3.3. Aufregende Neuigkeiten (I)
Die Meldeboten saßen noch einen Moment wie versteinert vor der Menge zu Pferde und genossen die Aufregung, die sie verursacht hatten. Als die spannungsgeladene Stille fast nicht mehr zu ertragen war, gab der anführende Bote schließlich ein Zeichen. Sogleich nahmen die beiden Reiter links und rechts von ihm ihre Trompeten zur Hand und bliesen erneut ein Signal. Dieses war deutlich länger und führte dazu, dass selbst das letzte Flüstern nun eingestellt wurde. Denn dies Zeichen war das einleitende Signal, das den Beginn der Verkündigungen anzeigte.
Noch während dieser Laut ertönte, waren die beiden vorderen Boten von ihren Pferden gestiegen und gingen mit einigen Schriftrollen ein paar Schritte auf die Menschenmenge zu. Diese beiden Boten waren die eigentlichen Botschaftsüberbringer – die nuntiatores. Sie würden die Bekanntmachungen verlesen.
Als die beiden Nuntiatoren anhielten, hörte man nur noch den Wind leise wehen. Wie gebannt standen Dorfbewohner und Ritter da und warteten auf das nun Folgende.
Der linke Bote begann sogleich laut zu rufen: „Es folgt eine Bekanntmachung des austrianischen Oberpriesters Publius Galbanius Ricardus!"
Sofort erhob sich ein Stimmengemurmel auf Seiten der Ritter und auch Heinrich und August bewegten sich nervös hin und her. Der Oberpriester Ricardus war der verantwortliche Leiter des Feldzugs gegen die Attanen. Demzufolge würde man endlich den aktuellen Stand der Dinge erfahren.
Nach dem Ausruf des ersten Boten, trat nun der rechte Bote mit einer großen Schriftrolle vor und verlas die Bekanntmachung des Oberpriesters im genauen Wortlaut:
„Wir, Publius Galbanius Ricardus, von Harmons Gnaden Oberpriester des Harmonats Nord-Austria, geben hiermit Folgendes bekannt: Da der Feldzug gegen die Attanen sich als sehr verlustreich erwiesen und nicht in der Weise Ergebnisse gebracht hat, wie es sich die harmonitas erhoffte, sind Wir in unserer Verantwortung und dem Bewusstsein vor Harmon und vor der Gemeinschaft zu dem Entschluss gekommen, den Unsrigen allen jedes weitere Leid zu ersparen. Daher wird der Feldzug bis auf Weiteres abgebrochen."
Der Nuntiator unterbrach an dieser Stelle bewusst seine Verlesung, da er um die Ungeheuerlichkeit der Nachricht wusste.
Erregtes Stimmengemurmel war ringsum zu vernehmen. Heinrich und August sahen sich für einen Moment kurz an. Ihr Blick drückte Erleichterung aus. Auch die umstehenden Ritter nickten zustimmend. ‚Ein Glück!' – das war der Gedanke, der bei einem Jeden in Form irgendeiner Geste zu erkennen war.
Der Bote blickte wieder aufs Blatt, womit er verdeutlichte fortzufahren:
„Wann und in welcher Weise das Unternehmen erneut aufgenommen wird, kann erst nach Rücksprache mit dem Heiligen Vater und nach Durchführung eines weiteren Harmonents beantwortet werden. Vorerst werden alle beteiligten Länder von der Verpflichtung entbunden, den Feldzug fortzuführen. Für einen weiteren Verbleib im attanischen Bergland besteht daher ab sofort keine Notwendigkeit mehr. Alle Edlen und Geistlichen sind angehalten, sich aus dem Gebiet zu entfernen.
Mit Ablauf des Monats werden auch die Pässe zur Überquerung der austrianischen Grenze ihre Gültigkeit verlieren. Wir, sowie seine Majestät, König Karl der Zehnte von Austria, werden keine Verantwortung für die Gefährdung von Trupps oder Scharen übernehmen, die nach der Verlautbarung dieser Bekanntmachung weiterhin auf eigenes Risiko im Gebiet der Attanen kämpfen."
Erneut machte der Bote eine Pause um das Gesagte wirken zu lassen. August drehte sich zu Heinrich und raunte ironisch: „Welcher Holzkopf würde das wohl freiwillig machen." Zugleich Augen verdrehend und kopfschüttelnd wandte er sich wieder nach vorn, während Heinrich zustimmend schnaubte.
„Mit besonderem Bedauern", las der nuntius weiter vor, „stellen Wir fest, dass es auch in den letzten beiden Tagen des Unternehmens wiederum zahlreiche Verluste unter den Edlen und Berittenen gegeben hat."
Jetzt machte der Bote erneut eine kurze Pause, damit er sich der Aufmerksamkeit aller sicher sein konnte. Tatsächlich reckten die Ritter nun gespannt die Köpfe vor, da man jetzt erfahren würde, wen aus Allerlanden, Pruzen, Frankobardien und Austria es erwischt hatte.
Zunächst erfolgte eine Aufzählung prussischer Namen, die für Heinrich nicht weiter von Belang waren. Dann aber folgten die Edlen von Austria. „Fürst Alfons von Amalien", ertönte es plötzlich von vorn. Heinrich zuckte unwillkürlich zusammen. Sein Lehnsherr war gefallen! Damit konnte sein eigenständiger Rückzug nachträglich nicht mehr als Verrat angesehen werden. Halb beschämt atmete Heinrich erleichtert aus. Neben dem Fürsten von Amalien waren zugleich seine Söhne Anton und Gisbert gefallen, ebenso wie etwa 30 weitere austrianische Ritter, die nach und nach aufgezählt wurden.
Als Nächstes wurden die Verluste Frankobardiens aufgeführt. Bei jedem Namen sanken die Köpfe der Frankobarden tiefer nach unten oder schauten zorniger drein. Heinrich kannte die meisten Namen nicht. Er bemerkte lediglich bei den Hegelinern und bei August, dass sie den Einen oder den Anderen gekannt hatten. Erschütternd war nur, wie viele frankobardische Namen insgesamt angeführt wurden. Und immer wieder fiel der Begriff „comte" deutlich oft in der Aufzählung, das frankobardische Wort für „Graf".
Mitfühlend betrachtete Heinrich Jean de Beauville. Dieser hatte nicht nur den Kopf gesenkt, sondern schüttelte bei jedem Namen seltsam langsam und traurig den Kopf. Heinrich war sich sicher, dass etliche der Genannten zu seinem Gefolge gehört haben mussten, schließlich reiste ein Herzog üblicherweise mit deutlich mehr Mannen durch die Lande, als Jean de Beauville im Moment zur Seite standen.
Schließlich kam der Bote auf die Liste der aus Allerlanden gefallenen Männer zu sprechen, wodurch Heinrich sofort wieder gebannter zuhörte. „Dietrich von Bärenbach", lautete der erste Name und sofort stöhnten Heinrich und August zugleich auf. Ihr gemeinsamer Freund und Nachbar sollte also nicht zurückkommen. ‚Arme Gerda!', dachte August und schüttelte müde sein Haupt.
Es folgten weitere Namen, die bei Heinrich jedes Mal weitere Stiche auslösten: „Siegfried Gentz, Karl von Demen, Gutfried von Hagen" – bei diesem Namen stöhnte Andreas auf, ließ den Kopf sinken und verbarg sein Gesicht mit der Hand – „Siegfried von Waldesheim, Walter von Waldesheim, Gerhard von Waldesheim" – August von Hegelin geriet leicht ins Schwanken – „Leonhard Dalsmann, Reinhard von Esseln, Karl Beiersbach" – Heinrich wusste nicht, ob er weinen oder wütend aufschreien sollte – „Theodor von Gernsheim, Friedrich von Falkenstein, Gerhard von Wulfenbach".
In dieser Weise ging es noch eine ganze Weile weiter. Einige Namen waren für die beiden Grafen schon bekannt, da es die Personen waren, die direkt an ihrer Seite gefallen waren. Dennoch war die Gesamtanzahl der Gefallenen aus Allerlanden erschreckend. Insbesondere die fast komplette Auslöschung der Grafenfamilie von Waldesheim mitsamt ihrer Ritterschaft fanden Heinrich und August gleichermaßen erschütternd. ‚Kein Wunder, wenn ich von deren Seite nichts mehr gehört habe', dachte Heinrich verbittert.
Endlich kam der Bote zum Ende der schrecklichen Aufzählung und las den letzten Absatz der Bekanntmachung vor:
„Wir versichern hiermit mit größter Deutlichkeit, dass der Tod all dieser nicht umsonst geschehen, sondern dass Diesen die Herrlichkeit in Harmons Schoß gewiss sein wird. Sei allen Brüdern und Schwestern dies ein Trost für die folgende Zeit.
Gezeichnet: Publius Galbanius Ricardus, sacerdos superior aeterni dei.
Antonia, 36. Quinquember anno 653 ab Harmone renato."
Damit war die Bekanntmachung beendet und der Bote rollte die Schriftrolle auf. Es entstand somit eine Pause, die allen guttat, konnte man die schrecklichen Neuigkeiten erst einmal verdauen.
Die Dorfbewohner tuschelten aufgeregt und entsetzt. Heinrich strich sich müde übers Gesicht. Dabei wurde ihm bewusst, dass Johannes von Helmsdorf in der Aufzählung fehlte. Das war aber kein Wunder, da keiner aus Bernstein seinen Tod gemeldet hatte und alle Abteilungen kurz nach Heinrichs Verschwinden ebenfalls abgerückt sein dürften, da der Feldzug laut der Bekanntmachung am gestrigen Tag offiziell beendet worden war. Demzufolge würden die Helmsdorfer vorerst nichts vom Tod ihres Sprösslings erfahren. Somit war ihm diese Aufgabe zugefallen. Bei dieser Erkenntnis entfuhr dem Bernsteiner Grafen ein müdes Seufzen.
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