1.4. Die verwundeten Ritter (II)
Gerach sah immer noch fassungslos von Andreas zu Hugo, der sich inzwischen wieder beruhigt hatte und Andreas' Aussage mit einem leichten Nicken bestätigte.
„Allmächtiger!", sagte der Priester schließlich ehrfurchtsvoll, „wer hätte gedacht, dass sich hinter den angeblich rückständigen Attanen solche mächtigen Widersacher verbergen."
Andreas stieß einen verächtlichen Grunzer aus und erwiderte dann: „Na das kann man wohl laut sagen! Vor allem finde ich es sehr bezeichnend, dass uns der Oberpriester auf eine solche Mission schickt, ohne uns in irgendeiner Weise vorzuwarnen!"
„Aber der Oberpriester wusste doch selbst nichts davon!", verteidigte Gerach seinen Glaubensherrn. Nein, niemand hatte etwas davon geahnt.
Gerachs Gedanken kreisten. Davon mussten umgehend sämtliche Kantonate und Oberpriester erfahren! Wenn die Attanen zu solchen Methoden fähig waren, konnten sie der Glaubensgemeinschaft Harmons gefährlich werden.
Schließlich war den Harmoniern nur die Herstellung von Zaubersteinen durch das Mäalström bekannt. Mit Steingolem an ihrer Seite besäßen die Attanen ein gefährliches Kräftegewicht zu ihren Gunsten. Diese Information war völlig neu und würde in der Heiligen Liga wie eine Bombe einschlagen!
Gerach mahnte sich zur Ruhe und konzentrierte sich wieder auf die gegenwärtige Situation. Er musste jetzt erst einmal noch mehr über die Schlacht der Attanen erfahren, bevor er weitere Schritte unternehmen konnte. Er widmete sich wieder Hugo und Andreas zu, die ihn vorwurfsvoll ansahen.
Er verstand ihren Ärger. Es war eigentlich unvorstellbar, dass es etwas auf dieser Welt gab, wovon die Oberpriester der harmonischen Glaubenslehre nichts wussten, daher musste es für alle Beteiligten der Schlacht gegen die Attanen so gewirkt haben, als hätte man sie ohne mit der Wimper zu zucken ins Verderben geschickt.
„Dann schätze ich, dass der Sieg nicht errungen wurde", gab er leise von sich. Es war weniger eine Frage, sondern mehr eine Feststellung aus dem bisher Gesagten.
„Von wegen!", erwiderte Hugo, der immer noch aufgebracht war und die Feststellung Gerachs als eine erneute blödsinnige Frage empfand, „nichts als Verwundung und Tod haben wir uns eingebrockt!"
Diese Bemerkung brachte Gerach auf einen anderen Gedanken. Sein Blick wurde wieder fester und er fragte eindringlich: „Wo sind eigentlich die Anderen alle? Ihr wollt mir doch nicht sagen, dass ihr die einzigen Überlebenden aus Bernstein seid?!"
Hugo und Andreas sahen sich leicht betroffen an. „Nun", räusperte sich Andreas, „ehrlich gesagt wissen wir nicht, wer außer uns noch entkommen konnte..."
Gerach zog eine Augenbraue hoch, und sah die Beiden fest an. „Was soll das heißen?", fragte er scharf, „habt ihr euch etwa einfach aus dem Staub gemacht?"
Hugo sah etwas verlegen nach unten. „Es war keine Absicht", begann er schließlich kleinlaut, „auf dem Schlachtfeld herrschte ein riesiges Durcheinander. Keiner wusste mehr wo der Andere war."
Andreas bestätigte dies: „Viele waren schon gestorben. Wir waren fest davon überzeugt, dass der Kampf verloren war. Letztendlich waren wir durch das Gemetzel so eingeschüchtert, dass wir schließlich nur noch Heil in der Flucht sahen."
Andreas redete daraufhin sehr langsam und bedächtig weiter. Er erzählte Gerach den genauen Verlauf ihrer Flucht. Dabei musste er ab und zu im Satz anhalten, weil seine Wunde schmerzte.
Er berichtete, wie Hugo ihm auf ein Pferd half, da sein unteres Bein zertrümmert war. Anschließend wollten sie gerade losreiten, als einer der Golem einen langen Speer auf sie warf. Dabei wurde Hugo in seinem oberen Arm getroffen. Dennoch schafften sie es irgendwie loszureiten und das Gebirge der Attanen zu verlassen. Unterwegs fingen sie einen zweiten verwirrten Gaul ein, der ebenfalls der Schlacht entflohen war.
