16 - Sternenhimmel
꧁✧⭑✩⭑⚔︎⭑☾ Sternenhimmel ☽⭑⚔︎⭑✩⭑✧꧂
Ein leises Geräusch riss Levi aus dem Schlaf. Benommen öffnete er die Augen, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich die Tür zuschob. Nur eine schwache Nachttischlampe tauchte das Zimmer in schummriges Licht. Er war neben Mio eingeschlafen, aber jetzt war der Prinz nicht mehr da. Levi richtete sich auf, fuhr sich durch die zerzausten rosa Haare. Verwirrt schaute er zum Fenster. Das Himmelblau war inzwischen pechschwarz. Wo der Prinz wohl hingegangen war?
Sein erster Weg führte Levi zur Kommandozentrale. Kapitän Sarkan stand dort über eine Karte gebeugt. Als Levi eintrat, hob der Kapitän den Kopf und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.
„Na, wenn das nicht der Schoßhund des Prinzen ist", begrüßte Sarkan ihn mit einem spöttischen Lächeln.
„Weißt du, wo Mio ist?", fragte Levi, ohne auf die Stichelei einzugehen.
„Der kann von mir aus bleiben, wo der Pfeffer wächst." Levi verdrehte die Augen. Unschlüssig kehrte er zurück in den Aufenthaltsraum, als plötzlich etwas Flauschiges um seine Beine streifte. „Na, Kater. Hast du das Luftschiff schon erkundet?" Der graue Stubentiger blickte zu ihm auf und mauzte. Dann wandte er sich um und huschte zielstrebig davon. Bevor er in den Gang zu den Zimmern trat, drehte er sich zu Levi und schaute ihn erwartungsvoll an.
„Zeigst du mir den Weg zu Mio?", fragte Levi grinsend.
Sie erreichten die Treppe am hinteren Ende des Luftschiffes. Der Kater sprang Stufe für Stufe hinauf. Die obere Etage war erfüllt von einem tiefen Brummen und dem rhythmischen Rattern der Zahnräder. Überall um ihn herum zogen sich dampfende Metallrohre durch den Raum. Die Luft war stickig, roch nach altem Maschinenöl. Es erinnerte Levi an das pulsierende Herz Vaporias. Unbeirrt lief der Kater auf eine Leiter zu.
„Da oben?", fragte Levi und blickte zu der Luke, wo die Leiter endete. Der Kater mauzte und verschwand zwischen den Maschinenteilen.
Vorsichtig und mit zittrigen Knien kletterte Levi die schmalen Sprossen hinauf. Oben angekommen, drückte er die Luke auf. Als er den Kopf durch die Öffnung streckte, stockte ihm der Atem. Die kühle Nachtluft umhüllte ihn. Über ihm breitete sich das unendliche Himmelszelt aus, übersät von Millionen leuchtender Sterne. Gänsehaut überzog langsam seinen Körper, doch es war nicht der kühle Wind, der diese ausgelöst hatte. Sein Blick wurde von Mio angezogen.
Der Prinz stand an der Brüstung mit dem Rücken zu ihm. Sein silbernes Haar fiel ihm in losen Strähnen über die Schultern, schimmerte sanft im Mondlicht. Der Wind fuhr durch die einzelnen Strähnen, als würde er damit spielen. Es war ein Bild von stiller Eleganz, gleichzeitig unnahbar und vertraut. Wie ein lebendig gewordenes Gemälde.
Levis Herz pochte schneller. Alles an dem Prinzen wirkte wie ein Geheimnis, das nur darauf wartete, von ihm entdeckt zu werden. Für einen Moment vergaß Levi den Wind, die Sterne, die Höhe. Es gab nur Mio.
Ächzend zog sich Levi nach oben und kletterte unbeholfen durch die Luke. Mio hatte ihn sicher schon bemerkt, doch ließ er sich nichts anmerken. Er stand weiterhin ruhig am Geländer, als wäre er ein Teil des Nachthimmels selbst. Erst als Levi sich neben ihm gegen das kalte Geländer lehnte, blickte Mio zu ihm. Ein warmes Lächeln brachte die kleinen Grübchen zum Vorschein.
