Während an diesem Sommerabend allmählich nach und nach alle Grafen mitsamt ihrem Gefolge nach Allerlanden zurückkehrten, saß viele Meilen weiter südlich gerade ein kräftig gebauter Mann in einem mit Marmor ausgekleideten Wasserbecken und entspannte seine müden Glieder von den erlittenen Strapazen, die hinter ihm lagen.
Das Wasser des Beckens hatte eine angenehme, gleichbleibend warme Temperatur, worüber ein Drelder sich vielleicht gewundert hätte. Doch hier - im Heiligen Königreich von Harmon - waren beheizbare Wasserbecken eine völlig gewöhnliche Angelegenheit.
Daran musste auch gerade der Mann denken, der erst vor einigen Stunden aus dem rauen Norden zurückgekehrt war. Dort suchte man solchen Luxus vergeblich. Das warme Wasser um seinen Körper ließ ihn daher auch ein zufriedenes Gefühl von Heimat im Herzen entstehen.
Noch war er allerdings nicht ganz zu Hause. Die hiesige Stadt Ludarium, zu der die Wassertherme gehörte, in der er sich gerade befand, war eine der großen Handelsstädte der Provinz Aurelia, der nördlichsten Provinz des Heiligen Königreiches. Wenn man von Austria kommend ins Heilige Königreich zurückkehrte, war diese Stadt eine der ersten Anlaufpunkte, die man als nächstgrößere Siedlung erreichte. Es war daher für den Mann klar gewesen, erst einmal mit seinen Männern hier Halt zu machen, bevor sie dann morgen in die campanische Heimat weiterziehen werden.
Der Mann stöhnte seufzend auf und lehnte sich in sitzender Haltung nach hinten, so dass sein Körper noch mehr von Wasser umspült wurde. Er wollte noch nicht an morgen denken und konzentrierte sich wieder mehr auf die Wirkung des Wassers. Nur mit halbem Bewusstsein nahm er wahr, wie neben ihm zwei neue Personen ins Becken traten.
Der Mann saß in der Nähe des Beckenrands auf eine der breiten Stufen mit Marmorverzierungen, die sich an der oberen, schmaleren Frontseite des Beckens befanden. Von hier aus war man sehr weit vom Eingang entfernt, der sich an der von ihm aus rechts gelegenen Längsseite befand, allerdings schon fast am anderen Ende des Beckens. Man konnte den Eingang daher gut beobachten, hatte aber gleichzeitig seine Ruhe, da nicht alle Ankömmlinge bis hoch zu den Stufen der Frontseite gingen, um ins Wasser zu steigen. Viele Männer ließen sich einfach an der Längsseite behutsam ins Becken hinein.
Die Frontseite des Beckens war zudem in einem Halbkreis abgerundet. Nahe hinter dem Mann verlief der breite verzierte Marmorrand in halbrunder Form von einer Längsseite zur anderen. Direkt am Rand schlossen sich die Stufen des Beckens an, die sich dem halbkreisförmigen Verlauf des Rands anpassten. Der Mann saß auf der zweiten Stufe nahezu in der Mitte der halbkreisförmigen Frontseite. Daher war sein Körper auch schon bis über den Bauchnabel unter Wasser. Würde er sich zu weit nach hinten lehnen, würde er mit dem Kopf untertauchen. Allerdings stand dem Mann nicht der Sinn danach. Die Entspannung im Sitzen reichte ihm schon. Er hatte seine Beine unter Wasser ausgestreckt und ließ die warme angeheizte Flüssigkeit auf seinen Körper wirken. Jede Faser und jede Sehne schien aufzuatmen, waren sie doch gezeichnet von der unrühmlichen Schlacht im Norden.
Nachdem er eine Weile in zurücklehnender Haltung dagesessen hatte, kehrten seine Gedanken wieder zu den Ereignissen der letzten Tage zurück. Wirklich entspannen konnte er daher eigentlich nicht. Vor allem das unrühmliche Ende des Feldzuges kam ihm ständig in den Sinn und ärgerte ihn. Denn selbst er und seine Männer, sowie all die anderen kampferprobten Harmonier, hatten sich ziemlich blutige Nasen geholt, ein Umstand, der für dieses vom Erfolg verwöhnte Volk nicht alle Tage eintraf.
