Flugstunde (Teil 1)

Kapitel 21

Sanft spürte ich etwas warmes an meiner Wange. Verschlafen schlug ich meine Augen auf.
Lukas kniete vor mir und sah verträumt neben mich auf die Couch. Als er bemerkte, dass ich wach war, zuckte seine Hand, die auf meiner Wange lag, leicht zurück.
"Lukas?", fragte ich verwirrt und blinzelte.
"Scht. Schlaf weiter", lächelte er mich an und legte behutsam seine große Hand wieder auf meine Wange. Sanft strich er über meine Haut. Schon halb im Schlaf versunken seufzte ich zufrieden auf, kuschelte meinen Kopf an seine Hand und schloss müde die Augen. Sie war so warm und weich.

~ ° ~

"Ally! Wach auf", rüttelte jemand an meiner Schulter.
"Was ist denn?", fragte ich murrend und schlug die Hand kraftlos weg.
"Es ist schon 17 Uhr und du musst noch meine Aufträge erledigen!"
Erschrocken schlug ich meine Augen auf. Siebzehn Uhr! Ich hatte mich doch mit Kandor, um achtzehn Uhr, an den Drachenhütten verabredet.
"Scheiße", zischte ich, schlug die Decke weg und zog meine Stiefel an. "Schreib mir auf, was ich machen muss und ich mach es. Aber beeil dich! Ich hab noch ne Verabredung", sagte ich zu Lukas und richtete hektisch meine Klamotten sowie meine Frisur.
"Mit wem hast DU denn bitte eine Verabredung", fragte er zweifelnd, grinste schief und spazierte langsam zu seinem Schreibtisch. Er nahm ein Stück Papier und schrieb etwas mit schöner Schrift darauf.
"Geht dich gar nichts an", antwortete ich nach ein paar Minuten schnippisch, holte mir schnell den Zettel und sah über ihn drüber.

Öklörstraße 7: Heilkräuter, Minztextur, Feuerpapier, Eisendolch, Insektenstachel, Teufelsblut...

Was zum Teufel? Gab es hier wirklich Teufel?
"Wie soll ich das besorgen, wenn ich es noch nicht mal kenne", blickte ich zweifelnd zu ihm auf.
"Wirst du schon hin bekommen. Deine Verabredung kann dir ja helfen", grinste er mich an, setzte sich auf seinen Stuhl und lehnte sich gegen die Rückenlehne.
Mit einem Dein- Ernst- Blick sah ich ihn für ein paar Sekunden an und drehte mich danach genervt um.
"Ich bring dir die Sachen heute Abend so um.... 22:00 Uhr. Bis dann", verabschiedete ich mich und machte hinter mir die Tür zu.

Schnell rannte ich den breiten sowie hohen Gang entlang und blieb schnaufend vor den Pferdeställen stehen. Ich holte tief Luft und Pfiff einmal kräftig in meine Finger. Der hohe Ton hallte laut über den Hof. Suchend blickte ich mich um.
"Komm schon. Lass mich jetzt nicht im Stich", murmelte ich und pfiff noch einmal.

Da hörte ich zu meiner Erleichterung Hufen, welche auf Steine aufschlugen. Laut hallten ihre Tritte wieder, als sie um die Ecke bog und vor mir anhielt. Stark atmete sie durch ihre Nüstern aus und schüttelte ihre Mähne. Lächelnd streichelte ich sie am Hals und setzte mich, mit Hilfe von einem Knaben, auf ihren Rücken.
Mich wunderte es, dass sie auf das Pfeifen hörte. Vielleicht wurde sie so antrainiert, dachte ich überlegend.
"Los, los", rief ich, scheppte meine Füße gegen ihren Bauch und lehnte mich nach vorne. Die Stute rannte los, in Richtung Wald. Häuser und Bäume rauschten an mir vorbei. Wind blies mir um die Ohren.

"Kannst du mich bitte zur Akademie bringen", rief ich. Als Antwort bekam ich ein Wiehern. Lächelnd hielt ich mich mehr an ihrem Hals und ihrem Bauch fest. Auch wenn sie es nicht wollte, müsste ich ihr doch ein Sattel anlegen, da ich zu sehr hoch hüpfte und irgendwann bestimmt runter fliegen würde.

