1.1. Erschöpft

Mühsam trabte das Pferd den sandigen Weg entlang. Den Kopf hängend, trottete es fast schon schlurfend vor sich hin. Der auf dem Pferd sitzende Reiter sah keineswegs munterer aus. Mit hängenden Schultern und nach unten gerichtetem Kopf saß er im Sattel, die Zügel nur zaghaft umklammert. Von weitem sahen Pferd und Reiter von ihrer Haltung her identisch aus. Ein Beobachter würde auf den ersten Blick erkennen, dass der Mann seit Stunden mit seinem Gefährten unterwegs sein musste.
So war es tatsächlich auch. Heinrich von Bernstein, so der Name des Reiters, war nunmehr seit sieben Stunden ununterbrochen auf dem Heimweg. Es war keine freudige Reise. Mit Ruhm und Geld hatte er heimkehren wollen, mit Wein und Früchten für seine Untertanen, stattdessen - nichts.

Aber eigentlich war es nicht verwunderlich. Was hatte sich der Oberpriester von Allerlanden auch nur dabei gedacht, ausgerechnet gegen die südlich gelegenen Attanen zum Krieg aufzurufen. Heinrich wurde sofort stocksauer, wenn er auch nur daran dachte. Die Attanen bezwingen - pah! Was für ein unüberlegter Irrsinn.
Er erinnerte sich, wie er auf den Tagungen der hohen Herren von Anfang an immer davor gewarnt hatte: Die Attanen seien aufs Beste gerüstet, besitzen sie doch in ihren Bergen viele Goldadern mit denen sie sich sehr gute Waffen verschaffen konnten. Ebenso hatte er zu bedenken gegeben, dass sich diese Wilden in ihrem Gebirge sehr gut auskennen und ihnen daher schwer beizukommen ist. 

Schließlich waren sie auch in der Lage, Steinlawinen mit Hilfe des magischen Mäalströms auszulösen, wodurch ein Vordringen in die oberen Lagen des attanischen Berglandes ziemlich verlustreich enden würde. Doch die meisten der edlen Leute lockte die Aussicht auf das Geld, das ihre Verhältnisse in Allerlanden aufbessern würde, und so gelobten fast alle hohen Leute dem Oberpriester, sich an dem Feldzug zu beteiligen: die Hegeliner, die Bärenbacher, die Falkensteiner, die Golddorfer, die Eldthaler, die Wulfenberger und so weiter und so weiter... Was blieb ihm, dem Graf von Bernstein, nun übrig als sich dem heiklen Unterfangen anzuschließen? Immerhin waren ja auch seine Kassen leer. Außerdem hätte er vor den Anderen als Feigling dagestanden. Daher hatte Heinrich sich im Laufe der Zeit immer weiter damit angefreundet, mit vollen Händen heimwärts zu ziehen. Und nun dies...

Bei dem Gedanken an die letzten aufwühlenden Tage schüttelte Heinrich langsam den Kopf. Dann schloss er die Augen, hielt seine linke Hand an die Stirn und strich mit ihr langsam das Gesicht nach unten entlang. Es war die Geste eines müden Mannes, der mehr erlebt hatte als ihm lieb war. Als seine Hand am Kinn anlangte, spürte Heinrich seinen ausgeprägten Vollbart, der ihm im Laufe der Unternehmung gewachsen war. 

Er öffnete die Augen wieder. Erstmals seit langem sah er dabei endlich mal wieder direkt nach vorne. Sofort hielt er das Pferd an. Während er die ganze Zeit über gedankenversunken dahin getrabt war, hatte er nicht das Herannahen einer Waldkante bemerkt, die nun nur noch eine Meile vor ihm lag.
'Der Wald!' ,dachte Heinrich unvermittelt, 'dann kann es ja nicht mehr weit bis Gesken sein!' 

