Die Hiobsbotschaft
Kapitel 39
"Aber... Ihr habt gesagt, dass es Ihr gut geht", schniefte Mila.
"Es tut mir so leid", schluchzte ich und nahm beide in meine Arme. "Ich wollte nie, dass das alles so endet!" Joshuas leises Weinen drang in meine Ohren. "Ich wollte nie, dass sie in meinen Händen stirbt", wisperte ich und drückte meinen Kopf in Milas Halsbeuge, um mich selber zu trösten. Als sie jedoch keinen Mucks von sich gab, löste ich mich zögerlich von ihr und sah verwirrt in ihre braunen Augen. Schockiert hielt ich meinen Atem an. Hasserfüllt starrte sie in mein Gesicht, während dicke Tränen immer wieder ihre Wangen hinunter liefen.
"Ihr seid eine Lügnerin", flüsterte sie erstickt und trat einen kleinen Schritt von mir zurück.
Entsetzt schüttelte ich meinen Kopf. Das konnte nicht wahr sein! So sollte das alles nicht ablaufen!
"Du verstehst das falsch! Als ich vor ein paar Wochen bei ihr war, ging es ihr besser als je zuvor! Bitte Mila. Du musst mir glauben", versuchte ich sie verzweifelt zu überzeugen und fasste sanft nach ihrem Arm. Kraftvoll schlug sie meine Hand weg, wodurch ich fassungslos erstarrte.
"Dann erklärt es uns. Warum so plötzlich?", fragte ein Dorfbewohner neben mir leise. Beschämt wandte ich meinen Blick zu Boden. Ich wusste: Wenn ich ihnen jetzt die Wahrheit sagen würde, würden sie mich hassen. Wenn ich sie aber belügen und meine Lüge nach einer Zeit auffliegen würde, würden nicht nur sie, sondern ich mich auch selber hassen.
"Ich... Ich hatte eine Verletzung an der Stirn, weshalb ich die letzten Wochen nicht zu ihr gehen konnte. Heute war ich dann bei ihr... Sie war nicht tot, doch wirklich leben konnte man das auch nicht nennen", murmelte ich.
"Wie meint Ihr das?", fragte mich Leo misstrauisch. Schwer schluckte ich bei den nächsten Worten. "S-Sie sah schrecklich aus. Abgemagert... Noch mehr als ihr sie zuletzt gesehen habt. Der Arzt sagte sie würde nicht mehr lange leben. Die Lungenentzündung war wohl die letzten Wochen zurück gegangen, doch durch- durch Bakterien i-in der Luft wieder gekommen." Erwartungsvoll sahen mich alle an. Der Druck und die Angst, ihnen die Wahrheit zu sagen, stieg drastisch an. Sie schnürte mir die Luft ab. Mit meinen Armen umschlang ich meinen Oberkörper, da ich mich so etwas sicherer fühlte.
"Ich konnte ihren Schmerz spüren, ihr Leiden..." Tränen liefen meine Wangen hinunter. "Was hätte ich denn anderes tun sollen?", schluchzte ich verzweifelt und schaute zu Leo auf. Verwirrt starrte er mich an. "Wie hätte ich ihre Bitte abschlagen sollen, sie von ihrem Leiden zu erlösen, während ich ihren Schmerz spürte?"
Leos Gesicht wandelte sich in eine wütende Grimasse um.
"Ihr habt sie getötet!", schrie er und stand ruckartig von seinem Stuhl auf, sodass er polternd zu Boden ging. Alle Muskeln von ihm waren angespannt.
"Es tut mir leid. Es tut mir so wahnsinnig leid", flüsterte ich immer wieder und kniff meine Augen zusammen. Ich konnte den anderen nicht in ihre Augen sehen. Nicht jetzt. Und nicht in tausend Jahren.
"Ich hasse Euch", hauchte Mila. Mein Herz zersprang in tausend Einzelteile. Mit geweiteten Augen sah ich zu ihr auf.