~ ° ~

Eine viertel Stunde später trabten wir in den Vorhof der Akademie hinein. Blumen, Lampen und Bänke standen wie immer in regelmäßigen Abständen von einander entfernt und schmückten den sauber gepflasterten sowie breiten Weg. Vor den beiden Metallligen Eingangstüren ging ein kleiner Weg nach rechts, der hinter das Gebäude führte. Sanft klopfte ich der Stute auf den Hals und sagte leise
"Nach rechts." In einem gemütlichen Tempo bog sie ab und ritt den schmalen Weg entlang, der nur von einfachen Lampen erleuchtet wurde.

Erleichtert wischte ich mir über die Stirn, als wir vor den Drachenhütten halt machten, und stieg von ihr hinunter. Milde lächelnd streichelte ich ihr über den Hals und sagte "Na los. Geh schon!" Das ließ sie sich nicht zwei mal sagen. Wiehernd ritt sie in den Wald hinein.

Nachdem ich ihr hinterher blickte und ihr weißes Fell nicht mehr sehen konnte, spazierte ich in die Hütte hinein und blieb vor Hennas Tür stehen. Zögernd hob ich meine Hand. Ein paar Zentimeter vor dem Holz hielt ich inne. Sollte ich sie besuchen oder doch lieber gehen? Wer weiß, was sie wieder mit mir macht, wenn sie mich sieht. Nervös machte ich die Tür einen Spalt weit auf.
Henna schlief Seelenruhig und zusammen gerollt in der Mitte der Stallung. Seufzend schloss ich die Tür wieder langsam und blieb davor noch ein paar Sekunden stehen - das Holz noch in der Hand.
Ich wusste einfach nicht, was ich mit ihr machen sollte. Sie war so stur. Irgendwie müsste ich mit ihr ein Kompromiss schließen.

"Ally?" Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich die raue Stimme hörte und drehte mich langsam um. "Was machst du denn schon hier? Es ist doch erst 17:30 Uhr", zog Kandor fragend die Augenbrauen nach oben.
"Besser früh als zu spät. Nicht?!", grinste ich schief. Schmunzelnd zuckten seine Mundwinkel leicht nach oben.
"Na komm. Dann stell ich dir mal meine Partnerin vor", winkte er mich zu sich und ging schon los. Schnell lief ich ihm hinter her.

Ganz hinten in der Hütte angekommen, blieb er vor der letzten Tür stehen und machte sie langsam auf. "Klea? Bist du wach?", fragte er leise in die Dunkelheit hinein. Daraufhin hörte ich, wie sich etwas in dem Stroh bewegte. Leuchtend grüne Augen blickten in der Schwärze auf uns hinunter.
Kandor suchte in der Zwischenzeit die Schnur, welche zum Licht entfachen diente. Als er sie fand und daran zog, musste ich kurz die Augen zusammen kneifen, da meine Pupillen nicht an diese Helligkeit gewöhnt waren.

Da schnaubte die Drachendame und blies mir somit warme Luft entgegen, die meine Kleidung und Haare nach hinten wirbeln ließ. Mein Kopf drehte ich deshalb weg, hob meine Arme schützend vor das Gesicht und sah erst nach ein paar Sekunden wieder auf, als der Wind sich legte.
Grüne, fast durchsichtige Schuppen, die im Licht leicht bläulich schimmerten, zierten ihren mächtigen Körper. Stolz hob sie ihren Kopf an und nickte mir als Begrüßung zu.
"Darf ich dir vorstellen? Das ist Klea. Ich kenne sie schon seit sie geschlüpft ist", lächelte er, ging zu ihr hin und klopfte ihr auf den Hals. Gurrend stupste sie ihn mit ihrem Kopf an und schloss die Augen, als er ihr über die Schuppen strich.
"Hallo ich bin Ally", lächelte ich und hob meine Hand zur Begrüßung.
"Und du willst heute mit Kandor und mir fliegen, nicht wahr?", hallte Kleas ruhige und sanfte Stimme in meinem Kopf wieder. Ich nickte. Daraufhin stand sie auf. Stroh rieselte zu Boden, als sie sich schüttelte. Ihre beiden, dünnen Hörner, die rechts und links nach oben ragten stießen fast an die Decke an. Ihren Hals stolz gerade gehalten, war sie doppelt so groß wie ich.

