1.3. Die verwundeten Ritter (I)
Gegenüber des Harmonizils, so die übliche Bezeichnung für das Haus Harmons, befand sich das Wirtshaus von Gesken. Von zwei prächtigen Linden halb verdeckt stand es quer zum Hauptweg des Dorfes, der hier vor dem Glaubenshaus so breit wurde, dass er einen kleinen Platz bildete.
Gerach ging forschen Schrittes auf die große Eingangstür des Wirtshauses zu. Sein Gehilfe Albrecht folgte ihm mit drei Schritten Abstand. Noch bevor Gerach das Haus betrat, erfasste er mit einem kurzen Blick die beiden heruntergekommenen Pferde, die man eiligst vor der Schenke angebunden hatte. Man konnte aufgrund ihrer Art und Aufmachung sofort erkennen, dass diese Gäule gerade irgendeinem Gefecht oder Scharmützel entkommen sein mussten.
Im Wirtshaus herrschte große Betriebsamkeit. Gerach sah mehrere Knechte und Mägde große Wasserschüsseln, Leinentücher und Salben treppauf tragen, während gleichzeitig andere Bedienstete offensichtlich bereits benutzte Wasserschüsseln und Leinentücher von oben nach unten brachten.
Während Gerach sich von dem Treiben um ihn herum erst sammeln musste, baute sich mit einem Mal die Wirtin des Gasthauses vor ihm auf: „Ach da seid ihr ja endlich! Bitte geht hinauf zu den Beiden – die können jetzt jeden Trost gebrauchen!", sagte die Wirtin Marie umgehend zu ihm.
Gerach nickte nur kurz und drehte sich zu Albrecht um, der ebenfalls nickte und auf die Treppe nach oben deutete. Marie ging sofort zurück auf ihren Posten, um den anderen weitere Anweisungen zu geben. Gerach und Albrecht machten sich daran, die Treppe hinaufzusteigen, wobei sie drei Mägden ausweichen mussten, die ihnen entgegenkamen, nachdem Maries befehlende Stimme erklungen war.
Im oberen Stockwerk des Hauses führte Albrecht Gerach den langen oberen Flur nach links zum letzten Raum an der Giebelseite. Dessen Tür war halb offen, dahinter hörte man Stimmengemurmel und auch ab und an lauteres Stöhnen. Schon beim Betreten des Zimmers bemerkte Gerach den ekligen Geruch aus Blut, Verwundung und Arzneien, der sich wie ein Parasit in seiner Nase festsetzte.
Das Zimmer war nicht besonders groß. Den meisten Platz nahm das breite Doppelbett ein, das von der Tür aus gesehen an der rechten Wandseite stand. Die beiden Verletzten lagen auf dem Bett nebeneinander und stöhnten ob ihrer Wunden. Die beiden schmalen Gänge neben dem Bett waren von Mägden belegt, die immer wieder Leinentücher in den Wasserschüsseln neben ihnen auswuschen, um sie anschließend den Verwundeten auf ihre verletzten Stellen zu legen, oder sie neu zu verbinden. Aufgrund der Betriebsamkeit in dem engen Zimmer blieben Gerach und Albrecht automatisch am Fußende des Bettes stehen, da dies der einzige freie Platz im Raum war.
Nachdem Gerach sich mittlerweile an den Geruch gewöhnt hatte, betrachtete er die Verletzten eingehend und mit erkennbarer Zuwendung. Er erkannte sie sofort, da beide aus Gesken stammten.
Auf der linken Seite wand sich ein blonder Jüngling namens Hugo Balmen in seinen Schmerzen. Sein rechter Arm war unterhalb der Schulter scheinbar zertrümmert worden – mehrere Leinentücher und Bandagen waren großflächig um seinen Oberarm gewickelt. Der angelegte Verband verfärbte sich relativ zügig rot und wurde daher ständig von der Magd, die an seiner Bettseite saß, neu ausgebessert. Sein blonder lockiger Schopf hang verfilzt aus einem zweiten Verband heraus, mit dem sein ganzer Kopf verbunden war. Hugo, der immer auf seine äußere Erscheinung stolz war, da er so manches Damenherz damit gewann, wirkte durch sein Aussehen nunmehr unbeholfen und fast schon lächerlich – allerdings war dies keine Situation, die einem zum Lächeln ermutigte.