"Aber-", stotterte ich getroffen.
"ICH HASSE EUCH!", schrie sie mich mit einem roten Gesicht und großen Augen, die voller Verachtung, Wut und Trauer waren, an. Meine Kehle schnürte sich zu, sodass ich keine Luft mehr bekam. Das Mädchen vor mir war nicht mehr meine liebe Mila. Sie war ein Teufel, der nach Rache lechzte.
"Verschwinde", flüsterte Leo erstickt und kam bedrohlich näher. Ängstlich kroch ich von ihm weg.
"VERSCHWINDE DU HEUCHLERIN!" Ruckartig stand ich auf und flüchtete aus dem Raum. Eine Kälte breitete sich in meinem ganzen Körper aus und betäubte meine Sinne, während ich nun Orientierungslos durch das Labyrinth der Akademie schlürfte. Das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein! Bei ihnen hatte ich mich wenigstens noch ein wenig normal gefühlt. Und jetzt? Jetzt hatte ich sie verjagt. Oder eher sie mich?
Mein Zeitgefühl völlig verloren, blieb ich vor einer weißen Mauer stehen. Sackgasse. "Wie mein Leben", dachte ich verbittert und sackte kraftlos zu Boden. Tränen der Trauer und Verzweiflung liefen mir in Bächen meine Wangen hinunter. Was sollte das? Warum mussten so welche Sachen immer mir passieren? Ich hatte das Gefühl, dass ich von einem Fettnäpfchen ins andere trat.
~ ° ~
Total verschnupft wachte ich in einem weichen Bett auf und sah mich verschlafen um. Das Zimmer ähnelte meinem in der Akademie, war aber nicht meines, was ich an dem Schrank neben mir erkannte, da er bei mir an einer anderen Wand stand.
Leises Rascheln von Stoff ließ mich in die andere Ecke des Zimmers schauen. Muskelstränge bewegten sich und warfen immer wieder andere Schatten auf die Haut, als der braunhaarige Mann sich das Hemd überstreifte.
"Simon?", fragte ich verwirrt, als ich ihn erkannte, und setzte mich auf. Erschrocken ruckte sein Kopf zu mir herum.
"Wie geht es dir?", fragte er besorgt und eilte zu mir.
"Was mach ich in deinem Bett?", wich ich seiner Frage aus und runzelte nachdenklich meine Stirn. Was war passiert, als ich vor der Sackgasse stand?
"Ich habe dich während meiner Nachtwache im Flur gefunden. Ist gestern etwas schlimmes passiert?" Vorsichtig ließ er sich neben mir auf der Bettkante nieder. Erschöpft schloss ich meine schweren Lider und schüttelte den Kopf.
"Ich möchte nicht darüber reden", flüsterte ich und sah ihn entschuldigend an. Verstehend nickte er und stand wieder auf. Langsam bildete sich ein freches Grinsen auf seinen Lippen, weshalb ich fragend eine Augenbraue nach oben zog.
"Jetzt bist du wohl doch in meinem Bett gelandet. Wie ich es gesagt habe." Schmunzelnd verdrehte ich die Augen. Typisch er!
Langsam stand ich auf und zog mir meine Schuhe an. Ich musste noch zu Lukas. Er machte sich bestimmt sorgen... hoffte ich zumindest... Hoffte? Was zum Teufel-?
Schnell schüttelte ich den Kopf, um den Gedanken abzuwerfen und stand auf.
"Ich muss dann mal wieder. Wir sehen uns bestimmt noch", lächelte ich ihn schwach an. Zustimmend brummte er und drehte sich seinem Schrank zu. Überlegend blieb ich im Türrahmen stehen. Nach kurzem zögern, ging ich schnell auf ihn zu und umarmte ihn von hinten, weshalb er überrascht nach meinen Händen griff, die nun auf seiner Brust lagen.