Im nächsten Dorf ließen sie sich schließlich kurzfristig versorgen und ritten dann jeder auf einem Pferd Richtung Heimat. An der Grenze von Austria machten sie über Nacht Rast und legten am nächsten Tag dann den Rest des Weges bis Gesken zurück.
Gerach und auch Albrecht hörten aufmerksam und gespannt zu. Gerach bemerkte, dass sich Andreas bei dem Geschilderten nicht wohl fühlte und dass seine Worte ehrlich waren. Andreas von Hagen war alles andere als ein Hasenfuß, daher musste die Lage wahrhaftig aussichtslos gewesen sein, wenn selbst ein furchtloser Recke wie er bereitwillig das Feld räumte.
Nachdem Andreas seinen Bericht beendet hatte, ließ er sich von einer Magd einen Krug mit Wasser reichen und trank hastig einige Züge. Gerach nickte nur nachdenklich und ließ bewusst eine Pause des Schweigens entstehen, in der alle Anwesenden das eben Gesagte verdauen konnten. Alle waren betroffen – keiner wagte es, etwas zu sagen.
Erst nach einer Weile brach Gerach das Schweigen und stellte schließlich die Frage, die ihm jetzt brennend interessierte: „Und was ist mit dem Grafen? Wurde er auch verwundert oder..." Er beendete den Satz nicht.
Hugo schüttelte kleinmütig den Kopf: „Ehrlich gesagt wissen wir das nicht. Als wir losritten, war mir so, als wenn ich ihn ein ganzes Stück entfernt von uns noch habe kämpfen sehen, aber sicher bin ich mir nicht."
Jetzt mischte sich der Priestergehilfe Albrecht ins Gespräch ein: „Dann habt ihr euren Herrn also im Stich gelassen?! Das war aber kein feiner Zug!"
Sofort sahen alle Anwesenden Albrecht vorwurfsvoll an. „Was sollen denn diese Sticheleien jetzt!", rief die ältere Magd, die an der Bettseite von Andreas saß, „die jungen Herren haben im Moment andere Sorgen, als sich mit solchen Gedanken zu beschäftigen." Auch Gerach stieß Albrecht leicht in die Seite und ermahnte ihn mit einem vielsagenden Blick.
Hugo und Andreas ging die Bemerkung sichtlich nahe, mit gesenktem Kopf sagte Andreas schließlich: „Ach was, der Junge hat ja vollkommen recht."
Albrechts Gesicht verzog sich verärgert, als das Wort Junge fiel.
„Wir können nur hoffen, dass der Graf unsere Situation versteht, falls er hier wieder eintrifft", fügte Andreas hinzu.
Gerach beruhigte sie: „Macht euch keine Sorgen darüber. Wichtig scheint mir nur, dass ihr mit der Hilfe Harmons überlebt habt. Allein dies ist eine große Gnade." Er lächelte sie mild an. Innerlich war er aber derselben Meinung wie Albrecht. Ganz ohne jeden Zweifel hatten diese Beiden ihren Diensteid gebrochen, indem sie, ohne ihrem Herrn zu helfen, geflohen waren. Dennoch war es diesem Augenblick unnötig, die Beiden damit zu belasten.
Die beiden Ritter dankten Gerach mit einem leichten Kopfnicken. Dieser gab sich plötzlich einen Ruck, wandte sich Albrecht zu und sagte: „Geh zur Wirtin und frage sie, ob du ihr irgendwie helfen kannst."
„Aber was hat ein Priestergehilfe im Gasthaus zu arbeiten!", empörte sich Albrecht.
Gerach ließ nicht locker: „So wie die Dinge stehen, werden sicher bald noch weitere Verwundete hier eintreffen. Da wird jeder Mann gebraucht, das dürfte dir doch klar sein!"
Albrecht schnaubte verächtlich und verließ dann mit gesenktem Kopf das Zimmer.
Gerach wartete, bis er außer Hörweite war, dann sagte er zu Hugo und Andreas: „Er ist zwar ein aufgeweckter Bursche, aber ihm mangelt es noch an der nötigen Reife, um zu erkennen, wann man Dinge besser nicht ausspricht." Andreas ließ ein leichtes Lächeln aufblitzen.
„Wegen dem Grafen macht euch keine Sorgen", fuhr Gerach fort, „sollte er eintreffen, werde ich ihm eure Lage verdeutlichen. Für das Erste wollen wir hoffen und beten, dass er überhaupt noch lebt und dass er und noch weitere unserer Landsleute den Weg nach Hause finden."
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