5.2. Morgenmahl an der Grenze (II)

Marcus Celerior ließ sich am Baum wieder niedersinken und nahm am Stamm lehnend zügig sein Morgenmahl ein. Er genoss die plötzliche Ruhe, die stets nach dem Austeilen einer Verpflegung einsetzte. Wenigsten würden seine Männer erst einmal dieses kindische Geschwätz unterlassen, das sie bisher so rege gepflegt hatten. Tatsächlich blieb sein Trupp vorerst still. Jeder wusste um den bevorstehenden Aufbruch, daher wollten alle ihr Morgenmahl zwar schnell, aber halbwegs mit Genuss verrichten.

Der Securio ließ seine Gedanken während des Verzehrs der kargen Mahlzeit schweifen. Er liebte diese festen Rituale des Kriegsdienstes. Jeder Tag begann zunächst mit einer kurzen Morgentoilette, dann erfolgte die Pflege der Ausrüstung und erst danach gab es das Morgenmahl. Im Verlauf des Tages gab es dann noch die Trainingseinheiten und ab und an auch Andachten zum harmonischen Glauben.

Seit Marcus Celerior denken kann, hatte ihn das Militär fasziniert. Eigentlich kein Wunder, denn seine Familie – die Cornelier – waren eine bekannte Kriegerfamilie, deren Vertreter in allen großen Schlachten der Vergangenheit mitgewirkt hatten. Dies hatte natürlich großen Eindruck auf ihn gemacht und ihn dahingehend beeinflusst, ebenfalls diesen Weg einzuschlagen. Auf diese Weise konnte er einerseits seiner Familie Ruhm und Ehre bereiten, andererseits aber natürlich auch sich selbst.
Wie sein Bruder Marius zuvor hatte sich daher auch Marcus bereits mit 17 Jahren rekrutieren lassen. Allerdings hing er seinem Bruder von Anfang an hinterher, was aber auch einfach an dem Umstand lag, dass Marius zehn Jahre älter war.

Dennoch tat Celerior alles Mögliche, um seinem Bruder zu beweisen, dass er mindestens genauso gut war wie er. Eine erste Möglichkeit bot der Feldzug gegen die Goten vor sieben Jahren, in denen er sich unter dem Kommando von Tiberius Frangus auszeichnete. Doch selbst nach seinen dortigen Erfolgen weigerte sich der Oberpriester von Campanien standhaft, ihm ein höheres Kommando in einer Legion zu geben. Daraufhin wurde er von seinem älteren Bruder regelrecht verspottet: vielleicht werde er ja mit 40 Jahren erst Centurio, dann wüsste er wenigstens, mit was für Zipperlein die Veteranen sich herumschlagen mussten. Marcus kam die Galle hoch, wenn er nur daran dachte.

Marius hatte aber auch gut lachen: nach einigen Erfolgen hatte er relativ schnell eine hohe Position unter dem Imperator Frangus bekommen und durfte eine der Legionen anführen, die gegen die Carther zu Felde zogen – einem hochmütigen Volk, das die Harmonier schon seit vielen Jahren von Osten und Südosten her bedrängt. Als Tiberius Frangus vor vier Jahren fiel, wurde Marius schließlich sogar der neue Oberbefehlshaber für den Carthanischen Feldzug. Damit war Marcus endgültig ins Hintertreffen bei ihrem brüderlichen Konkurrenzkampf geraten. Wenn er aber diesen Goelius aufgreifen würde, der für das Heilige Königreich eine so große Bedeutung besaß, hätte er sich endgültig den Posten in einer Legion verdient. Von da an würde er sich bald zu höheren Kommandos hochgedient haben...

Marcus schreckte aus seinen Gedanken hoch, weil ihm plötzlich Sonnenstrahlen ins Gesicht blendeten. Er blickte zur murus maximus und sah, wie die Sonne allmählich über der Grenzbefestigung hervorkam. Die Zeit war also schon wieder ordentlich vorangeschritten! Sofort sprang er auf, nahm hastig einen letzten Schluck aus der Weinflasche und rief dann in Richtung seiner Männer: „Securia, Achtung! Fertigmachen zum Abmarsch!"

Die Männer horchten auf und gleich darauf kam Bewegung in den Trupp. Ein Jeder verstaute seine Sachen bei sich und an den Pferden, die einer der Grenzsoldaten zuvor vors Tor gebracht und an einer Baumgruppe angebunden hatte.

Auch Serpentius bemühte sich, alles schnell zu verpacken, was er noch lose zur Hand hatte. Allerdings wollte ihm das nicht ganz gelingen. Halb verträumt befestigte er das geputzte Schwert an der dafür vorgesehenen Lasche an seinem Pferd. Er verdrängte das aufkommende Bild von der Tochter seines Großonkels, die vorhin erwähnt worden war. Er wollte jetzt nicht an Francesca Flavia denken, die trotz ihres älteren Vaters ungefähr genauso alt war wie er selbst. Er wusste, dass sie ihn auch ziemlich mochte und dass er durchaus eine echte Chance bei ihr hatte, doch er würde sich erst wieder mit ihr befassen, wenn er in die Heimat zurückgekehrt war. Auch wenn sein Trupp in keine Schlacht zog, war es doch ratsam, für die nächste Zeit sämtliche Gedanken an Frauen zu verbannen. Zur fehlerlosen Erledigung eines Auftrages war das stets besser so, wusste Serpentius.

Während die Securia sich zum Abmarsch vorbereitete, nahm Marcus Celerior die Karte zur Hand, die er vom Präfekten erhalten hatte.
Er studierte sie eindringlich.
Vor seinen Augen entstand in Gedanken ein Plan, um den Auftrag umzusetzen. Die via Austria endete hinter der austrianischen Grenze in der Grafschaft Dalsheim. Dort ging sie in einen einfachen Sandweg über, der relativ gerade nach Norden verlief bis nach Golddorf. Celerior wollte diesen Weg nach der Grenze erst einmal verlassen, um sich Richtung Nordosten bis zum öden Land vorzuarbeiten. Dort in der Grafschaft Gernsheim gab es einen bestimmten Platz, der für ein Versteck geeignet war.

Sollte Goelius dort nicht zu finden sein, würden sie nach Westen in die Grafschaft Waldesheim ziehen, um wieder auf den Hauptweg Richtung Norden zu gelangen. Von diesem Weg aus konnten sie zunächst alle entscheidenden Plätze im westlichen Teil Allerlandens absuchen, ehe sie dann im Norden in der Nähe von Golddorf die große Brücke über den Fluss Eld überqueren würden, um zum östlichen Teil Allerlandens zu gelangen. Doch damit brauchte sich Celerior erst einmal noch nicht beschäftigen. Vielleicht würde er den Gesuchten schon in den westlichen Grafschaften aufspüren.

Nachdem seine Männer abmarschbereit waren, ließ der Securio die Pferde satteln. Kurz darauf war der Trupp vollständig Richtung Norden verschwunden und vor der Grenzfestung, deren Tore mittlerweile wieder geschlossen worden waren, war nichts weiter vorzufinden als die herrliche Ruhe eines anbrechenden Morgens.

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