Wer hätte aber auch ahnen können, dass diese Attanen das Geheimnis der Golem gelöst hatten! Ihm selbst, dem einfachen Krieger, erschien das immer noch ungeheuerlich und zudem auch himmelschreiend ungerecht. Wie viele Generationen lang hatten Chronisten und Gelehrten stets das Fehlen der Schriftrolle des Arcteus beklagt und hatten sie erfolglos gesucht. Nun schien dieses wichtige Dokument ausgerechnet den Weg zu den einfachen Attanen gefunden zu haben – jenen Heiden, die sich dem Glauben an Harmon bis heute hartnäckig widersetzten und die dort oben, in ihrem Gebirge, auf einem Haufen voller Gold und auf ungeheuren Mäalström-Vorkommen saßen.
Wegen der Golem hatten daher selbst die anwesenden Harmonier nicht viel ausrichten können auf diesem Feldzug. Auch er hatte sich mit seinen Männern mehr und mehr zurückziehen müssen, nachdem diese Steinmonster aufgetaucht waren und immer wieder in den Kampf eingriffen. Verärgert und mit Wut im Bauch hatte sich der Mann mit seinem Trupp schließlich aus dem Geschehen zurückgezogen. Nachdem er am heutigen Tag vor zwei Stunden zusammen mit seinen sechs Söldnern diese Stadt erreicht hatte, war er sofort zum Präfekten von Ludarium geeilt, um diesem pflichtgetreu einen Bericht abzustatten. Dadurch hatte er das Vorhandensein von Golem gleich an die richtige Stelle gemeldet und die Verantwortung über dieses Wissen an den Präfekten abgegeben. Sicherlich würde dieser längst einen Bericht an den Oberpriester und Statthalter von Aurelia geschickt haben.
Bei der Meldung an den Präfekten war sich der Mann aber regelrecht kleinlaut vorgekommen. Ein Harmonier sprach eben nicht gern über Niederlagen, da er sie nicht gewohnt war. Das war ja gerade auch das Ärgerliche für ihn an der ganzen Sache! Er, der bisher jeden Auftrag mit Bravour gemeistert hatte, versagte bei einem Feldzug gegen die barbarischen Attanen! Es war einfach ungeheuer! Die Chance, sich für ein höheres Kommando auszuzeichnen, war damit erst einmal vertan...
Während der Mann in solcherlei Gedanken versunken war, hatte ein Jüngling den hallenartigen Raum betreten. Unsicher blieb er zunächst an der Längsseite des großen Beckens stehen und ging dann mit Unruhe im Blick ein paar Schritte am Beckenrand entlang. Dabei sah er verstohlen zwischen den verschiedenen Männern hin und her, die entweder paar- oder grüppchenweise am Beckenrand in angemessener Entfernung zueinander saßen oder sogar im Becken schwammen. Der Jüngling blieb schließlich stehen, weil er nicht das erblickte, was er zu finden gehofft hatte. Es war offensichtlich, dass er Jemanden suchte. An seiner nervösen Haltung sah man allerdings, dass er sich nicht wohl dabei fühlte, hier in der Thermenanlage zu sein. Schließlich fasste sich der junge Mann ein Herz und rief mit lauter Stimme in die Mitte des Raumes hinein: „Ich suche den Securio Marcus Cornelius Gladius Celerior!" Dabei ging sein Blick quer durch den Raum und musterte die verschiedenen Männer aufmerksam. Wegen seines lauten Rufes aufgeschreckt warfen sie ihm sofort Blicke zu, allerdings schien sich keiner der im Becken befindenden angesprochen zu fühlen.
