Die Geschichte der Emma Feuerfluss (Prolog)
"Komm schon, Emma, das wird lustig." Kamilla Rufmaid grinste ihre Kollegin an. Emma schüttelte den Kopf. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass Kamilla sich freiwillig für diesen Einsatz gemeldet hatte. Schließlich war sie im sechsten Monat schwanger. "Wir müssen achtsam sein. Der Bericht klang... schlimm.", Emma Feuerfluss wusste nicht wie sie es besser beschreiben sollte. Es war von mindestens 14 Toten die Rede gewesen und von einer 'unheimlichen, lauernden Präsenz'. "Ach, wir haben bestimmt schon schlimmeres erlebt, außerdem gehören wir zu den dienstältesten Familien. Die haben schon Angst, wenn sie nur unsere Wappen an den Mänteln sehen.", scherzte Kamilla und klopfte Emma aufmunternd auf den Rücken. Emma schnaubte frustriert. Das mochte bei Kamilla der Fall sein, sie gehörte zu einer der zehn Gründerfamilien der Gilde, den Rufmaids. Bei sich selbst war sie sich da nicht so sicher, die Feuerfluss Familie machte das erst in der fünften Generation. "Wenn du das sagst.", meinte Emma trocken und spielte an dem kleinen Metallwappen herum, das an einem Knopfloch ihres Mantels befestigt war. Sie war nervös. Vor einem Einsatz war das normal, aber vor diesem war es besonders schlimm. 14 Tote und nur eine einzige Kreatur, die man noch nicht einmal gesehen hatte. Von so etwas hatte sie noch nie gehört.
Auf der anderen Seite des Dorfplatzes, an dessen Rand Emma und Kamilla patrouillierten, erklangen plötzlich Schüsse. "Herr im Himmel, das waren Konrad und Eddie! Er hat sie angegriffen!", rief Kamilla Rufmaid erschrocken. Emma knirschte mit den Zähnen. Sie hatte mit so etwas gerechnet, seit sie den Bericht gelesen hatte, aber für Kamilla musste es ein schwerer Schock sein, schließlich war Konrad Silberpfeil ihr Ehemann und Vater ihres ungeborenen Kindes. "Konrad ist ein Silberpfeil, er gehört wie du, zu den Grüderfamilien. Ihm passiert schon nichts.", versucht Emma ihre Kollegin zu beruhigen. Kamilla biss sich auf die Lippe und nickte, während die beiden über den Platz rannten. Weitere Schüsse zerrissen die Luft.
Was Emma wohl am meisten beunruhigte, war, dass sie die Kreatur nicht sehen konnten. Was auch immer ihre Kollegen da angriff, es schien fast als wäre es intelligent. Das waren ihre Gegner normalerweise nicht, im Gegenteil: meist wirkten sie wahnsinnig. Es war ein Wahnsinn, der die Kreaturen befiel, wenn sie zu lange Strahlung ausgesetzt waren und eigentlich war es pure Bosheit, die sich bei den meisten von ihnen als Irsinn zeigte. Den Fluch der Malitia, nannte die Gilde diesen Zustand. Auch wenn nur diejenigen, welche die meiste Zeit in den gigantischen Archiven verbrachten, wirklich wussten wieso es so hieß.
Emma gehörte nicht zu diesen Leuten. Sie war auf Außeneinsätzen tätig. Sie gehörte zu denen, die sich in Gefahr begaben, um andere zu retten.
Als Emma und Kamilla ihre beiden Kollegen erreichten, konnten sie bereits nichts mehr für sie tun. Konrads und Eddis Gesichter waren praktisch nicht mehr vorhanden. Unzählige Einschusslöcher, hatten die Schädel der beiden in etwas verwandelt, das wage an mit Blut vollgesogene und Küchenschwämme erinnerte. In den grauenhaften Wunden war das Glänzen von Metall und Glas zu erkennen. Die beiden mussten von jemandem ausgelöscht worden sein, der ein Glasperlengewehr führte. Die gleiche Art von Waffe, welche auch die Gilde benutze.
Schreiend brach Kamilla neben der Leiche ihres Mannes zusammen. Tränen rannen über ihr Gesicht und tropften auf den noch warmen Körper. "Nein. NEIN!", rief sie und klammerte sich an dem orangenen Mantel ihres Gatten fest, schüttelte ihn, als könnte sie ihn wecken. "NEIN!"
Emma löste das Gewehr von der Haftplatte an ihrem Rücken. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie sich um, bereit jederzeit zu feuern. Wer hatte das getan? Wo hatte derjenige das Gewehr her? Wenn es sich hierbei um einen Menschen handelte, würde das zumindest erklären, wieso er sich so untypisch verhielt. Emma presste konzentriert die Lippen zusammen und hielt Ausschau. Wo war ER?
