Der Packt

Kapitel 45

Erschöpft legte er seinen Kopf in die Handflächen und schloss die Augen. Es war ruhig um uns. Nur das Knistern des Feuers erfüllte den Raum.
Lukas saß seit fünf Minuten neben seinem Bett und beobachtete die Regungen in meinem Gesicht.
Unter seinen Augen zeichneten sich tiefe Ringe ab, die jede Nacht größer und roter wurden. Ich wusste, dass er sich riesige Sorgen um mich machte. Nur vergaß er dabei völlig seine Pflichten als König. Nicht selten passierte es in letzter Zeit, dass er neben mir am Bettrand einschlief und bei der kleinsten Bewegung aufwachte und hoffte ich wäre wieder wach. Er tat mir leid.
Nachdem ich zum ersten Mal als Geist die Augen öffnete, wusste ich, dass ich auf ihn hätte hören sollen. Ich war noch nicht bereit gewesen und Henna auch nicht. Nicht nur mich, sondern auch Henne hatte ich in Gefahr gebracht. Und das nur wegen meinem Stolz und der Naivität.
Sowohl als Geist, als auch als echte Person seufzte ich ergeben auf. 

Erwartungsvoll ruckte sein Kopf hoch. Auf meiner Stirn und der tiefen Furche zwischen meinen Augenbrauen hatte sich eine dünne Wasserschicht gebildet, die im Schein des Feuers leicht glänzte. Vorsichtig legte er nun seine Hand auf die obere Hälfte meines Gesichtes. Kühle legte sich um sie und ließ den Druck für einen Augenblick weniger werden.

"Eure Majestät?" Erschrocken ruckte mein Kopf nach hinten.
"Habe ich nicht gesagt, dass ich nicht gestört werden will?", hörte ich Lukas brummen.
Verängstigt schaute der Knabe auf seine Finger, die mit dem Saum seines Hemdes spielten. Meine angespannten Schultern entspannten sich wieder.
"Ja, Majestät, aber-"
"Nun denn. Du darfst gehen." Mit einem Wink in Richtung Tür wandte sich der König wieder meinem Körper zu.
"Aber, Eure Majestä-"
"Befehlsverweigerung wird mit Kerker geahndet", zischte Lukas und stand ruckartig auf. Verängstigt blickte der Diener zu Boden.
"Oh je", hauchte ich mitfühlend. Musste Lukas seine Nervosität bei dem armen Jungen raus lassen?
"Nana, wer wird denn hier gleich so böse?"
Sir Ivan erschien aus den Schatten der Tür und legte seine knochige Hand auf die Schulter des jungen Dieners. Lukas atmete tief ein und stellte sich aufrecht hin.
Von seinen Gesprächen zwischen Lord Merlin wusste ich, dass er den Heiler nicht besonders mochte, ihn jedoch als ältester Elf in Tlensin duldete. Seine Taten wären in letzter Zeit zu undurchschaubar gewesen. Selbst Lukas Vater, der Ivan über achtzig Jahre kannte, verstand ihn nicht mehr, warf Merlin während unseres Trainings einmal ein.
"Eure Majestät", verabschiedete sich der Junge mit zittriger Stimme und huschte hinter den Teppich.
Augenblicklich traf ein strafender Blick den König. Stur starrte Lukas zurück. Anstatt jedoch den König mit Worten zu strafen, wandte der Heiler seine Aufmerksamkeit der Gestalt im Bett zu. Mit bedachten Schritten ging er auf mich zu.
"Was hat dein Heiler getan?" Seine grauen Augen wanderten über meinen Körper.
"Er hat ihr Flüssigkeit gegeben und Medikamente, damit das Fieber sinkt", berichtete Lukas grimmig. Verstehend nickte der Heiler und ließ sich neben mir auf der weichen Matratze nieder. Die grünen Augen des Königs fixierten Ivan.
"Warum?", fragte Lukas nun. Der Heiler blickte zu ihm auf.
"Du weißt den Grund, Lukas." Verärgert über seine unklare Antwort schnallte der König die Zunge und wandte seinen Blick von ihm ab.

"Was mir noch vom Leben bleibt, so hast du mal gesagt, sind die Handlungen der Elfen und das fortlaufen der Elfengeschichte. Erzähle mir also nicht, du hättest sie nur wegen dem Krieg zur Insel geschickt!" Verwirrt wandte ich mich Ivan zu.

"Allyson spielt nun mal eine sehr große Rolle in der Elfengeschichte. Sie wollte es und sie hat bekommen, was sie wollte. Haltet mir also nicht vor, ich hätte sie in den sicheren Tod geschickt. Das wolltet Ihr doch damit sagen, nicht wahr?", fragte Ivan herausfordernd.

