21 - Ein verhängnisvoller Sturm
꧁✧⭑✩⭑⚔︎⭑☾ Ein verhängnisvoller Sturm ☽⭑⚔︎⭑✩⭑✧꧂
„Ich werde die anderen zusammentrommeln. Wir kommen bald in Taman Awan an und sollten uns vorher besprechen", meinte Mio. Levi sah von seinem Liebesroman auf, in den er sich schon den ganzen Vormittag vertieft hatte.
„Ist gut", sagte er mit einem flüchtigen Lächeln, bevor sein Blick wieder in die Seiten des Buches wanderte.
Mio nahm seine Hand von Levis Oberschenkel und stand auf. Er streifte sich die Hose glatt und machte sich auf die Suche nach der restlichen Crew.
Ennio hatte sich eine der Soldatenkabinen ausgesucht. Karg und eng, mit Stockbetten, einem schmalen Schreibtisch und ohne Fenster - ein klaustrophobischer Albtraum für jemanden wie Mio, der an Luxus gewöhnt war. Warum ausgerechnet dieses Zimmer? Aber Ennio schien ohnehin immer darauf bedacht, anders zu sein. Ein ungehobelter Klotz. Allein seine Nähe löste in Mio Wut aus. Dabei war er sich durchaus bewusst, dass Ennio fast sein Leben für ihn geopfert hatte. Aber vermutlich machte ihn genau das so wahnsinnig, denn jetzt war er diesem Rüpel auch noch etwas schuldig. Zu allem Überfluss schien Ennio etwas für Levi übrigzuhaben, zumindest suchte er öfters dessen Nähe, als es Mio lieb war.
Mio stand vor der Tür des Arbeiters, die Hände zu Fäusten verkrampft, knirschte er mit dem Kiefer, bevor er die Hand erhob und gegen das kalte Metall klopfte. Ennio saß am Schreibtisch, den Oberkörper zur Tür gedreht. Seine Augen verengten sich, als er Mio erkannte. „Was willst du, Goldjunge?"
Innerlich schreiend, versuchte Mio seine Fassung zu bewahren. „Wir erreichen bald Taman Awan. Wir sollten uns vorher besprechen."
„Aha, diesmal also keine königlichen Alleingänge?", fragte Ennio und verzog seine Lippen zu einem spöttischen Grinsen.
„In zehn Minuten im vorderen Aufenthaltsraum", meinte Mio, unterdrückte das innere Bedürfnis auf Ennio zuzugehen und ihm eine reinzuhauen.
Als Nächstes musste er Vexira finden. Vermutlich befand sie sich im Krankenzimmer bei Andiana. Außer zu den Essenszeiten war seine Leibwächterin ununterbrochen bei der Verletzten. Doch Mio war das recht. Er konnte es nicht leiden, wenn sie ständig an ihm hing wie eine Klette. Die Tür stand einen Spalt offen. Mio schob sie vorsichtig auf. „Vex ...?" Mio unterbrach sich selbst. Vexira saß dicht neben Andiana, ihre Finger fuhren sanft durch die dunklen, widerspenstigen Locken der Verletzten. Andianas Augen waren halb geschlossen, ein entspannter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Doch als Vexira den Prinzen bemerkte, zog sie ihre Hand hastig zurück, richtete sich auf und räusperte sich. „Euer Gnaden", sagte sie steif, während ein verräterischer rosa Schimmer über ihre Wangen huschte. Mio fühlte sich plötzlich wie ein Eindringling. „Entschuldige, ich wollte nicht stören", murmelte er, während er seine Hand verlegen in den Nacken legte. Er hatte ja keine Ahnung gehabt. „Wir treffen uns in zehn Minuten im Aufenthaltsraum. Lagebesprechung!", sagte er deshalb schnell und zog sich wieder zurück.
Als Mio zurückkehrte, war Levi immer noch in sein Buch vertieft. Er sah auf, als der Prinz hereinkam. „Was grinst du denn so?", fragte er.
„Ach, nichts", sagte Mio, obwohl das Bild von Vexira und Andiana ihm noch im Kopf schwebte. Er setzte sich neben Levi, legte den Arm um ihn und zog ihn sanft an sich heran. Levi ließ sich widerstandslos an Mios Seite sinken und legte seinen Kopf auf dessen Schulter. Mios Finger fuhren in die weichen rosa Haare und begannen, sanft darüberzustreichen. Levi schloss die Augen, gab ein zufriedenes Brummen von sich.