Kandor machte das Tor auf und winkte mich zu sich. Während ich zu ihm ging, spazierte das Drachenmädchen an mir vorbei und ließ den Boden dabei leicht vibrieren.
"Sie ist ganz schön groß", flüsterte ich zu Kandor und schielte zu ihr hinüber.
"Ja. Sie ist ja auch schon zwölf Jahre alt", verriegelte er die Tür wieder und ging an mir vorbei.
"Ab wie viel Jahren sind Drachen noch mal ausgewachsen?", fragte ich.
"Sie wachsen immer. Aber wenn sie 20 sind, gelten sie als erwachsen", antwortete er.
"Und wie alt ist Henna?"
"Zwei", drehte er leicht seinen Kopf zu mir.
"Oh", sagte ich leise und sah wieder nach vorne.
"Wir holen sie gleich mal mit. Heute bring ich dir erst mal bei, wie man einen Sattel anbringt", nickte er mir zu.
"Naja, also ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee mit Henna ist", sagte ich zweifelnd.
"Du kommst sowieso nicht drum herum. In ein paar Tagen fängt das Drachentraining an und ab da musst du mit ihr sprechen", zog er die Augenbrauen nach oben und blickte mich streng an. Frustriert seufzte ich auf. Warum konnte mir nicht mal etwas gutes passieren?

Vor der Tür von Henna blieben wir stehen. "Muss ich denn wirklich?", fragte ich leise.
"Ja. Und jetzt los", schubste er mich leicht nach vorne. Böse blickte ich nach hinten und blieb stehen. "Los", murmelte er, zog beide Augenbrauen nach oben und ließ seine beiden Hände nach hinten und vorne wippen.
Ich bin doch keine Katze, die er so weg scheuchen kann, dachte ich ärgerlich und zischte "Ist ja gut. Ich mach ja schon!" Langsam ging ich an die Tür heran, atmete noch einmal tief durch und schob das Holz nach vorne. "Henna?", fragte ich leise, in die Dunkelheit hinein. Stroh Geruch kam mir entgegen, als sich etwas bewegte. Blaue Augen leuchteten auf und blickten direkt in meine Grünen. "Ähm... Kandor und Klea zeigen mir, wie man einen Sattel richtig anlegt und sie meinten, ich soll dich mit holen", erklärte ich.
"Nein. Ich hab keine Lust", atmete sie aus und rollte sich auf der anderen Seite zusammen. Ihr Rücken war zu mir gedreht.
"Gut. Dann bis später", sagte ich schnell und machte die Tür wieder zu. "Sie will nicht, also können wir wieder gehen", wandte ich mich den beiden zu und lächelte. Kandor zog eine Augenbraue hoch, schob mich zur Seite und machte die Tür wieder auf.
"Entweder du kommst jetzt raus oder Klea wird dich raus ziehen. Du weißt genauso gut, wie ich, dass ihr irgendwann ein Paar bilden müsst. Ob es dir passt oder nicht", donnerte Kandors genervte Stimme durch die Stallung. Murrend stand Henna auf und trottete an uns vorbei. Dabei warf sie mir einen bösen Blick zu.
"Ich kann auch nichts dafür", rechtfertige ich mich und verschränkte meine Arme vor der Brust.

Immer war ich die Schuldige. So war es auch bei meiner Familie. Wenn mein Bruder etwas angestellt hatte war ich es automatisch. Wenn meine Mutter etwas verloren hatte, war ich diejenige, die es weggelegt und verstruttelt hatte.
"Ally!"
"Ja, ich komme", rief ich und rannte zu den anderen nach draußen.

