Teil 1/2
Inmitten des bunten Dickichts aus Blumen und Sträuchern ragten steinerne Mauern in die Höhe. Eigentlich war das kleine Häuschen, zu dem die Mauern gehörten, nur um die drei Meter hoch. Doch für Alyssa schien im Moment alles um sie herum riesig.
Sie hielt ihre Hände über die Augen, um von der durch die Äste fallenden Sonne nicht geblendet zu werden und sah sich um. Bis auf das heruntergekommene Häuschen waren Blumen, soweit das Auge reichte. Einige Meter weiter entfernt boten dichte Baumkronen Schatten. Ein leichter Duft von Rosen und Honig lag in der frischen Luft. Die einzigen Geräusche, die zu vernehmen waren, war das Summen der Bienen und das leise Rascheln der Blätter im Wind.
Alyssa rappelte sich auf. Wo war sie hier gelandet? Doch dann kam ihr noch eine viel wichtigere Frage in den Kopf: Wer war sie überhaupt?
Sie versuchte eine Antwort auf ihre Frage in ihrem Kopf zu finden. Das einzige, was sie über sich selbst wusste, war, dass sie Alyssa hieß. Zumindest dachte sie das. Denn wenn sie ganz still lauschte, so hörte sie Stimmen, die diesen Namen riefen.
Doch so sehr sich Alyssa auch anstrengte, mehr fand sie nicht. Sie fühlte sich wie ein unbeschriebenes Buch und das einzige, was auf dem einfarbigen Einband stand, war ihr Name. Nicht einmal das Jahr wusste sie. Was war also geschehen, bevor sie hier her gekommen war?
Alyssa stand auf, und hoffte, vielleicht in dem Haus vor ihr irgendegtwas zu finden. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sich Bluttropfen auf ihrem weißen T-Shirt befanden. Und das nicht gerade wenige. Doch sie spürte keine Schmerzen, das Blut schien auch schon eingetrocknet zu sein. Trotzdem hatte es noch ein allzu leuchtendes Rot. Alyssa hatte dadurch nur noch mehr Fragen. Stammte das Blut etwa von jemanden anderen?
Sie versuchte, schnell an etwas anderes zu denken. Da sie doch nicht einmal selbst wusste, wer sie war, wie konnte sie dann wissen, ob sie kein Mörder oder so etwas war? Alyssa schüttelte leicht den Kopf. So etwas würde sie doch niemals tun. Oder?
Sie schritt durch das Meer aus Blüten auf das Haus zu. Alyssa kannte sich nicht sehr mit Pflanzen aus, trotzdem staunte sie über die Vielfalt der Formen und die der Farben, die fast alle Farben des Regenbogens abdeckte. Bienen flogen von Blüte zu Blüte und verrichteten ihre Arbeit. Die Natur war wirklich erstaunlich.
Am Haus angekommen strich Alyssa mit ihren Fingerkuppen über die schroffen Steine. Das Häuschen wirkte etwas instabil, trotzdem strahlte es irgendwie Sicherheit und Schutz aus. Es kam ihr vertraut vor, als hätte sie es schon einmal gesehen. Es war sicherlich eine gute Idee, sich auch innen einmal umzusehen. Alyssa umschritt das Haus, um nach einer Tür zu suchen, wobei sie ihre Finger immer noch über die Mauern gleiten ließ.
Auf einer der Seiten stoß sie auf Rosen, welche wild an einem Holzgerüst an der Hausmauer herumwucherten. Die Blüten waren leuchtend rot und prall, außerdem schienen diese Rosen gar keine Dornen zu haben. Sie waren einfach perfekt. Behutsam strich Alyssa mit ihren Fingern über einen der Stiele. Diese Rosen, sie waren so wunderschön. Alyssa wollte sich eine davon mitnehmen, damit sie wenigstens irgendetwas hatte. Am besten die schönste von allen. Diese war auch schon bald gefunden, denn wie eine Königin ragte eine Rose über alle anderen heraus. Alyssa glaubte sogar, dass eine Majestätische Aura davon ausging. Genau diese Rose war das, was sie gesucht hatte.
