lief bei dem Anblick das Wasser im Mund zusammen.
Der Priester saß bereits zusammen mit Ketut Sarin und weiteren Heilerinnen und Heilern an der Tafel. Seine Ausstrahlung durchdrang den Raum, während er mit einer Geste zur Ruhe bat. „Willkommen, meine Freunde", ertönte Wayan Surya Hanumans sonore Stimme. „Setzt euch, es ist mir eine Ehre, euch in meinem bescheidenen Heim zu empfangen." Er deutete auf den Platz zu seiner Linken. „Teurer Prinz, nehmt bitte hier Platz."
Levi setzte sich an Mios Seite, der Rest der Gruppe verteilte sich um den Tisch. Sarkan ließ sich ächzend auf einem der Kissen nieder, während Andiana sich sichtlich wohl in der ungezwungenen Atmosphäre fühlte. Vexira, die sich zwischen die Zwillinge setzte, warf einen prüfenden Blick auf das Essen. Ein Bediensteter trat heran und füllte ihre Tonbecher mit frischem Wasser. Der Priester neigte seinen Kopf zum Gebet. „Mögen die Götter uns mit Weisheit segnen", schloss er ab und eröffnete das Mahl. Die Heilerinnen und Heiler nickten zustimmend. Ihr Gesichtsausdruck war ebenso ruhig wie der des Priesters, als seien sie in perfektem Einklang mit ihrer Umgebung.
Ein Grinsen breitete sich auf Levis Gesicht aus, als er Ennio und Sarkan beobachtete, wie sie sich auf das Essen stürzten – als hätten sie tagelang nichts gegessen. Er nahm ebenfalls etwas auf seinen Teller. Ein kurzer Blick zu den Einheimischen verriet ihm schnell, dass hier mit den Fingern gegessen wurde. Während er aß, lauschte Levi dem Gespräch, das sich zwischen dem Priester und Mio entfaltete. Der Priester hatte sich zu Mio gewandt und musterte ihn mit seinen dunklen Augen. „Was genau hat Euch auf unsere Insel geführt, Prinz von Vaporia?", fragte er.
Mio zögerte einen Moment, bevor er antwortete. „Seit ich ein Kind bin, verfüge ich über magische Fähigkeiten, aber niemand konnte mir je beibringen, wie ich sie richtig kontrollieren kann." Er machte eine kleine Pause, als würde er überlegen, wie viel er preisgeben sollte. „Ich habe gehört, dass Taman Awan reich an Magie ist und ich hoffe, dass hier vielleicht jemand in der Lage ist, mir zu helfen."
Der Priester nickte interessiert. „Es ist erstaunlich, dass jemand von einer so westlichen Insel wie Vaporia noch Magie in sich trägt. Viele Inseln haben ihre Verbindung zur Natur längst verloren. Das Gleichgewicht ist gestört und ohne dieses Gleichgewicht gibt es kaum noch Magie. Es wäre mir eine Ehre, zu helfen, Eure Kräfte zu stärken." Der Priester blickte ihn entschlossen an, als er fortfuhr: „Vielleicht könnt Ihr, wenn Ihr die Magie beherrscht, Frieden und Gleichgewicht auf Eure Heimatinsel zurückbringen."
Der Prinz strahlte bei dieser Antwort. „Das bedeutet mir wirklich viel. Ich danke Euch, Priester Wayan Surya Hanuman!" Dann trank er einen Schluck aus dem Tonbecher und fuhr fort: „Noch etwas anderes: Unser Luftschiff wurde bei der Bruchlandung beschädigt. Andiana, unsere Monteurin, benötigt verschiedene Materialien für die Reparatur."
„Das wird kein Problem sein", antwortete der Priester. „Morgen werde ich euch zu Ketut Besi führen. Er ist ein Tüftler und hat schon oft beschädigte Luftschiffe repariert, die hier ankamen. Ketut Besi sammelt allerlei Dinge, die hier bei uns auf der Insel landen und den andere vielleicht als Müll betrachten würden. Er wird eurer Monteurin bei der Reparatur des Luftschiffes gerne weiterhelfen."
Andiana, die ihren Namen gehört hatte, nickte dem Priester dankbar zu. „Das wäre toll", sagte sie leise.
Der Priester musterte sie mit einem sanften Lächeln. „Ich habe außerdem gesehen, dass du verletzt bist", sagte er. „Komm später zu mir, ich möchte es mir ansehen. Ich bin sicher, ich kann dir helfen. Und bringe deinen Bruder mit. Mir ist nicht entgangen, dass er seinen linken Arm schont."
Andiana nickte höflich. „Danke, das ist sehr nett."
Levi war angetan von der Beobachtungsgabe und der Hilfsbereitschaft des Priesters, vor allem freute er sich darüber, dass er Mio helfen würde. Auch Mio wirkte gelöst. Das Gespräch zwischen dem Priester und dem Prinzen drehte sich inzwischen wieder um Magie. Mio lachte laut und herzhaft, der Priester lächelte dabei. Levi wurde es warm ums Herz, während er seinen Prinzen beobachtete. Mios Augen glänzten, die Anspannung der vergangenen Tage war von ihm abgefallen.
Die Gespräche am Tisch verstummten mit der Zeit, als sich alle gesättigt zurücklehnten. Schließlich klopfte Wayan Surya Hanuman auf die Tischplatte und alle Augen richteten sich auf ihn. „Ich hoffe, ihr habt das Essen genossen", begann er. „Zu Ehren unserer Gäste und unseres Gottes Surya möchten wir heute eines unserer wichtigsten Rituale durchführen, den Feuertanz."
Ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Heilerinnen und Heiler. „Es ist ein uraltes Ritual", erklärte der Priester. „Der Feuertanz ist ein Gebet an die Götter, ein Ritual der Reinigung und der Verbindung mit den Elementen. Es mag euch fremd erscheinen, doch wir glauben, dass es auch für diejenigen, die unsere Insel besuchen, reinigend und heilsam wirkt."
„Es wird uns eine Ehre sein, daran teilzunehmen", antwortete Mio.
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