Unzerstörbar oder auch nicht (8)

"Nein! NEIN! Lass ihn in Ruhe! Lass meinen Opa in Ruhe!", brüllte Timo und grub seine Fingernägel so fest in die Handflächen, dass Blut hervor trat. Katharina lachte schadenfroh. Opa Waldemars Hand fuchtelte ungelenk durch die Luft, der Revolver in ihr wackelte hin und her, als Katharina wohl versucht ihn abzufeuern. "Verdammtes Ding! Wieso funktioniert das nicht? STIRB!", kreischte die Dämonin.
Plötzlich verschwand das schwarz aus Waldemars Augen, der Arm mit der Feuerwaffe sackte herab, Falten der Konzentration türmten sich auf Opas Stirn auf. "Timo! Lauf weg! Du kannst sie nicht besiegen!... Ich... warte... Wer bist du? Was machst du in meinem Haus?", rief Opa Waldemar. Dann kehrten Katharinas pechschwarze Augen zurück. "Halt dein Schandmaul alter Mann! Wo war ich? Richtig! Ich wollte dich töten, kleiner Bengel!", kreischte Katharinas unheimliche Stimme, die klang, als würde jemand seine Fingernägel über eine Schiefertafel ziehen. Erneut fuchtelte die Dämonin mit dem Revolver in Timos Richtung. Die Waffe gab einen lauten Knall von sich. Rauch stieg auf und der Rückstoß warf Waldemars Körper, den Katharina sowieso schlecht im Griff zu haben schien, um.

Ein stechender Schmerz breitete sich in Timos Brust aus, er stolperte rückwärts und fiel auf den Teppichboden. Er drückte sich die Hände auf die schmerzende Brust. "Fuck!", murmelte er. Langsam ließ er seinen Blick nach unten wandern, bereitet sich darauf vor, eine grässliche Wunde zu sehen, vielleicht sogar freigelegte Eingeweide, oder sein immer langsamer schlagendes Herz...

Überrascht sah er, dass keine Blut zwischen seinen Fingern hervor rann. Wie war das möglich? Er war doch angeschossen worden! Mit echter Munition! Hatte er die Wunde so gut mit den Händen abgedeckt? Langsam nahm er seine zitternden Finger weg.
Oma Emmas Dämonenjägermantel war absolut unversehrt, nur ein kleiner, rußiger Fleck markierte die Stelle, an der die Kugel ihn erwischt hatte. Timo starrte den Stoff mit weit aufgerissenen Augen an. Was war das denn für ein krasser Mantel? Er hob den Kopf, um Blitz aufgeregt von seiner unglaublichen Entdeckungen zu erzählen, und erschrak. Das Wesen schwebte in einer orangenen Blase ungefähr einen halben Meter über dem Boden. Katharina war wieder auf die Beine gekommen und beschoss den Schild des Wesens mit orange-schwarzem Rauch. Fotobuch und Glasperlengewehr lagen vergessen an der Türe. Langsam kroch Timo über den Boden darauf zu. Das Gewehr! damit könnte er die Dämonin aus seinem Opa vertreiben. Erneut schossen Schmerzen durch Timos Brust. Er stoppte. Setzte sich hin. Öffnete langsam den Mantel. Zog sein Oberteil hoch und betrachtete die schmerzende Stelle. Die Haut war stark getötet und verfärbte sich bereits leicht bläulich. Langsam und vorsichtig ließ er seine Finger über die geschundene Haut wandern. Die Stelle schwoll an. Timo sog scharf die Luft ein, als der Schmerz noch schlimmer wurde, und wie ein Messer durch seine Rippen stach. Trotzdem drückte er noch ein Stückchen fester zu. Er konnte eine leichte Unebenheit ertasten. Ihm wurde schlecht. Die Rippe war zumindest einmal angeknackst, wenn nicht sogar gebrochen. Leise wimmernd bedeckte der Schnüffler sich wieder und schlang den Mantel um sich, als könnte er damit die Schmerzen vertreiben. Vorsichtig, immer darauf bedacht nicht Katharinas Aufmerksamkeit zu erregen, kroch er weiter auf das Glasperlengewehr zu. Ein Blick zu der Dämonin zeigten, dass diese jetzt wohl eingesehen hatte, dass sie Blitz' Schild nicht zerbrechen konnte, und stattdessen dazu übergegangen war, die orangene Blase mit dem Revolver zu beschießen, oder es zumindest zu versuchen. Zu Blitz' großem Glück hatte Katharina immer noch nicht richtig verstanden, wie man den Auslöser betätigte.

Das Wesen verließ nun seine schützende Blase, flitzte auf Waldemars, von Katharina kontrollierten, Körper zu, kletterte daran hoch und verdeckte jene pechschwarzen Augen mit seinen kleinen Händen. Es nickte Timo aufmunternd zu. Der Schnüffler hatte nun das Gewehr erreicht, ergriff es und rappelte sich auf. Die Waffe war schwerer als angenommen und er hatte große Mühe sie auf seinen Großvater zu richten. 'Das ist Katharina, eine Böse Dämonin! Du richtest eine Waffe auf ein Monster, nicht auf deinen Opa! Das ist nicht Opa!', redete Timo sich im Gedanken gut zu.

