3. Kapitel - Shay
Es war eine dämliche Idee. Eine verdammt dämliche Idee.
Meine beiden Begleiter schienen das ebenfalls zu spüren. Mit ihren Dolchen kampfbereit erhoben, gingen jeweils einer links und rechts von mir. Ich sah mich ebenfalls nach allen Seiten um, aber die Paranoia war unbegründet. Zwischen den Bäumen war es ruhig. Ich kannte den Wald besser als jede Hexe, denn während sie sich nur in einem kleinen Radius bewegten, um uns Jägern zu entkommen, kannten wir unser Jagdgebiet in- und auswendig.
Plötzlich blieben die beiden hinter mir stehen und sahen mich ausdruckslos an.
"Ab hier musst du allein weiter, Heavenly.", sagte der Rechte rau und schon drehten sie sich um und gingen mit schnellen Schritten zurück.
Kein Hey, Kollege, alles Gute! oder zumindest ein viel Glück bei unseren Todfeinden, stirb nicht, okay?
Seufzend sah ich auf den kleinen Kompass, den ich stets bei mir trug. Der Informant wollte von Norden kommen und mich exakt um zur siebten Stunde bei einer hohen Buche treffen. Ich betrachtete den äußerst hohen Baum vor mir, der sehr wohl eine Buche war und meine Taschenuhr ging auch richtig. Wo blieb er?
Und wenn es doch eine Falle war? Ein einfacher Trick, um sich mit dem Tod eines Jägers an dem von tausenden Hexen und Magiern zu rächen?
Ein leises Rascheln von Laub war zu hören und aus Reflex zog ich einen meiner Dolche und ging in Angriffsposition.
Ein Mann trat aus dem Dickicht und sah mich wenig überrascht an. Er war sicher dreimal so alt wie ich und hatte bereits graues Haar. Seine Haut war dennoch kaum von Falten überzogen und seine hellen Augen funkelten beinahe amüsiert, als er mich sah.
"So so, einen Jungen schicken sie. Nimm die Waffen runter, Kleiner. Das soll schließlich ein Geschäft sein und kein Kampf."
Langsam ließ ich die Klinge zurück in das Halfter unter meiner Jacke gleiten und sah ihn abwartend an.
"Schön, also ... wie geht die Geschichte?"
"Mein Name ist Shay McKenna. Ich bin vom Magierbund in London und auch Ihr Cousin. Ich bleibe bis zur Walpurgisnacht, weswegen ich auch hier bin."
Es war seltsam, etwas zu sagen, dass ein Magier von mir verlangt hatte. Normalerweise töteten wir diese Wesen. Und gleich würde ich ein ganzes Dorf von denen betreten und auch noch so tun müssen, als wäre ich einer von ihnen. Für ganze fünf Tage.
"Perfekt. Ich werde dir alle fünf, die als Alpha in Frage kommen, vorstellen. Erledige die Sache so schnell wie möglich."
Ich biss die Zähne bei seinem Befehlston zusammen. Der Zirkel selbst hatte mir diese Aufgabe anvertraut. Ich durfte mich nicht von Arroganz leiten lassen.
"Eine Frage habe ich noch."
Er hob eine buschige Augenbraue. "Ja?"
"Warum sind Sie bereit, Ihr Volk auf derartige Weise zu hintergehen?"
Er senkte weder den Blick, noch wirkte er verlegen. Bloß seine Augen verengten sich etwas. "Wenn du jemals ein Vater sein solltest, Junge, dann verstehst du es vielleicht."
Ohne ein weiteres Wort marschierte er los. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Nach fast einer halben Stunde Fußmarsch wurde ich jedoch immer misstrauischer. Meine Hand wanderte wie von selbst zu den Dolchen. Der Magier drehte sich nicht mal um, er blieb einfach stehen und lachte leise.
"Beruhige dich, Kleiner. Wir sind schon da. Kein Grund, mich von hinten abzustechen."
Ich ließ meinen Blick durch die Bäume gleiten. Natürlich bauten magiebegabte Wesen nicht einfach ein Dorf im Wald und hofften, dass es nie entdeckt wurde. Aber einen Schleierzauber erkannte ein geübtes Auge. Und hier war weit und breit nichts.
Diesmal lachte der Magier lauter. "Pah, ihr Menschen und vor allem Jäger sucht immer nur nach dem Offensichtlichen!", höhnte er.
"Und wo ist es jetzt?", fragte ich und machte mir nicht die geringste Mühe, meine Wut zu verbergen.
Er grinste bloß und deutete auf einen kleinen Teich, den man normalerweise übersah. Er war von einigen Büschen umgeben und kaum größer als ein Esstisch. Aber ich sah es. Das leichte, silbrige Schimmern, das ihn umgab.
Der Magier ging voraus, murmelte etwas in der Sprache der Magie und sprang einfach hinein. Er versank ganz darin, als wäre er mehrere Meter tief. Misstrauisch beäugte ich die unruhige Wasseroberfläche, die nun leichte Wellen schlug. Obwohl ich als Jäger schon oft Magie erlebt hatte und sie eigentlich verachten sollte, faszinierte sie mich auf seltsame Weise.
Ich atmete tief durch, hielt danach die Luft an und sprang hinterher.
Die Kälte raubte mir einen Moment lang den Atem. Es war, als brenne sich ein eisiges Feuer von meiner Haut direkt in meine Seele.
Ich wusste es! Es war doch eine Falle!
Ich unterdrückte den Adrenalinschub, der mich durchfuhr und öffnete langsam die Augen. Ich trieb schwerelos im Wasser, um mich herum nur helles Blau. Ich schwamm auf die Oberfläche zu.
Was den Wald betraf, so hatte sich nichts verändert. Doch nun erstreckten sich zwischen den Bäumen Reihen aus kleinen Häuschen und Hütten, die zu einem großen gepflasterten Platz zusammenliefen. Überall hingen bunte Girlanden und ich fragte mich, ob ich all die Farben nur sah, weil ich etwas benommen war. Der Magier grinste mich herablassend an.
"Dachtest du, ich würde dich reinlegen?"
Er lachte erneut, was mich zur Weißglut brachte. Ich hievte mich aus dem Wasser und stellte fest, dass ich überhaupt nicht nass war. Magie. Schon wieder.
"Setz trotzdem lieber die Kapuze auf. Wir sind selbst fremden Magiern gegenüber etwas misstrauisch."
Brummend folgte ich seinem Rat. Wir gingen über eine schmale Gasse zwischen den Häusern hinaus auf die Straße. Einige Händler hatten ihre Stände aufgebaut und boten Tränke, Talismane und irgendwelche Kräuter an.
"Schau nicht so dumm drein!", mahnte der Magier. "Das ist alles billiger Schrott. Nachher zeige ich dir einen Laden, wo man alles bekommt, was man als Magier oder Hexe braucht. Geführt wird er von einer der fünf jungen Kandidatinnen für die Alphahexe geführt. Sie stelle ich dir als Letzte vor. Die anderen arbeiten alle bei uns im Rathaus."
"Es gibt hier ein Rathaus?", rutschte es mir heraus. Er funkelte mich über die Schulter böse an.
"Natürlich! Wir sind schließlich keine wilden Bestien, auch wenn ihr uns dafür haltet! Wir haben genauso ein System für unsere Bürger!", zischte er.
Wir drängten uns durch die Mengen. Jeder trug irgendwelche bunten Anhänger oder Tücher bei sich und die Kleidung selbst war auch eigen. Nicht altmodisch, aber auch keine, die für das Überleben im Wald perfekt war. Es war, als wären sie einfach eins mit der Welt um sich herum.
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