"Was hat sie eurer Meinung nach bekommen?", schnaubte Lukas verächtlich. "Einen abgestorbenen Arm? Eine schwache Drachendame, die sich nicht mehr auf den Beinen halten kann?" Tränen schossen mir in die Augen.

"Henna", hauchte ich. "Was ist mit ihr?" Erwartungsvoll sah ich Lukas an, bis mir wieder einfiel, dass er mich nicht hörte.

"Nein. Sie hat das bekommen, was jeder von ihr wollte." Lukas sah ihn misstrauisch an. Ivan wirkte zufrieden, aber auch leicht überrascht.

"Du hast nicht an mich geglaubt", kam es mir nach Sekunden in den Sinn. Ebenfalls verstand es nun auch Lukas.
"Was fällt dir ein?", schrien wir beide wütend.
"Wage es nicht." Seine dunkle, sonst so gebrechliche Stimme hallte kräftig durch den Saal. "Du weißt gar nichts! Gar nichts!"
Erschrocken hielt Lukas inne, während ich dagegen mit meiner Hand durch Ivans Körper schlug.

"Was verheimlichst du uns?", flüsterte Lukas. Ich hörte außer Atem auf meine Faust in ihn zu rammen und blickte schnaufend auf Ivans zusammen gekniffene Lippen. Er wirkte wie ein trotziges Kind, dass die Wahrheit nicht sagen wollte. "Was?", schrie Lukas fuchsteufelswild. Erschrocken zuckte ich zusammen. Es war untypisch, dass Lukas so aus der Fassung war. Doch anscheinend war seine Geduld am Ende.

Wütend schnaufte ich, als ein Räusper zu hören war.
"Gerade kein guter Moment. Könntest du mich nicht einfach in Ruhe lassen?"
"Nein", war die knappe Antwort der Flammenfrau.
"Kannst du noch was anderes sagen, außer nein?"
"Wenn du mir nur Fragen stellst, die ich mit Nein beantworten kann", meinte sie gelangweilt. Verärgert schnallte ich mit der Zunge.
Seit einer Woche beobachtete ich mich selber und konnte zusehen, wie es mir immer schlechter ging und sie nervte mich jeden Tag mit der selben Frage.
"Würdest du mich nicht verstoßen-"
"Ja ja, dann würde es mir nicht so schlecht gehen", führte ich ihren Satz fort. "Denkst du wirklich, ich würde zulassen, dass du meinen Körper kontrollierst?" Ich zeigte der Luft den Vogel.
"Wie schon gesagt", antwortet die Flammenfrau genervt in mir drin. "Ich kontrolliere dich nicht, ich gebe dir nur meine Kraft und helfe dir sie zu beherrschen. Mein Meister hat mich als sprechende Frau nur erschaffen, um meiner Besitzerin zu helfen mich zu kontrollieren. Ich bin deine Anleitung. Mehr. Auch. Nicht!"
Beleidigt stützte ich die Lippen. "Ich brauch keine Hilfe", meinte ich trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Gut", antwortete die Flammenfrau eingeschnappt. Stille. Misstrauisch zog ich meine Augenbrauen zusammen. Das konnte doch nicht alles gewesen sein! Die Frau war in den letzten Wochen immer hartnäckiger geworden und nun speiste sie mich mit einem Gut ab?
"Hallo?", fragte ich in den Raum hinein. "Bist du noch da?"
Eine plötzliche Hitze schoss meinen verletzten Arm hinab. Entsetzt griff ich nach ihm und biss meine Zähne zusammen. Daraufhin spürte etwas meine Nase hinunter laufen, weshalb ich nach ihr fasste. Nichts.
"Was-?" Ich schaute auf das Bett.

Schockiert starrten die zwei Männer sowie ich auf den verkrampfende  Körper, deren Adern orange leuchteten und ein Rinnsal Blut aus der Nase lief.

"Das habe ich mir schon fast gedacht", murmelte Ivan.
"Was gedacht?", riefen der König und ich aus einem Mund.
"Sie wehrt sich."
"Gegen was?"
"Gegen die Waffe."
"Aber sie hat doch gar keine Waffe an sich", meinte Lukas verwirrt. Ergeben seufzte Ivan auf und legte seine Zeigefinger an die Schläfen und die Daumen unter mein Kinn. Seine heißen Finger drückten sanft gegen meine Haut. Ein Ruck ging durch mich hindurch, wodurch sich mein echter Körper aufbäumte und anfing unregelmäßig zu zucken.