"Danke, dass du mich aufgesammelt und mich bei dir schlafen gelassen hast", murmelte ich und löste mich von ihm.
"Immer wieder gerne", hörte ich ihn leise sagen, während ich aus dem Zimmer trat.
~ ° ~
"Da bist du ja." Erleichtert rannte Lukas auf mich zu und umarmte mich stürmisch. Perplex versteifte ich mich. "Ich habe mir schon sorgen gemacht. Wo warst du?" Langsam löste er sich von mir und sah mich prüfend an. Wir standen mitten auf den Schlossfluren, von Bediensteten umgeben, die uns erstaunt anstarrten.
"Erklär ich dir am besten in deinem Büro", murmelte ich mit unbehagen und sah auf seinen dunkel blauen Anzug. Warum er immer so förmlich gekleidet sein musste, verstand ich sowieso nicht. Er lief doch sowieso immer nur in seinem Schloss herum!
Lukas bemerkte peinlich berührt, dass wir nicht alleine waren, und räusperte sich.
"Dann folgt mir bitte", sagte er und ging voran. Unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen uns aus. In seinem Büro angekommen, schenkte er mir sofort Tee ein und gab mir die Tasse.
"Also...?", zog er das Wort lang.
"Ich habe ihnen die ganze Wahrheit gesagt", hauchte ich und starrte auf die braune Flüssigkeit in meiner Tasse. Mein Bauch zog sich bei der Erinnerung schmerzvoll zusammen.
"Wie haben sie reagiert?"
"Sie hassen mich. Das sie nicht mit Stühlen auf mich los gegangen sind, war alles", meinte ich mit einem verbitterten Unterton in der Stimme. Lukas seufzte schwer auf und lockerte mit seinem Zeigefinger den Kraken des Anzuges.
"Was willst du jetzt tun?"
Ratlos zuckte ich mit den Schultern. "Unterstützen tu ich sie trotzdem. Egal was passiert! Das läuft dann nur alles über dich... Vielleicht schreibe ich ihnen noch einen Brief, um zu wissen, wo sie Milas Mutter begraben haben wollen... oder so."
Zustimmend brummte er. Stille.
"Sag mal...?" Aufmerksam sah ich zu ihm nach rechts. "Willst du vielleicht-?" Er stockte, als er meinem Blick begegnete. "Ach egal", brummte er Sekunden später genervt und schaute weg. Verwirrt blinzelte ich ihn ein paar mal an und lenkte dann meine Augen wieder auf meinen unberührten Tee. Ein sanfter Stoß an meinem Oberarm ließ mich zu dem König schauen. Lukas hielt mir ein grünes, dünnes Buch hin. Vorsichtig stellte ich die Tasse auf dem Tisch ab und nahm es zögerlich in die Hand.
"Ich habe während deiner Abwesenheit ein wenig nachgeforscht", erklärte er stolz, während ich in dem Buch herum blätterte. Bilder von riesigen Drachen in der Schlacht und einem Mann der zwei Schwerter schwang, sprangen mir entgegen und brannten sich in mein Gedächtnis ein. "Den Mann den du dort siehst, hieß Human. Er hat vor jahrtausenden mit den Engelsdrachen gegen den damaligen Hexenmeister Karios gekämpft und gewonnen. Dabei jedoch sein Leben verloren." Langsam blätterte ich weiter. Der stämmige Mann war nun auf einem Stein liegend abgebildet und hatte ein Schwert mitten in seiner Brust stecken. Neben dran sah ich sein lächelndes Gesicht.
"Er hatte genau wie du einen-."
"Diamanten", hauchte ich fassungslos und starrte auf seine Stirn.
"Und das Schwert Alwara an seiner Seite", bestätigte er meine Aussage und blätterte für mich eine Seite weiter. Skizzen von weißen Drachen, die durch die Lüfte flogen, waren bunt auf das Papier gemalt.