Bis auf einen – der Mann an der Frontseite des Beckenrandes. Ihn hatte der Jüngling noch nicht entdeckt. Eben noch in Gedanken versunken, schreckte der Mann plötzlich hoch, als er seinen vollständigen Namen hörte. Sogleich erblickte auch er nun erstmalig den jungen Mann an der langen Beckenrandseite rechts von ihm. Sofort stellte sich seine Beobachtungsgabe ein. Er musterte den Jüngling ausführlich. Der junge Mann hatte eine einfache Toga an und kurzgeschnittene lockige, dunkle Haare. Zweifellos war er als Laufbursche eines Reicheren, in dessen Diensten er stand, hierher beordert worden.
Der Mann am Beckenrand zögerte keine Sekunde. Er erhob sich aus dem Wasser, band sich ein Handtuch, das in der Nähe am Beckenrand lag, um die Taille und ging forschen Schrittes am Becken entlang auf den Jüngling zu. Dabei nahm seine Miene einen verärgerten Ausdruck an. Er mochte nämlich nicht gern mit vollständigem Namen gerufen werden. Seine Eltern hatten es als angebracht gesehen, ihm den seltenen Rufnamen „Gladius" zu geben, was so viel wie „Schwert" bzw. „Kurzschwert" bedeutete. Gegen den zusätzlichen Beinamen „Celerior" – der Schnellere – hatte er nichts. Diesen hatte er sich vor sieben Jahren unter dem imperator Frangus in den Kämpfen gegen die Goten erworben, da er mit seinem schnellen Schwertkampf immer wieder sehr viel zu den Siegen beigetragen hatte. Daher war sein zusammengesetzter Rufname Gladius Celerior („schnelleres Schwert") eigentlich eine Ehrenbezeichnung, die sein militärisches Können umschrieb. Er selbst kombinierte den Beinamen aber viel lieber mit seinem Vornamen Marcus, obwohl dieser erste Name bei den Harmoniern zwar der Vorname ist, aber nicht immer auch als Rufname verwendet wird.
Der Jüngling konnte von solchen Befindlichkeiten nichts wissen, als er den vollen Namen Desjenigen ausrief, den er ausfindig machen sollte. Als er den Mann mit energischem und gleichmäßigem Schritt von der anderen Beckenseite auf sich zukommen sah, war er ungemein erleichtert, dass überhaupt jemand auf seinen Ruf reagiert hat. Demnach hatte er den Securio hier richtig vermutet.
Mit schnellen Schritten hatte der Angesprochene den Jüngling erreicht und baute sich bedrohlich vor ihm auf. „Ich bin Marcus Celerior", sagte er dann mit verärgerter Stimme.
Der Jüngling verstand Marcus' Stimmung falsch. „Verzeiht mein Herr, dass ich Euch hier bei Eurer Zerstreuung störe", sagte er sogleich, auch weil er es für eine passende Floskel hielt. Schließlich suchte er nicht zum ersten Mal Leute für seinen Herrn auf. „Mein Name ist Calpurnius Dido. Der Präfekt schickt mich. Ihr sollt schnellstmöglich zu ihm kommen."
Marcus runzelte die Stirn. Der Präfekt? Was wollte der denn schon wieder? Aber er hatte im selben Augenblick schon eine gewisse Ahnung. Anscheinend hatte sein Bericht über die Golem bereits einigen Wirbel verursacht und er sollte in die nun folgenden Dinge mit hineingezogen werden. Natürlich konnte es auch um etwas Anderes gehen. Aber Marcus war lange genug Soldat, daher schätzte er, dass sich diese erste Ahnung als richtig erweisen würde.
„Ich verstehe", erwiderte er dem Boten Dido leicht nickend. „Gebt mir fünf Minuten zur Ankleidung. Dann können wir sofort gehen."
Der Jüngling Dido nickte zufrieden und erleichtert und entfernte sich diskret nach draußen. Marcus Celerior verließ aber stirnrunzelnd den großen Thermenraum und ging in eine der hinteren, kleineren Kammern, wo seine Sachen lagen. Sollte er allein zum Präfekten gehen oder seine Männer mit aufscheuchen und vorwarnen? ‚Ach was, die sollen sich erst einmal austoben.', dachte Celerior. Er beschloss, allein zum Präfekten zu gehen. Vielleicht ging es ja doch nur um eine harmlose Sache, für die er seine Männer heute gar nicht mehr belästigen müsste.
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