1. Was mir erzählt wurde

Ich kann mich noch gut daran erinnern.
Immer, wenn irgendwo eine Kerze brannte, egal ob auf dem Wohnzimmertisch, am Adventskranz oder im Restaurant, war ich erstaunt. Nicht nur erstaunt, sondern fasziniert, regelrecht besessen von der Flamme. So konnte ich nicht anders, als in sie hineinzustarren und während ich das tat, vergaß ich fast alles um mich herum.
Damals muss ich so vier oder fünf Jahre alt gewesen sein.

Ich beobachtete die kleine Flamme dabei, wie sie länger und kurzer wurde. Ich sah ihre Spitze, die sich ab und zu verdoppelte, bevor die beiden Spitzen wieder zusammenfanden. Der kleine blaue Teil an ihrem Grund, direkt am Docht. Während alldem stieg mir die Wärme ins Gesicht.

Und dann kam der Moment, an dem die Flamme mit ihrem Tanz anfing.
Sie wurde klein und dick, nur um sich im nächsten Moment langzustrecken. Oder sie lehnte sich von der einen auf die andere Seite. Dann schien sie kurz zu erlöschen, bevor sie weiterbrannte, fing an zu flackern.

Eine Frage, die ich meinen Eltern dann immer stellte, war: „Warum flackert die Kerze?"

Und meine Eltern antworteten immer das Gleiche. „Wegen dem Wind, mein Schatz."

„Aber hier gibt es gar keinen Wind!"

„Doch, aber der Luftzug ist so schwach, dass du es nicht merkst. Aber du siehst es an der Kerze", sagte meine Mutter.

„Oder es liegt am Docht. Wenn der ausfranst kann das auch passieren. Oder wenn er zu lang ist", versuchte mein Vater mir zu erklären. Aber diesen Erklärungen hörte ich nur mit einem Ohr zu.

Und ab und an stieg grauer Ruß von den Kerzen auf. Meistens im selben Moment, in dem sie flackerten. Manchmal aber auch ohne ein Flimmern der Flamme.
„Das liegt daran, dass der Docht schief ist. Den muss ich geradebiegen." Das war die Meinung meines Vaters, der die Kerze daraufhin oft ausbließ und den Docht geradezog. 
Dann hörten die Kerzen tatsächlich immer auf damit. Vorerst.

Doch niemand erzählte mir, was es damit wirklich auf sich hatte.
Entweder meine Eltern, Großeltern oder andere Menschen, die ich fragte, wussten es nicht.
Oder sie wussten es und wollten mich damals nicht beunruhigen.
Was mich aber am meisten beunruhigt, ist die dritte  Möglichkeit: Sie hatten selbst zu viel Angst davor, um es auszusprechen.

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