"Auf den ersten Blick siehst du nichts. Doch wenn du genau hinschaust..." Sanft tippte er auf die Berge hinter den Feuerwesen. "... erkennst du den Schlund eines Drachen."
"Aber was hat das jetzt mit mir zu tun?", fragte ich verwirrt und drehte ihm meinen Kopf zu. Lukas stand auf und holte das blaue Sagabuch aus seinem Bücherregal. Eifrig schlug er Seite um Seite um. Danach hielt er es mir hin.
"Les vor", lächelte er und nahm sich Blatt und Papier.
Genervt seufzte ich auf und las lustlos: "Mit einer Waffe so Wertvoll wie ein Diamant-."
"Die Waffe Alwara und dein Diamant auf der Stirn werden dort erwähnt", warf er ein, weshalb ich kurz stockte.
"Steht der Auserwählte im Schlund des Drachen."
"Der Berg auf dem Bild."
"Auserwählt von keinem seiner Art,..." "Du bist ein Mensch und wurdest von uns Elfen hier her geholt."
"Kämpft er mit denen die die Waffe bewachen,
Das Schwert der Schlüssel,
Alles ein Reim,
Wacht auf im Herzen derer,
Die er zu sein scheint." Tief atmete ich durch. "Heißt das...?", setzte ich zögerlich an. Lukas nickte ernst. "Das kann gar nicht sein!" Ruckartig stand ich auf.
"Ally! Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass unser Hoher Magier dich auserwählt hat!"
"Ja schon. Aber ich die Auserwählte? Niemals! Außerdem- Außerdem reden sie von einem Er und nicht von einer Sie!"
"Es deutet alles auf dich hin", wiederholte er ernst.
"Nein, nein, NEIN!" Wie ein trotziges Kind stampfte ich mit meinem Fuß immer wieder auf den Boden. "Ich bin das nicht! Fertig. Aus. Ende! Ich diskutiere darüber nicht weiter!" Mit diesen Worten ging ich schnell aus dem Büro nach draußen. Ich brauchte unbedingt Ablenkung von all dem hier, sonst würde ich noch verrückt werden!
~ ° ~
Schnaufend stützte ich mich auf meinen Knien ab und starrte Sir Hunter grimmig an.
"Schau nicht so! Du wolltest Nahkampf unbedingt üben!", verteidigte er sich. Ergeben seufzte ich auf. Der Kampf war zwar eine gute Ablenkung, aber auch ziemlich schmerzhaft und anstrengend!
"Weiter", murmelte ich und stellte mich aufrecht hin. Es folgte ein Hieb mit meinem Schwert Alwara auf sein Knie. Geschickt wich er nach hinten aus.
Nach weiteren starken Schlagaustauschen hatte ich Sir Hunter so weit, dass er die rechte Schwertklinge an seiner Kehle hatte und leise fluchend seinen Ärger preis gab. Lächelnd stand ich mit dem Rücken links neben ihm. Die linke Klinge lag mit der Stupfen Seite an meinem Rücken und führte an der Innenseite meines ausgestreckten Armes vorbei. Langsam entfernte ich die Waffe von seinem Hals und fuhr die Klingen mit einer sanften Berührung auf den Drachen ein. Tief atmete mein Lehrer aus.
"Du bist wirklich gut geworden", murmelte er anerkennend und rieb über seinen Hals. "Hätte ich die Klingen von Lord Merlin nicht Stumpf machen gelassen, hätte ich schon mein Hals, wegen deiner ungelenkten Art, aufgeschlitzt." Gleichgültig zuckte ich mit meinen Schultern.
"So ist das nun mal, wenn man nicht aufpasst, wo meine Klingen sind", neckte ich ihn grinsend. Schmunzelnd schüttelte er den Kopf. Wortlos gab ich ihm nun meine Waffe und hängte mir meine Umhängetasche um. Ich hatte noch vor in die Stadt zu gehen, um mir neue Schuhe zu kaufen. Meine waren nämlich durch die ganzen Trainingseinheiten mit dem Schwert in Mitleid geraten.
