#98 Ein neues Zeitalter
Es war ein für den Herbst noch ziemlich warmer und sonniger Tag dieser 22. Gormonth 1182 in New Kingstown.
An diesem Tag, der 50.3.2735 nach der Zeitrechnung von Sore, wurde in New Kingstown Geschichte geschrieben.
Während die junge Generation der Divinobles, ihre Partner und Freunde in Sore waren und sich von den Feierlichkeiten anlässlich des dritten großen Geburtstag von Evan erholten, waren ihre Eltern mit Vertretern der Regierungen von Sore und der Vereinigten Reiche des Nordens im Bumia Trade Center zusammengekommen.
Und hatten die Nachfolge von Ieran ab Iovam verhandelt.
Zwei Tage Verhandlungen hatten zum Erfolg geführt.
Die 'Lege dos grandezzis nationes do postsectation du supercaput potentatam'¹ lag vor und war im Laufe des Nachmittags von allen Parteien unterzeichnet worden.
Hochkönig Trevor hatte die Charta bereits ratifiziert und auch Terastan und Trevastan ab Apollam mit An-Isadur ab Torris hatten ihre Ratifikationsurkunde vor etwa einer Stunde hinterlegt.
Nun hatte Ieran ab Iovam es ihnen gleich getan.
Nachdenklich stand er noch im großen Konferenzsaal des Ostturmes des Bumia Trade Centers – auch Saal des Himmels genannt – und blickte über die unter ihm liegende Stadt.
Bei schönem Wetter konnte man vom BTC bis zu achtzig Kilometer weit sehen. Und heute war schönes Wetter.
Darüber hinaus war dies das erste Mal, dass er in seinem ganzen langen Leben in New Kingstown war.
Die anderen hatten schon längst den Saal des Himmels verlassen, waren gutgelaunt mit den Fahrstühlen hinab gefahren, denn die Feierlichkeiten für den Anlass waren nicht in New Kingstown sondern am Ostende von Paumanok Island, in den 'The Mohegans' vorgesehen, wo neben dem Hochkönig selber auch zahlreiche andere bedeutsame New Kingstowner ein Anwesen hatten.
Aber nicht alle anderen.
Divicomes Iuan ab Anzam, der älteste der lebenden Divinobles auf Bumia, war noch zurückgeblieben.
Mit den Worten "Ieran mein alter Freund, da hast du es ja doch noch geschafft dir deinen Ruhestand zu sichern" trat er neben diesen an die Fensterfront.
Ieran nickte.
Zum nächsten Jahreswechsel würde er seinen Rücktritt erklären und im Frühjahr des Jahres 2736 würde Trevastan ab Apollam der nächste Divinimperator des Sorenischen Imperions werden.
Trevan ab Oceanam würde den Titel eines High Casere of the United Realms of the North annehmen und damit gäbe es dann zwei Hochkaiser auf Bumia.
Viel wichtiger aber, er wäre dann frei. Frei von der Bürde zu herrschen, frei zu reisen wohin immer er und An-Anadur auch wollten.
Sicher, das war eine Kompromisslösung die allem Beteiligten auch dadurch einfacher gemacht wurde, dass sie darauf setzten, dass mit Issan und Leton ohnehin alle Ansprüche wieder zusammenkommen und in deren Sohn dann wieder zu einem einzigen Divinimperator für ganz Bumia zusammenlaufen würden.
Auch wenn bis dahin fraglos noch mehr als nur ein paar Jahrhunderte verstreichen würden.
"Solltest du auch drüber Nachdenken Iuan" meinte er schmunzelnd zu seinem alten Freund, "An-Artur wird sicherlich nichts dagegen haben..."
"Ich herrsche ja nicht wirklich" erwiderte Iuan, "Proimperator zu sein ist ja keine Herrschaft. Ich sage zu bestimmten Anlässen ein paar Worte, lächele in die Kameras und eröffne ab und zu neue Straßen oder Bahnlinien...
...ganz ehrlich Ieran, ich bin einfach auch zu alt um noch aus der Residenz in Abundapiscia auszuziehen. Du hast es rechtzeitig in Angriff genommen. Du wirst für dich und An-Anadur noch ein neues Zuhause finden und schaffen können, aber für mich und An-Artur kommen diese neuen Zeiten einfach zweihundert Jahre zu spät..."
