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Alec:

Ich hielt mir das Handy ans Ohr und lief unruhig im Hof auf und ab, während ich darauf wartete, dass Noah abnahm. 

Als er das schließlich tat, konnte ich ihm nicht mal böse sein für die Art, wie er mich ansprach.

„Schwägerchen! Was ist los? Nervt dich dein Zukünftiger schon?"

Seine Beziehung mit Cameron hatte ihn echt zu einem nervigen kleinen Wicht gemacht, aber andererseits wusste ich auch, dass das der wahre Noah war, der sich nicht mehr verstecken musste, weil er durch seine Liebe zu Cameron die Kraft bekommen hatte, er selbst zu sein. Eigentlich sollte ich ihn mehr bewundern, statt genervt von ihm zu sein.

„Nein, tut er nicht." Ich seufzte. „Ich mache mir Sorgen um ihn, Noah. Er ist so ruhig und wirkt die ganze Zeit niedergeschlagen. Er sagt nichts und reagiert kaum, wenn ich ihn anspreche und Antworten will"

Nachdem es Dave wieder etwas besser gegangen war, hatten wir uns zusammen um die Sachen seiner Eltern gekümmert und ich meinte zu ihm, er sollte den Rest des Hauses zusammen packen, während ich die Kisten abholte und ins Auto brachte. 

Ich rief Noah hinter Daves Rücken an, aber es war ja nur zu seinem besten.

Am anderen Ende der Leitung atmete Noah tief durch. Ich hörte Cam fragen was los war, aber auch, dass Noah ihn nicht beachtete. 

„Das ist mir gestern auch schon aufgefallen... ich glaube, er hat mal wieder versucht, seine Antidepressiva abzusetzen. Ich kümmere mich darum. Du musst ihm jetzt ein bisschen Raum lassen, okay? Wenn du ihm Druck machst, bricht er dir noch zusammen oder rastet aus."

Ich schluckte hart

Antidepressiva? Wäre das das nächste gewesen, das er mir anvertraut hätte?

„Okay", gab ich mit belegter Stimme zurück.

„Das ist nicht so schlimm, wie es jetzt wirkt, Alec. Er hat das schon öfter gemacht. Solange du auf ihn aufpasst, passiert ihm nichts."

Das verwirrte mich sehr, da ich irgendwie automatisch davon ausging, dass der die Antidepressiva aufgrund seiner Drogenabhängigkeit verschrieben bekommen hatte. Aber durch diesen Satz von Noah, bekam ich das Gefühl, da steckte mehr dahinter. 

„Mach ich. Beeil dich bitte mit was auch immer"

 „Klar. Ich ruf dich wieder an" Somit legte Noah auf. 

Ich steckte seufzend mein Handy weg und ging wieder zu Dave ins Haus.

Jetzt erklärte sich das alles zumindest ein wenig, selbst, wenn dadurch eigentlich noch mehr Fragen aufgetaucht waren. Mir war aber klar, dass die Beantwortung dieser zu warten hatte. Dave hatte Vorrang. 

Wir brachten die letzten Kisten ins Auto, Dave sperrte die Tür ab und setzte sich dann wieder rein. Einen Moment nahm ich mir noch, um tief durchzuatmen und somit Kraft zu tanken.

Ich kam mir gerade ein bisschen so vor, als spielte ich ein falsches Spiel mit Dave, aber ganz ehrlich, woher sollte ich denn wissen wie man sich in deiner Situation wie dieser richtig zu verhalten hatte? 

Ich wollte einfach, dass es ihm gut ging und ihn jetzt darauf anzusprechen und ihn somit automatisch in Erklärungsnot zu bringen, konnte nur kontraproduktiv sein.

Dave tippte mir die Adresse des Strandhauses, zu dem wir gehen wollten, in mein Handy-Navi ein und ich folgte diesem. 

Meine Müdigkeit aufgrund des ausbleibenden Schlafes wurde ganz gut von meiner Sorge überschattet und so hatte ich kein Problem mit dem Autofahren. Es dauerte weitere 5 Stunden, die so vergingen, wie die Autofahrt zuvor, ehe wir ankamen.

Ich war noch nie am Meer gewesen, daher war ich ziemlich beeindruckt von alle dem. Ein Strandhaus nach dem nächsten war in einer Reihe an der Küste entlang aufgebaut. Davor erstreckte sich der Strand, dem das Meer sofort folgte. 

Es war windig hier, stellte ich fest, als ich aus dem Auto stieg, aber auch sehr heiß.

Dave und ich machten uns daran, alles ins Haus zu schaffen.

 Ich bekam hier ein richtiges Urlaubsfeeling, konnte mir vorstellen, hier wirklich ein paar schöne und sorglose Tage mit ihm verbringen zu können. Aber dazu musste ich erstmal meinen Dave wieder zurückbekommen.

Solange es ihm nicht gut ging, versuchte ich ihm einfach eine Stütze zu sein, aber dabei nicht zu aufdringlich zu werden. 