Ich stürzte als Geist zu Boden und hielt mir krampfhaft den Kopf. Er dröhnte und schmerzte.
"Was soll das?", schrie ich.
"Du hast gesagt du brauchst keine Hilfe mehr. Demzufolge gebe ich dir nun auch keine mehr."
"Aber es schmerzt so!"
"Das ist das Schlangengift", erklärte sie in einem gelangweilten Ton.
"Ich versteh nicht. Warum-." Meine Kehle schnürte sich zusammen. In dem verzweifelten Versuch wieder Luft zu bekommen, riss ich meinen Mund auf und warf meinen Kopf in den Nacken. Anstelle eines kehligen Schreies, kamen nur gurgelnde Geräusche heraus.

"Ich unterdrücke deine Schmerzen nicht mehr. Das hast du nun davon!" Blutige Tränen liefen meine Wange hinunter.

"Ein Deal", schrie ich. "Wir", brachte ich aus zusammen gebissenen Zähnen hervor, "machen ein Deal, ja?" Die Schmerzen lösten sich schleichend aus meinem Arm. Tief atmete ich durch.

"Was ist ein Deal?"
"Ein Vertrag oder eine Abmachung zwischen zwei Personen."
"Gut. Wie lautet er?"
"Ich akzeptiere dich, wenn du aus meinen Erinnerungen draußen bleibst."
"Wundervoll", freute sich die Flammenfrau.
"Abgemacht?"
"Natürlich." Erleichtert wischte ich mir über die Stirn.
"Wenn ich erlernt habe, was du mir beibringen sollst, bist du danach noch da?"
"Es kommt drauf an, wie gut du bist und ob dein Körper das will. Im Moment kann ich dir das nicht genau beantworten." Erschöpft nickte ich.
"Wie heißt du überhaupt?" Meine Augen wurden schwer wie Blei.
"Alwara", hörte ich die Flammenfrau leise sagen, bevor mein Geist in seinen Körper zurück wanderte.

~ ° ~

"Auf... Zu... Mhm, nun beugt euer Arm." Stille. "Majestät, auf ein Wort." Der grau haarige Mann ging mit Lukas in eine Ecke und fing an in einem leisen Ton zu reden. Wachsam beobachtete ich sie. Lukas Blick huschte kurz hinüber zu mir. An seiner besorgten Mine konnte ich erahnen, was der Arzt mir gleich sagen würde.
"Das wird wieder", flüsterte Hanna. Ein Prickeln ging durch meinen rechten Arm, als sie die Hand auf mein Lilanes Fleisch legte und leicht zudrückte. Ihre Augen waren mit Tränen gefüllt. Verbissen starrte sie auf den Boden. Als ob sie sich selber Mut machen wollte, nickte sie und wiederholte ihren Satz des öfteren. Mitleidig legte ich den Kopf schief und nahm behutsam ihre Hand in meine. Sie blickte zu mir.
"Das wird wieder... oder?" Ihre Unterlippe fing an zu beben. "Du... du spürst doch noch etwas in dem Arm! Er ist also nicht ganz abgestorben und bewegen kannst-"
"Hanna." 
Sie verstummte.
"Wir wissen beide, was die Antwort darauf ist." Eine dicke Träne quoll aus ihrem linken Auge und tropfte auf meine gesunde Hand.
"Nein", schluchzte sie leise. "Das ist nicht gerecht."
"Wer bestimmt was gerecht ist und was nicht? Das Leben geht weiter. Ob ohne Arm oder mit", sagte ich und schaute eindringlich in ihre blauen Augen. Stumm nickte sie und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg.
"Wir bekommen das schon hin", flüsterte ich und lächelte gequält.

"Nun denn." Meine Aufmerksamkeit schnellte zu den zwei Männern, die vor uns zu Stehen kamen. "Zu meinem Bedauern muss ich Euch mitteilen, dass euer Arm nicht mehr seine vollen Tätigkeiten ausführen kann. Natürlich bemühen wir uns weiterhin Lösüngen-"
"NEIN!" Ich stand langsam auf, so dass Hannas Arm von mir abrutschte. "Ich möchte keine weiteren Behandlungen."
"Aber Ally-"
"Es reicht", fauchte ich Lukas an. Ein, zwei, dreimal blinzelte er.
"Wie du wünschst", gab er auf und schaute aus dem Fenster. Tief atmete ich ein und straffte die Schultern.
"Ich danke Euch für die Bemühungen. Ihr habt getan, was Ihr konntet", bedankte ich mich bei dem Arzt. Stumm nickte er.

"Nun, wenn es so sein soll... Ihr könnt gehen", nickte Lukas. Der Arzt verbeugte sich und verschwand danach aus dem Büro. In Ruhe band ich mir mein Schwertgürtel um und nahm meinen Mantel vom Sofa.
"Ich gehe dann mal wieder in den Unterricht", murmelte ich und drängte mich an meinen beiden Freunden vorbei.

