36

Alec:

Als es an der Tür klingelte, dankte mein bereits knurrender Magen dem lieben Gott im Himmel, ich sprang auf und rannte zur Tür.

 Der Pizzabote sah etwas überrascht aus, weil ich ihm die Ware so aus den Händen riss. „Wie viel macht das?", fragte ich hektisch.

Ich wollte essen!!!

„Ähm 15 Euro"

„Warte mal kurz"

Der Typ war so in meinem Alter, also duzte ich ihn einfach mal. Selbst falls er es für unhöflich hielt, ich würde ihn eh nie wieder sehen. 

Ich holte meinen Geldbeutel und gab ihm 20 Euro.  „Stimmt so." 

Ich wollte ihm die Tür wieder vor der Nase zumachen, aber sein Räuspern hinderte mich daran.

„Entschuldigung, wenn ich das jetzt so direkt frage, aber hast du das Haus gekauft?"

Verwirrt schaute ich ihn an.

Er zuckte mit den Schultern und schaute verlegen zu Boden. „Naja, ich kenne die Familie Hamilton, sie sind wohl die Vorbesitzer und äh..."

„Nein nein, das Haus gehört schön noch ihnen", meinte ich schnell. „Ich bin mit Dave hier..."

Die Augen des jungen Mannes weiteten sich etwas. „Echt? Kannst du ihn mal schnell herholen, ich will nur hallo sagen?" Er wirkte erfreut und aufgeregt. 

Obwohl mir das ein seltsames Gefühlt bereitete, nickte ich, ging wieder ins Haus und schaute mich leicht unsicher um. „Äh Dave, da steht so ein Typ vor der Tür, der dich wohl kennt..."

Kritisch zog er eine Augenbraue hoch, stand vom Sofa auf und lief an mir vorbei zur Tür. Natürlich trotte ich ihm sofort wieder hinterher.

„Julius!" Auch Dave klang plötzlich erfreut, als er den Pizzaboten sah. „Mann, das ist ja ewig her!" 

Die beiden umarmten sich ohne Umschweife. 

Es gefiel mir nicht, wie dieser Julius sich an Dave schmiegte und dabei lächelnd die Augen schloss. Es gefiel mir gar nicht.

„Mensch, du hast ja richtig was aus deinem Leben gemacht", lachte Dave, als er Julius wieder losließ und ihm auf die Schulter klopfte.

Er zuckte mit den Schultern. „Man nimmt das Leben, wie es kommt, würde ich mal sagen. Und was machst du so?"

Dave zuckte mit den Schultern. „Bin arbeitslos. Ich war die letzten zwei Jahre im Entzug und bin grade wieder dabei, ein bisschen Fuß zu fassen... Das ist übrigens mein zukünftiger Ehemann Alec" Dave ging etwas zur Seite und winkte mich zu sich.

Ohne wirklich etwas zu erwidern, kam ich näher zu den beiden. Ich musste einfach zu viel nachdenken und konnte nicht wirklich auf seine Worte reagieren. 

Woher kannten die beiden sich, warum ging Dave so offen mit Julius um?

„Du bist verlobt? Mit nem Typen?" Dieser Julius machte ganz große Augen.

Es überraschte mich, dass Dave einen Arm um mich legte, als sei es ganz natürlich, während er nach wie vor im Türrahmen lehnte. „Ne noch nicht. Aber träumen darf man ja wohl"

Julius lachte leicht und musterte mich dann, so als sei ich ein Objekt im Schaufenster, das darüber entscheiden sollte, ob er in den Laden ging oder nicht. 

„Na hübsch ist er ja. Den würde ich sicher nicht von der Bettkante stoßen"

War ihm eigentlich bewusst, dass ich Ohren hatte und hörte, was er da von sich gab?

„Ich auch nicht. Ich lade dich dann zur Hochzeit ein." Es klang so, als würde Dave sich wirklich freuen. Vielleicht weil ich noch nicht gesagt hatte, dass eine Hochzeit überhaupt nicht in Frage kam.

Julius nickte. „Ich werde gerne kommen. Außer ich hocke wieder im Entzug, dann bin ich wohl verhindert... Mal sehen" Er lächelte, aber es wirkte irgendwie schwach. 

Dave seufzte, die Hand, die er auf meiner Hüfte hatte, umklammerte mich fester. „Wie viele hattest du schon?"

„Rückfälle?", fragte Julius seltsam belustigt, aber auch im bitteren Ton. „Drei. Nach dem ersten bin ich fast abgekratzt. Ich Dummkopf hab dieselbe Dosis wieder genommen wie vor dem Entzug... Mann, war das knapp. Aber jetzt weiß ich ja, dass ich dann wieder klein anfangen muss..."

„Das klingt so, als planst du das..." Dave klang verurteilend dabei, etwas, das ich nicht von ihm kannte.

Julius zuckte mit den Schultern. „Wieso denn nicht? Meine Familie hat mich eh längst aufgegeben und meine einzigen Freunde sind andere Junkies... Aber hei, lass dir dein Liebesglück nicht von meinen Launen verderben. Wir sehen uns sicher wieder" 

Er lächelte zwar, als er sich verabschiedete, aber man sah ihm trotzdem an, dass ihm das alles näherging als er bereit war zuzugeben.