Ich tat, was er mir sagte und wenn ich mir nutzlos vorkam, dann fragte ich ihn so, dass er mir verbal antworten musste und nicht durch Gesten ausweichen konnte. 

Wir hatten die Kisten und den restlichen Kram schon alles in die Räume gebracht, in die sie sollten, als ich einen Anruf bekam.

Dave interessierte sich nicht wirklich dafür, aber dennoch teilte ich ihm mit, dass es nur ein Kumpel sei und ich gleich wieder da wäre.

Ich verließ das Haus, stellte mich auf die Veranda, von der aus man auf das offene Meer sehen konnte, und nahm den Anruf ab.

„Und?" Ich klang erwartungsvoll, denn ich hatte Hoffnung, seit ich Noahs Namen auf meinem Display erblickt hatte.

„Diese seltsamen Leute in seiner WG meinten, er hätte wirklich einfach aufgehört, seine Medikamente zu nehmen. Diesem Tucker da war es total egal, er meinte, er ist nur dafür zuständig, dass er nicht wieder Drogen nimmt... Naja jedenfalls hab ich mir von seiner Ärztin ein Online-Rezept geben lassen. Ich schicke es dir und damit kannst du dann an der Apotheke seine Pillen abholen. Sag einfach, dass du sein Bruder oder fester Freund bist oder so, dann bekommst du es. Ich hab dir auch noch die Adresse der Apotheke rausgesucht, die die Medikamente sofort da haben müsste, und schick dir den Standort gleich mit. Es wird wieder ein paar Tage dauern, bis sie wirken, aber da er noch Reste davon im Körper hat, müsste es danach wieder relativ normal werden. Sorg dafür, dass er regelmäßig isst und trinkt, egal, ob er sagt, dass er nicht will und ansonsten musst du sehen, ob er seine Ruhe will oder ein bisschen Gesellschaft braucht..." Noah seufzte. „Ich weiß, wie schwer das ist, Alec. Es tut mir leid, dass du da jetzt durch musst"

„Noah", unterbrach ich ihn. "Ich will nur, dass es ihm gut geht und wenn ich das alles dafür beachten und machen muss, dann ist das eben so. ich werde ihn aber sicherlich nicht hängen lassen. Mach dir keine Sorgen"

„Danke", murmelte er. „Aber wenn du willst, nehme ich den nächsten Flug und könnte in vier Stunden da sein..."

„Es ist okay, Noah. Dave wird das sicherlich nicht toll finden, wenn du jetzt herkommst und den Babysitter gibst. Vertrau mir, ich mach das schon"

„Dir vertraue ich ja" Er klang etwas beschämt dabei, wir wussten alle weshalb. 

Noah ging es wie mir. Wir vertrauen Dave bedingungslos, nur eben nicht in dem Punkt seines Gesundheitszustandes. 

Ich hatte sogar den Gedanken gehabt, er hätte wieder Drogen konsumiert. Mein Gewissen bestrafte mich seitdem jede Sekunde dafür.

„Wenn wieder was sein sollte, rufe ich an", meinte ich beruhigend zu Noah. 

„Okay", gab er zurück. „Viel Glück"

„Danke. Und danke, dass du dich um all das gekümmert hast und mir jetzt vertraust. Er ist bei mir in guten Händen, versprochen"

Wir verabschiedeten uns voneinander und ich prüfte meine Nachrichten. 

Noah schickte mir wirklich einen Standort und die Datei mit dem Rezept. Jetzt musste ich nur noch eine Ausrede finden, warum ich zur Apotheke musste.

Ich ging wieder ins Haus. 

Dave befand sich im Musikzimmer, saß auf einem Sessel und schaute auf die Instrumente vor sich. Er wirkte so als wolle er aufstehen und Ordnung machen, aber auch so, als fehlte ihm der Antrieb dazu.

Ich stellte mich vor ihn und hielt ihm meine Hand hin, sodass sie sich direkt in seinem Blickfeld befand. 

Er schaute ausdruckslos zu mir hoch, doch instinktiv wusste ich, dass er mich durch diesen Blick fragte, was das sollte. 

„Wir machen einen Spaziergang"

Er schüttelte den Kopf und schaute wieder auf diesen nicht zu erreichenden Punkt direkt vor sich.

Ich seufzte in dem Wissen, ihn zu nichts zwingen zu können. Ich fühlte mich einfach nur nicht gut dabei, ihn alleine zu lassen. Wenn er aber nicht mitkommen wollte, dann blieb mir keine andere Wahl. Und so wie das gerade alles auf mich wirkte, würde er ohnehin nichts anderes tun als stumm dazusitzen.

„Dann gehe ich alleine", teilte ich ihm nicht. „Stell nichts an, bis ich wieder da bin, okay?" 

Ich strich ihm einmal über die Wange, er nickte.

Seufzend wandte ich mich ab. 

Kurz bevor ich den Raum verließ, hörte ich ihn sagen: „Pass auf dich auf"

Grundlos brachte mich das zum Lächeln. 

