Das Wesen und der Dämon (6)
"Was?... Wie?... Nein!", kreischte Timo und wich vor der sprechenden Puppe zurück. "Manoman. Mein Gedächtnis wurde zwar durch den Schuss des Anderen da beschädigt.", erzählte die Puppe und gestikulierte zu der am Boden kauernden Porzellanfigur mit dem komplett zerstörten Gesicht, "Aber das ist ein Dämonenjägermantel!" Timo verstand nicht. Ein Dämonenjägermantel? Erklärte das den ganzen Monsterkram hier oben?
Hatte seine Oma den Speicher mit diesen unheimlichen Sachen gefüllt? War sie ein Dämonenjäger gewesen?
"Was bist du?", fragte Timo mit zittriger Stimme und presste sich an einen Tisch hinter sich. "Ein Wesen. Eine Schöpfung eines Beschwörerdämons. Der Schöpfer übergab mich der Lady Emma als Geschenk. Sie tötete einen anderen Dämon, der dem Schöpfer schlimme Dinge anhängen wollte. Ich bin das treu dienende Eigentum der Familie der Lady Emma. Bis zu meiner Vernichtung.", verkündete das Wesen. "Der Lady Emma? Meiner Oma? H-h-heißt das, dass du machst was ich sage?", fragte Timo verwirrt. Die Puppe arbeitete für ihn? Sie war keine Gefahr? "Die Lady Emma war eure Großmutter? Meine anfängliche Unfreundlichkeit betrübt mich zutiefst. Doch verzeiht, da ich unwissend war, Lord... Verzeiht, wie war noch gleich euer Name Meister, dem ich zu Diensten stehe?", meinte das Wesen, erhob sich leicht schwankend und verbeugte sich dann tief. "I-ich bin Timo. Wie heißt du?", stammelte der Schnüffler, mit immer weniger Angst in der Stimme. "Meine Nummer ist GK-1751, doch die Lady Emma pflegte mich Blitz zu nennen, Lord Timo.", antwortete das Wesen. Torkelte von der Kiste herab und stellte sich wie ein kleiner Leibwächter neben Timo auf. "Wieso hattest du nur eine Nummer? Ich meine, jeder hat doch einen Namen...", murmelte Timo betroffen. Blitz tat ihm irgendwie Leid. Wie wohl die Kindheit des Wesens gewesen war? "Die Beschwörer erschaffen Wesen in Serie, um sie für Arbeiten einzusetzen. Wieso sollten sie sich Namen ausdenken? Wieso sollten sie sie verschieden aussehen lassen? Wieso sollten sie ihnen eine Persönlichkeit geben? Wieso sollten sie ihnen Gedanken oder Gefühle geben? Wieso sollten sie ihnen erlauben Sinneseindrücke wahrzunehmen. Außer sehen und hören, das braucht man zum arbeiten. Wieso sollten sie ihnen ein Geschlecht geben? All dies braucht ein gut arbeitender Diener nicht. Ich habe nur Gedanken und ein paar wenige Gefühle, weil ich kein gewögnlicher Arbeiter war, sondern Analyseaufgaben erledigt habe.", schilderte das Wesen und zuckte mit den Achseln. Timo war schockiert. "Das ist furchtbar!"
"Wieso? Sie können weder denken, dass es ihnen schlecht geht, noch sich traurig fühlen. Sie kennen weder Schmerz, noch Kälte, noch Gestank. Sie sind praktisch Maschinen. Sie sind perfekt, für das wofür sie geschaffen wurden. Also, Lord Timo, was bringt euch an diesen Ort, den ich bewachen soll? Wenn ich mich doch bloß erinnern könnte, wieso...?", entgegnete Blitz. "Ich, ich soll ein altes Fotobuch für meinen Opa suchen. Da sind Bilder von Oma drin.", antwortete Timo immer noch betroffen. "Ja, das Fotobuch... Das ist in der Kiste... Ich bewahre den Schlüssel auf, und soll ihn niemandem geben... Wenn ich doch nur wüsste wieso... Aber euer Wunsch möge erfüllt werden, junger Lord Timo.", verkündete Blitz, und bevor Timo es aufhalten konnte, öffnete das kleine Wesen das Schloss der Kiste mit einem kleinen, pechschwarzen Schlüsselchen. Auf einmal nahmen die Kälte und der süßliche Geruch zu, als hätte man einen Kühlschrank voller vergammelten Eingeweiden geöffnet. Timo bedeckte Mund und Nase mit einem seiner Ärmel und wickelte mit der anderen Hand den langen Mantel enger um sich, so dass er spannte. Gleichzeitig versuchte er noch weiter zurückzuweichen, wurde aber erneut von dem Tisch aufgehalten.
