3.7. Der Auftrag (II)
Während er sich allmählich vom Haus des Präfekten entfernte, bewegte Marcus die Aspekte des Einsatzes nochmals in Gedanken hin und her. Er sollte nach Allerlanden – zugegeben, das war wirklich das Schlimmste an dem Ganzen. Andererseits ging es diesmal um keine Kämpfe, so wie in Austria, sondern um die Festnahme einer einzigen Person. Da er so gut wie alle Ortschaften in terra omnium kannte, kannte er genug Anlaufstellen, wo man sich noch einigermaßen erträglich aufhalten konnte. Auf diese Weise würde sein Trupp immer eine gute Übernachtung und Unterhaltung haben und wäre gleichzeitig trotzdem stets in einer Gegend, wo es bestimmte Schlupfwinkel gab oder sich welche ergeben konnten.
Auch die Wichtigkeit des Auftrages durfte er nicht übersehen. Zwar ging es nur um einen Mann, aber der sollte in der heiligen Hauptstadt Harmonopel angeklagt werden – und das auch noch vom König und Hohepriester höchst selbst. Warum der alte Scaurus, dieser unerschrockene Kämpe, nicht mit dem Grund für die Festnahme herausrücken wollte, war Marcus eigentlich völlig egal. Auf jeden Fall würde Derjenige, der diesen Hochverräter aufgreift und nach Harmonia schafft, einen großen Lohn empfangen, da dieser Mann extrem wertvoll für die heilige Krone zu sein scheint. Insofern könnte Marcus' Traum, sich für ein festes Kommando in einer Legion zu bewähren, mit der Erledigung dieses Auftrages endlich in Erfüllung gehen.
Aus seinen vielzähligen Gedanken formte sich vor Marcus' Augen allmählich ein Bild von dem neuen Auftrag. Im Grunde war die Angelegenheit gar nicht so übel. Derart sinnierend schlich sich ein Lächeln im Gesicht des Securio, während er gerade das Forum von Ludarium erreichte.
Der plötzliche Menschenlärm riss Marcus aus seinen Gedanken. Er sah sich nach mehreren Seiten um, so als müsse er sich erst vergegenwärtigen, wo genau er sich gerade befand. Dann kamen seine Gedanken zum letzten Puzzle des Auftrages. Die Abreise sollte ja sofort erfolgen, also musste er schnurstracks seine Männer finden. Als Soldat brauchte er nicht lange zu überlegen, wo man andere Soldaten an einem solchen Abend finden könnte. Hier auf dem Forum, wo es um Politik und Handel ging, bräuchte er sich gar nicht erst umsehen. Marcus drehte sich in eine bestimmte Richtung und ging quer über das Forum Richtung Hafen. Dort in den Spelunken, Tavernen und Hurennestern der Stadt würde er seine Soldaten eher finden, das wusste er genau.
Der Securio sollte recht behalten. Schon in der zweiten Taverne fand er drei seiner Männer, wobei zwei nicht mehr klar denken konnten. Marcus war das egal. Unerbittlich schleifte er alle drei einzeln vor die Tür. Kurz darauf kam schon die Stadtwache an, die Marcus Celerior zuvor hatte rufen lassen. Die Wache sollte die beiden angetrunkenen Soldaten aufs vigiliarum bringen und ihnen dort einen speziellen Trank verpassen, der die Nüchternheit innerhalb einer Stunde wiederherstellen konnte.
Zusammen mit dem dritten Soldaten spürte Celerior dann die übrigen drei Soldaten seines Trupps auf. Zum Glück wusste Serpentius, so der Name seines unfreiwilligen Begleiters, wohin die Anderen wollten. Darauf hatte Marcus auch gebaut. Die meisten Soldaten schwätzten untereinander immer alles aus.