Ich schaute wieder zu ihm, erkannte, dass sein Blick auf mir lag und versicherte ihm: „Natürlich"

Erst als er wieder wegsah, ging ich wirklich und folgte der Wegbeschreibung zur Apotheke.

Als ich das Rezept vorzeigte, stellte sich heraus, dass Noah wohl bereits in der Apotheke angerufen und mitgeteilt hatte, dass jemand was für seinen Bruder abholen würde. Die Medikamente waren bereits hergerichtet und ich musste nur das Online Rezept einscannen lassen, um die Mittel zu bekommen.

Etwa eine halbe Stunde später war ich wieder im Strandhaus und ging zurück ins Musikzimmer. 

Leider traf mich aber dort der Schock, weil Dave nicht mehr da war. 

In plötzlicher Panik durchsuchte ich das Haus von oben bis unten. Es war mir egal, dass ich sowas ein Fremder war und ich vielleicht nicht das Recht dazu hatte. Es ging hier um Dave. Und er war weg.

Komplett aufgelöst rannte ich auf die Veranda und schaute mich hilflos um. Mein Herz schlug bis zum Limit, ich hatte lange nicht mehr so geschwitzt wie jetzt. 

Eigentlich fühlte es sich eher so an als habe ich durchgehend Sport gemacht und dabei lag das alles nur an meiner Sorge um Dave. 

Unberechtigt, wie sich herausstellte, denn ich erkannte einen kleinen schwarzen Punkt am Strand, nahe beim Wasser.

 In der Hoffnung, es handelte sich dabei um Dave, eilte ich ihn.

 Im Leben war ich noch nie erleichterter gewesen als in dem Moment, als ich bei ihm ankam. Andererseits hatte ich noch nie größere Schmerzen verspürt, da ich seine geröteten glasigen Augen sah und die Tränenspur auf seiner Wange.

„Bitte lauf nicht mehr weg, ohne mir zu sagen wohin", hauchte ich flehend, fiel zu ihm auf die Knie und umarmte ihn.

Es musste einfach sein. Ich handelte, wenn ich bei Dave war, weniger Rational als sonst wann, ich ließ mein Herz einfach machen und dieses wollte nichts lieber als ihn festzuhalten.

„Du hast mir doch auch nicht gesagt, wo du hingehst", gab er zurück. 

Den Ton in seiner Stimme konnte ich nicht deuten, aber es kam mir aufgrund der Formulierung wie ein Vorwurf vor.

„Woher...", setzte ich geschockt an und löste mich von ihm, um ihn anzusehen.

„Die mussten sich erst von mir bestätigen lassen, dass du das Zeug für mich abholst." Er schüttelte leicht den Kopf, schaute dabei weiterhin stur auf den Horizont. „ich kann nicht glauben, dass du ernsthaft versucht hast, mich zu verarschen"

„Aber..."

„Willst du mich jetzt auch noch anlügen?!" Er sah zu mir, in seiner Stimme lag eine Energie, die ich ihm bis dahin in diesem Zustand niemals zugetraut hätte.

„Was hast du jetzt vor mh?! Zwingst du mich, diese Schieße zu nehmen? Willst du mich erpressen, schlagen, oder schmuggelst du sie mir unter? Das wäre doch dein Stil oder?"

„Dave..." Ich sah ihn fassungslos an. 

Nie zuvor hatte ich so eine Abscheu in seinem Blick für mich gesehen. 

Er hielt mich für ein hinterhältiges Miststück. Und er hatte Recht. 

„Ich wollte nur..."

„Helfen?! Dann geh und hilf jemandem, der deine Hilfe will!" Er schnaubte leicht, schüttelte dabei den Kopf. „Das mit uns ist so lächerlich. Natürlich musste ich daran glauben, dass da was ist, so zugeballert wie ich war. Aber jetzt sehe ich klar und weiß, dass ich rein gar nichts für dich empfinde"

Ich spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten, wie ich zu zittern begann.

 Ich wünschte, ich könnte sagen, ich hätte tausende Erwiderungen für ihn. Ich wünschte, ihm eine Ansage machen zu können, dass es nicht sein Recht war, mich so zu behandeln. Aber es blieb bei dem Wunsch.

„Du solltest langsam begriffen haben, dass es hier nichts gibt, das dich hält. Nimm das Auto und geh wieder, Alec. Leb dein Leben. Ohne mich"

Er sah zurück zum Wasser, so als sei ich einfach nur Luft. 

Aber so fühlte ich mich nicht. Nein, denn Luft war leicht und sie schwebte frei herum. Ich fühlte mich wie ein tonnenschwerer Felsen, hatte nicht mal genügend Kraft, um zu atmen. Oder ich wollte es einfach nicht mehr.

„Ist dir eigentlich bewusst, was du gerade tust?", hauchte ich, ohne selbst zu wissen, worauf ich hinaus wollte.

Dave reagierte nicht, doch obwohl seine Mimik gerade keinen Durchblick auf seine Emotionen zuließ, erkannte ich wie er sich um seine Fassung zu bemühen hatte, als ich mit belegter Stimme flüsterte:

„Du brichst mir das Herz"


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