"Oh glaube mir" erklärte Ieran nun, "aus dem Domus Aureus auszuziehen wird mir eine wirkliche Erleichterung sein. Da sind soviele Erinnerungen die nicht erinnert werden sollten, soviele Schrecken die vergessen werden sollten, soviel Missetaten die nie verziehen werden konnten...
...ich freue mich so sehr auf ein Zuhause in dem einen die Geschichte von Macht, Hybris und Gewalt nicht an jeder Ecke anspringt."
"Hast du schon etwas ins Auge gefasst?" erkundigte sich Iuan interessiert.
"Ich habe noch nicht einmal entschieden ob das in Sore Urbs sein wird" lachte Ieran nur.
In ihre Gedanken versunken sahen sie wieder hinaus auf die Stadt, auf Paumanok Island und auf den Antautischen Ozean.
Bis Iuan auf etwas über der Stadt deutete. "Fliegen die hier immer so niedrig über bebautem Gebiet?" fragte er Ieran, "also ich würde so etwas nicht genehmigen..."
Auch Ieran sah das Flugzeug welches sich wirklich niedrig über Paumanok Island bewegte.
"In Angevinien scheint man eine andere Risikoabwägung zu haben" meinte er, "ich bin aber auch zum ersten Mal hier. Vielleicht landet es auf der anderen Seite des Flusses. Da ist ein großer Flughafen..."
Als sie realisierten, dass das Flugzeug, eine PWMLC P-22367 der Angevinian Lyftways, direkt auf den Ostturm des Bumia Trade Centers zuhielt war es zu spät.
Ieran hastete noch zur Treppe. Doch lange bevor er diese erreichte, schlug etwa siebzig Meter unter ihm die Maschine mit einer Geschwindigkeit von über fünfhundert Meilen in das Gebäude ein.
Der Knall des Einschlages war in ganz New Kingstown zu hören. Da die Verhandlungen über die Nachfolgefrage im Ostturm des Bumia Trade Centers die Nachrichten beherrschten, wurde der Einschlag des Flugzeuges im Ostturm, der Feuerball den dieser erzeugte sogar von mehreren Sendern gefilmt und live im Hintergrund ihrer Nachrichtensendungen übertragen.
Die Maschine zerstörte jeweils über ein Viertel der Außen- und Innenpfeiler des Turmes auf der dem Westturm zugewandten Seite und entfachte mit ihrem auslaufenden Treibstoff ein riesiges Feuer in den betroffenen Stockwerken.
Das einzige Glück war, dass wegen der Verhandlungen im Saal des Himmels die darunter liegenden etwa zwanzig Stockwerke aus Gründen der Sicherheit an jenem Tag weitestgehend evakuiert beziehungsweise für die Delegationen der Verhandelnden freigehalten worden waren.
Ieran realisierte sehr schnell wie es um sie stand.
"Da kommt keiner mehr herunter" stellte er fest, "und weiter nach oben ist nur noch das Dach..."
Mit dem noch anwesenden Sicherheitskräften, Mitarbeitern der Delegationen und des BTC waren sie aber dennoch gut hundertzwanzig Menschen die von den anderen über dem Einschlagsort gelegenen Stockwerken nun langsam in den Saal des Himmels hochstiegen.
"Ieran, mein alter Freund" war nun auch Iuan klar auf was das hier hinauslief, "ich befürchte das werden wir nicht mehr überleben...."
Mit vereinten Kräften brachen sie die Tür zum Dach auf, doch nur um selbiges in dichten Qualm eingehüllt vorzufinden.
Als die ersten Menschen voller Verzweiflung und Panik in die Tiefe sprangen, griff Ieran nach seinem Callidcom.
Währenddessen wurden unten am Fusse des Bumia Trade Centers nun hektisch die anwesenden Divinobles und Würdenträger evakuiert.
Man brachte sie auf eine angevinische Fregatte und fuhr sie aus dem Hafen von New Kingstown hinaus um sie in die Mohegans zu bringen. Dort war man auf ihr Eintreffen ja schon vorbereitet und sie aus New Kingstown wegzuschaffen erschien allen das Gebot der Stunde zu sein.
Nur Simur und Lison blieben zurück.
Simur, weil er als Deputy King das Kommando übernahm.
Und Lison, weil das Bumia Trade Center von ihm errichtet worden war, weil es sein Entwurf war – und weil er wusste, dass sein Stolz auf so eine Belastung nicht ausgelegt war.
Er empfahl die Evakuierung des gesamten Bumia Trade Centers und aller umliegenden Gebäude.
Und das schnell.