Kapitän Sarkan war der Erste, der eintrat und ihre Zweisamkeit störte. Hinter ihm schlich der Kater in den Aufenthaltsraum und sprang sofort auf Levis Schoß. Sarkans Gesicht war wie immer von einem mürrischen Ausdruck gezeichnet. „Hoffentlich dauert das nicht ewig, ich habe noch ein Luftschiff zu steuern", grummelte er und ließ sich schwer auf einen der Stühle sinken. Vor sich breitete er die Karte aus, um die Mio ihn am Vormittag gebeten hatte. Sie zeigte Taman Awan. Mio zog das vergilbte Stück Papier näher zu sich und betrachtete interessiert die Abbildungen, als Vexira und Andiana auftauchten. Behutsam stützte Vexira die junge Frau. Andiana verzog schmerzerfüllt das Gesicht, als sie sich an den Tisch setzte. Sie nickte Levi und Mio zu, lächelte schüchtern. Die Arbeiterin war Mio definitiv lieber, als ihr nerviger Bruder.
Die Tür wurde aufgestoßen und Ennio trat herein. „Dann lasst uns den brillanten Plan unseres Hochwohlgeboren hören, der uns wieder Kopf und Kragen kostet." Seine verschiedenfarbigen Augen blitzten schelmisch. Mios Kiefer spannte sich an. Nur Levis Hand, die sich sanft auf seinen Arm legte, hielt ihn davon ab, dem Klotz den Mund zu verbieten. „Gut, dann sind wir jetzt vollständig", sagte er stattdessen. Alle Augen richteten sich auf den Prinzen. „Wir nähern uns Taman Awan. Kapitän Sarkan, was sagst du, wie lange es noch dauert?"
Sarkan runzelte die Stirn. „Wir sollten die grüne Insel heute Abend, spätestens heute Nacht, erreichen."
Mio fuhr fort: „Es gibt keinen Plan. Wir werden einfach bei der Stadt anlegen." Er zeigte auf einen kleinen Teil der Karte, der die Stadt, die sich mitten im Dschungel befand, darstellte. „Wir sind weit von Vaporia entfernt und die Insel hat keinerlei politische Verbindungen zu meinem Vater. Ich gehe davon aus, dass wenn wir uns den Menschen der grünen Insel friedlich nähern, sie uns freundlich bei sich aufnehmen werden. Zumindest habe ich nur Gutes über die Inselbewohner gelesen."
„Dann wollen wir mal hoffen, dass unser Glanz und Gloria Recht behält", äußerte sich Ennio, die Arme vor der Brust verschränkt. Mio ignorierte ihn und sprach weiter: „Ich habe auch gelesen, dass es dort Menschen mit magischen Fähigkeiten geben soll."
„Humbug", echauffierte sich Sarkan. „Alles Märchen!"
„Hast du vergessen, welche magischen Fähigkeiten unser Prinz hat?", mischte sich nun auch Vexira in das Gespräch ein.
„Vielleicht kann mir dort jemand helfen, meine Kräfte besser zu kontrollieren", setzte Mio fort, hielt dabei Sarkans skeptischem Blick stand. „Aber nicht nur das, einige Menschen haben wohl auch Heilkräfte." Sein Blick wanderte weiter zu Andiana. „Wenn ihr keine Einwände habt, würde ich gerne erst mal auf der Insel bleiben."
Ennio schwieg, seine Augen verengt, während er Mio musterte.
„Ich finde, es klingt vernünftig", sagte Vexira schließlich. „Andiana braucht Zeit zur Erholung und ich bin sicher, Ennio könnte auch eine Pause gebrauchen."
„Nach Vaporia können wir sowieso nicht zurück", antwortete nun Ennio. „Und ich habe kein Problem damit, ein paar Tage von diesem Luftschiff runterzukommen."
Mio nickte dankbar in die Runde. Er fühlte, wie ein Teil der Spannung in seiner Brust nachließ. „Dann sind wir uns einig?"
Ein murmelndes Einverständnis ging durch die Gruppe. Selbst Sarkan schien nichts mehr einzuwenden zu haben. Mio lehnte sich in seinem Stuhl zurück, während ein kleiner Funken Hoffnung in ihm aufglühte. Vielleicht erreichten sie noch heute Abend den Ort, an dem er endlich Antworten finden konnte.
