1.18. Der Zauberstein (III)

Gerach trat neben Heinrich und nickte ihm anerkennend zu. Dieser erwiderte seinen Blick ruhig. Dann klaubte er den kleinen Rest des Zaubersteins vom Bett auf und hielt diesen dem Priester hin.
Der hob abwehrend die Hand. „Behaltet dies ruhig. Ich hatte Euch sowieso schon den ganzen Stein anvertraut, daher könnt Ihr auch über den Rest bestimmen." Er sagte es ehrlich und besonnen. Sein Blick schien zu ergänzen: „Ihr werdet es in diesen Zeiten bestimmt noch gebrauchen können."
Heinrich lächelte leicht und meinte: „Ihr seid sehr ehrenhaft, junger Priester. Aber wie ich Euch schon versprach – ich werde Euch den Lohn dafür nicht vorenthalten."

Albrecht, der hinter den Beiden stand, schüttelte nur den Kopf. Wie konnte der Priester so ohne Weiteres Eigentum der Glaubensgemeinschaft veräußern? Es erschien ihm ein Unding und er beschloss, den Kantonat bei nächster Gelegenheit davon in Kenntnis zu setzen. Dies schien ihm eine gute Möglichkeit, seinem Vorgesetzten eins auszuwischen – ihm, der ihn immer nur herumkommandierte und immer was an ihm auszusetzen hatte!

„Kann ich nun gehen, Herr?!", fragte er mit finsterem Blick auf Gerachs Rücken, kaum mehr bemüht um einen höflichen Ton. Gerach bemerkte weder seinen Tonfall, noch drehte er sich um, da er sich weiterhin im Gespräch mit dem Grafen wähnte. Er nickte nur leicht zur Seite geneigt mit dem Kopf und machte eine besonnene Handbewegung.
Ohne ein weiteres Wort wandte sich Albrecht angewidert ab und schritt fast schon stapfend aus dem Zimmer. Niemand bemerkte die fehlende Abmeldung beim Grafen, was eigentlich eine ziemliche Unhöflichkeit war. Alle waren wegen des gerade Geschehenen immer noch leicht benommen.

Der Medicus und die Mägde kamen nun langsam wieder ans Bett heran und sahen gebannt auf die Verwundeten. Auch Heinrich befasste sich nicht weiter mit Gerach, sondern blickte zu seinen Getreuen.
Nach einem kurzen Moment bewegten sich die beiden Ritter. Langsam wiegten sie ihre Köpfe hin und her, dann öffnete zuerst Hugo die Augen, gefolgt von Andreas. Ein zufriedenes Raunen kam aus den Mündern der Anwesenden.
Hugo und Andreas sahen sich ungläubig um. Sie räkelten sich ein wenig, wischten sich über die Augen und setzten sich dann aufrecht hin. Es sah aus, als hätten sie einen friedlichen Nachmittagsschlaf gemacht, aus dem sie nun erwachten.

„Was...ist...passiert?!", fragte Hugo abgehackt und mit müder Stimme. Er hatte geträumt, dass der Graf zu ihnen gekommen war und dann war er ins Dunkel versunken. Aber Moment – der Graf war ja wirklich da! Leibhaftig stand er dort am Bett.
Auch Andreas sah sich fragend um. Er erinnerte sich zuletzt an den Versuch, wach zu bleiben, weil der Graf gerade gekommen war und weil Hugo... Bei dem Gedanken an seinen Gefährten riss er umgehend den Kopf nach rechts. „Hugo!", rief er dann erfreut, „du bist erwacht!"

Hugo sah zu Andreas hinüber. Nach einer kurzen Pause begriff er das Geschehen. „So war ich denn weggetreten?", fragte er seinen Bettnachbarn unsicher. Der nickte ihm zu. ‚Ausgerechnet in Anwesenheit des Grafen!', dachte Hugo beschämt.
„Aber jetzt siehst du schon viel besser aus.", schob Andreas hinterher.

„Ich fühle mich auch viel besser", erwiderte Hugo fast ungläubig, denn in dem Moment wo Andreas dies angesprochen hatte, bemerkte er, dass seine Kraft wie selbstverständlich zurückgekehrt war. Doch das konnte doch eigentlich nicht sein. Er fasste sich an den Kopfverband und staunte. Wo waren die Kopfschmerzen? Er spürte nichts. Fast wie in Trance schob er langsam den Verband zur Seite und nahm ihn ab.
Die Mägde zogen erschrocken und wie im Chor die Luft ein. Doch nichts geschah. Kein Blut schoss hervor. Nur noch eine Verfärbung oberhalb des rechten Ohres wies daraufhin, dass dort mal eine Verletzung gewesen war.

Heinrich und Gerach schauten beide lächelnd auf das Geschehen. Hugo sah freudig zu Andreas, dann nahm er sich den Verband am Arm vor. Auch dort waren die Schmerzen so gut wie weg. Vorsichtig nahm er auch diesen Verband ab. Statt einer klaffenden Wunde war auch hier nur noch eine Verfärbung zu sehen.
Die eine Magd nah bei seiner Seite klatschte vor Freude in die Hände und hielt sich diese dann vor Unfassbarkeit an die Wangen. Dabei stieß sie einen kurzen Freudenschrei aus und ließ ein paar Tränen freien Lauf. Was für ein Wunder war hier gerade geschehen!
Hugo bewegte langsam den Arm hin und her. Er schmerzte zwar noch, aber das würde sicherlich bald verschwinden.

