5.5. Ankunft zuhause
Der Ort Bernstein hatte erst vor etwa 100 Jahren das Stadtrecht bekommen. Ausschlaggebend dafür war der groß angelegte Handel mit Bernstein gewesen, das hier zuhauf zu finden war. Denn einst verlief die nördliche Küstenlinie des Kontinenten genau in dieser Gegend. Die Elder mussten es aber irgendwie vermocht haben, die unter Wasser liegenden Landschaften an der Nordküste aus dem Meer emporzuheben und die Küstenlinie dadurch gut 100 Milen weiter nach Norden zu verschieben – dort, wo sie heute auch noch war. Nur auf diese Weise ließ sich aus Sicht der Harmonier jedenfalls im Nachhinein erklären, dass man in der Grafschaft Bernstein, sowie auf einer gedachten waagerechten Linie westlich und östlich davon, Gesteine und Mineralien finden konnte, die eigentlich eher zu einer Küstengegend gehörten.
Neben dem Handel mit Bernstein, das man hier auch auf verschiedenste Weise verarbeiten konnte, gab es in der Stadt Bernstein auch allerhand Gerber, Färber, Wollhändler und Bäcker, die alle einen großen Anteil am Gedeihen des Ortes besaßen. Dies wurde auch gerade dem Grafen Heinrich bewusst, als er mit den anderen Reitern in den Ort hineinritt. Denn an dieser Seite des Stadtrandes lagen die Häuser der Gerber, unverkennbar an den vielen Fellen, die gerade auf Stangen und Leinen ausgelegt auf die weitere Verarbeitung warteten.
Heinrich nahm den Anblick mit Wohlwollen auf, war aber froh, dass kaum ein Mensch von seiner Ankunft Notiz nahm.
Die Straße machte einen Schwenk nach links und man passierte die ersten Steinhäuser von Bernstein. Dabei kam der Trupp an eine der Bäckereien vorbei, die Heinrich von klein auf kannte und die er sehr schätzte. Der Bäckermeister bezog sein Mehl von einer kleinen Mühle am Bärenbach, an der er sich oft mit Anna getroffen hatte.
Wehmütig blickte der Graf von Bernstein zu der Backstube und nickte kurz, als er und die anderen Reiter von einem der Bäckergesellen gegrüßt wurde.
Schließlich gelangte der Trupp am Marktplatz an. Hier waren viele Menschen versammelt. Als sie den Grafen erkannten, seufzten sie allesamt erleichtert auf, dann jubelten sie sogleich dem Bernsteiner zu. Alle freuten sich darüber, dass ihr Herr wohlbehalten zurückgekommen war. Einzig sein kleines Gefolge aus nur zwei Rittern zeugte davon, dass auch ihre Grafschaft Federn lassen musste in diesem verdammten Feldzug.
Heinrich winkte gemeinsam mit August den Leuten zu. Wenigstens waren die Menschen hier dank der Nuntiis schon über die Pleite im Süden informiert worden, so dass man von ihm keine Erklärung für die fehlenden Männer und Beutewagen erwartete. Die beiden Hegeliner Ritter hatten sich gemeinsam mit Hugo und Andreas mittlerweile so formiert, dass sie zu zweit hintereinander ein Stück weit links und rechts versetzt zu den Grafen ritten. Auf diese Weise hielten sie die Menge am Wegesrand auf Abstand. Tatsächlich traute sich niemand, eine Frage zu rufen oder gar die Edelmänner anzuhalten.
Nach einer Weile hatten sie die Stadt hinter sich gelassen. Rechts vor ihnen konnte man nun eine kleinere Burg auf einer Anhöhe sehen.
Heinrich schnaufte durch. Sein Zuhause lag vor ihm.
Direkt hinter den letzten Häusern von Bernstein führte ein kleiner Weg von der Hauptstraße weg und auf die Anhöhe zu. Die sechs Reiter schlugen diesen Weg ein und gelangten wenig später über einen schmalen Burggraben in den Hof von Heinrichs Wohnstatt. Das Tor war von vornherein offen gewesen, da es sowieso schon seit einiger Zeit kaputt war. Eines der vielen Baustellen, mit denen Heinrich wegen seiner knappen Kasse zu kämpfen hatte.
Sofort kamen einige Bedienstete an, begrüßten ihn offenherzig und hießen auch den Hegeliner Grafen willkommen, wobei sie einen erstaunten Gesichtsausdruck nicht vermeiden konnten. Heinrich sprang ab und überließ Hugo und Andreas sein Pferd.
„Auf ein Wort, Bernstein!", rief daraufhin August entschlossen und glitt schwungvoll aus dem Sattel. Jeder verstand sofort diese Geste: offenbar wollte der Hegeliner Graf dringend mit seinem Nachbarn sprechen. Allein natürlich.
Heinrich griff die Geste auf und wies auf den Burgeingang. „Gehen wir doch in das Kaminzimmer, Hegelin", lud er den Anderen freundlich ein.
Den Rittern war durch diese Floskeln sofort klar, dass sie sich alleine um die Versorgung der Pferde und um sich kümmern sollten. Zudem würden ihre Herren in der nächsten Zeit keinerlei Störung wünschen.
Heinrich ließ sich von der guten Emma, seiner ehemaligen Amme, eine Karaffe mit Wasser und zwei Krüge bringen. Wein hatte er ja schon lange nicht mehr auf der Burg. Er unterdrückte den Ärger, der durch diesen Gedanken hochkommen wollte. Was soll's?!
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