Kaum, dass die Fregatte abgelegt hatte, klingelte An-Anadurs Callidcom.
An-Anadur sah sofort, dass sein Virion anrief.
"Ieran, wo bist du? Bist du noch im WTC? Du musst da sofort raus!" schrie An-Anadur panisch in das Gerät, kaum, dass er das Gespräch angenommen hatte.
"An-Anadur" sprach Ieran und seine Stimme klang in dessen Ohren so entsetzlich gelassen, "du wirst jetzt sehr stark sein müssen..."
"Nein!" schrie sein Uxvir laut, "Nein! Ich will das nicht! Ich will nicht stark sein müssen...."
"Ist das Ieran?" erkundigte sich Trevastan während er An-Anadur, der kreidebleich geworden war und bedenklich schwankte in seine Arme zog.
An-Anadur sagte nichts, schaltete aber auf Lautsprecher.
"Ja, das bin ich Trevastan" hörte dieser, Isador, Meran und An-Taetsin die um An-Anadur herumstanden nun die Stimme Ierans.
"Wo bist du Ieran?" wollte Meran wissen.
"Ich bin noch im Bumia Trade Center" erklärte der ruhig.
"Du musst da raus" warf Isador hektisch ein.
"Ich weiß" erwiderte Ieran sanft, "aber ich befürchte dafür ist es zu spät..."
"Nein!" schrie An-Anadur nun verzweifelt, "ich erlaube es dir nicht! Wenn du mich liebst dann lässt du mich jetzt nicht allein. Wir wollten doch noch soviel machen..."
"Ich weiß mein Herz" erwiderte Ieran sanft und traurig, "aber die Götter haben wohl andere Pläne für uns..."
"Ich will dich nicht verlieren..." wimmerte An-Anadur nun.
"Das will ich auch nicht" erwiderte Ieran, "aber wir wussten, dass der Tag kommen würde..."
"Aber doch noch nicht jetzt..." weinte An-Anadur nun, "ich will nicht, dass du stirbst...
...ich will nicht sterben..." schob er leiser hinterher.
"Du wirst nicht sterben Carissimo" erklärte Ieran und hustete, "du wirst weiterleben...."
"Wie denn ohne dich?" klagte An-Anadur nun, "außerdem ich will nicht ohne dich..."
"Meran?" fragte Ieran nun.
"Bin hier!" bestätigte der.
"Du weißt was du zu tun hast!" erklärte Ieran nun.
"Weiß ich!" bekräftigte Meran.
"Anadurino, Carissimo" wandte sich Ieran nun wieder an seinen Uxvir, "Meran wird dafür sorgen, dass dein Leben weiter geht. Das hat er mir versprochen!"
"Aber ohne dich... ich kann das nicht..." wimmerte der.
"Du wirst es können" erwiderte Ieran ruhig, "ich kann beruhigt gehen wenn ich weiß, dass du noch alles wirst machen können was wir zusammen noch vorhatten..."
Ein ächzendes Geräusch gefolgt von mehreren lauten Knallen war zu hören.
"Was war das?" erkundigte sich An-Anadur voller Entsetzen.
"Das Gebäude verformt sich" erklärte Ieran ganz ruhig, "die Glasplatten der Fassade bersten unter der Belastung..."
Schrille Schreie von Menschen in Todesangst drangen aus An-Anadurs Telefon.
"Ich denke es wird vielleicht noch ein paar Minuten halten" erklärte Ieran nun ruhig, "ihr solltet die Umgebung evakuieren..."
"Was meinst du?" heulte An-Anadur.
"Ich liebe dich" erwiderte Ieran, "bist du in Sicherheit?"
"Wir..." schluchzte An-Anadur, "ich... auf einem Kriegsschiff..."
"Der Fregatte die gerade den Hafen verlässt?" fragte Ieran.
"Ja...?" wimmerte An-Anadur.
"Ich sehe sie" erklärte Ieran, "ich sehe euch..."
Augenblicklich sahen alle vom Deck hinauf zu der Spitze des Ostturmes des BTC.
Auf der Südseite war die Fassade noch relativ frei von Rauch auch wenn die Scheiben der Fassade in zunehmendem Maße bereits zersplittert und hinabgestürzt waren.
"Bist du da, an der Südseite?" fragte An-Anadur bang.
"Ich bin da, mit Iuan" erwiderte Ieran, "ich winke aber ich glaub nicht, dass du uns sehen kannst..."
"Warte ich hab da eine Idee" flüsterte Iuan ihm da zu.