Vorsichtig riss sie die Rose am Stiel ab und nahm sie in die Hände. Alyssa roch daran und nahm einen wunderschönen Duft war, viel intensiver als die der anderen Rosen. Sie umschloss den Stiel fest mit ihren Fingern. Das war sie. Das war ihre Rose.
Doch dann spürte sie plötzlich ein Stechen in einem ihrer Finger. Erschrocken ließ Alyssa die Rose fallen. Der Stiel hatte scheinbar wie aus dem Nichts große, spitze Dornen gebildet. Alyssa konnte die Einstichstelle an ihrem Zeigefinger sehen, ein Tropfen Blut rann über ihren Finger und tropfte schlussendlich auf die saftig grüne Wiese. Warum war das gerade passiert? Sie häztte schwören können, dass vorher noch keine Dornen vorhanden waren.
Als Alyssa dann wieder einen Blick auf die am Boden liegende Rose war, war diese verschwunden. Zumindest die Blüte dieser. Denn um den Stängel, der immer mehr Dornen bekommen zu schien, bildete sich eine Pfütze, rot wie das Blut, das eben von ihrem Finger getropft war.
Erschrocken trat Alyssa einen Schritt zurück. Was sollte das Ganze? Dann machte sie einen großen Bogen um die Überreste der Pflanze, um endlich zur Rückseite des steinerne Häuschen zu gelangen, dort vermutete sie auch die Eingangstür, wenn es denn eine gab.
Tatsächlich wurde sie dort fündig. Obwohl sie beim ganzen Haus noch kein einzelnes Fenster entdeckt hatte, gab es eine große Tür aus dunklem Holz. Eine goldene Türklinke prangte an der Seite, welche mit vielen Schnörkeln verziert war. Das Gold glänzte in der Sonne und kein bisschen Staub hatte sich darauf abgelagert. Alyssa drückte die Türklinke hinunter und drückte sich gegen die Tür. Dabei fiel sie aber fast auf den Boden, denn die Tür ließ sich leichter öffnen, als sie gedacht hatte.
Sie ließ die Tür weit offen, damit Licht in den düsteren Innenraum gelang. Es gab scheinbar nur einen Raum. In einer Ecke stand ein großer Schreibtisch, auf dem sich Bücher und Papier stapelten. Außerdem lag eine aufgeschlagene Zeitung in der Mitte. Lebte hier gar jemand? Wenn ja, wo war der Bewohner? Doch das Haus hier sah wirklich verlassen aus. Und zumindest vorerst war sie alleine hier.
Alyssa sah sich weiter um. Einige Holzstühle standen willkürlich hingestellt in einer Ecke. Außerdem befand sich an der anderen Wand noch ein kleines Regal. Der Inhalt unterschied sich auf den verschiedenen Ebenen. Unten standen Einmachgläser, darüber Bücher mit alten Einbänden, und das einzige, was sich ganz oben befand, war eine goldene Uhr. Erst jetzt fiel Alyssa das laute Ticken auf, das von dieser ausging. Tick, Tack, Tick, Tack. Keine anderen Geräusche schien es noch zu geben. Selbst das Rascheln der Blätter, welches vorhin noch ziemlich laut zu hören war, war verschwunden. Mit langsamen Schritten ging Alyssa auf die Uhr zu. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen. Diese Uhr, Alyssa war sich sicher, dass sie diese kannte. Sie streckte ihren Arm aus, um die Uhr zu berühren, doch dann bemerkte sie einen Schatten hinter sich. Sie war wohl doch nicht so alleine, wie sie anfangs dachte. Eine schweigende Gestalt stand im Türrahmen und verdunkelte den Raum nur noch mehr. Dafür schienen die Augen dieser Person umso heller.
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