Mio saß im Bett, den Rücken gegen die gepolsterte Rückenlehne des königlichen Bettes gelehnt, die Beine ausgestreckt. Seine Finger tippten unaufhaltsam auf die Matratze. Levi, der neben ihm saß, die Schulter gegen seine gelehnt, legte sein Buch zur Seite. Behutsam streichelte er über Mios Hand. Der Prinz hielt inne, seine Finger verharrten in der Bewegung. Als er aufsah, trafen ihn die liebevollen, braunen Augen. „Was geht dir durch den Kopf?", fragte Levi leise.
Mio seufzte, seine Augen wanderten kurz zu Levis Hand, dann auf die kunstvoll geschnitzte Kommode, die dem Bett gegenüberstand. Er wollte ihn nicht mit all seinen Sorgen belasten. Doch er wusste, Levi würde nicht locker lassen. „Was, wenn es auf der Insel nicht so ist, wie ich gelesen habe?", begann Mio nachdenklich.
Levi legte den Kopf schief. „Wie meinst du das?"
„Was, wenn mir dort niemand helfen kann? Die Insel ist im Moment mein einziger Anhaltspunkt. Was wenn es dort keinen gibt, der mir hilft, meine Kräfte zu kontrollieren ..." Er kämpfte gegen das ungewohnte Gefühl der Unsicherheit, das sich in ihm ausbreitete. „Dann weiß ich nicht, wie es weitergehen soll."
Levi zog Mio sanft zu sich. „Ich kann mir vorstellen, dass dir das Sorgen bereitet", sagte er. „Aber du bist nicht allein. Was auch immer passiert, wir finden einen Weg. Gemeinsam." Mios Atmung verlangsamte sich, das Chaos in seinem Inneren ebbte allmählich ab. Levi hatte eine seltsame Fähigkeit, seine Ängste auf eine Weise zu beruhigen, wie es niemand sonst konnte. Er fühlte sich geborgen.
Er hob den Kopf und suchte Levis Blick. Langsam beugte er sich vor und ihre Lippen fanden einander in einem liebevollen, zärtlichen Kuss. Levi schmiegte sich näher an ihn, seine Finger strichen sanft über Mios Nacken, was eine wohlige Gänsehaut auf der Haut des Prinzen auslöste. Mio hielt inne, seine Stirn lehnte einen Moment an Levis, während ihr Atem sich vermischte. Zwischen ihnen flirrte die Luft, fast greifbar vor Spannung. Er hob eine Hand, ließ seine Finger sachte über Levis Wange gleiten, spürte die Wärme seiner Haut unter seinen Fingerspitzen. Dann ließ er seine Hand tiefer gleiten, entlang Levis' Kiefer.
Wieder dieses Verlangen, ihn zu küssen, dem er ohne zu zögern nachkam. Levis Hände fanden ihren Weg zu Mios Schultern, seine Finger gruben sich in den Stoff seines Hemdes. Mio löste sich einen Moment, nur um Levi anzusehen. Seine Augen waren halb geschlossen, sein Atem stockte und doch war in seinem Blick nichts als Vertrauen. Mios Herz raste. „Mit dir fühlt sich alles leichter an", flüsterte er, bevor er Levi erneut küsste, tiefer diesmal, mit mehr Verlangen, aber ebenso voller Sanftmut. Das Knistern zwischen ihnen wurde intensiver, eine Wärme, die sich in Wellen durch Mios Körper ausbreitete und die kalte Leere in ihm für einen Augenblick vertrieb. Levi seufzte leise gegen seine Lippen. Mio streichelte sanft über Levis Rücken, bevor er ihn noch enger an sich zog.
Erschrocken fuhr Mio nach oben. Sein Herz raste. Einen Moment lang hoffte er, dass sie auf der grünen Insel angekommen waren, doch das Dröhnen des Windes und das Trommeln des Regens gegen die Fensterscheibe ihrer Kabine ließen ihn schnell erkennen, dass etwas nicht stimmte. Plötzlich ertönte ein schriller, durchdringender Ton, der das Rauschen des Sturms durchschnitt. Der Raum wurde erleuchtet von rotem Notfalllicht. Mio sprang aus dem Bett, sein Blick suchte hektisch die verstreuten Kleidungsstücke auf dem Boden ab, doch in dem schummrigen Licht konnte er seine Sachen nicht erkennen.