In einem der Dirnenhäuser wurden sie schon bald fündig. Zum Glück für Marcus waren seine Männer gerade in einer „Erholungspause", so dass sie im großen Hauptraum des anrüchigen Anwesens anzufinden waren, dazu noch einigermaßen bekleidet.
Die Gefundenen waren natürlich genervt und enttäuscht darüber, dass sie noch heute wieder ihre Heimat verlassen sollten, aber wenn sie keinen militärischen Ärger bekommen wollten, mussten sie den Befehlen ihres Securio gehorchen. Marcus Celerior erklärte ihnen in knappen Sätzen, was auf sie zukam und begab sich anschließend vor das Hurenhaus. Er ließ seine Untergebenen Zeit sich frischzumachen, sowie alle Rechnungen zu bezahlen.
Er wollte schon gerade verärgert nachschauen, weil fast zwanzig Minuten um waren und noch immer keiner zu hören und zu sehen war, als die drei Kameraden endlich gemeinsam mit Serpentius in ordnungsgemäßen Anzug aus der Tür traten und sich abmarschbereit meldeten. Marcus nickte erfreut. „Geht doch", sagte er nur halb laut, wobei er grinste.
Dann forderte er die Soldaten auf, mit ihm zum vigiliarum zu kommen, wo sie die zwei noch fehlenden Kameraden einsammeln würden. Er hoffte, dass diese inzwischen wieder einigermaßen leistungsfähig waren.
Es dauerte einige Zeit, ehe sie das Wachthaus von Ludarium gefunden hatten. Als sie dies endlich erreichten, hatte die Sonne bereits zu sinken begonnen. Dennoch würde für Keinen von ihnen der Tag so bald schon zu Ende sein. Marcus hatte sich fest vorgenommen, noch bis Mitternacht die austrianische Grenze zu passieren, um am nächsten Tag schon vor den Feldern und Wäldern Allerlandens stehen zu können.
Im vigiliarum herrschte eine gewisse Betriebsamkeit, die darauf hindeutete, dass es in Ludarium heute Abend wieder allerlei Raufereien und Diebesgeschichten gab. Einer der Wachsoldaten hatte gerade nichts zu tun und kam daher auf Marcus zu und fragte nach seinen Wünschen. Da ertönte ein Ruf hinter ihm: „Das ist der Securio, der sicherlich seine Leute abzuholen wünscht." Sowohl der Soldat als auch Marcus sahen sich zu dem Mann um, der gerade im hinteren Bereich des Gebäudes an einer Tür stand. Der Securio erkannte den Wachthauptmann wieder, der seine Männer vorhin vor der Taverne abgeholt hatte. Die beiden ranghöheren Soldaten nickten sich einander erkennend respektvoll zu.
Daraufhin ging alles ziemlich schnell. Man brachte den Trupp zu dem Raum, in dem die beiden Kameraden zur Ausnüchterung einsaßen. Anstatt die Beiden aber rauszulassen, ging Marcus mitsamt seinem Trupp in die Zelle hinein. Der kleine Raum war ideal, um mit den Männern in Ruhe den Auftrag zu besprechen. Zunächst erhielten aber die beiden Betrunkenen, die zum Glück schon wieder einigermaßen nüchtern waren, eine Standpauke. Sie war nicht groß, denn die Soldaten hatten ja nicht wissen können, dass ihre securia so schnell wieder einen Einsatz erhält. Dennoch musste Marcus zeigen, dass er als Vorgesetzter solches Verhalten nicht duldet und erteilte daher eine ernsthafte Rüge.