"Behalte sie." Überrascht sah ich von meinem Beutel auf. "Du kämpfst gut mit ihr, also darfst du dein Eigentum jetzt auch an dich nehmen", hielt er mir stolz mein eingepacktes Schwert hin. Zögerlich nahm ich es entgegen.
"Ist das denn wirklich in Ordnung?", fragte ich verunsichert. Sanft lächelnd nickte er.
"Du bist jetzt schon seit sieben Monaten meine Schülerin. Jetzt wird es auch mal Zeit, dass du eine richtige Soldatin wirst." Erfreut strahlte ich ihn an.
"Das hast du aber süß gesagt." Kichernd kniff ich ihm in die Wange, weshalb er sein Gesicht verzog.
"Wenn du nicht bald damit aufhörst, überlege ich es mir nochmal", murrte er. Ruckartig zog ich meine Hand zurück und huschte mit einem Grinsen im Gesicht zur Tür.
Stolz spazierte ich über die Gänge und band mir den Gürtel, in der Alwara steckte, um die Hüfte. Ich freute mich wie ein kleines Kind über die Waffe. Jetzt konnte ich außerhalb vom Unterricht trainieren... auch wenn ich so gut wie keine Freizeit hatte.
"Hey Ally!" Lächelnd drehte ich mich zu Toni um, der auf mich zugejoggt kam.
"Jou", grüßte ich zurück. Erstaunt blieb er neben mir stehen. In den letzten Wochen hatte er an Muskeln zugenommen. Doch seine blasse Haut blieb.
"Warum so gut gelaunt?", fragte er und spazierte mit mir aus dem Gebäude hinaus. Grinsend zeigte ich auf meine Hüfte. "Hab mein Schwert bekommen." Verwundert sah er auf das Goldene Metallstück, das ein wenig aus der Hülle lugte. "Sir Hunter hat das dir einfach so gegeben?" Ungläubig sah er zu mir hoch. Mit einem breiten Lächeln nickte ich. "Faszinierend... darf ich sie mal sehen?"
"Klar-."
"Na Perle? Schaut mal wen ich hier mitgebracht habe", rief Simon vor uns. Leise kichernd sah ich in Kandors genervtes Gesicht. Er war aber auch immer schlecht gelaunt! "Was steht ihr denn da so herum?"
"Ally wollte mir gerade ihre Waffe zeigen", antwortete Toni aufgeregt. Beide standen nun vor mir und sahen mich erstaunt an. Lächelnd öffnete ich den Druckknopf von der Scheide und zog das Rohr aus der Lederhülle. Verdutzt starrten sie auf das Metall.
"Und wo sind die Klingen?", fragte Simon und Toni gleichzeitig. Genervt stöhnte Kandor auf.
"Ihr seid so dumm! Habt ihr noch nie von dem Schwert Alwara gehört?", brummte er und glitt mit seinen Fingern zart über die Erhebungen.
"Doch. Aber was hat das jetzt damit zu tun?" Bevor Kandor antworten konnte, fuhr ich die rechte Klinge aus. Erschrocken zuckten sie zusammen. Reflexartig nahm ich das Rohr in meine rechte Hand und ließ meinen Arm nach unten hängen, sodass die Klinge an der Innenseite meines Armes anlag.
"Weil sie es ist ihr Schlauberger", grinste ich und drückte auf den linken Drachen. Mit einem hohen Klang schoss die linke Klinge aus dem Rohr. Anerkennend pfiff Simon.
"Du hast sie ja wirklich gut im Griff", murmelte Toni. Ich nickte und ließ die Waffe wie ein Propeller in meiner Hand kreisen.
"Sie ist... hmm... sie passt sich an mich an", erklärte ich und fuhr die Klingen wieder ein. Nachdenkliche Stille, als ich das Rohr wieder in einer fließenden Bewegung in meine Scheide steckte. "Was macht ihr eigentlich hier? Müsstet ihr nicht im Unterricht sein?", fiel es mir ein.