Unter Blitz Fingern quoll dichter, schwarzer Rauch hervor. Das Wesen wirkte plötzlich entsetzt. So eine starke Gefühlsregung hatte der Schnüffler noch nie in seinem kleinen Porzellangesicht gesehen. Es mochte vielleicht nur Erkenntnis sein, aber bei Blitz war es enorm. Der Rauch wickelte sich um Blitz Finger und schleuderte es von Waldemars Schultern. Es war gespenstisch, so offensichtlich war noch nie gewesen, dass das Wesen nicht menschlich war. Blitz gab kein Geräusch von sich, während es durch die Luft segelte. Kurz bevor es auf den Teppich aufschlug breitete es die Arme aus, und erschuf einen Schild. Die orangene Membran drücke sich in den fransigen Stoff, prallte ab und lies Blitz erneut in die Höhe schnellen. Es drehte sich im Flug und sandte einen Schwall orangenen Rauches auf Timo. Dann krachte es mit einem furchtbaren Klirren in ein Regal. Blitz' Rauch umhüllte Timo. "Geht es dir gut? Bist du verletzt? Blitz?", seine verzweifelten Rufe wurden von der orangenen, für seine Blicke undurchdringlichen Rauchwand verschluckt. "Blitz! Blitz! Kannst  du mich hören?", brüllte Timo, doch sogar für ihn selbst klang seine Stimme gedämpft.
Er spürte, wie der Schmerz, dort wo der warme Nebel ihn berührte, verschwand. Der Schnüffler konnte es nicht fassen. Er wurde geheilt! Mit dem Gewehr immer noch in den Händen drückte er sich prüfend auf die Brust. Die Verletzung war wirklich weg!

Langsam verzog sich der Rauch. Mit besorgten Blicken suchte Timo das Regal nach Blitz ab. Als er es entdeckte, schnappte er entsetzt nach Luft. Mit unnatürlich verdrehten Gliedern steckte das kleine Wesen zwischen zwei Regalbrettern fest.
Timo wollte auf Blitz zustürmen, um ihm zu helfen. Doch mit einem gigantischen Sprung durchquerte der besessene Opa Waldemar das Wohnzimmer und landete vor ihm. Mit Tränen in den Augen riss Timo das Gewehr hoch. "Geh aus dem Weg, oder ich knall dich ab! Los! Weg mit dir! Willst du den gleichen Fehler wirklich zweimal machen?", schrie er. Katharina legte den Kopf schief. Timo machte die Ladebewegung, die er im Speicher bei Blitz beobachtet hatte, und presste den kalten Stahllauf an Waldemars Stirn. "Schwirr. Ab."
Katharinas schwarze Augen weiteten sich und sie sprang in hohem Bogen rückwärts, landete auf der Wand und wuselte auf allen Vieren daran entlang, aus dem Raum. Zu sehen wie sich Opa Waldemars gebrechlicher Körper so schnell über die glatte Wand bewegte, als gäbe es keine Schwerkraft, war verstörend. In Timo kämpften Entsetzen und das Bedürfnis über die Verrücktheit der Situation zu lachen mit einander. Mit Mühe riss er sich von dem grotesken Anblick los.

Timo ließ das Gewehr fallen und rannte auf das Regal zu in dem, immer noch völlig bewegungslos, Blitz hing. Vorsichtig hob der Schnüffler und das Wesen hoch. Blitz' Gesicht war zerschlagen. Scherben bedeckten das Holzbrett, das Auge, das lose gehangen war, war völlig abgerissen, das puppenhafte Gesicht praktisch nicht mehr vorhanden. "Nein. Nein! Bitte, bitte sei nicht tot! Bitte Blitz, sag doch was!", schluchzte Timo und erneut konnte er spüren, wie Tränen sein Gesicht hinab liefen. Langsam öffnete sich der Mund des Wesens: "Ihr müsst sie jetzt alleine aufhalten! Es tut mir leid!", hauchte es, dann fiel seine Kopf zurück. "NEIN!", schrie Timo und presste den kleinen, kalten Körper an sich, "NEIN!"

Vorsichtig trug der Schnüffler Blitz zum Wohnzimmertisch und begann es behutsam wieder zusammenzusetzen. Immer wieder flackerten seine nervösen Blicke zur Tür, besorgt, dass die Dämonin erneut auftauchen könnte.
Er holte Sekundenkleber aus der Küche und klebte eine Scherbe an die andere, bis das Gesicht wieder hergestellt war. Er fügte das Auge in die leere Höhle ein und füllte sogar das Einschussloch an Blitz Stirn mit einigen Scherben einer Vase, die Opa Waldemar wohl zerbrochen haben musste. Erwartungsvoll sah er das Wesen an. "Bitte, bitte, Blitz! Bitte komm zurück! Bitte lass mich nicht alleine. Wir sind doch Freunde!"

Blitz reagierte nicht. Timo musste noch mehr weinen. Er holte eine weiße Tischdecke, und schrieb mit schwarzem Stift darauf:
In Erinnerung an Blitz, GK-1751, das immer für die Feuerfluss Familie da war.
Dann bedeckte er den Körper des Wesens damit.

Langsam entfernte sich Timo vom Tisch und griff sich ein langes, scharfes Küchenmesser. Jetzt würde er Dämonen jagen gehen. Jetzt war Katharina zu weit gegangen.

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