All dessen ungerührt nahm Blitz ein dickes, rotes Buch aus der Kiste. Es war in Ketten gelegt worden, die so stramm saßen, dass sie an einigen Stellen tief in Papier und Einband einschnitten. Das Buch schien der Quell von Kälte und Gestank zu sein. Er wollte das Buch nicht. Er wollte so weit wie möglich weg davon. Es verbrennen, es schreddern, es am Grund eines reißenden Flusses versenken. Bloß weg von ihm! Wieso merkte Blitz nichts von all dem? Fühlte das Wesen sich nicht unwohl? Dann begriff Timo plötzlich... 'Wieso sollten sie ihnen erlauben Sinneseindrücke wahrzunehmen? Außer sehen und hören, das braucht man zum arbeiten.', ... 'Sie kennen weder Schmerz, noch Kälte, noch Gestank.'... Blitz, als Wesen, nahm all dies nicht war! Es trug das Buch scheinbar ohne Schwierigkeiten, obwohl es mindestens genauso schwer sein musste wie Blitz selbst, bis vor Timos Füße. Daraufhin zog es einen weiteren Schlüssel aus seinem Anzug. "Stopp!", rief Timo. Sofort hielt Blitz inne. "Wieso sind da Ketten?" Blitz legte den Kopf schief. "Ich müsste das wissen... Ich müsste das wissen!... Ich bitte um Entschuldigung, aber ich bin beschädigt. Ich bräuchte Klebstoff. Ich erinnere mich nicht. Wünscht ihr das Buch wegzupacken, Lord Timo?", fragte das Wesen und versuchte unterdessen sein Auge wieder in die dafür vorgesehene Höhle zu quetschen.
Timo überlegte.
Er wollte das Fotoalbum nicht in seiner Nähe haben. Er wollte von ganzem Herzen, dass Blitz es wieder wegschloss.
Dann dachte er an Opa Waldemar, der seine Frau so sehr vermisste. Der Gedanke schob sich über sein Angst, als hätte jemand anderes ihn dort hingelegt. Er fragte sich, wie er sich fühlen würde, wenn in dem Buch die einzigen Erinnerung an Kira wären, die es noch gab. Er dachte an damals, als er sich mit Oma und Opa zusammen Fotobücher angeschaut hatte. Daraufhin schien völlig klar, für was er sich entschieden musste. "Mach die Ketten weg.", sagte Timo und versuchte das verräterische Zittern aus seiner Stimme zu verbannen. Blitz nickte und schob den Schlüssel in das Schloss. Ein leises Klicken ertönte, das Schloss öffnete sich und die Ketten fielen ab.
Nichts passierte. Langsam beugte sich Timo über das Buch. Sein Opa hatte recht gehabt, auf dem Cover war ein Bild einer sehr jungen Oma Emma. Sie hatte den Mantel an, den er jetzt trug und hielt ein seltsam geformtes Gewehr in der Hand, das tatsächlich an einer der Wände im Speicher hing. Unter dem Bild stand in goldenen Lettern:
Emma Feuerfluss: 50 Jahre Dämonenjägerdienst.
Die junge Oma Emma lächelte in die Kamera. Hinter ihr war ein idyllischer Wald zu sehen. Sie wirkte glücklich.
Plötzlich kam Bewegung in das Bild. Erst kaum wahrnehmbar, ganz wenig. Es begann mit Oma Emmas Augen. Sie wurden immer dunkler, bis sie ganz schwarz waren, dann neigte sie ruckartig den Kopf zur Seite. Panik stieg in Timo auf. Er wollte schreien, doch der Schrei blieb in seiner Kehle stecken. Er wollte flüchten, doch er konnte sich nicht bewegen.
Emmas Grinsen wurde breiter, bis es fast von einem Ohr bis zum nächsten reichte, ihre Zähne wurden spitz. Mit seltsamen, steifen Bewegungen, als wäre sie eine durch Fäden gelenkte Marionette, begann Emma im Bild nach vorn zu laufen. Ihre Haut wurde bleich. Der Wald im Hintergrund verblasste. Auf Emmas Stirn wuchsen gigantische, schwarze Hörner. Sie war überhaupt nicht mehr zu erkennen. Schwarzes Blut lief aus ihren schwarzen Augen und ihrem breiten, grinsenden Maul. Wunden breiteten sich auf dem Gesicht aus und begannen ebenfalls zu bluten.