„Geht's dir besser?", fragte Levi besorgt.
Zur Antwort hob Mio die Hand vom Geländer. Ein kleiner Funke bildete sich auf seiner Handfläche. Geschmeidig bewegte er seine Finger, ließ den Funken dazwischen tanzen. Das hüpfende Licht spiegelte sich in den stahlgrauen Augen wider. Levi atmete erleichtert aus und nun erschien auch ein Lächeln auf seinen Lippen.
Schweigend lehnten sie sich wieder gegen das kühle Metall und betrachteten den endlosen Himmel. Nur das Surren der Propeller durchbrach die Stille. Ein Meer aus funkelnden Sternen breitete sich vor ihnen aus, mittendrin der Vollmond, der direkt vor ihnen zu schweben schien. Ein Gefühl von Freiheit überkam Levi, als ob er zum ersten Mal wirklich atmen konnte – nicht mehr in der Enge seiner alten Welt, sondern frei. Normalerweise hatte er Angst vor dem Unbekannten, doch der Prinz an seiner Seite gab ihm Sicherheit.
„Erzähl mir etwas über deine Welt", hauchte Levi in die Stille. „Über die Insel, zu der wir fliegen."
Mio lächelte, die Worte kamen leicht über seine Lippen. „Layali Al-Qamar." Allein der Name klang geheimnisvoll. „Es ist eine Wüsteninsel, kleiner als Vaporia." Er ließ den Blick in die Ferne schweifen, als könnte er die Dünen dort draußen schon sehen. „Ich war als Kind dort. Der Sand erstreckt sich wie ein goldenes Meer, das von der Sonne zum Glühen gebracht wird. Alles ist dort weit, leer und trotzdem wunderschön."
Er schloss die Augen, als könne er sich dann besser erinnern. „Die Oasen sind wie kleine Juwelen in dieser endlosen Weite. Das Wasser in ihnen ist so klar, dass du bis auf den Grund sehen kannst." Ein Schmunzeln schlich sich auf sein Gesicht, als er weitersprach. „Ich wollte unbedingt zu einer dieser Oasen. Also habe ich mich nachts aus dem Palast geschlichen, in dem wir nächtigten. Ich schnappte mir eines der Kamele und ritt los. Ganz allein, ohne Plan, einfach losgeritten." Levi grinste bei der Vorstellung an den furchtlosen kleinen Prinzen. „Aber du kannst dir vorstellen, was passiert ist: Ich bin bei keiner Oase gelandet, ich habe mich einfach nur verirrt." Mio schüttelte lachend den Kopf. „Die Sonne brannte gnadenlos auf mich herab, ich hatte kein Wasser bei mir. Ich dachte, ich würde in dieser endlosen Wüste verdursten. Doch dann kam eine Karawane, wie aus dem Nichts, und brachte mich zurück."
So sehr Levi es genoss, wenn Mio ihm aus seiner Kindheit erzählte, etwas verwunderte ihn doch: „Warum hast du nicht deine Magie benutzt, um zurückzufinden?"
Mio seufzte leise. „Weil ich zu dieser Zeit noch keine magischen Fähigkeiten hatte."
„Aber wie ... wie hast du dann deine Magie bekommen?", hakte Levi neugierig nach.
Einen Moment lang betrachtete Mio ihn schweigend, dann blickte er wieder in die Ferne. „Ich konnte damals noch nicht zaubern, aber was ich immer schon konnte, war deine Welt sehen. Jedes Mal, wenn ich über die Brüstung des Schlossgartens blickte, über die Dächer von Vaporia hinweg, sah ich das weite Land unter uns. Die unzähligen Häuser, die Straßen, die Wälder – deine Welt. Aber immer, wenn ich jemandem davon erzählte, erntete ich nur verwirrte Blicke. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich der Einzige war, der sie sehen konnte."
