29
Alec:
Ich war selbst Stunden später noch mit meinen Gedanken daran beschäftigt, was ich mir heute im Wohnzimmer hatte ansehen müssen.
Dadurch war mir gar nicht so bewusst, wie es das vielleicht sein sollte, wie ruhig Dave nach wie vor war.
Nach 4 Stunden machte ich eine Pause, weil ich aufs Klo musste. Auf meine Frage hin, ob ich Dave was aus der Tankstelle mitbringen sollte, hatte er nur schwach mit den Schultern gezuckt. Ich war mir nicht mal sicher, ob er die Frage verstanden hatte.
Ja, ich machte mir Sorgen. Wer, der Dave kannte, würde das nicht?
Ich erledigte mein Geschäft auf der Toilette, holte in der Tankstelle was zu trinken und ein paar Süßigkeiten, ehe ich wieder zum Auto ging.
Als ich einstieg, saß Dave noch unverändert da.
„Hei, sieh mal!" Ich hielt ihm meine Ware hin.
Er musterte das ganze Zeug, nickte dann und fiel zurück in seine vorige Pose.
Was sollte ich denn jetzt machen?
Ich seufzte einfach nur, verstaute den Kram zwischen uns und fuhr weiter.
Je weiter meine Gedanken sich darum drehten, was mit Dave los war und wie ich ihm helfen konnte, desto weiter wurden sie von den Erinnerungen an den Sex meiner Eltern befreit. Also hatte es wenigstens etwas Gutes...
Nach weiteren Stunden war mir diese Stille dann zu viel. Dave und ich redeten immer, egal wie sinnlos unsere Gespräche waren und wenn wir nicht redeten, dann war die Stille zwischen uns sehr angenehm. Nicht so wie jetzt.
Ich musste das ändern, bevor ich hier noch den Verstand verlor.
„Du bist heute so still" Ich warf ihm einen prüfenden Blick zu, versuchte ihn somit zu einem Gespräch zu verleiten.
„Ich denke nach", murmelte er, doch wandte endlich den Blick vom Armaturenbrett ab, um aus dem Seitenfenster zu sehen.
Naja, zumindest etwas...
Ich war mir nicht sicher, ob ich durfte, aber ich fragte nach: „Worüber?"
Immerhin hatten wir bisher die tiefgründigsten Gedanken geteilt, wieso hörte er also jetzt damit auf?
Das erklärte sich, als Dave den Kopf leicht den Kopf schüttelte und seufzte. „Weiß nicht"
Er wirkte resigniert dabei, so als stellte er durch diese Tatsache etwas fest, aber auch das teilte er nicht mit mir.
Ich hasste mich selbst dafür, aber die einzige Erklärung, die mir gerade einfiel war eine, an die ich niemals hätte denken können, wenn ich ihm wirklich bedingungslos vertraute.
„Es ist ziemlich kalt, meinst du nicht?" Ihm kam es vielleicht wie ein Themawechsel vor. In Wahrheit bezweckte ich damit etwas.
Nein, es war nicht kalt, aber trotzdem drehte ich die Heizung hoch.
„Ist das okay?"
Er nickte auf meinen fragenden Blick hin.
„Kannst ja deinen Pulli ausziehen, wenn's dir zu warm wird", schlug ich vor.
Ich dachte nach. Was, wenn sich jetzt bestätigte, was ich befürchtete?
Wie sollte ich reagieren?
Ihn anschreien, ihm Vorwürfe machen, weinen, verständnisvoll sein?
Und was, wenn ich unrecht hatte? Würde ich mir das verzeihen können?
Was sagte das hier alles bitteschön über unsre Beziehung zueinander aus?
Es bewies, dass ich Dave vielleicht in vielen Punkten vertraute, nur nicht in einem. Eigentlich dem wichtigsten.
„Du verwandelst das Auto in eine Sauna", brummte er nach etwa einer halben Stunde und zog sich den Hoodie über den Kopf.
Es kam ein weißes Shirt darunter zum Vorschein.
Immer wieder schaute ich unauffällig zu ihm, um nach meinen Anzeichen zu suchen.
Als ich dann erkannte, dass sich auf keinem seiner Arme frische Einstichstellen befanden, war ich einerseits erleichtert, doch andererseits konnte ich nicht fassen, was mit mir los war.
Wieso war ich so misstrauisch ihm gegenüber? Er hatte mir doch keinen Grund dazu gegeben.