Anschließend erklärte er Allen in Ruhe den Auftrag und sagte ihnen, an welchen Stellen in Allerlanden sie auf jeden Fall nachforschen werden. Dann nahm er die Dokumentenmappe zur Hand, die ihm der Präfekt gegeben hatte. Er hatte sich in dem Stadtkommandanten nicht getäuscht. Neben den detaillierten Auftragspapieren, in denen alles Nötige über die Person Ludovicus Zarius Goelius stand, hatte der Präfekt nicht nur eine Karte Allerlandens beigefügt, sondern auch für jeden Securianten ein privilegitus ausgestellt – ein Reiseprivileg. Dieses Dokument war ein besonderer Pass, der dem Securio und seinen Soldaten erlaubte, jedwede Landesgrenze zu passieren. Marcus zog die privilegiti heraus und teilte sie den Männern aus. Während die Amtspapiere seiner Männer nicht auf ihren persönlichen Namen ausgestellt waren, trug sein Dokument als einziges seinen vollständigen Namen und war zugleich mit einer zusätzlichen Weisung des Oberpriesters und Statthalters Lucius Aemilius Scaurus versehen. Durch diese konnte der Securio überall und jederzeit Hilfe und Unterstützung fordern und verlangen, da er und seine Securia offiziell als ausführendes Organ der Oberpriesterschaft ausgewiesen wurden.
Die Untergebenen nahmen Marcus das privilegitus ab, rollten es zusammen und schienen fertig zu sein. Dann stellten sie einige Fragen, worauf Marcus schon gefasst gewesen war. Er beantwortete aber alles so knapp wie möglich, denn die Zeit zum Aufbruch drängte. Die Soldaten nahmen es gelassen hin und wandten sich zum Gehen um.
Die Tür der Zelle öffnete sich und die wieder vereinte Securia trat zusammen auf den Flur und ging zum Hauptraum des vigiliarum zurück. Marcus eilte schnurstracks zum Wachhauptmann, zeigte sein Amtspapier vor und verlangte von ihm ausgeruhte Pferde für sich und seine Leute. Harmons Siegel und Scaurus' Unterschrift zeigten sofort Wirkung. Der Wachhauptmann rief eilig ein paar Leute herbei, die den Trupp zu einem bestimmten Versorgungshof bringen sollte.
Eine halbe Stunde später saß die Securia auf frischen Pferden und verließ beim letzten Tageslicht die Stadt. Marcus grinste erfreut. Bis hierhin lief es schon mal gut. Er fasste nach links an sein Schwert, welches er am Stadteingang hatte abgeben müssen und das er dank des privilegitus sehr schnell zurückerhalten hatte, genau wie seine Männer. Die Anwesenheit des harmonischen Stahls beruhigte und beflügelte ihn zugleich. Er würde diesen Goelius finden und dann würde er endlich ein höheres Kommando in einer Legion erhalten. Vielleicht könnte er sogar gleich Centurio werden und nicht erst Optio. Dann hätte er es ihm endlich mal gezeigt...
Beim Getrappel der Pferde flog die Straße unter ihnen dahin. Bis zur austrianischen Grenze waren es etwa 30 Meilen. Marcus schätzte daher, dass sie es bis Mitternacht bis dorthin schaffen konnten. Die Pferde waren wirklich von guter Ausdauer und zudem befanden sie sich noch auf der via Austria, eine der vier großen ausgebauten Steinstraßen des Heiligen Königreiches. Daher kam man hier wesentlich schneller voran, als auf jeder gewöhnlichen Wegstraße. Selbst wenn der Trupp erst nach Mitternacht die Grenze erreichte, würde das in Marcus' Vorhaben passen. Denn in den Grenzbefestigungen hielt man die ganze Nacht hindurch Wache, so dass sie dort auf jeden Fall jemanden sofort ansprechen könnten. Marcus wollte dann auch die Gelegenheit nutzen, um in eine der Befestigungen Quartier zu beziehen. Auf diese Weise müsste der Trupp diese Nacht nicht im Freien verbringen.
Alles in allem fand Marcus Celerior, dass dies Unternehmen damit einen ziemlich guten Anfang genommen hatte. Mit einem siegessicheren Grinsen reitete der Securio von seinem Trupp umringt auf der via Austria in die Nacht hinaus.
E n d e von K a p i t e l 3
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