Andreas sah seinen Gefährten staunend an. Dann spürte auch er die Veränderung. Er sah zu seinem eingewickelten Fuß und probierte etwas aus. „Ich – ich kann ihn bewegen!", sagte er dann halb erfreut, halb ungläubig.
Jetzt blickten die Mägde freudig zu ihm hinüber. Man sah deutlich, wie sich der Fuß unter dem Verband bewegte. Langsam schnürte Andreas die Leinentücher ab, die jetzt auch gar nicht mehr so dunkelrot verfärbt waren, wie er nebenbei bemerkte. Er packte seinen Fuß aus und betrachtete ihn staunend. Sein Gelenk schmerzte noch ziemlich, aber ansonsten war der Fuß, der eben noch zertrümmert gewesen war, wieder ganz.

Andreas lachte freudig auf, wobei sein Gesichtsausdruck ungläubig blieb. Er sah Hugo verschmitzt an, so als wollte er sagen: ‚Guck mal hier – ist das zu fassen?!'
Hugo nickte ihm nur langsam zu und lächelte ihn verwegen an. Sein Gesichtsausdruck schien zu sagen: ‚Was haben wir wieder nur für Glück!'.
Erst dann sahen sie den Grafen an und fragten fast zugleich: „Graf – Herr! Wie ist das nur möglich?!"

Heinrich hatte sie die ganze Zeit nur stolz betrachtet und kein Wort gesagt. Er wollte, dass sie sich in Ruhe ihrer Gesundung bewusst wurden, und gönnte ihnen diesen kurzen Moment der Freude. Als hätte er nur darauf gewartet, dass sie ihn ansprechen würden, erwiderte er ihnen nun: „Beruhigt euch bitte. Beide. Ich erkläre euch gleich alles."

Dann wandte er sich an die Anderen im Raum. „Wie es scheint, geht es Ihnen jetzt deutlich besser. Daher möchte ich mit Ihnen zunächst allein sprechen." Alle nickten und wandten sich zum Gehen, mit Ausnahme von Gerach, der dem Grafen scheinbar noch etwas sagen wollte. „Medicus, Sie bleiben in Rufweite", sagte Heinrich zu dem Heilkundigen. „Ich denke die Beiden brauchen noch etwas Nachbehandlung." Der Angesprochene nickte und legte nur schnell einige seiner Utensilien in die kleine Holzkiste zurück.

Erst jetzt bemerkte Heinrich, dass Gerach ihn erwartungsvoll ansah. Er erwiderte den Blick fest und hob fragend die Braue. „Herr Graf, ich habe noch eine Bitte an Sie", sagte der Priester ruhig und mit leicht unterwürfigem Ton. Als Heinrich ihn weiterhin fragend ansah, ergänzte er: „Seien Sie bitte nicht zu streng zu ihren Rittern, weil sie nicht an Ihrer Seite geblieben sind. Ich hatte Gelegenheit, bereits mit ihnen zu sprechen, und kann nur sagen, dass es ihnen darum reut."
Er warf Hugo und Andreas einen kurzen Blick zu, die ihm mit dankbarer Miene leicht zunickten. Dann sahen sie sogleich wieder gebannt auf ihren Herrn, in Erwartung seiner Reaktion.

Heinrich nickte bedächtig und sprach dann halb zu Gerach, halb zu den beiden Rittern gewandt: „Ich werde ihnen schon nicht die Köpfe abreißen. Ich habe selber allerlei dort erlebt und bin sicher, dass es einen Grund für ihr Verhalten gab."
Gerach sah Heinrich ruhig und besonnen an. Er hätte es nicht gewagt seine Bitte vorzubringen, aber da der Graf ihm nun etwas schuldete, hatte er doch nicht damit gezögert, das anzusprechen, was er den Rittern versprochen hatte.

Heinrich sah Gerach fest an und führte dann fort: „Ich danke Euch nochmals sehr für Eure Hilfe, Ehrwürden, aber Ihr werdet sicherlich verstehen, dass dies eine Angelegenheit zwischen mir und meinen Rittern ist, die nur ich allein mit ihnen zu besprechen habe." Er sagte es eher zurückhaltend und ohne Verärgerung.
Hugo und Andreas sahen sich kurz verstohlen an. Zumindest würde der Graf eine vernünftige Erklärung für ihr Verhalten haben wollen, das war ihnen jetzt klar.

Gerach neigte dem Grafen gegenüber leicht das Haupt, wobei er ihm dankbar ansah. Er warf den Rittern noch einen kurzen Blick zu und ging dann ruhigen Schrittes hinaus.
Verwundert sah Heinrich ihm nach. Dieser Priester hatte ihm nicht nur unerwartet geholfen, sondern schien sich auch für die Leute in der Grafschaft ehrlich zu interessieren und sich für sie einzusetzen.
Er wusste nicht, was er davon halten sollte. 


E n d e    von    K a p i t e l   1

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