"Und, hat dir das Büro des Deputy King auch schon dein Flugticket zugeschickt?" erkundigte sich Issan sehr euphorisch bei Evan.
Der nickte: "Ja, kam gestern."
"Ich bin ja so aufgeregt" quietschte Issan um dann etwas leiser hinzuzufügen, "außerdem vermisse ich eure Nähe und... na ja..."
"Du brauchst mehr Sex" stellte Evan trocken fest.
Issan nickte.
Nun hätten Issan und Evan natürlich auch in Letons Abwesenheit miteinander intim werden können. Aber sie waren sehr schnell übereingekommen, dass das Leton gegenüber unfair wäre und mehr als Kuscheln in dessen Abwesenheit nicht ginge.
Und das Kuscheln für zwei siebzehnjährige Jungen auch nicht ganz einfach ist wenn man nicht weitergehen darf und soll, hatten sie dann auch sehr schnell feststellen müssen.
So beschränkten sie sich auf liebevolle Umarmungen und harmlose Küsse um nicht der Versuchung zu erliegen.
Leton hatte zwar erklärt, dass er soviel Rücksicht nicht erwarten würde, dass sie aber trotzdem soviel Rücksicht nahmen kam mehr als nur gut bei ihm an.
"Bald sind wir volljährig, dann können wir an einen Ort ziehen" tröstete Evan Issan nun.
"Zumindest wenn wir mit der Schule fertig sind und das wird noch dauern, wir sind erst in der Tertia¹" gab Issan zu bedenken, "bis wir mit der Prima² durch sind, haben wir noch mehr als zwei Jahre..."
"Wir könnten für die Secunda³ ein Auslandsjahr am King's College in Angeviniana machen" schlug Evan vor.
"Das ist nicht so einfach da rein zu kommen" hielt Issan dagegen.
"Im Prinzip hast du da natürlich recht" räumte Evan ein, "aber mit Leton und dem Deputy King im Hintergrund dürften für uns andere Maßstäbe gelten."
"Das können wir ja mit Leton besprechen in Ostoria" schlug Issan nun vor.
"Das sollten wir mit Leton besprechen in Ostoria" stimmte Evan ihm zu.
"Aber zunächst müssen wir auf diesen Eleonor aufpassen" wechselte Issan nun das Thema.
"Wen?" konnte Evan ihm nicht folgen.
"Na, den Keizerstader Sängerknaben dessen Talent mein Mator entdeckt hat..." half ihm Issan nun auf die Sprünge.
"Ach stimmt, das ist ja das kommende Wochenende..." fiel es nun auch Evan wieder ein.
"Ist es, ist es" bekräftigte der Silberschopf.

Kurz schwiegen sie, dann kam Evan noch etwas anderes in den Sinn.
"Ach ja, mein Pator will unbedingt mit deinen Ellis reden – und denen von Leton..." meinte er.
"Echt? Wozu das denn?" wunderte sich Issan.
"Er hofft, er könne die davon überzeugen mich nicht mehr abzulehnen nur weil ich sein Sohn ist" erklärte Evan.
"Das Vorhaben ehrt ihn" befand Issan, "aber ob er damit Erfolg haben wird? Gerade bei Letons Eltern habe ich da Zweifel..."
"Ich auch" seufzte Evan, "aber du kannst deine ja schon mal gedanklich darauf vorbereiten..."

***

"Ich glaube so richtig kann ich es erst glauben wenn wir im Flieger sitzen!" hibbelte Eleonor während er und Isadora am Keizer-Trevor-Luchthaven⁴ in Keizerstad darauf warteten, dass ihr Flug nach Sore Stadt zum Einsteigen aufgerufen wurde.
"Wir fliegen" stellte Isadora mit einer gewissen Ehrfurcht fest. Anders als in Sore und in Angevinien waren in Nordens Reike Flugreisen noch immer etwas besonderes.
Schon weil die Distanzen nicht so groß waren und man immernoch selbst längere Fahrten üblicherweise mit dem Zug oder mit dem Auto vornahm.

Kaiser Trevor hatte die von Silistrien eroberten Gebiete, zumindest die Mehrheit von diesen mit silistrischer Bevölkerungsmehrheit, nach seiner Machtübernahme in Nordens Reike ziemlich rasch dem Großfürstentum Silistrien unter Alexej übertragen. 
Da sowohl das Großfürstentum als auch Nordens Reike Teil der neuen Vereinigten Reiche des Nordens waren, deren Präsidium der Hochkönig von Angevinien und der Kaiser von Kitaien innehatte, war es für ihn ohnehin 'linke Tasche, rechte Tasche'.
Das ehemalige Tsarskiymesto hatte dabei allerdings seinen Namen erneut wechseln müssen und zwar von Randorgorod zu Letongrad, zu Ehren des damals frisch geborenen Kronprinzen Leton.

Immerhin aber konnte man jetzt von Keizerstad aus mit dem Zug – oder auch mit dem Auto – bis nach Hanyang und Ksianggang in Kitaien fahren.
Und natürlich auch nach Sore, Lugunia und Ecossia.

Insofern war die Aufregung der beiden Jugendlichen nun nach Sore Urbs fliegen zu dürfen durchaus nachvollziehbar.

Da die Nordens Flygbolschap⁵ auch keine Opertura-Überschallflieger betrieb, dauerte ein Flug von Keizerstad nach Sore Urbs mit dreieinhalb Stunden für sorenische Verhältnisse ziemlich lange.

Für Eleonor und Isadora war das natürlich etwas anderes.
Immerhin flogen sie auch in der B Klasse und nicht in der billigen T Klasse. Folglich gab es Essen auf Porzellangeschirr, Getränke und ein eigener Bildschirm mit Unterhaltungsprogramm für jeden Sitzplatz.
"Wie es wohl ist wenn man dann A Klasse fliegt?" sinnierte Eleonor nachdem er Käseplatte und Dessert verzehrt hatte.
"Wenn du richtig erfolgreicher Sänger wirst, dann kannst du es herausfinden" meinte Isadora, "aber ich glaube auf so kurzen Strecken gibt es sowieso keine A Klasse..."
"Denkst du so jemand wie Isador fliegt viel?" überlegte Eleonor nun.
"Oh, der hat bestimmt ein eigenes Flugzeug" vermutete Isadora, "bestimmt eine Aerion oder so etwas Schickes und Schnelles."
"Bestimmt hat er das..." sinnierte Eleonor.

Schon den Abend zuvor hatte Issan die eine Hälfte seiner Amoamicons⁶, nämlich Evan, ganz offiziell zum Abendessen mit nach Hause gebracht.
Zu behaupten das Evan aufgeregt war, wäre die Untertreibung des Jahres gewesen.
Aber er hatte seine Hausaufgaben gemacht und das zeigte sich schon, als Issan ihn seinen Eltern vorstellte.
"Mator, Pator, ich präsentiere euch einen meiner Amoamicons⁶, sagt willkommen zu Evan Rurikawitschi ab Apollam" verkündete er etwas übertrieben theatralisch während er Evan seinen Eltern entgegenschob.

Der verbeugte sich tief und das zuerst vor Isador.
"Vosta Augusteem Maiestaem" begrüßte er ihn und dann erst wandte er sich Trevastan zu, vor dem er sich ebenso verbeugte, "...e Vosta Numeen..." titulierte er auch diesen sehr höflich bevor er dann fortfuhr: "...honoria magna ese per mei ad es convivion in Vostai domus e ad Vostai tavolon."⁷

Issan war verblüfft. Noch nie hatte er mitbekommen, dass jemand seinen Mator als 'Vosta Augusteem Maiestaem' adressierte und vor seinem Pator begrüßte. 'Vosta Celsuseem' war die übliche Anrede für einen Uxvir und natürlich wurde dieser nach seinem Virion begrüßt.
Doch zu seiner Überraschung sprach nun Anerkennung aus den Blicken welche seine Eltern auf seinen Freund richteten. Anscheinend wusste Evan etwas, das er selbst nicht wusste und hatte sein Wissen sehr geschickt angewandt.

Das verdankte er Terastan. Dieser hatte seinen Sohn sehr gut vorbereitet und sich sehr wohl an die Begegnung von Isador und dem Divinimperator Ieran ab Iovan erinnert nachdem Ersterer ihn auf der berühmten Party in Montalvia niedergezwungen hatte.
Dort hatte Ieran Isador ebenso adressiert und so hatte er seinem Sohn geraten Isador vor Trevastan zu begrüßen und diese Anrede zu verwenden.
Evan war, ohne dass er die Hintergründe kannte, schlau genug gewesen diesem Rat zu folgen.

Mit einem ehrlichen Lächeln begrüßte nun auch Isador den Freund seines Sohnes: "Mostendividuxam Evan Rurikawitschi ab Apollam, nos gauderos semper de cognoscer uno dos amoamicons do nosso filion."⁸

Das war der Moment in dem Evan wusste, dass er es geschafft hatte und im fiel ein solcher Stein vom Herzen, dass es erstaunlich war, dass niemand dessen Poltern vernahm.
Als dann aber Trevastan sagte "Mein lieber Nepoton⁹ Evan, willkommen nicht nur in unserem Domus¹⁰, sondern auch in unserem Casa¹¹ und als Teil unseres Casas bitten wir dich uns mit Patruon¹² Trevastan und Conpatruon¹³ An-Isadur anzureden" war endgültig klar, dass Issans Eltern ihn akzeptieren werden.
"Danke meine Patruones" erwiderte Evan, "das bedeutet mir wirklich sehr viel."
"Wir wissen, dass du Issan viel bedeutest" erklärte nun Isador, "und da uns unser Sohn viel bedeutet, bedeuten uns auch seine Freunde viel."
Ehe nun peinliches Schweigen ausbrechen konnte, intervenierte Issan flapsig: "Sooo, das reicht jetzt mit den Förmlichkeiten, setzt euch zu Tisch bevor ich anfange mich fremdzuschämen..."

Evan zumindest war heilfroh nun an Issans Seite fliehen zu können. Erst als er sass, merkte Issan wie sehr aufgeregt er war. Seine Beine zitterten und schlugen immer wieder unwillkürlich gegen die von Issan. Beruhigend legte der nun eine Hand auf Evans Oberschenkel dann flüsterte er ihm ins Ohr: "Beruhige dich, du hast es geschafft. Das lief besser als erwartet. Auch wenn du mir noch verraten musst wie du auf die Anrede für meinen Mator gekommen bist..."
Den letzten Satz hatte er doch lauter geflüstert als beabsichtigt, denn sein Mator kicherte jetzt: "Dazu wird ihm jemand geraten haben. Die Hintergründe wird er genauso wenig kennen wie du..."
"Wer jemand?" erkundigte sich Issan natürlich sofort.
"Mein Bruder" erklärte Trevastan, "wer sonst? Die Zahl der Leute die dabei waren ist sehr überschaubar. