2.1. Der Graf von Golddorf
Während der Graf von Bernstein endlich in Ruhe mit seinen beiden Rittern reden konnte, stand Ludwig, der Sohn Wilhelm des Älteren, gelangweilt mit einigen anderen Knechten am Dorfeingang von Gesken. Sein Vater hatte ihn dorthin beordert mit dem Auftrag, den Grafen von Golddorf abzufangen. Wilhelm vermutete zu Recht, dass der Graf nichts davon wusste, dass einige seiner Ritter hier Aufnahme gefunden hatten, daher sollte Ludwig den Grafen mit seinem Gefolge anhalten, um ihn darüber in Kenntnis setzen.
Dies war einfach ein Gebot der Ehre, denn die Dorfbewohner von Gesken hatten nicht das Recht, einen Grafen in Unkenntnis darüber zu lassen, wo sich seine Ritter aufhielten. Ohne jeden Zweifel würde dieser seine Vasallen sehen wollen und wäre andernfalls sicher verärgert, wenn man ihn unwissend weiterreiten ließ und er erst im Nachhinein erfahren würde, dass man ein Teil seiner Ritter hierbehalten hatte. Spräche sich so etwas herum, wäre das Ansehen des Golddorfer Grafen gegenüber anderen Grafen beschädigt, ebenso wie das Verhältnis zwischen dem Grafen aus Golddorf und ihrem eigenen Herrn.
Weil Wilhelm der Ältere um solche Befindlichkeiten der hohen Herren wusste, wollte er diesen Umstand unbedingt vermeiden, denn zu all den Problemen, die dem Grafen Heinrich nun bevorstanden, konnte man es sich nicht auch noch leisten, wertvolle Verbündete zu verärgern.
Ludwig war sich solcher Dinge bewusst, dennoch gefiel ihm der Auftrag seines Vaters nicht. Er wollte lieber in den Wald gehen, um Holz und Beeren zu sammeln – das Spalierstehen für irgendeinen Herren war für ihn eine unnütze Tätigkeit ohne jedes Vergnügen.
Seit über einer Stunde stand er nun schon mit den Knechten am Dorfeingang, ohne das sich irgendetwas getan hatte. Er stand mit verschränkten Armen an einem der Bäume gelehnt, die zum Dorfe hin nur noch vereinzelt etwas abseits des Waldrandes emporragten, ganz so, als hatte der Wald sie als Vorposten zur langsamen Eroberung des Ortes dorthin gestellt. Die drei Knechte hatten sich auf der anderen Seite in den Sand gesetzt und spielten etwas belanglos mit Würfeln auf einem Holzstubben, der seinem Aussehen nach wahrscheinlich vor kurzem Irgendjemandem als Schlachtbock fürs Vieh gedient hatte.
Gerade als Ludwig etwas zu seinen Männern sagen wollte, vernahm man plötzlich das Geräusch von trappelnden Pferden aus dem Wald. Ludwig hielt inne und hörte genau hin. Ganz ohne jeden Zweifel näherte sich dort eine Gruppe zu Ross dem Dorf.
Ludwig drückte sich vom Baum ab, stellte sich aufrecht hin und zischte ein „He!" zu seinen Männern. Sobald die Knechte ihn ansahen, bedeutete er ihnen lautlos aber bestimmt, sich zu erheben.
Diese bemerkten nun auch die Geräusche und erhoben sich daraufhin eilig von ihrem Sitzlager. Sie schüttelten sich den staubigen Sand aus den Klamotten und stellten sich sogleich neben Ludwig, der sich bereits halb auf dem Weg postiert hatte.
Direkt vor ihnen kam kurz darauf die Reitergruppe um die letzte Kurve des Weges. Ludwig zählte etwa neun oder zehn Mann, die jeweils zu zweit oder zu dritt nebeneinander auf seine Gruppe zugetrabt kamen. Die vorderen drei Reiter erblickten Ludwig und seine Knechte und hielten kurz vor ihnen an. „Macht den Weg frei!", dröhnte eine rauhe Stimme aus einem der Helme.
Ludwig ließ sich davon nicht beeindrucken. Er hatte bereits auf dem Schild der Männer das Wappen von Golddorf erkannt – eine kleine Burg mit zwei Türmen, unter der ein goldener Stein prangte.
„Ihr seid doch das Gefolge des Grafen Gunther!", entgegnete Ludwig daher selbstbewusst. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, die er so betont hatte, als zöge das Bejahen dieser Aussage eine unangenehme Konsequenz nach sich.
Der linke Reiter öffnete seinen Helm, und Ludwig vernahm nun die rauhe Stimme noch ein wenig deutlicher: „Was schert dich das, Bauer!"
Doch bevor Ludwig antworten konnte, hörte man aus dem Hintergrund jemanden rufen: „Was gibt es dort vorn? Warum halten wir?"
Der Ritter, der Ludwig gerade angeschnauzt, sah sich unbehaglich um. Aus der Mitte der anderen Reiter hinter ihm, bahnte sich ein Mann auf einem geschmückten Rappen einen Weg zu den drei Rittern nach vorne.
„Es ist nichts, Herr", antwortete der grobe Ritter dem Ankömmling zugewandt, „diese Bauern hier versperren uns den Weg!"
Ludwig verbeugte sich kurz vor dem Reiter mit dem Rappen und raunte seinen Knechten zu dasselbe zu tun. Gleich darauf sagte er: „Verzeihung, Herr, aber wir wurden beauftragt den Grafen von Golddorf anzuhalten, um ihm mitzuteilen, dass einige seiner Getreuen hier bei uns im Gasthaus ihr Krankenlager gefunden haben."
Bei diesen Worten sah der grobe Ritter Ludwig mit einer Mischung von Verärgerung und peinlichem Berührt-Sein an.
Der Reiter auf dem Rappen öffnete seinen Helm und nahm ihn ab. Ludwig sah in das runde Gesicht eines graubärtigen Mannes mit stechenden blauen Augen. „Nun dann habt ihr dies hiermit getan", antwortete dieser mit einer würdevollen, sonoren Stimme. „Ich bin Gunther von Golddorf", fügte er überflüssiger Weise hinzu, denn das hatte Ludwig aufgrund der Situation schon selber erkannt. Er und seine Knechte verbeugten sich nochmals, diesmal vorsichtshalber etwas länger. Bei diesen hohen Herren wusste man ja nie.
„Wenn Ihr wollt, Herr, führen wir euch zur Schenke", erwiderte Ludwig anschließend, woraufhin der Graf nur abwinkte. „Gebt euch keine Mühe, wir kennen das Gasthaus bestens. Ihr könnt nun wieder in eure Häuser oder Wälder verschwinden, um stinkende Ackerböden umzugraben oder angepinkelte Sträucher nach Beeren abzusuchen, oder was immer euer Tagwerk ist, tun."
Die anderen Ritter grinsten hörbar bei dieser abfälligen Bemerkung.
Ludwig errötete leicht vor Wut, schließlich machte es ihm auch nicht gerade Spaß, hier den Hampelmann zu mimen. „Euch wird allerdings sicher noch interessieren, dass unser Herr Graf zur Zeit ebenfalls noch im Gasthaus weilt", sagte er dann mit knirschenden Zähnen, ohne einen sarkastischen Unterton zu verhehlen.
Graf Gunther war nur kurz gekränkt, denn diese Information war in der Tat hoch interessant. „Nun, das nenne ich einen glücklichen Umstand", gab er dann in die Runde von sich, „so kann ich also aus erster Hand erfahren, wie sich die Bernsteiner im Süden geschlagen haben."
Die Ritter nickten ihm zustimmend zu. Dann fügte der Graf mit strengem Gesicht an Ludwig gewandt zu: „Sicherlich werden sich die Ritter Heinrichs besser angestellt haben, als es ein einfacher Bauer jemals tun könnte!" Diese Spitze an den Vormannssohn konnte er sich nicht verkneifen.
Die Ritter lachten laut auf und der Graf setzte sich ohne auf eine Reaktion Ludwigs zu achten in Bewegung. Die anderen folgten ihm grinsend, wobei der grobe Ritter, mit dem Ludwig sich vorhin angelegt hatte, es sich nicht verkneifen konnte, der Gruppe noch einen besonders spöttischen Blick zuzuwerfen, bevor er sein Visier wieder zuklappte.
Mit wütender Miene sah Ludwig dem Trupp nach. Er stand angespannt da, die Hände zu Fäusten geballt. Was glaubten diese Grafen eigentlich immer zu sein, dass sie so auf einem herumtrampelten?
Er sah zu seinen Knechten, die ihn ebenfalls grinsend ansahen. „Hört auf mich anzugrinsen!", blaffte Ludwig sie an, „er hat schließlich auch euch gemeint!"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top