Der andere war Andreas von Hagen, der Sohn Friedrichs von Hagen aus der Grafschaft Bärenbach. Er war vor einem Jahr zum Ritter geschlagen und von seinem Vater in den Dienst des Grafen Heinrich beordert worden. Er hatte kurze, pechschwarze Haare und galt als ein besonderer Draufgänger, der sich ohne nachzudenken in einen risikoreichen Kampf verstricken ließ. Anders als Hugo war er zwar am Oberkörper unverletzt, doch dafür war sein linkes Bein stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Scheinbar hatte ihm irgendetwas den linken Fuss zerschmettert und den Unterschenkel gleich mit. Gerach war sich sofort im Klaren, dass er wohl nie wieder laufen würde können, ganz egal wie man ihm hier und heute auch helfen würde.
„Wie es aussieht, ist euch in Austria Schlimmes widerfahren.", begann Gerach ruhig und liebevoll zu sprechen.
„Das kann man wohl laut sagen!", brachte Hugo stöhnend hervor. Er sagte es sehr heftig, denn er verstand die Frage Gerachs nicht. Es ist doch für jedermann eindeutig zu sehen, dass etwas Schlimmes passiert sein musste – was sollte die blöde Frage!
Gerach verstand die Reaktion Hugos, allerdings fiel ihm gerade keine bessere Möglichkeit ein, wie er das Gespräch anfangen sollte. „Wollt ihr es mir erzählen?", fragte er mitfühlend.
Hugo und Andreas wechselten einen unruhigen Blick. „Ich glaube nicht, dass ihr das wirklich hören wollt", sagte Andreas daraufhin keuchend, „solcherlei Geschichten sind alles andere als harmlos und nicht für das Ohr eines Priesters bestimmt."
Die Magd, die neben Andreas am Bett saß, drehte den Kopf zu Gerach und sagte dazu: „Ich denke auch, dass die beiden Herren erst einmal zur Ruhe kommen müssen. Man sollte sie jetzt nicht mit unnötigen Fragen quälen."
Gerach nickte daraufhin langsam und verständnisvoll. „Dennoch würde ich gerne wissen, wie der Kampf gegen die Attanen verlaufen ist.", fragte er dann vorsichtig. Er wusste, dass die Männer Schlimmes erlebt hatten, und dies ließ ihn zu Recht vermuten, dass ihnen im Grunde daran gelegen war, sich dies von der Seele zu reden.
Die Reaktion Hugos bestätigte seine Vermutung, da dieser plötzlich losbrach: „Es war eine Katastrophe! Diese verflixten Attanen! Mit Steinlawinen hielten sie uns in Schach! Wir kamen nicht mal in die Nähe ihres teuflischen Hauptlagers!" Sein Redeschwall endete abrupt in einem lauten Aufhusten – sein Kopf nahm dabei fast denselben Farbton an wie sein roter Verband.
„Ganz ruhig, Herr", ermunterte ihn die Magd, die neben ihm saß, und hielt ihn leicht an der Schulter fest, „ihr wisst doch, ihr dürft euch nicht aufregen."
Hugo hustete weiter, nickte aber zustimmend.
Nun gab sich auch Andreas einen Ruck, und setzte den Lagebericht fort: „Doch das Schlimmste waren die Steingolem!" Er blinzelte Gerach verschwörerisch an.
Dieser erwiderte seinen Blick ungläubig, woraufhin Andreas ihm zunickte. „Golem?", fragte Gerach unfassbar, „das kann nicht sein!"
„Offensichtlich doch", entgegnete Andreas daraufhin, „diese Missgeburten müssen einen Weg gefunden haben, sie zu beschwören!"
Gerach sah immer noch ungläubig drein. Nur langsam begriff er die Tragweite des Gesagten. Auch Albrecht stand mit offenem Mund wie vom Donner gerührt. Dass die Attanen das mächtige Mäalström dazu verwenden konnten, um Steinlawinen zu erschaffen, das war allgemein bekannt. Die Kunst der Erschaffung von Golem galt aber seit Jahrhunderten eigentlich als verschollen – dementsprechend konnte das doch gar nicht sein.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top