Klea und Henna standen nebeneinander und starrten gerade aus. Ich folgte ihren Blicken und sah Kandor zu, wie er einen Sattel aus einem langen und großen Haus holte. Sanft ließ er diesen auf Hennas Rücken nieder.
Der Sattel bestand aus dunkel braunem Leder. Ein Bogen aus zwei zusammen gedrehten Seilen bildete vorne das Haltungsstück. Wie ein normaler Sattel hatte er hinten und vorne eine kleine Erhebung, doch an den Seiten führte eine Verlängerung von Leder hinunter. Dort wurden acht Zentimeter breite Lederbänder angebracht, in die man seine Füße hinein schob. Dadurch das beide Enden oben miteinander vernäht wurden, konnte man, wenn der Drache Loopings vollführte, nicht hinunter fallen.
"Vorne die Schnallen werden hier an der Brust zusammengeschnürt", holte er diese und schloss sie wie ein Gürtel. "Und die Hinten unter die Vorderbeine." Als er diese auch zu machte, rüttelte er leicht an dem Sattel und nickte zufrieden. "Immer schauen, dass der Sattel nicht zu locker sitzt. Komm her", winkte er mich zu sich. Ich ging drei Schritte nach vorne und stand nun neben ihm. "Hol ihn am Anfang und Ende und schüttle es mal. So muss er sitzen", erklärte er und ließ mir den Vortritt. Zögerlich umfasste ich ihn und wunderte mich, dass das Leder sich so weich anfühlte. Leicht rüttelte ich und bemerkte, dass er zwar noch ein paar Zentimeter hin und her rutschte, aber es dann nicht mehr weiter ging.
"Um aufzusteigen machst du deinen Fuß dazwischen", zeigte er auf die breiten Lederbänder. Mit meinem linken Fuß stieg ich in die Schlaufe, ging ein wenig in die Knie und schwang mit Schwung mein rechtes Bein über ihren Rücken. Mit meinem Po kam ich sanft auf dem Sattel auf. "Das war zwar nicht sehr elegant, aber das bekommen wir mit ein wenig Übung schon hin", machte sich Kandor über mich lustig. Grinsend schlug ich ihm gegen die Schulter.
"Ich hätte gedacht, wir üben erst mal mit Klea?", zog ich meine Augenbrauen fragend zusammen.
"Ja. Aber jetzt schauen wir erst mal, ob Henna den Sattel mag. Sie hat nämlich noch keinen", nickte er und sah zu Hennas Kopf.
"Es geht. Er juckt etwas", murmelte sie und schwang ihren Körper nach links und rechts.
"Wenn deine Schuppen ausgehärtet sind, legt sich das", meinte Klea. Unzufrieden brummte Henna auf.
"So, jetzt mach mal den anderen Fuß in die Schlaufe." Ich ließ meinen rechten Fuß in das Leder schlüpfen und konnte ihn nur noch ein paar Millimeter bewegen. Kandor ging um mich herum, zupfte an den Schnallen herum und schwang sich danach hinter mich auf den Sattel.
"Was machst du da?", fragte ich verwirrt.
Kandor schlang seine Arme um meinen Bauch, rutschte näher an mich heran und legte sein Kinn auf meine rechte Schulter.
"Ich fliege jetzt mit dir", hörte ich ihn nahe an meinem Ohr sagen.
"Aber du sitzt doch gar nicht mehr auf dem Sattel", sagte ich leicht hysterisch. Seufzend fasste er nach meinen Händen und gab mir Handschuhe.
"Was soll ich denn jetzt mit denen?", blickte ich verwirrt auf das schwarze Leder.
"Anziehen. Ich hoffe sie passen dir. Das sind unsere kleinsten", murmelte er an mein Ohr. Leicht lehnte ich mich zur Seite und sah nach hinten in sein Gesicht. Fragend zog er die Augenbrauen hoch.
"So kleine Hände hab ich nun auch wieder nicht", schmollte ich und zog sie an.
"Ja. Aber im Vergleich zu unseren sind sie schon kleiner", lächelte er leicht.
"Wenn du meinst", murmelte ich und setzte mich wieder normal hin.
Automatisch griff ich nun nach dem Seil Bogen vor mir. Nervös rutschte ich hin und her.
"Gut. Dann legen wir mal los", legte er seine, ebenfalls behandschuhten, Hände auf meine.
Oh Gott! Jetzt werde bloß nicht rot im Gesicht, dachte ich. Aber leider spürte ich da schon, wie mir die Wärme in den Kopf stieg.
Stark umgriff er meine Hände und kam mir noch näher.
Oh mein Gooottt. So viel Körpernähe war ich nicht gewohnt! Am liebsten hätte ich meine Hände weg genommen und wäre in mein Zimmer geflüchtet, aber ich wollte ja meine Höhenangst überwinden!
"Henna. Hebe ein wenig ab", rief er über meine Schulter hinweg.
Blitzartig schossen ihre Flügel auseinander. Ihre Knochen konnte man deutlich, durch die dünne, weiße Haut sehen. Kleine Adern durchzogen diese. Dadurch, dass sie ihre Flügel so schnell ausgebreitet hatte, wirbelte der Staub vom Boden auf und wehte meine Haare zurück, direkt in Kandors Gesicht. Lachend sah ich nach hinten.
Plötzlich schlug Henna ihre Flügel nach unten und hob somit vom Boden ab.
"Fuuck", schrie ich erschrocken auf und krallte mich mehr an die Seile. Kandor hinter mir lachte schadenfreudig auf.
Einen Meter über dem Boden schwebten wir nun. Hennas Flügelschläge kamen dumpf in meinen Ohren an. Mulmig wurde mir zu mute, als ich nach unten schaute. Der Sand würde unserem Sturz zwar etwas abfedern, doch ein paar Knochen hätten wir danach schon gebrochen.
Auf einmal ließ Kandor meine Hände los und band mir ein schwarzes Tuch vor die Augen. Stotternd brabbelte ich irgendetwas vor mich her und war mit der ganzen Situation überfordert.
Blind fragte ich "Kandor, was soll das?"
"Du vertraust mir doch, oder?", fragte er laut.
"... Ja, aber was hat das denn jetzt damit zu tun?", stellte ich die Gegenfrage.
"Konzentriere dich einfach auf mich und befolge meine Anweisungen. Dann wird uns auch nichts passieren!" Was? UNS nichts passieren?! Ich werde hier noch sterben, wegen einem Herzinfarkt. Und wer organisiert dann meine Beerdigung, dachte ich verzweifelt.

