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Alec:

Als ich wegen des nächsten Alptraumes wach geworden war, war es schon hell draußen gewesen und die letzten Bilder hatten mir echt den Rest gegeben, sodass ich nun einfach nicht mehr weiterschlafen wollte.

Als ich mich umsah, stellte ich fest, dass Dad schon weg war.

Klar, er war wahrscheinlich trotz allem arbeiten gegangen, denn immerhin war er ja immer noch mein arbeitswütiger Dad...

Obwohl ich heute Nacht, also so circa vor 5 Stunden erst geduscht hatte, tat ich es wieder.

Es kam mir so vor, als müsste ich die Erinnerungen und Gefühle einfach nur von mir abschrubben und es könnte so sein, als sei nie etwas passiert.

Danach zog ich mich wieder an, trotz der Wärme dick eingepackt, so als könnte mich die Kleidung vor weiterem ungewollten Körperkontakt schützen.

Als ich runter kam ins Esszimmer, stellte ich fest, dass Dad wohl doch nicht arbeiten gegangen war. Nein, er war hier, trug Jeans und ein Shirt, was wohl hieß, dass er gar nicht vorhatte, arbeiten zu gehen, was mich ziemlich verwirrte.

„Musst du heute gar nicht in die Kanzlei?"

Sofort sahen er und Mum mich an.

Dieses Mitleid in ihren Blicken brachte mich sofort dazu, im Erdboden versinken zu wollen.

Konnten wir nicht einfach so tun als sei das nicht passiert? Bitte?

„Nein, Corinna verschiebt alle meine Termine, die unwichtigen auf die nächsten Tage und die wichtigen auf heute Nachmittag. Ich muss dann auch für etwa 2 Stunden ins Gericht..."

„Okay", meinte ich bloß, ging an meinen Eltern vorbei in die Küche.

Dort lehnte ich mich mit der Stirn an den Kühlschrank und atmete tief durch.

Schon gut, Alec, sie werden dich nicht darauf ansprechen. Alles wird gut.

Mit einem weiteren Tee bewaffnet ging ich wieder ins Esszimmer. Alles in mir wollte sofort weiter in mein Zimmer und mich dort verkriechen, aber, wenn ich das jetzt tat, dann war es so gut wie in Stein gemeißelt, dass Mum mir folgen und mich umsorgen würde wie Glucke, die sie nun mal war.

Also setzte ich mich zu ihnen an den Tisch und schlürfte von meinem Tee.

„Hast du heute irgendwas vor?", fragte Mum mich nach einer Weile.

Ich schüttelte den Kopf.

„Was ist mit Dave? Hat er sich gemeldet?"

Ich schüttelte den Kopf.

„Soll ich ihn an den Ohren hierherziehen?"

Obwohl das Bild, das sich mir deshalb bot, schon ziemlich belustigend war, schüttelte ich weiterhin nur mit dem Kopf.

„Willst du deine Ruhe? Ein bisschen was zeichnen?"

Dass ausgerechnet das von Dad kam, wunderte mich, aber irgendwie kam mir das heute wie das einzige vor, das mich nicht abschreckte.

Kein Wunder, meine Leinwände gehörten mir. Ich hatte die Macht, jeden Pinselstrich dorthin zu setzen, wo er mir gefiel. Das war mein Stückchen Freiheit.

Daher nickte ich.

„Na gut", seufzte Mum irgendwie enttäuscht. „Aber, wenn du was brauchst, sagst du es" Sie schaute mich streng an und ich nickte schnell.

Noch nie hatte ich mich von meinen Eltern -eher meinem Dad - so wenig unter Druck gesetzt gefühlt, aber das war ja etwas Gutes. Wenn halt nur der Grund dafür nicht wäre.

„Wie geht's dir eigentlich?", fragte ich Mum neugierig.

Sie war immerhin die Schwangerere von uns.

Sie wusste, dass ich sei darauf ansprach und lächelte leicht. „Gut, mein Liebling, mir geht's gut. Ich habe später auch eine Untersuchung beim Frauenarzt..."

„Ich kann doch mitkommen", warf Dad sofort ein.

Mum schüttelte den Kopf. „Ist nur eine Standartuntersuchung, Schatz. Du bleibst bitte hier und passt auf Amy auf, wenn du schon mal nicht den ganzen Tag arbeiten bist"

„Na schön", schmollte Dad. „Aber ich will alles wissen!"

Mum lachte leicht. „Natürlich."

Sie schien sich heute Morgen wieder mit Dad versöhnt zu haben, denn sie hielten die ganze Zeit Händchen und schienen hin und wieder durch einzelne Blicke zu kommunizieren. Wenn das nur bei Dave und mir so einfach wäre...

Wie geplant verbrachte ich den Tag mit malen und zeichnen, stellte Bilder fertig, an denen ich schon seit Jahren arbeitete.

