9. Noch mehr Fragen
Amys Vater sah schlimm aus. Sehr schlimm sogar!
Seine Nase schien geblutet zu haben, da Amy rotverfärbte Taschentuchstückchen in seinen Nasenlöchern erkannte.
Außerdem war das rechte Auge von Amys Vater - passend zu seiner Augenfarbe - blau und auch andere Stellen in seinem Gesicht, wie das Kinn und die Wange auf seiner rechten Gesichtshälfte, nahmen Blautöne an.
Ihr Vater fuhr sich nun schnell und unerwartet durch sein feuchtes, braunes Haar und verlagerte sein Körpergewicht von einem Bein aufs andere.
Er wurde wegen der etwas unangenehmen Stille und der Tatsache, dass er jetzt schon einige Minuten schockiert und fassungslos angestarrt wurde, wohl etwas nervös...
Auch Amy wurde nun etwas nervös. Die Stille war wirklich sehr unangenehm... Außerdem stimmte etwas ganz und gar nicht!
Erstens wurde ihr Vater nur sehr selten nervös und zweitens hatte sie ihren Vater noch nie so ramponiert gesehen.
Seine braunen Haare waren immer perfekt gestylt, sein Hemd saß stets einwandfrei und war immer glatt gestrichen, ohne auch nur eine einzige Falte vorzuweisen.
Heute jedoch waren seine Haare verstrubbelt, sein Hemd sehr zerknittert und ihr Vater hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, das hellblaue Hemd bis oben hin zuzuknöpfen.
Amy hob nun langsam den Blick und wollte seine Wunden weiter begutachten, doch als sie ihm daraufhin direkt in seine hellblauen Augen schaute, die Amy argwöhnisch musterten, senkte sie schnell wieder den Blick und sah auf ihre weißen Sneakers hinab.
Sie fing an, nervös an ihrem grauen Haargummi herumzuspielen, den sie so gut wie immer an ihrem rechten Handgelenk trug und auch nur ungern abnahm, da sie ihn als so etwas wie einen Glücksbringer ansah.
Amy hatte diesen Haargummi vor einigen Jahren bei ihrem ersten richtigen Tennisspiel von ihrer Schwester geschenkt bekommen, weil Amy bei ihrer Aufregung ganz vergessen hatte, einen Pferdeschwanz zu machen und somit keinen Haargummi dabei hatte.
Schließlich hatte Amy das Spiel gewonnen und seitdem glaubte sie daran, dass der Haargummi ihr Glück brachte.
Jedenfalls wurde Amy nun von Minute, zu Minute hibbeliger. Es war so still, dass sie sogar das Ticken der Uhr, die über dem Küchentisch hing, neben dem sie zum stehen gekommen sind, hörte und das machte Amy beinahe verrückt!
Ab und zu waren zwar noch einige Autos oder Motorräder zu hören, aber das machte diese bedrückende Stille auch nicht angenehmer...
Konnte nicht jemand ihren Vater fragen, was er getan hatte, dass er so verunstaltet aussah?
Amy traute sich nämlich nicht. Nein, sie hatte viel zu viel Angst vor seiner Reaktion!
Es war nicht so, dass er sie schon einmal geschlagen hatte, doch Amy hatte etwas Angst und großen Respekt vor ihm.
Er hatte so eine dominante und bedrohliche Ausstrahlung. Amy konnte das nicht richtig beschreiben, aber immer wenn er den Raum betrat, bekam sie Gänsehaut und senkte sofort ihren Blick.
Ihr Vater redete eigentlich nicht viel. Er begutachtete jeden nur mit einem mürrischen oder abschätzenden Blick und wandte sich dann etwas wichtigerem zu.
Amy konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr Vater schon mal richtig mit ihr oder ihren Geschwistern gespielt hatte... Sie konnte sich ebenfalls nicht daran erinnern, dass er ihr schon mal bei etwas geholfen hatte, sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigt oder von sich aus ein richtiges Gespräch, das kein erzwungen klingender Smalltalk war, mit ihr angefangen hatte.
Er war einfach nur da. Ihr Vater saß am Tisch und sorgte dafür, dass jeder sich anständig benahm und alles nach seinem Willen ablief.
Amy wusste nicht viel von ihrem Vater. Sie hatte keine Ahnung wie er tickte oder was er mochte.
Er schloss sich meistens der Meinung von ihrer Mutter an. Manchmal kam es Amy sogar so vor, als hätte er keine Meinung...
Es konnte doch sein, dass er so schüchtern war, wie Amy. Vielleicht hatte er ja gar nicht das Sagen im Haus...
Doch das widerlegte wieder die Tatsache, dass er so aussah, als hätte er sich mit jemanden geprügelt... Naja, vielleicht hatte er auch einfach kein Interesse an seinen Kindern.
"Was ist denn hier los?", durchbrach Thomas die Stille, während er in die Küche hineingeschlendert kam und die Situation, die sich ihm bot, amüsiert betrachtete.
Er lehnte sich am Kühlschrank, der ein paar Meter vor dem Küchentisch stand, an und begann zu lachen, weshalb er von den Kindern nun fragend und von Richard verärgert angeschaut wurde.
"Sorry, aber diese Situation gerade, war einfach zu lustig. Es herrscht eine Totenstille und erst habt ihr euren Vater angestarrt, als ob er ein Außerirdischer wäre und nun werde ich von vier Augenpaaren angestarrt, als ob ich die größte Sensation auf Erden wäre.", begründete er sein Verhalten und fing daraufhin wieder zu Lachen an.
"Wieso bist du noch hier? Solltest du nicht schon längst weg sein?", fragte Bella harsch und sorgte somit dafür, dass Thomas aufhörte zu lachen.