Ein Ruck ging durch Hennas Körper. Mein Herz hämmerte mir laut gegen die Brust. Kandor hatte wieder stark meine Hände umgriffen. Warm blies sein Atem gegen meine Halsbeuge, weshalb sich meine Härchen steil aufstellten. Immer wieder hüpfte ich leicht nach oben, da Henna stark mit ihren Flügel schlug, um an Höhe zu gewinnen.
"Kandor. Ich - ich glaub ich kann das nicht", schrie ich hysterisch gegen die Flügelschläge an. Hektisch atmete ich immer wieder aus und ein. Mir wurde das hier alles zu viel. Ich hatte keine Orientierung. Ich wusste nicht, ob wir jetzt schon höher flogen, oder immer noch einen Meter über dem Boden schwebten. Übel wurde mir, bei der Vorstellung, dass wir über den Wolken schwebten und die Menschen unter uns nur in Miniaturausgabe sahen.

Feuchte Luft wehte mir gegen das Gesicht. Leicht drehte ich den Kopf nach rechts, um den kleinen Wassertropfen auszuweichen.

"Beruhige dich. Es ist doch noch gar nichts passiert." Warmer Atem schlug gegen meine Lippen.
"Ich... ich weiß nicht wo wir sind. Und mir ist total übel", flüsterte ich, in der Hoffnung, dass Kandors Gesicht vor mir war.
"Ganz ruhig. Höre einfach nur auf das Schlagen der Flügel und atme normal. Stelle dir vor, wir wären an deinem Lieblingsort. Du hast doch einen?"
"Ja hab ich", nuschelte ich und dachte an mein Zuhause.

Ein kleines Häuschen mitten im Wald. Drum herum Laub- und Nadelbäume, die dicht zusammen standen und Schatten auf die roten Ziegel warfen. Abends, wenn ich von meiner Dachgaube auf das Dach kletterte, hatte man eine super Aussicht auf den Sonnenuntergang. Der laue Sommerwind wehte mir immer die Haare zurück und ließ mich genüsslich die Augen schließen. Nach Moos und Nebel roch es morgens, wenn ich mit meinem Mini zur Arbeit fuhr. Vogel gezwitschert begleitet meinen Weg durch den Wald und ließ mich immer wieder fasziniert einen Blick in die Baumkronen werfen. Manchmal blieb ich auch stehen, um meine Kamera heraus zu holen und ein paar Fotos von den morgendlichen Sonnenstrahlen, die durch die Nadeln und Blättern drangen, zu schießen.