"Wir müssen was für Lord Merlin besorgen gehen", seufzte Kandor missmutig.
"Ich komm mit", bestimmte ich erfreut. Man hatte ich heute Glück! Alleine wäre ich auf dem Marktplatz wohl völlig verloren gewesen!
"Wir fliegen", befahl Simon und marschierte an mir vorbei.
Auf dem Weg zu den Drachenställen traf ich fast alle meine Lehrer. Alle fragten mich nach meinem Empfinden... außer Sir Andrè. Aber von ihm hatte ich auch nichts anderes erwartet. Es war nicht so, dass wir uns mochten, doch wir akzeptierten uns und waren - nach zehn minütigen Diskussionen - meist einer Meinung.
"Ally! Wie geht es dir? Ich hatte vor zwei Tagen so ein komisches Gefühl!" Henna kam in Panik auf mich zu gelaufen, weshalb der Boden leicht vibrierte, und gab hohe, wehleidige Piepser von sich. Verwundert sahen ich und die drei Jungs sie an. So Geräusche kannte ich gar nicht von ihr. Bei mir angekommen, beschnubberte sie mich hektisch und stupste immer wieder ihre Nase an meine Hand.
"Ist ja gut. Mir geht es gut. Ich erzähl dir alles, wenn wir alleine sind", sagte ich leise, lächelte und hielt ihren Kopf fest, damit sie still hielt. Beruhigt schnaubte sie in mein Gesicht. "Wir fliegen in die Stadt." Verdutzt legte sie ihren Kopf schief. "Ich brauch neue Schuhe", flüsterte ich grinsend und zwinkerte ihr zu.
"War ja klar", murmelte sie und verdrehte ihre Augen.
"Kommst du mit? Ja oder nein."
"Ja." Erfreut hüpfte ich auf und huschte zu der Ausrüstungshütte.
Henna und die anderen Drachen gesattelt, flogen wir über den kleinen Wald hinweg. Tief sog ich den vertrauten Geruch nach feuchter Luft ein. Die Höhe machte mir mittlerweile nichts mehr aus. So oft wie ich schon von Henna hinunter gefallen war!
"Und was besorgen die anderen in der Stadt?", fragte Henna laut.
"Keine Ahnung", zuckte ich mit den Schultern und schaute zu den anderen hinüber. Sie flogen vor mir und machten lachend faxen miteinander. Toni war noch etwas wackelig auf Lili. Wie ich von Henna vor Sekunden erfuhr, hatten sie auch erst vor einer Woche mit dem Training angefangen.
"Sie sind so Kindsköpfe", nuschelte ich schmunzelnd.
"Ally! Komm schon. Sollen wir Flugball spielen?" Simon umkreiste mich und hielt grinsend ein Ball in die Höhe. Neugierig starrte ich auf das braune Lederbündel.
"Wie geht das denn?", fragte ich. Schmunzelnd lächelte er und kam etwas näher.
"Jemand wirft den Ball in die Luft und die Drachen müssen ihn mit den Schnauzen oben behalten. Wer ihn zuerst fallen lässt, hat verloren und muss eine Runde ausgeben." Fragend schaute ich zu Henna.
"Was guckst du mich so an? Mir ist das egal", antwortete sie mir wie immer zickig und wandte ihren Kopf wieder nach vorne.
"Wir machen mit", rief ich. Voller Vorfreude verstärkte ich meinen Griff um die Seilringe und zog die Schleifen um meine Füße enger. Zum Glück hatte ich mir meine Lederhose und Handschuhe direkt mitgeholt. Sonst hätte ich nach dem Flug wohl wunde Hände und Oberschenkel.