Vielleicht war es auch nicht wirklich fehlendes Vertrauen, sondern einfach zu große Sorge aufgrund meiner Gefühle für ihn. Ich wollte nur das Beste für ihn und da es ihm ja offensichtlich nicht gut zu gehen schien, suchte ich nach allen Möglichkeiten, die dafür als Grund geltend gemacht werden konnten. Aber ich fand sie nicht.
Mir fiel gar nicht wirklich auf, dass ich die ganze Nacht durchfuhr, bis wir um sechs Uhr morgens an Daves Haus ankamen.
Er hätte zwischenzeitlich die Möglichkeit gehabt einzuschlafen, doch er war wach geblieben, selbst wenn man ihm ansah, dass etwas Schlaf ihm bestimmt gut tun würde.
„Passt der Rest überhaupt noch rein?", fragte ich Dave kritisch, als wir ins Haus liefen.
Er zuckte mit den Schultern. „Die Möbel hab ich schon von einer Umzugsfirma rüberbringen lassen, jetzt geht's nur noch um das persönliche Zeugs."
Ich nickte verstehend.
Wir wichen gegenseitig unseren Blicken aus, er schaute ohnehin die meiste Zeit auf den Boden und ich die meiste Zeit auf ihn, in der Erwartung, er würde einfach auf Knopfdruck wieder der Dave werden, den ich kannte.
Das Haus, das wir betraten, kam mir so unbekannt vor, obwohl ich hier ja schon mehrere Tage verbracht hatte. Ohne die Möbel und allgemein die liebevolle Einrichtung war es so leer... so trostlos.
„Was machst du eigentlich jetzt mit dem Haus? Ich meine, das sieht nicht so aus, als hättest du vor, jemals wieder einzuziehen. Verkaufst du?"
Er nickte, sagte aber nichts weiter dazu.
Ich trottete ihm einfach hinterher, als er in sein altes Zimmer ging, wo auch schon das meiste fehlte.
Er riss lustlos die Plakate von den Wänden und knüllte sie zusammen. Alle Bilder und sonstige Kleinigkeiten warf er in einen Karton, auf den er schließlich mit Edding ein großes D drauf machte.
„Bringst du die ins Auto?", bat er mich dann.
Er sah mich zum ersten Mal heute direkt an, daher nickte ich schnell, hob die Kiste hoch und ging meinem Auftrag nach.
Als ich wieder zurück ins Zimmer kam, war Dave nicht mehr da, also lief ich suchend herum.
Ich hörte nichts, also musste ich in jedes Zimmer spähten. Ich war in jeden Raum im oberen Stockwerk gegangen, nur nicht das Schlafzimmer seiner Eltern.
Mein Gefühl sagte mir aber, dass er hier sein musste, also klopfte ich leise an die Tür und schob sie dann vorsichtig auf.
Dave war tatsächlich hier, er saß mit angezogenen Beinen in der Ecke, schaute auf die Mitte des Fußbodens im Zimmer.
Ich seufzte leise, schloss die Tür wieder hinter mir und ging zögerlich zu ihm. „Soll ich dich kurz alleine lassen?"
Er zuckte mit den Schultern.
Da er mich nicht wegschickte und ich bei ihm bleiben wollte, ließ ich mich neben ihm nieder, sodass sich unsere Seiten berührten.
Er schloss leidend die Augen und ließ den Kopf auf meine Schulter sinken.
„Alle, die sagen, es wird einfacher, haben noch nie jemanden verloren, den sie lieben"
Ich konnte nicht sagen, wieso, aber dieser Satz in Kombination mit seiner erschöpften Stimme brachten mein Herz dazu, sich für einen Moment schmerzhaft zusammen zu ziehen.
„Du vermisst sie sehr, mh?" Ich nahm dabei seine Hand, ohne einen Gedanken an die Bedeutung dieser Geste zu verschwenden.
Ich wollte einfach nur für ihn da sein, alles andere wurde unwichtig in diesem Moment.
Er nickte leicht, drehte den Kopf, sodass sein Gesicht an meiner Schulter lag und zog tief die Luft ein.
Wir verweilten lange so, die Zeit, die so verging, war nicht verschwendet, nein, sie war wertvoller genutzt, als wohl sonst irgendwie.
Ich musste Dave nicht anbieten, dass er, wenn er jemanden zum Reden brauchte, jederzeit zu mir kommen konnte.
Er wusste das.
Wichtig war, ihm zu beweisen, dass bei mir auch still sein durfte, dass ich auch dazu geeignet war, ihn einfach in den Arm zu nehmen, festzuhalten und für ihn da zu sein, wie oberflächliche Bekanntschaften das niemals hinbekommen würde. Denn darauf kam es an.
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