Mio hielt inne, als er sich in die Erinnerung vertiefte. „Eines Tages kam eine eurer Flugmaschinen direkt auf Vaporia zugeflogen. Ich dachte, sie würde uns zerschmettern. Ich geriet in Panik, schrie und zeigte auf das Flugobjekt, doch niemand außer mir konnte sie sehen. Ich brach zusammen vor Angst, doch in dem Moment, als ich dachte, dass alles vorbei wäre, flog dieses Ding einfach durch Vaporia hindurch. Nichts passierte, außer, dass meine Eltern mich nun endgültig für verrückt hielten. Ihr bis dahin einziger Sohn, der Thronfolger, geistig gestört."
Mios Miene verdunkelte sich. „Zuerst versuchten sie, es zu verbergen, verboten mir, darüber zu sprechen, doch als sich mein Zustand nicht besserte und ich weiterhin immer wieder über die andere Welt plapperte, beschlossen sie, ein Heilmittel für mich zu finden. Wir bereisten andere Inseln, konsultierten Ärztinnen und Ärzte, Wahrsager, Hexen und sonstige Quacksalber – jeder hatte eine andere Theorie, Heilkräuter, Edelsteine und Tränke, die sie meinen Eltern für viel Geld verkauften, aber nichts half. Ich sah die Welt unter uns immer noch."
Er schüttelte den Kopf, als ob es ihn noch immer quälte. „Aus den besorgten Blicken meiner Eltern wurden irgendwann abfällige. Die letzte Hoffnung lag in einem alten Greis, der in einer Höhle auf einer einsamen Insel lebte. Ich erinnere mich noch genau an die schwarzen Felsen, die scharfkantig und spitz in den grauen Himmel ragten. Er bot meinen Eltern einen Pakt an. Doch dieser Pakt kostete sogar meinen Eltern zu viel. Sie willigten nicht ein. Zurück auf dem Luftschiff gaben sie mir zu verstehen, dass ich unheilbar wäre. Doch ich ertrug ihre missfälligen Blicke nicht mehr. In der Nacht schlich ich mich aus unserem Luftschiff, entschied, dass ich mein Schicksal selbst in die Hand nehmen musste. Ich ging zurück zu dem Greis. Er war es, der mich zu einem Magier machte."
Levi hörte gebannt zu. „Was war das für ein Pakt?", fragte er leise.
„Erzähl mir lieber etwas über dich", entgegnete der Prinz, den Blick auf den Vollmond gerichtet.
Mit gerunzelter Stirn blickte Levi Mio an. Er wollte viel lieber wissen, was Mio dafür zahlen musste, um ein Magier zu sein, doch er würde ihn nicht zwingen, es ihm zu erzählen. Stattdessen dachte er über die Frage des Prinzen nach und antwortete: „Ich habe viel Zeit bei meinen Großeltern und in ihrem schönen Garten auf dem Land verbracht. Sie waren die einzigen, bei denen ich wirklich ich selbst sein konnte. Bei meinen Eltern war das anders. Sie hatten immer diese Erwartungen, diesen Druck. Alles musste perfekt sein, nach ihren Vorstellungen. Als ich ihnen dann vor einigen Jahren erzählt habe, dass ich mich in Männer verliebe, war es endgültig vorbei. Eine Welt brach für sie zusammen und sie haben den Kontakt abgebrochen."
„Warum?", fragte Mio verwundert.
„Weil sie homophob sind", antwortete Levi.
Mio runzelte die Stirn, offensichtlich noch immer verwirrt. „Homophob ... was bedeutet das?"
Überrascht sah Levi den Magier an. „Es bedeutet, dass manche Menschen – wie meine Eltern – es ablehnen, wenn sich jemand in das gleiche Geschlecht verliebt. Sie sehen es als etwas Falsches oder Unnatürliches an."
Mio dachte einen Moment nach, bevor er wieder fragte: „Aber warum?"
„Warum?", wiederholte Levi. „Weil sie denken, dass Liebe nur zwischen einem Mann und einer Frau existieren kann."
In diesem Moment wurde Levi klar, wie anders Mios Welt war. „Aber in deiner Welt ist das kein Problem?", fragte er vorsichtig, mit einem Hauch von Neugier.