"Die Reihenfolge ist: Toni, Kandor, Ally und ich. Alle damit einverstanden?" Unsere Drachen segelten im Kreis. Simon flog gegenüber von mir und schaute sich fragend um. Als alle nickten, schwebte er in die Mitte und warf den Ball mit Schwung in die Höhe. Daraufhin raste Lili auf ihn zu und fing ihn mit ihrer Schnauze auf. Euphorisch schrie sie ihre Freude heraus, sodass der hohe Ton in der Luft widerhallte. Nun warf sie ihn leicht nach oben. Kandor schoss nach vorne und feuerte den Ball hinter uns. Ohne das ich irgendetwas tat, drehte Henna schon um und jagte dem Lederbündel hinterher, das schnell gen Boden fiel. Aus den Augenwinkel sah ich Simon und Kandor neben uns fliegen. Als ich merkte, dass sie uns rasch näher kamen, blickte ich verwirrt zwischen beiden hin und her. Ich fühlte mich wie auf einer Autobahn zwischen zwei LKW's.
"Henna!", rief ich und drückte meine Schleifen nach vorne. Ruckartig breitete sie ihre Flügel auseinander, sodass wir die beiden Drachen zurück ließen. Beinahe wären sie zusammen gestoßen, wäre Kandor nicht mit einer scharfen Rechtskurve ausgewischen und Simon mehr nach oben geflogen. Während beide wie wild fluchten, schoss ich wie ein Komet über ihre Köpfe hinweg. Den Ball kurz vor den Baumkronen endlich auf Hennas Nasenspitze, warf sie ihn ein paar Zentimeter nach oben. Simon hatte keine Chance mehr. Raschelnd fiel der Ball durch das Blättergeäst. Grinsend blickte ich Simon nach, wie er an uns vorbei und durch die Baumkronen düste. Minuten später tauchte er mit verärgertem Gesicht und Blätter in seinen Haaren auf. Lachend schüttelte ich den Kopf und flog wieder hoch in den Himmel, zu den anderen beiden.
"Gewonnen!", jubelte ich. Schmunzelnd nickten beide. Währenddessen nuschelte Simon undeutliche, aber eindeutig keine netten Worte vor sich her.
~ ° ~
"Ally! Jetzt entscheide dich doch mal!", stöhnte Kandor auf.
Genervt fauchte ich ihn an "Jetzt nerv mich doch nicht!" Anschließend wandte ich mich wieder dem Verkäufer zu und sagte "Ich hätte gern die hier." Damit zeigte ich auf die Lederstiefel. Sie waren perfekt zum Fliegen.
"Das macht fünf Silberglonden." Schwer seufzend packte ich meinen Beutel aus und überreichte ihm das Silber.
"Na endlich!" Verärgert schlug ich Simon auf den Hinterkopf und nahm meine Stiefel.
"Ihr seid so schlimm! Ich hab doch nur ne halbe Stunde gebraucht", beschwerte ich mich und schleuste mich durch das Gedränge.
"Ich brauche dafür nur zehn Minuten!" Bei Kandors Aussage verdrehte ich die Augen. Typisch Männer!
In einem Waffenladen angekommen, lehnte ich mich, nach einem Rundgang durch den kleinen Raum, sofort gegen die Wand. Gelangweilt sah ich mich um. Regale mit Rüstungen, ein Tresen und Waffen an den Wänden.
"Wann seid ihr fertig?", rief ich nach zwanzig Minuten.
"Gleich", kam es aus allen Ecken.
Dreizig Minuten später.
"Jungs!"
"Gleich!" Ergeben atmete ich aus und stieß mich von der Wand ab, um zu den anderen zu gehen. Neben den dicken Vorhängen blieb ich stehen.
"Wir sind hier schon fast seit einer Stunde", beschwerte ich mich. Tonis schwarzer Haarschopf lugte aus der Umkleide hervor. Mit meiner Schulter und verschränkten Armen lehnte ich mich böse schauend an den dicken Balken.
"Nur noch ein wenig Geduld Ally. Bitte", lächelte er entschuldigend und verschwand wieder.