Er beschloss eine Pause einzulegen. Etwa hundert Schritte vor ihm sah er eine große Eiche direkt am Wegesrand stehen, ein idealer Ort für eine Verschnaufpause. Immerhin war er die letzten Stunden dauerhaft der Sonne ausgesetzt gewesen, nichts als Feld und Wiesen hatten den staubigen Sandweg gesäumt, auf den er vor drei Stunden eingebogen war.
Heinrich lenkte sein Pferd langsam an den Baum heran, und blieb direkt neben dem dicken Stamm stehen, der nur eine Fußbreite links des Weges aufragte. Augenblicklich befand er sich nun im Schatten, denn der Baum hatte ein sehr weit verzweigtes Blätterdach, unter dem mühelos ein ganzes Dutzend Menschen Schutz finden konnten. 

Heinrich spürte sofort die erholende Wirkung des Schattens. Er stieg langsam und seufzend ab, wobei sämtliche Muskeln seines Körpers empört aufzubegehren schienen, weil man sie in Bewegung versetzte. Heinrich reckte sich kurz, dann ergriff er die Zügel und befestigte sie an dem mächtigen Stamm. Er sah an sich herunter. Das was er erblickte, veranlasste ihn zu einem kurzen abwertenden Grunzen. Seine Rüstung war an der linken Seite kaputt - sowohl sein Schulterschutz war aufgebrochen und hing in seinen Resten an der Seite herunter, ebenso war sein Beinharnisch zerstört, wie seine beiden Eisenstiefel zerschlissen und vorne durchlöchert. 

Zudem war die gesamte Rüstung voller Schmutz und Dreck und total verbeult. Den Helm hatte er schon in der Schlacht verloren, das war als... Heinrich zuckte zusammen und schloss die Augen. Unvermittelt begann sein Herz schneller zu schlagen. 'Nur nicht dran denken!', ermahnte er sich, während er die Augen geschlossen hielt.
Es wirkte. Die Rückkehr in die Gegenwart gelang.

Er öffnete die Augen wieder, und ging zum Pferd. Er zog seine Wasserflasche aus der Seitentasche am Sattel heraus und stellte sie an den Baumstamm. Dann machte er sein Schwert lose, das die ganzen letzten Stunden sowieso nicht mehr richtig ordentlich an seiner Seite gehangen hatte - auch ein Zeichen der eingesteckten Niederlage.
Er setzte sich an den Baumstamm und legte das Schwert auf seinen Schoss. Dann nahm er die Wasserflasche, öffnete sie, und trank einen Schluck. Wie gut das tat! Er nahm noch einen Zug, allerdings einen kleinen, denn er bemerkte, dass die Flasche schon fast leer war. 

Diese Erkenntnis machte ihn wieder wütend. Wein sollte er jetzt eigentlich haben, Wein, Braten und Früchte! Stattdessen hatte er nur noch ein paar Schlucke Wasser und ein Stück hartes Brot. 'Welch eine Schmach!', dachte er. Fast war es ihm peinlich heimzukehren und seinen anvertrauten Untertanen zu erklären, dass alles umsonst war. Die Bauern, Handwerker und Bediensteten - sie alle erwarteten von ihm, dass er die Grafschaft Bernstein am Leben erhielt. Wie sollte er nun die Ländereien verwalten, wie die Burg instand halten, wie die Händler bezahlen, wenn die Kassen weiterhin leer bleiben würden? Und die einfachen Leute? Wie sollte man sie weiterhin für sich und für Bernstein begeistern können, wenn die Abgaben schon sehr hoch waren?

Heinrich erschöpfte bei derlei Gedanken. Er schloss erneut die Augen und lehnte seinen Kopf seufzend an den Baumstamm. Wie herrlich ruhig und friedlich man hier liegen konnte. Die Versuchung, einfach hier für alle Zeiten liegen zu bleiben, wurde mit einem Mal übergroß. Warum überhaupt noch zurückkehren und sich all den Ärger aufladen? Warum weiter für eine Sache kämpfen die doch schon längst verloren war?
Heinrichs Körper schien seine letzte Willenskraft zu verlieren, eine Kraft die ihn beinahe die ganzen letzten zwei Wochen ohne Schlaf hat auskommen lassen. Er versuchte nicht einmal mehr dagegen anzukämpfen. Die Strapazen übermannten ihn völlig und er döste ein.

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