Fluchend griff er nach dem Morgenmantel, der an der Schiebetür zum kleinen Badezimmer hing. Der seidige Stoff legte sich kühl über seine nackte Haut. „Was ist los?" Levis Stimme erklang schläfrig hinter ihm. Mio drehte sich um, sah, wie Levi sich halb aufrichtete, die Haare zerzaust, die Augenbrauen ängstlich zusammengezogen.
„Ich weiß es nicht", erwiderte Mio.
Das Luftschiff schwankte heftig, als würde es von einer unsichtbaren Faust gepackt und durchgeschüttelt werden. Mio griff instinktiv nach dem Türrahmen, um nicht zu stürzen. „Ich gehe zum Kapitän", rief er, schob die Tür auf und trat in den Gang. Der Alarm war hier draußen noch lauter, begleitet vom Dröhnen des Sturms. Ennio und Vexira stürmten aus ihren Kabinen. Wankend stützten sie sich an den Wänden ab und hangelten sich an den Möbeln entlang, die im Aufenthaltsraum von einer Seite auf die andere rutschten. In der Kommandozentrale trafen sie auf den Kapitän, der verkrampft am Steuerrad stand. Sein Gesicht von tiefen Furchen durchzogen.
„Wie können wir helfen?", rief Ennio gegen den prasselnden Regen an.
Der Kapitän beorderte Ennio in den Maschinenraum. Irgendetwas stimmte mit dem Dampfdrucksystem nicht. Vexira schickte er zurück zu Andiana und Mio befahl er, irgendwas Magisches zu tun, um sie zu retten. Mio hasste es, wenn ihm jemand sagte, was er zu tun hatte. Trotzdem schloss er seine Augen. Er konzentrierte sich auf den elektrisierenden Strom, der durch seine Adern floss. Mit jedem Herzschlag wurde die Magie stärker, dröhnte in seinen Ohren. Goldene Funken stoben aus seinem Körper, wanderten am Kapitän vorbei durch das Fenster und legten sich wie ein Netz um das Luftschiff. Ein wenig stabilisierte es sich, was den Kapitän erleichtert aufatmen ließ.
Da erhellte ein greller Blitz die Dunkelheit. Für den Bruchteil einer Sekunde erkannte Mio die Silhouette einer Insel - ein riesiger, grün überwucherter Vulkan, der bedrohlich aus dem schwarzen Wolkenmeer ragte. „Da ist sie!", rief er, doch seine Worte wurden von einem ohrenbetäubenden Donnerschlag verschluckt.
Levi tauchte in der Kommandozentrale auf. Er trug Mios Hemd, das ihm viel zu groß war, seine rosa Haare vollkommen verwuschelt. Trotz der Panik durchzog Mio bei dem Anblick das Verlangen, ihn zu packen und zurück ins Bett zu tragen. Doch die Realität ließ keine Zeit für solche Gedanken. Der Sturm rüttelte gnadenlos an der Aeris. Mio blickte nach draußen, wo das goldfarbene Netz schwächer wurde. Seine Magie reichte nicht aus.
Ein weiterer Blitz erhellte die Insel, die jetzt unaufhaltsam näher rückte. Mio fokussierte sich auf seine Magie. Doch jetzt war es anders - es fühlte sich an, als würde der Sturm direkt an ihm zerren. Levi trat hinter ihn, legte eine Hand auf seine Schulter. „Du schaffst das", flüsterte er leise, seine Stimme kaum hörbar.
Die Insel war jetzt so nah, dass Mio die Bäume und den dichten Dschungel erkennen konnte, der sich bis zum Vulkan hinaufzog. Ein weiteres Ruckeln ließ ihn beinahe das Gleichgewicht verlieren.
„Festhalten!", schrie der Kapitän.
Mit einer letzten Welle seiner Magie spannte Mio das Netz um das Luftschiff enger, während der Sturm sie weiter in Richtung Insel peitschte. Ein tiefes Grollen durchlief den Rumpf, als die Aeris schließlich in den Baumkronen einschlug. Äste zerbarsten, Metall kreischte. Mio und Levi stürzten zu Boden. Schnell schloss der Prinz Levi in einen schimmernden Kokon aus goldenem Licht ein, bevor der Dschungel sie verschluckte.
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