"Was?" erwiderte Ieran.
"Die Decke..." erklärte Iuan und wies auf die riesige Tischdecke des Tagungstisches.
Sie verständigten sich mit Blicken und rissen die locker hundert Quadratmeter große Decke von dem Tisch.
Mit vereinten Kräften wuchteten sie das große Tuch durch eines der geborstenen Fenster.
"Siehst du das Tuch?" erkundigte sich Ieran nun bei An-Anadur.
"Ja... ja..." erwiderte der verwirrt, "ich sehe es..."
"Da bin ich und winke dir zum Abschied" erklärte Ieran.
"Ieran, sag sowas nicht" schrie An-Anadur verzweifelt auf, "Ieran ich liebe dich!"
"Ich liebe dich auch!" versicherte der ihm.
Dann sah es so aus als wenn in dem Stockwerk in dem das Flugzeug eingeschlagen war etwas explodieren würde. Die Stockwerke darüber erbebten und dann begann die Spitze des Ostturmes sich ein wenig zur Seite zu neigen.
Ein Dröhnen erscholl wie bei einem Felssturz und um die Stockwerke unter dem Einschlagsort erscheint eine Wolke aus Staub, Rauch und Trümmerteilen.
Die Spitze des Ostturmes neigte sich weiter zur Seite während sich gleichzeitig rasend schnell nach nach unten in der Wolke aus Rauch und trümmernd verschwand.
Das letzte was man von ihr sah, war, wie sie gegen die Fassade des Westturmes schlug, dann hüllte die Wolke alles ein.
Nur der Westturm ragte einsam aus ihr empor.
Noch.
"Ieran!!!!!" brüllte An-Anadur auf dem Schiff voller Schmerzen.
Dann verlor er das Bewusstsein, An-Taetsin fing seinen besten Freund auf und ließ ihn behutsam zu Boden gleiten.
Die anderen Sorener jedoch nahmen Haltung an, salutierten in Richtung des eingestürzten Gebäudes.
Dann begann Isador zu singen und alle anderen fielen ein:
"Frationes de Sore
Nos noi detollerfon
Cum lo galeon do Iovan
Ornaron lu caput
Ub ese Vinditta?
Ipa perdare la man
Com' servia de Sore
Divos ipa crearon!
Frationes de Sore
Nos noi detollerfon
Cum lo galeon do Iovan
Ornaron lu caput
Ub ese Vinditta?
Ipa perdare la man
Com' servia de Sore
Divos ipa crearon
Cumficert con cohorte
Eson paratam de morte
Eson paratam de morte
Le Sore clamat!
Cumficert con cohorte
Eson paratam de morte
Eson paratam de morte
Le Sore clamat! Sim!"
Wenige Sekunden später erreichten die ersten Filmaufnahmen davon Sore.
'Lo cantion do ultion'³ war gesungen worden von den Spitzen des Imperions.
Das bedeutete, der Divinimperator war gefallen.
Alle Streamingdienste und alle Sender schalteten sofort auf Nachrichten um.
Und während die Trauerglocken in die nächtliche Stille von Sore Urbs dröhnten, sahen die aufgeschreckten Zuschauer Bilder vom brennenden Westturm des Bumia Trade Centers in der Abenddämmerung von New Kingstown, Bilder vom einstürzenden Ostturm.
Und erfuhren, dass Ieran ab Iovam, der Divinimperator von Sore, Opfer eines heimtückischen Anschlages geworden war.
¹Charta der groß(artig)en Nationen über die Nachfolge an der Spitze der Macht
²Brüder Sores
Wir erheben uns
Mit Iovans Helm
Unser Haupt geschmückt
Wo ist Vinditta? (Rachegöttin)
Sie reiche (uns) die Hand
(Denn) Als Sklavin Sores
Schufen die Götter sie!
Brüder Sores
Wir erheben uns
Mit Iovans Helm
Unser Haupt geschmückt
Wo ist Vinditta? (Rachegöttin)
Sie reiche (uns) die Hand
(Denn) Als Sklavin Sores
Schufen die Götter sie!
Lasst uns die Reihen schließen
Wir sind bereit zum Tod,
Wir sind bereit zum Tod,
Sore hat gerufen!
Lasst uns die Reihen schließen,
Wir sind bereit zum Tod,
Wir sind bereit zum Tod,
Sore hat gerufen! Ja!
(Melodie der italienischen Hymne leicht abgewandelt)
³Die Hymne der Rache
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