Mit einem schweren Seufzen schloss Dave die Tür hinter seinem Bekannten und ließ mich auch wieder los, sobald er weg war.

„Erklärst du mir, was hier gerade passiert ist?", bat ich ihn.

Er nickte, lief voraus ins Wohnzimmer, nahm dabei die Pizzen mit. 

Wir setzten uns aufs Sofa, ließen den Fernseher weiter im Hintergrund laufen und begannen zu essen, während er mir erklärte, dass er Julius hier kennengelernt hatte, als sie noch Kinder gewesen waren. Er wohnte wohl hier und habe immer mit Dave Unfug angestellt, als er hier war zum Urlaub. Sie hätten sich aus den Augen verloren, doch im Entzug voneinander gehört und kurz wieder Kontakt gehabt. 

Ich konnte nicht fassen, dass dieser Julius binnen von maximal 2 Jahren 3 Rückfälle gehabt hatte und auch noch so locker darüber sprach.

„Denkst du, er packt es? Clean zu werden und es auch zu bleiben?", hakte ich vorsichtig bei Dave nach.

Er seufzte schwer. „ich habe keine Ahnung. Ich denke, er braucht halt jemandem, der ihm einen Grund dazu gibt. Für sich selbst wird er das nicht tun. Ich hab auch genügend Anreize gebraucht, um mal zu checken, was ich tun muss... Er braucht jemanden wie dich."

„Jemanden wie mich?", verwirrt schaute ich Dave an.

Er legte seine nicht von der Pizza beschmutzte Hand auf mein Knie. „Das, was du für mich bist, meine ich. Du musst dir vorstellen, wie ich in meiner eigenen kleinen dunklen Welt stehe und verloren in den Himmel sehe, darauf warte, dass die Sonne aufgeht und es endlich hell wird, aber das passiert nicht und ich frage mich wieso, womit hab ich das verdient, was muss ich tun, damit es aufhört und ich stelle fest, dass ich es vielleicht gar nicht wert bin, aus dieser Dunkelheit rauszukommen. Aber dann taucht da ein kleiner Stern am Nachthimmel auf und bringt etwas Licht in mein Leben. Er gibt mir Hoffnung. Und dann kommt noch einer. Er beweist, dass das kein Missverständnis war. Dass dieser Stern wirklich nur für mich leuchtet. Und dann noch einer. Er zeigt mir, dass meine Welt so viel größer ist, als ich es vermutet habe. Und dann noch einer, der beweist, dass ich es wert bin, dass diese Sterne für mich leuchten. Und dann noch einer. Und noch einer und noch einer und langsam bildet sich ein Weg im Licht. Es steht mir völlig frei, ihm zu folgen. Zuerst bin ich skeptisch, aber dann mache ich es und tauche aus dieser dunklen Blase, die ich bis dahin für meine Welt gehalten habe, auf und trete in die wirkliche ein. Ich sehe zum ersten Mal im Leben den Sonnenschein, stelle fest, dass ich ja gar nicht alleine bin, kann gehen, wohin ich will, weil ich frei bin. Ich bin nicht nur am Leben, sondern wirklich lebendig. Und das nur dank dir, mein kleiner Stern"

Bis kurz vor Schluss seiner Erläuterung hatte ich seinen Ausführungen nicht wirklich folgen können, aber jetzt, als er mich so süß anlächelte, begriff ich, als was er mich sah. Als seine Rettung. Sein Licht.

Das rührte mich so sehr, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte, ich konnte nur ein „Dave", hauchen, komplett überfordert mit der Situation.

Er sah mir das an und lächelte breiter. „Mal wieder zu viel Kitsch für einen Tag, mh?"

Ich nickte schnell, dankbar, dass er keine Reaktion von mir erwartete. 

Wir widmeten uns wieder unserem Essen, beide mit einem fetten Schmunzeln. 

Genauso so hatte ich mir meine Zweisamkeit mit Dave vorgestellt. Zwar war es nicht wirklich zu körperlichen Zärtlichkeiten gekommen, aber die hatten wir ja ohnehin noch nie ausgetauscht. Bei uns ging es mehr um das emotionale, aber trotzdem fand ich, seine körperliche Nähe zu suchen, konnte auch nicht falsch sein.

Als wir mit dem Essen fertig waren und uns die Pizzareste von Gesicht und Händen gewaschen hatten, saßen wir wieder auf dem Sofa. 

Ich wollte es tun, Körperkontakt aufbauen, aber obwohl ich mir sicher war, Dave würde mich nicht wegstoßen, traute ich mich einfach nicht. 

In unserer Beziehung lief irgendwie etwas gewaltig schief. Eigentlich lernte man sich doch zuerst eher oberflächlich kennen, kam sich dann körperlich näher, verliebte sich, lernte einen noch besser kennen, gestand einem seine Liebe, kam zusammen und hatte Sex. So stellte ich mir das nach einer gewissen Logik vor. 

Bei Dave und mir lief all das komplett anders. Wir hatten so gut wie alles Mentale hinter uns, das man zum Start eines gemeinsamen Lebens brauchte, aber die Körperlichkeiten waren dabei vollkommen auf der Strecke geblieben.

Wir sollten das dringend nachholen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top