"Na gut", murmelte ich und ließ meinen Blick durch den Raum gleiten. Gelangweilt beobachtete ich, wie ein Mann an den Tresen ging und etwas mit dem Eigentümer leise besprach. Meine Augen huschten auf die Seite des Regals. Ein Suchzettel mit einem Bild von einem Mann war Skizziert. Ungläubig blinzelte ich ein paar mal, als ich die Person darauf erkannte. In Panik schob ich den Vorhang von Toni zur Seite und atmete tief durch, als ich ihn wieder schloss.
"Ally!", rief Toni empört.
"Jetzt stell dich mal nicht so dran", murmelte ich gespielt ruhig und bedeutete ihm ruhig zu sein. Mit roten Wangen verdeckte er seine Unterhose. "Spiel einfach mit", flüsterte ich in sein Ohr. Verwirrt zog er seine Augenbrauen zusammen. Leise kniete ich mich auf alle vieren und schaute unter den abtrennbretter der Kabinen zum Tresen. In der Zwischenzeit zog sich Toni etwas an. Konzentriert verfolgte ich die Füße des Mannes, bis jemand plötzlich unseren Vorhang aufriss. Erschrocken sah ich auf. Verstörte Blicke begegneten uns.
"E-Es ist nicht so wie es aussieht!", stotterte Toni überfordert mit der Situation. Simons fassungsloses Gesicht wandelte sich schnell zu einem spitzbübischen Grinsen um, während Kandor nur angeekelt seinen Kopf schüttelte. Das Klingeln der Türglocke ließ mich ruckartig meinen Kopf auf den Boden legen, um zu schauen, ob die Stiefel noch da waren.
"Scheiße!", zischte ich und stürmte an den anderen vorbei.
"Ally?"
"Kommt mit", rief ich und stolperte aus der Tür. Ich wartete erst gar nicht auf die anderen, sondern hetzte dem schwarzhaarigen Mann hinterher, der hastig durch die Elfenmenge ging. Schwer war es nicht den Mann mit dem Kaputzenmantel auszumachen, da sonst keiner so etwas im hoch Sommer trug.
"Was hast du?", brüllte Kandor über die Menge hinweg. Ich sah zurück. Alle drei sprinteten mir hinterher.
"Erzähl ich euch gleich!" Immer mehr Leute schubste ich weg, um an ihn dran zu bleiben, behielt aber genug Abstand, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Wir verfolgten ihn mindestens eine halbe Stunde lang, bis er in der Gasse vor dem verlassenen Dorf plötzlich stehen blieb. Hastig drückte ich mich an die Wand.
"Warum verfolgen wir ihn?", fragte Simon leise.
"Das ist Großmagier Lennard. Ein übler Räuber. Ich hab mit ihm noch eine Rechnung offen", flüsterte ich zurück und lugte um die Ecke. Keiner war zu sehen. Bestürzt trat ich aus meinem Versteck und sah mich hektisch um. Das konnte doch nicht sein! Wo war er hin? Angespannt schlich ich die dunkle Gasse entlang - die Hand an der Wand.
"Ally", hörte ich Kandor leise rufen. "Komm zurück!" Verärgert winkte ich ab, ohne nach hinten zu schauen. Ich wollte unbedingt wissen, in welchem Haus er saß. So konnte ich Lukas helfen ihn zu überraschen und festzunehmen.
Am Ende der Gasse angekommen, sah ich vorsichtig um die Ecke. Meine Augen glitten über den leeren Platz und zu dem Gemeinschaftsgebäude. Nichts. Keiner war zu sehen! Noch nicht einmal Licht brannte.
"Wie törricht seid ihr eigentlich, dass Ihr denkt, ich bemerke euch nicht?" Erschrocken ruckte mein Kopf nach hinten. Der Mann mit der riesigen Narbe im Gesicht starrte spöttisch in meine geweiteten Augen und stand nur einen Meter von mir entfernt.
~ ~
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top