Viele Zofen blickten mir nach, als ich den Flur entlang marschierte. Starr sah ich gerade aus.
"Das war keine gute Entscheidung."
"Sei ruhig", zischte ich und trat aus dem Schloss auf den Hof. Tessa stand an den Ställen neben einem Burschen und beäugte ihn misstrauisch.
"Danke", murmelte ich, als ich bei ihnen ankam und nahm ihm die Zügel aus der Hand. Tessas Schnauze stupste an meine Wange. Lächelnd strich ich ihr über die Wange. "Würdest du mir etwas helfen?" Tessa neigte als Antwort ihren Kopf nach unten und beugte ihre Hufen, so dass ich ohne zu springen aufsetzten konnte. Langsam ging sie wieder in ihre normale Haltung über und spazierte Richtung Akademie.

"Wir müssen anfangen zu üben!" Ich zuckte zusammen, als ich ihre Stimme hörte.
"Ja", brummte ich. "Und wo?"
"Genau hier", trällerte sie fröhlich.
"Nein, hier ist die Wahrscheinlichkeit zu groß entdeckt zu werden." Meine Stirn runzelte sich, als ich nachdachte.
"Wie wär's mit der Lichtung?" Abrupt saß ich Kerzengerade.
"Geh aus meinen Erinnerungen aus", fauchte ich laut. Meine Nasenflügel blähten sich auf, als ich meine angestaute Luft ausatmete.
Verwirrt sagte sie: "Warum wird dir so heiß, wenn du ihn ansiehst?" Meine Wut wuchs.
"Geh sofort aus meinem Kopf raus. SOFORT!"
"Was ist das?" Sie erschien schwebend vor mir in ihrer Materiellen Gestalt. Flink zückte ich mein Schwert und hielt die ausgefahrene Klinge an ihren Hals. Tessa hielt wegen des plötzlichen Lichts und der Wärme an. Nervös stampfte sie mit den Hufen auf.
"Wir hatten eine Abmachung!" Enttäuscht schwebte sie zurück und nickte.
"Ja, tut mir leid. Ich habe nur-"
"Dein Grund interessiert mich nicht." Ich gab Tessa das Zeichen weiter zu laufen, wodurch sie sich zögerlich in Bewegung setzte.
"Es tut mir wirklich leid." Ich ignorierte sie. Aus den Augenwinkeln nahm ich ihre diamant Augen wahr. Sie beäugten mich interessiert.
"Dieses warme Gefühl in der Brust und das Kribbeln im Bauch? Was ist das?" Sie schwebte auf meine rechte Seite. "Ich kenne es nicht. Mein Meister hat mich dies nicht gelehrt. Es fühlt sich... schön an."
Genervt nickte ich. "Es fühlt sich schön an, hat aber auch seine Tücken."
"Wenn es seine Tücken hat, ist es dann gefährlich?"
Nachdenklich starrte ich vor mir auf den Weg. "Ja, in gewisser Weise schon."
"Dann verstehe ich nicht, wie mir das mein Meister vorenthalten konnte." Fast schon beleidigt wirkte sie mit ihren verschränkten Armen vor der Brust.
"Das kann man nicht lernen", erklärte ich.
"Nicht?"
"Nein."
"Warum?" Entnervt atmete ich aus.
"Weil man Gefühle nicht lehren oder erlernen kann. Man hat sie oder man hat sie nicht!"
"Und... wie hat man dieses Gefühl genannt?" Ich richtete meinen Blick auf den kleinen Pfad links vor mir und lenkte Tessa dort hin.

"Man nennt es für gewöhnlich Liebe", nuschelte ich. "Ich nenne es jedoch nur große Zuneigung."
Tessas Hufen stampften durch Matsch und Moos, bis wir zur Lichtung kamen. Geschickt sprang ich von der Stute hinunter.
"Ich hätte auch gern so ein Gefühl." Verträumt sah sie in den Himmel und schwebte auf dem Rücken liegend an mir vorbei.
"Nun gut. Was willst du mit mir üben?" Im Flug drehte sie sich um und kam mit leicht ausgebreiteten Armen auf mich zugeflogen. Es war immer wieder seltsam mein Spiegelbild in Gestalt der Flammenfrau zu sehen und zu wissen, dass sie in mir war. Ihr Charakter war so unschuldig und naiv. Wie ein Kind.
"Wir üben mit deiner Waffe Magie frei zu setzen." Sie grinste und kicherte: "Das wird ein Spaß."

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