Timo konnte, so sehr er auch wollte, den Blick nicht von der verstörenden Entwicklung abwenden, die sich vor seinen Augen abspielte. Es war, als hielte die grauenhafte Kreatur, die nun auf dem Foto zu sehen war, seine Augen fest, und zwinge ihn die widerwärtige Transformation mitanzusehen. Für eine Sekunde erstarrte das Bild, dann öffnete das, was einmal ein Bild von Oma Emma gewesen war, langsam sein gigantisches, blutüberströmtes Maul: "Buh!"
Plötzlich war Timo wieder frei und plumpste auf den Hintern. Sein Herz raste mit seinen verwirrten Gedanken um die Wette.
Mit schaurigem Gelächter erhob sich eine Rauchsäule, aus dem Buch und schoss auf Timo zu. In ihrer Mitte hingen, als einziges klar definiert, die gleichen schwarzen Augen, die das Monster auf dem transformierten Foto gehabt hatte.
Timo kreischte auf und wich zurück. Auf einmal war Blitz vor ihm, es hatte sich so schnell bewegt, dass Timo es nicht einmal gesehen hatte. Das Wesen, Blitz, breitete seine kleinen Arme aus und schrie. Um Timo und Blitz bildete sich eine orangene, schimmernde Blase. Das Geschöpf aus Rauch kollidierte damit und schoss mit einem qualvollen Schrei davon, als hätte es sich an der schillernden Oberfläche verbrannt. Es sammelte sich an der Decke und attackierte Blitz' glänzenden Schild erneut. "Was ist das?", fragte Timo panisch und beobachtete wie der dunkelgraue Rauch immer wieder gegen die Wand der Blase flog.
"Eine besitzergreifende Dämonin. Ihr Name ist Katharina, sie war der letzte Auftrag den Lady Emma vor der Rente angenommen hat. Ich erinnere mich zwar nicht mehr daran, aber es scheint so, als hätte die Lady Emma die Dämonin, mit Hilfe der Ketten, in das Buch gebannt... und jetzt haben wir sie befreit. Aber Katharina ist noch geschwächt und verwirrt, von der Langen Zeit in Bannung.", erklärte Blitz, hörbar angestrengt. Katharina verzog sich erneut an die Decke und schrie wütend. "W-wieso ist sie so böse? Ich meine, du bist ja nicht böse...", flüsterte Timo und versuchte die Tränen der Angst zurückzugalten, die sich in seinen Augen sammelten. "Strahlung.", erklärte Blitz, "Strahlung macht Dämonen auf Dauer böse, Wesen aber nicht, Wesen sind nie boshafter als ihr Schöpfer. Die Dämonen von der Erde sind deswegen Böse." Timo nickte. Er verstand, zumindest glaubte er es zu verstehen. "Können wir sie besiegen?", wollte Timo mit einem besorgten Blick zu der wütenden Dämonin wissen. Blitz nickte langsam. "Das an der Wand da drüben ist ein Glasperlengewehr. Es ist äußerst effektiv gegen Dämonen. Ich könnte es holen, aber ich müsste so lange den Schild aufgeben. Katharina ist noch nicht stark genug um Euch zu befallen, wenn Ihr Euch gegen ihre Präsenz wehrt... Das könnte funktionieren.", antwortete Blitz zögerlich und es war deutlich, dass ihm der Plan selbst nicht gefiel. Langsam nickte Timo. Ihm fiel auch keine bessere Lösung ein. Blitz ließ die Arme sinken und flitzte in Richtung des Gewehres extrem schnell los. Der Schild verschwand und sofort schoss Katharina auf Timo zu.
Der Rauch prallte gegen seine Stirn und versank darin. Timo bekam plötzlich entsetzliche Kopfschmerzen. Er presste seine Hände an die Stirn und stöhnte. Seine Knie wurden weich. "Gib nach. Gib nach! GIB NACH! GIB NACH!", befahl eine Stimme in seinen Gedanken. "Nein.", flüsterte Timo und ging langsam zu Boden, "Nein."
Ein schwarzer Filter legte sich über seine Augen, dann war sein Wiederstand weg.
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