"Ich bleibe noch etwas länger, aber keine Sorge: Wenn alles gut geht, werde ich euch nicht mehr weiter belästigen." Er antwortete Bella, schaute jedoch Amys Vater an. Amy konnte seinen Blick nicht richtig deuten, dachte aber, etwas wie Spott oder Wut in seinen Augen aufblitzen gesehen zu haben. Vielleich war es aber auch einfach nur ein herausfordernder Blick...
Viel Zeit zum Überlegen blieb ihr aber nicht, da Liam sich nun mit am Gespräch beteiligte: "Was ist passiert? Habt ihr euch geprügelt?"
Amy schaute Liam verwundert an. Wie kam er denn darauf? Es hatte doch nur ihr Vater Verletzungen vorzuweisen...
Liam fing Amys Blick auf und verstand sofort. "Na schau mal. Siehst du nicht, dass unter seinem Basecap ein weißer Verband hervorsticht? Wenn du ganz genau hinsiehst und durch die Sonnenbrille schaust, kannst du sogar sehen, dass sein linkes Auge blau ist", erklärte Liam, während er seine linke Hand aus der Hosentasche nahm und auf Thomas' Gesicht deutete.
Während Amy sich ärgerte, dass ihr das nicht von alleine aufgefallen ist, nickte Thomas ihm anerkennend zu.
Liam jedoch, sagte verärgert: "Wieso hast du unseren Vater so zugeschlagen? Das hat er nicht verdient. Er hat dich hier für ein paar Tage als Gast aufgenommen und das ist dein Dank dafür?!"
Thomas setzte an, etwas zu sagen, aber Bella kam ihm zuvor: "Ja, das wüsste ich auch gerne. Schließlich schlägt kein normaler Gast seinen Gastgeber nieder und ist kurz davor ihn zu töten!", rief Bella beinahe hysterisch, verschränkte ihre Arme vor der Brust und blickte Thomas wütend an.
Amy, Liam und ihr Vater Richard sahen Bella erstaunt an, doch Thomas hingegen, schaute Bella einfach nur fassungslos an. "Was sagst du da? Ich hätte ihn fast getötet?!"
Thomas setzte eine Pause ein und atmete kurz durch. Amy sah ihm an, dass es ihm viel Beherrschung kostete, nicht gleich auf jemanden loszugehen.
"Ja, ich habe ihn niedergeschlagen. Na und? Was kann ich denn dafür, wenn er mich einfach so angreift? Hätte ich nicht zurückgeschlagen, würde ich heute tot im Park liegen.", sagte Thomas nun schon etwas ruhiger. Widerwillig bewunderte Amy ihn für diese große Selbstbeherrschung.
Sie schüttelte diese Gedanken der Bewunderung aber schnell ab. Wenn er ihren Vater wirklich fast umgebracht hätte, sowie es Bella gesagt hatte, verdiente er keine Form der Bewunderung!
Bella riss Amy nun jedenfalls mit einem entrüsteten Schnauben aus ihren Gedanken.
"Alles klar. Papa fängt eine Prügelei an? Nichts für ungut, aber er kann nicht mal einer Fliege etwas zu leide tun. Er kann einen vielleicht einschüchtern, aber gewalttätig ist er nicht.", sprach Bella überzeugt.
Amys Vater Richard allerdings, schaute Bella etwas griesgrämig an. Sie konnte sich vorstellen, dass ihm diese Einschätzung von Bella nicht gefiel. Wer mochte es schon als vollkommen harmlos abgestempelt zu werden und dann auch noch von seinen eigenen Kindern?
Auch Thomas schien der Blick ihres Vaters aufgefallen zu sein, da sich ein breites Grinsen über sein Gesicht zog, aber er wurde schnell wieder ernst.
"Nichts ist so wie es scheint... Manche Menschen wirken gutmütig, sind aber in Wahrheit echte Monster und andere Menschen scheinen böse zu sein, obwohl sie es gar nicht sind. Das ist alles nur Fassade oder Vorurteil. Stell dir mal vor, du wärst ein paar Minuten früher gekommen, Bella. Was würdest du dann über deinen ach so lieben Vater denken? Mhh? Denk mal darüber nach, Schätzchen", sagte er geheimnisvoll und sah Bella überlegen an.
Amy verstand jetzt gar nichts mehr und auch ihre beiden Geschwister blickten etwas verwirrt drein.
"So ein Quatsch! Was redest du bloß immer für Zeug? Willst du meine Kinder gegen mich aufhetzten, oder was?" Richard fuchtelte wild mit seinen Händen herum.
Thomas öffnete den Mund und wollte ihm wohl widersprechen, aber Amys Vater Richard ließ ihn nicht zu Wort kommen: "Tut mir einen Gefallen und glaubt ihm kein einziges Wort."
Das war zwar an Amy und ihre Geschwister gerichtet, aber ihr Vater blickte nur zu Thomas. Er schaute ihn böse an, was Thomas aber nur mit einem amüsierten Blick erwiderte.
"Wieso? Hast du Angst, dass die Kinder die Wahrheit erfahren und einsehen was für ein verlogenes Arschloch du bist?" Thomas stemmte daraufhin die Hände in die Hüften und sah Amys Vater herausfordernd an.
Ihr Vater Richard blickte Thomas jedoch nur wütend an und fuhr sich erschöpft durch die Haare.
Amy runzelte verwirrt die Stirn. Was war das denn gerade? Was wollte Thomas damit andeuten und wieso verteidigte sich ihr Vater nicht weiter? Warum beließ er es dabei?
Doch schon wieder bekam Amy nicht genug Zeit zum Nachdenken.
Ein Klingeln brachte Amy nämlich wieder in die Gegenwart zurück...
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