Langsam kehrte ich wieder in das hier und jetzt zurück. Leicht lehnte ich mich nach hinten, an Kandors Brust und lockerte meinen Griff um die Seile. Meine Atmung war wieder regelmäßig und ich verspürte auch keine Übelkeit.
Lächelnd sagte ich "Danke Kandor. Mir geht's schon viel besser. Der Ratschlag hat echt geholfen."
"Ich hab nicht wirklich viel getan. Aber bitte.... Du, sag mal? Seid wann bist du denn so verschmust?"
Schnell setzte ich mich wieder gerade hin und sah gerade aus.
"Ich bin nicht verschmust. Ich.. ich hab mich nur ein wenig zurück gelehnt", stotterte ich unbeholfen vor mich her.
Lachend meinte Kandor daraufhin "Da ist sie wieder. Das Temperamentvolle Mädchen aus einem fernen Land."
Schmunzelnd lächelte ich milde.
"Ja, aus einem fernen Land ist gut gesagt", flüsterte ich.
"Was hast du gesagt?", fragte Kandor laut.
"Nichts", antwortete ich schnell. Damit er nicht noch einmal nachfragte, wechselte ich schnell das Thema. "Du? Wo ist denn überhaupt Klea und wie hoch fliegen wir?"
"Sie ist unten geblieben und ist wieder schlafen gegangen. Sie ist noch müde wegen dem Nachtflug. Was die Höhe angeht..."
Er ließ meine rechte Hand los. Ruckartig riss er das Tuch von meinen Augen und sagte "Sehe es dir doch selber an." Erschrocken atmete ich ein und schlug meine Augen auf.

Himmelblau wurde in ein rot, orange, der untergehenden Sonne, getunkt. Der lauwarme Frühlings Wind wehte mir sanft ins Gesicht, pustete meine hell brauen, fast blonden Haare nach hinten und ließ mich meine Augen ein wenig schließen. Stoßweise atmete ich wieder aus, als mir meine Situation bewusst wurde und krallte mich versteift an das Seil vor mir fest. Das kalte Leder der Handschuhe schmiegten sich an meine Handinnenflächen. Abwechselnd wurde mir kalt und warm.
Die verschiedensten Szenarien, wie wir abstürzten, schossen mir durch den Kopf. Zitternd und nicht in der Lage mich zu bewegen, beobachtete ich das leuchten der weißen Schuppen vor mir. Hennas Hals bewegte sich immer wieder leicht, wenn sie mit den Flügeln schlug und reflektierte das Sonnenlicht deshalb in die verschiedensten Richtungen. Mein Blick huschte von der Drachendame ab und blieb an dem milchigen Grün unter uns hängen, das die Bäume in Miniaturausgabe darstellte.
"Eindeutig zu hoch!", flüsterte ich mit großen Augen und drückte stärker zu, sodass das Seil leicht knarrte.
"Es ist alles in Ordnung Ally! Du bist mit den Füßen in den Schleifen, ich habe dich an den Händen und Henna fliegt ruhig. Dir kann gar nichts passieren!", sprach Kandor ruhig zu mir.
Wenn ich das doch nur glauben könnte, dachte ich verzweifelt und kämpfte gegen meine aufkommende Übelkeit an.
"Sag das mal meinem Magen. Der ist nämlich nicht so davon überzeugt und fängt an sich zu drehen", schimpfte ich leise vor mich her und war in der Versuchung mir den blubbernden Bauch zu halten. Kandors Hände strichen leicht über meine Handrücken. Versuchte er mich gerade zu beruhigen? Ungläubig zog ich beide Augenbrauen hoch und sah auf unsere Hände. Seine wirkten so groß, wenn sie auf meinen lagen. "Außerdem hast du gesagt, dass wir mit Klea fliegen! Und nicht mit Henna", sagte ich anklagend und wandte meinen Blick von den Händen ab. Fies lächelte er mich an, als ich zu ihm nach hinten sah.
"Das war ja auch eigentlich mein Plan gewesen. Aber da du schon auf ihr saßt, wollte ich dich nicht wieder da runter holen. Außerdem hätte ich Kleas Sattel noch holen müssen und der ist echt nicht leicht", erklärte er.
Was für eine lasche Ausrede. Als ob ich nicht alleine von dem Sattel runter gekommen wäre!
Augen verdrehend meinte ich "Mein Gott! Wer ist denn hier der Mann von uns?", und sah wieder nach vorne.

Kurz herrschte Stille, in der ich versuchte nicht unter mich zu schauen, bis Kandor beleidigt sagte "Weißt du was? Dann landen wir jetzt und du sattelst Klea!"
Da ist wohl jemand in seiner Männerehre gekränkt, dachte ich grinsend. Plötzlich rief er „Henna. Geh in den Sinkflug über!" Meine Gesichtszüge entglitten mir.

~ ۝ ~

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