Seltsam, dass ich ausgerechnet jetzt besonders kreativ zu sein schien. Die Bilder hatten aber auch eine andere Gefühlslage als sonst. Die Farben waren kräftiger, aber nicht auf diese leidenschaftliche Weise, sondern eher auf die bedrohliche... Meine eigenen Bilder machten mir Angst. Von wegen Macht und Freiheit.

Das Mittagessen ließ ich ausfallen, weil ich keinen Hunger hatte.

Bevor Dad zu seinem Gerichtstermin ging, kam er extra noch hoch, um sich von mir zu verabschieden, während Mum mit Amy unten war.

Immer, wenn ich auf den Flur blickte, fühlte ich mich so beobachtet, als versteckte sich Dean irgendwo und würde herausspringen, um mich anzugehen, sobald ich es nicht erwartete. Das war schrecklich.

Jetzt war die Zeit gekommen, in der ich nicht mehr alleine sein wollte.

Zum ersten Mal heute schaute ich auf mein Handy. Dave hatte mir gestern Abend doch noch geantwortet, nur eben Stunden später, nachdem er es gelesen hatte.

„Morgen Zeit?"

Viel zu tun.

Es war nicht direkt eine Lüge, es war der Versuch, meine plötzliche Scheu vor ihm damit zu rechtfertigen, dass ich mich innerlich so unruhig fühlte, als sei ich total im Stress. Das war ich zwar nicht, aber es fühlte sich so an und das reichte mir.

Ich gab dem einzigen meiner Freunde, den ich hier in der Nähe hatte, bescheid, dass ich jemanden zum Reden brauchte. Keine halbe Stunde später stand Ken in meinem Zimmer.

„Hier ist ja gar nichts los, Mann, ich dachte du brauchst Hilfe?" Verwirrt schaute er mich an, kam zu mir und gab mir einen kurzen Handschlag, ehe er sich auf meinen Sitzsack warf und abwartend die Beine verkreutzte.

„Naja... Es ist schon vorbei... aber ich fühle mich trotzdem scheiße..."

„Sieht man", meinte er nüchtern und betrachtete mich. „Wenigstens die Haare hättest du dir für mich machen können" Er stand wieder auf, kam zu mir, stellte sich hinter mich und begann meine Haare nach hinten zu streichen.

Automatisch legte sich mein Hinterkopf an seinen harten Bauch und ich schloss entsannt die Augen, diesmal in dem Wissen, dass ich nicht alleine war und mir auch nichts passieren konnte, sobald ich aufhörte konzentriert zu sein.

„Also, was ist passiert?", hakte Ken nach, während er durch meine Haare strich.

Ich erzählte ihm nur davon, dass ein Typ mich ziemlich sexuell belästigt hätte, aber nicht, dass es hier passiert war und auch nicht, dass er der Exfreund meines Dads gewesen war. Das ging niemanden was an. Und ich wollte Dad nicht in den Rücken fallen, nachdem er mir das so lange nicht anvertrauen konnte...

„So ein Arsch", schnaubte Ken. Man hörte ihm an, wie sehr ihm das missfiel.

„Hast du seinen Namen oder Adresse? Ich kenne da ein paar Jungs, die das regeln könnten..."

Irgendwie brachte mich das zum Lachen. „Nein, ich habe weder seinen vollen Namen noch seine Adresse. Und ich will auch nicht, dass du ihm irgendwelche Schläger auf den Hals hetzt"

„Wieos bin ich dann hier?" Er klang ehrlich verwirrt, warnte mich vor, dass ich meinen Kopf wieder anheben sollte, weil er um mich herum gehen wollte und ehe ich mich versah, saß er seitlich auf meinem Schoß und stylte meine Haare nun von vorne.

„Und was ist eigentlich mit deinem Davechen?"

„Davechen?" Belustigt schaute ich Ken an.

Er zuckte mit den Schultern. „Klingt doch süß"

Ich lachte leicht und war sehr froh, dass ich auf die Idee gekommen war, Ken anzurufen.

Er machte das nicht mal mit Absicht, aber er munterte mich echt gut auf. Bei ihm musste ich auch keine Angst haben, er würde es irgendwem weitererzählen, weil er viel interessantere Geschichten zu beichten hatte als meine.

Im Laufe des Nachmittags gingen wir auch zusammen runter und spielten mit Amy, damit sich Mum ein bisschen ausruhen konnte.

Zwischendrin bekam ich eine Nachricht von Dave.

„Achso. Melde dich, wenn du Zeit hast"

Ich verstand ja, dass wir gerade dicke Luft hatten, und so absurd es auch war, ich erwartete irgendwie, dass er spürte, dass es mir scheiße ging, hierherkommen und mich in den Arm nehmen würde. Aber das schien nicht zu passieren.

Okay.

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