Plötzlich vernahm sie ein Zischen. Es war einzig ihren jahrelang trainierten Reflexen zu verdanken, dass Emma es schaffte, sich rechtzeitig umzudrehen.
An der Wand eines Hauses hing, waagerecht zum Boden, eine grauenerregenden Kreatur. Seine Kleidung war zerrissen, als wäre er damit durch einen gewaltigen Dornenbusch gerannt. Er hatte riesige Insektenaugen und große, gebogene Hörner, in denen die unterschiedlichsten, dunklen Farben pulsierten. Er riss sein Maul auf, das die Hälfte seines Gesichtes bedeckte, und entblößte eine lange, blasse Zunge an deren Spitze ein Auge zuckte. Geifer tropfte zwischen seinen grauen Reißzähnen hervor. In seinen, seltsam menschlich wirkenden, Händen hielt er ein Glasperlengewehr von einer Machart, die Emma noch nie gesehen hatte. Mit einem wütenden Aufschrei eröffnete die junge Frau das Feuer. Die Perlen ihres Gewehres donnerten in die Hauswand rund um die Kreatur und wirbelten eine Staubwolke auf. Er stieß sich von der Wand ab, und seine Hörner verwandelten sich in fallschirmartige Flügel, mit denen er langsam zu Boden sank. Ein Gestaltwandler. Gut, jetzt konnte sie ihn einordnen. Emma wusste wie Gestaltwandler kämpften, es war nicht ihr erster. Fast schon verspürte sie Erleichterung. Erneut zielte sie, dieses Mal auf die Brust ihres Gegners und drückte ab. Ein Klicken ertönte, sonst nichts. Das verdammte Gewehr klemmte. Fluchend schlug sie mit der flachen Hand auf ihre Waffe ein. Aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen, wie die Kreatur die seine hob. "Grundgütiger! Mach schon!", fauchte Emma ihr Gewehr an. Die Kreatur machte sich zum Schießen bereit.
Ein Schuss ertönte.
Emma zuckte zusammen und sah ungläubig, wie er vor ihr zusammenklappte. Sie drehte sich um. Hinter ihr war Kamilla wieder aufgestanden. In erstaunlich ruhigen Händen hielt sie ihr eigenes Glasperlengewehr und ein wütender, konzentrierter Ausdruck war wie in ihr blasses Gesicht gemeißelt. "Das ist für meinen Ehemann, du Bastard.", zischte sie.
Mit einer seltsamen Mischung aus Trauer und Erleichterung im Herzen schloss Emma ihre Kollegin in die Arme. "Du hast es geschafft.", flüsterte sie und spürte, wie Tränen ihre Wangen herab liefen. Kamilla klammerte sich an ihr fest. "Ja, geschafft, ja. Es ist vorbei.", flüsterte die Schwangere.
"EMMA!"
Ob sie zuerst den Knall hörte oder das Licht sah, das konnte Emma danach nie genau sagen, aber die Explosion kam überraschend.
Dämonen arbeiten nicht in Gruppen, zumindest nicht in der Welt der Menschen. Sie tun es einfach nicht, warum ist niemandem so genau klar. Man führt es auf den Wahnsinn zurück, den Fluch der Malitia, der sie befällt, wenn sie sich zu lange in unserer Welt aufhalten. Aber das ist nur eine Theorie.
Diese Dämonen arbeiteten zusammen. Sie benutzten Waffen, sie verhielten sich intelligent. Das Desaster von Bad-Mergentheim gieng in die Geschichte der Dämonenjägergilde ein, als der Tag, an dem sie gleich zwei Mitglieder ihrer Gründungsfamilien verlor. Die Familie Rufmaid starb an jenem Tag aus, Kamilla hatte keine Geschwister. Ihre Leiche wurde nie gefunden, doch man ging davon aus, dass der eine Dämon, der entkam, sie wohl mitgenommen haben musste.
Emma Feuerfluss, eine junge, talentierte Dämonenjägerin in der fünften Generation überlebte das Desaster als einzige.
Sie selbst hatte drei Kinder: Timo, Lana und Marta.
Ihren eigenen Kindern würde Emma nie erlauben der Gilde beizutreten, so sehr diese es auch wollten. Sie fürchtete sie auch zu verlieren. Ihre Berufung als Dämonenjägerin führte sie aus, bis ihr Alter das nicht mehr zuließ. Sowohl in der Gilde, als auch in der Welt hinter der Welt, der Welt der Dämonen, wurde sie zu einer Legende.
Wieso die beiden Dämonen an jenem Tag zusammenarbeiteten, konnte nie geklärt werden. Der Dämonenkönig Pixto selbst distanzierte sich von der Tat und gab an, die beiden Angreifer würden nicht zu seiner Welt gehören.
Emma Feuerfluss starb friedlich im Kreise ihrer Familie an den Spätfolgen einer Verletzung, die sie sich über 20 Jahre zuvor bei einer Explosion zugezogen hatte.
Ihr Erbe lebt weiter.
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