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Die Zeit verging wie im Flug und schon bald senkte sich die Sonne hinter dem Haus dem Horizont entgegen und schickte ihre letzten Strahlen über die Erde.
Eine friedliche Ruhe hielt in das Haus einzug und schlüpfte in jeden Krug in der Küche, in jedes Kissen in den Schlafzimmern und in jede Armlehne der Sessel im Bibliothekszimmer.
Leise knisternd unterhielt sich im Dämmerlicht das Feuer mit den hochgewachsenen Regalen voll Büchern, die ihrerseits geduldig lauschten. Inmitten dieser friedlichen Szenerie saß der kleine Junge, und spielte leise murmelnd mit den Holzfiguren und erfreute sich bester Laune.
Nicht minder amüsiert leisteten ihm die Higwigs Gesellschaft, beobachteten sein Spiel und genossen den Frieden.
Doch trotz dieser Eintracht lag eine unausgesprochene Mahnung über allem. Eine Mahnung an ihn, war er doch der Erste und Einzige mit diesem Geheimnis. Noch ahnte er nicht, was nach diesem Frieden einziehen würde, ahnte nichts von seiner Bürde, seinem Vermächtnis.
Noch war er zu jung, um all das zu erfassen und zu verstehen. Zu jung, um zu begreifen, was es wirklich bedeuten würde.
Und so spielte er unbehelligt weiter mit den Figürchen, störte sich nicht am Schweigen der Higwigs oder ihren heimlichen Blicken untereinander. Er verfolgte einfach sein Spiel, so wie es ein jedes Kind tut, wenn es sich sicher fühlt. Und die Higwigs würden es vorerst nicht wagen, diese Sicherheit anzutasten.
Die Jahre zogen ins Land und aus dem kleinen Jungen wurde ein junger Mann. Ein Fremder würde ihn wohl als zurückhaltend, gar schüchtern, bezeichnen. Doch war es im Grunde eine Mischung aus Zurückhaltung und Misstrauen, die den Mann ein wenig in sich gekehrt und scheu wirken ließen.
Ein Geheimnis, wie er es seinen Lebtag mit sich herum schleppte, wog schwer auf jungen Schultern und gewann an Gewicht, je mehr Personen man ins Vertrauen zog. Denn Menschen, die einem wichtig waren, die einen besser kannten als man sich selbst, bemerkten auf kurz oder lang die Ungereimtheiten, die ein Geheimnis entstehen ließ. Gemurmelte Selbstgespräche über Dinge, die es nur im Märchen gab und abrupte Reisen zu weit verstreuten Orten auf der ganzen Welt, ließen sich schlecht bis gar nicht verbergen und noch schlechter plausibel erklären, je häufiger sie stattfanden.
Doch trotz dieser sonderbaren Eigenschaften war der Mann ein aufgeschlossener, angenehmer Zeitgenosse, wenn man ihn zu seinem engeren Bekannten zählen durfte. Man schätzte ihn als guten Zuhörer, nicht zuletzt da er offen für neues und Kritikfähig war. Wobei letzteres sich nicht nur auf das Annehmen von Kritik bezog, sondern auch auf das höfliche aber ehrliche Kritisieren anderer.
Auch die Higwigs schätzen den Mann sehr. Er war ihnen eine Hilfe, wann und wo immer sie ihn gerade brauchten und ein Freund noch dazu. Wenige zweifelten noch ernsthaft an der Entscheidung der Hexe, diesem Menschen vollends zu vertrauen. Meist waren es griesgrämige Alte, die den Teufel hinter jedem Schatten lauern sahen und ab und zu ein Widerwort laut machten. Aber im Grunde ihres Wesens waren auch sie nicht beunruhigt, dass dieses Geheimnis in die falschen Hände geraten war. Denn die Hände eines Autors waren es doch, die sie einst erschaffen hatten. So sollten auch Schreiberhände dafür sorgen, dass sie beschützt waren vor allem Übel dieser Welt.
Und so kam es, dass erst in den letzten Tagen seines Dasein überhaupt etwas über diese magischen Wesen niedergeschrieben und so weitergegeben wurde. Versteckt in einem alten, abgegriffenen Märchenband befindet sich irgendwo auf der Welt seine Geschichte. Denn wenn es irgendwann einmal einen verantwortungsbewussten Menschen gibt, der auch das älteste Buch zu schätzen weiß, wird er diese Geschichte finden, lesen und verstehen, welches Geheimnis ihm damit eröffnet wurde. Dabei ist es nebensächlich, wo sich dieses Buch damals befand oder heute befinden mag. Und es ist auch nicht wichtig, wer diese Entdeckung an jenem besagten Ort machen wird. Denn wenn es das Schicksal so will, dann findet sich ein würdiger Nachfolger. Auf das die Higwigs für immer ein Geheimnis bleiben, dass nur die Bücher selbst kennen.
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