Mio schüttelte langsam den Kopf. „Nicht wirklich. Es kommt nicht oft vor, aber es ist auch für niemanden ein Problem. Wäre Prinzessin Devika ein Prinz und hätte es meinem Vater bei seinem Machterhalt geholfen, hätte er auch versucht, mich mit einem Prinzen zu verheiraten."
In Mios Welt war es einfach ... in Ordnung. „Das ist schön", murmelte Levi. Er verstummte. Der Gedanke daran, dass er in seiner eigenen Welt für das, was er war, oft abgelehnt wurde, machte ihn traurig.
Mio blickte mitfühlend zu Levi, doch plötzlich änderte sich sein Ausdruck. Seine Schultern strafften sich wieder und ein schelmisches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Es war, als hätte er die Schwere des Moments einfach fortgewischt.
„Schon mal durch den Nachthimmel geflogen?", fragte er mit einem wilden Funkeln in den Augen. Bevor Levi überhaupt begreifen konnte, was Mio meinte, hatte der Prinz sich mit einer fließenden Bewegung auf die Brüstung geschwungen.
„Was?! Nein! Komm da runter!", rief Levi erschrocken. Sein Herz raste, eine Mischung aus Panik und ungläubigem Staunen.
Doch Mio ließ sich von Levis Protest nicht beeindrucken. Er lachte laut und unbeschwert. Ohne Vorwarnung griff der Prinz nach Levis Hand und zog ihn zu sich nach oben. Levi schnappte nach Luft, die kalt in seiner Lunge brannte. Erschrocken klammerte er sich an den Magier. „Vertrau mir", flüsterte dieser.
Und dann, ohne zu zögern, sprang er und riss Levi mit sich in die schwarze Tiefe.
Levi schrie laut auf – das war Wahnsinn, sie fielen, das war das Ende – doch dann spürte er Mios warme Hände. Ihre Finger verschränkten sich.
„Schau mich an", hörte er Mios Stimme durch den Wind, der an seinen Ohren vorbeirauschte.
Wie in Trance gehorchte Levi. Sein Blick fand die grauen Augen des Prinzen. Für einen Moment existierte nichts anderes. Die Angst, die ihn eben noch so sehr im Griff gehabt hatte, schmolz dahin.
Plötzlich fielen sie nicht mehr. Kleine goldene Funken tanzten um sie herum, wie winzige Sterne und hielten sie in der Luft.
Es war wie ein Traum, ein wahnsinniger, unfassbarer Traum, und doch pochte Levis Herz ganz in Echt und wie wild in seiner Brust. „Du bist verrückt", lachte er aufgeregt, als er kurz in die Tiefe und dann direkt wieder zu Mio schaute.
„Vielleicht," antwortete Mio mit diesem verschmitzten Lächeln, das Levi wie immer schier um den Verstand brachte. Ihre Finger waren immer noch verschränkt, ein fester Halt inmitten der Schwerelosigkeit.
Mios Blick wanderte langsam, fast vorsichtig, von Levis Augen zu seinen Lippen und wieder zurück. Levi schluckte, sein ganzer Körper war angespannt, elektrisiert von Mios Nähe. Die Zeit stand still, als der Prinz ihn näher zu sich zog. Orangenblütenduft umhüllte Levi. Schnell schloss er die Augen und dann spürte er ganz sanft die weichen Lippen des Prinzen auf seinen. Die Berührung war nur zart und doch brachte sie in Levis Bauch die Schmetterlinge zum Explodieren.
Sie lösten sich wieder. Aufgeregt grinsend schlug Levi die Lider auf und blickte in glücklich funkelnde Augen. Mio löste seine Finger von Levis. Schnell griff Levi nach den Schultern des Prinzen, während dessen Hände sanft sein Gesicht umfassten. Und dann küsste er ihn erneut. Mios Lippen bewegten sich langsam gegen seine. Levi konnte nicht anders, als sich ihm hinzugeben. Die kleinen goldenen Funken um sie herum leuchteten auf, als ob sie den Kuss ebenfalls feierten.
Levi wollte, dass dieser Moment niemals endete.
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