Garten
Die Photosyntheser – mein Bruder nennt sie Pflanzen – überziehen inzwischen fast den ganzen Landteil des Planetchens. Es ist ein schöner Anblick, denn obwohl die meisten von ihnen grün sind, haben sie mittlerweile Blüten entdeckt, die sie in vielfachen Farben ausbilden. Auch ihre Blätter verfärben sich, wenn die Jahreszeiten wechseln. Es ist ein bunter, harmonischer Reigen, der sich um den Planeten zieht, denn die Jahreszeiten sind nicht überall gleichzeitig. Es ist nicht minder schön denn der Tanz der Sterne.
Mein Bruder trennt einen Teil ab. Ich bin schockiert. So etwas machen wir sonst nie. Wir besamen die Welten mit Leben, dann lassen wir ihnen ihren Lauf. Wir mischen uns nicht ein! Ebenso, wie wir zwar die ursprüngliche Explosion initiiert haben, welche Energie und Materie neu schuf und einen neuen Sternentanz begann, aber niemals die Bahn eines Sternes ändern oder das Werden eines Planeten beeinflussen.
„Was machst du da?" frage ich.
„Einen Garten", erwidert er.
Ich glaube zu verstehen. „Oh – einen Teil für dich? Du willst diese Schönheit als Wesen genießen? Als welches? Und darf ich dich darin besuchen?" Ich erwecke zwar selten Leben auf Planeten. Aber ich liebe es, dessen Gestalt anzunehmen und es zu imitieren. Einen festen Körper zu haben und Licht, Wärme und Atmosphäre mit allen Sinnen wahrzunehmen.
„Nicht nur für mich", erklärt er. „Dort werde ich sie züchten."
„Wen?" Noch denke ich an Pflanzen. Was meint er mit züchten? Will er größere, schönere, buntere Blüten hervorbringen?
„Ich werde sie Menschen nennen", meint er.
„Wen?", wiederhole ich.
„Die Geschöpfe, die ich formen werde. Nach unserer Art, unserem Bilde."
„NEIN!" Unwillkürlich schreie ich. „TU DAS NICHT!"
„Aber ja, doch. Ich habe diese Idee schon sehr lange. Und gut darüber nachgedacht."
Nicht gut genug, fürchte ich. „Sie werden die Welt zu schnell verändern", protestiere ich. „Sie werden die Macht dazu haben, aber nicht das Wissen. Sie leben zu kurz, um zu erfahren, was ihr Eingreifen bedeutet."
„Sie werden sich erinnern", meint er. „Ihr Wissen weitergeben."
Darauf würde ich an seiner Stelle nicht bauen.
„Willst du sie aus den Pflanzen bilden?" frage ich. Einige Pflanzen leben – an der Zeitspanne lebender Wesen gemessen – ziemlich lange. Auch wenn das immer noch sehr kurz ist, haben sie doch die Chance, die kurzfristigen Folgen ihrer Eingriffe zu beobachten. Zudem bewegen sich Pflanzen sehr langsam und können so nicht allzu viel anrichten.
„Nein, aus den Tieren", erläutert mein Bruder. Ich erschrecke erneut. „Die sind zu schnell", jammere ich. „Zu hungrig. Zu kurzlebig. Sie werden eher zerstören als aufbauen." Ich hasse Zerstörung. Auch wenn es euch sicher wundern wird, aber es ist so. Vielleicht denke ich dafür zu langsam. Ich mag eine allmähliche Entwicklung, aber keinen plötzlichen Zusammenbruch ohne erneuten Aufbau. Das ist langweilig.
„Ich passe schon auf", versichert mein Bruder. „Ich werde ihnen Richtlinien mit auf den Weg geben."
Nun, wenn er meint, dass es nützt. Ich zweifle daran.
Die Menschen sind nun schon eine Weile da. Ein Männchen und ein Weibchen. Sie benehmen sich wie Kinder, spielen, haschen einander, lachen viel, laufen durch den Garten und fassen alles an. Sie haben keine Sorgen, müssen sich nicht wie Tiere um ihr Auskommen bemühen. Irgendein Baum im Garten trägt immer Früchte. Und die Tiere, die hier hereinkommen, sind zutraulich und lassen sich leicht fangen.
Erst dachte ich, die Menschen seien gar nicht so schlimm wie befürchtet. Sie sind freundlich, sprechen lieb miteinander und mit meinem Bruder, der sie oft besucht. Dabei nimmt er dann die Gestalt eines Menschen an. Die beiden halten ihn für ihren Vater, was ja in gewisser Weise auch stimmt. Aber sie ahnen nicht, dass er viel mehr ist als sie.
Sie begreifen jedoch, dass sie ihm gehorchen müssen. Weil ihm der Garten gehört, glauben sie. Und weil er älter ist und mehr weiß.
Dass mein Bruder älter ist, klüger und mächtiger, ist auch für mich ein Grund, ihm zu gehorchen. Wesentlicher für mich ist jedoch, dass ich ihn liebe.
Ob diese Menschen lieben können, weiß ich nicht. Aber ich zweifle daran. Neulich erst habe ich beobachtet, wie der Mann einen Vogel zu sich lockte, mit Futter. Der Vogel kam zu ihm und ließ sich füttern. Und er wehrte sich kaum, als der Mann ihm den Hals umdrehte. Später legte der Mann dann den entfiederten Vogel auf einem heißen Stein in die Sonne. Mein Bruder hat ihn gemacht, damit die Menschen ihre Nahrung erwärmen können. Ob er dabei auch an Vögel gedacht hat? Den beiden Menschen jedenfalls hat ihr Braten gut gemundet. Aber seit diesem Vorfall zögere ich, die Gestalt eines Vogels anzunehmen.
Denn mein Bruder hat mir erlaubt, seinen Garten zu besuchen, so oft ich will. Und ich durchstreife ihn gerne, in der Form irgendeines Tieres. Die eines Menschen habe ich nur einmal angenommen. Ich bin dabei dem Weibchen begegnet und der hungrige Blick, mit dem sie mich gemustert hat, hat mir gar nicht gefallen.
Mein Bruder hat den Menschen befohlen, sich um den Garten zu kümmern. Sie sollen kranken Tieren und Pflanzen helfen, Äste stützen, welche das Gewicht ihrer Früchte nicht mehr tragen können, die Wege von Blättern und Zweigen freiräumen. Manchmal tun sie es. Vor allem, wenn sie meinen Bruder kommen hören. Meistens lassen sie es.
In der Mitte des Gartens steht ein besonders ertragreicher Baum. Mein Bruder hat den Menschen verboten, von dessen Früchten zu essen. Angeblich würden sie dann sterben. Das stimmt natürlich nicht. Gar nichts wird geschehen. Aber mein Bruder möchte wissen, wie gut die Menschen seine Weisungen befolgen.
Ich könnte es ihm sagen. Die Menschen haben die Früchte bisher tatsächlich in Ruhe gelassen. Aber sie streifen oft um den Baum herum. Seine Äste haben sie nicht abgestützt, so dass sie sich schwer zu Boden neigen und man die Früchte leicht pflücken kann. Und die Menschen mustern diese mit hungrigen, begierigen Blicken, beobachten die Tiere, die sich an ihnen gütlich tun und berühren manchmal ganz vorsichtig eine Frucht. Nur ein Stupser und sie ziehen die Hand sofort weg. Aber dass sie davon nicht gleich tot umgefallen sind, hat sie wohl ermutigt.
Mein Bruder lehrt die Menschen geduldig, was in der Welt zu tun ist. Was sie ändern können und was sie nicht ändern sollten. Aber die Menschen hören kaum zu und vergessen schnell, was er ihnen sagte. Sie sind nicht sehr klug. Sie haben eine gewisse Macht und das Wissen um Veränderung. Ich habe gesehen, wie sie sich eine Unterkunft bauten. Statt lose Blätter zu einem Nest zu formen, haben sie junge Bäume ausgerissen, viel zu nahe beieinander wieder eingesetzt und miteinander verflochten. So ist eine regendichte Hütte entstanden. Aber die Bäume können nicht mehr frei wachsen und werden zum Teil absterben, weil Licht, Wasser und Nahrung nicht für alle auf diesem engen Raum ausreichen. Die Menschen jedoch sehen das nicht.
Sie sind einfach zu dumm dafür, ihre Macht richtig einzusetzen.
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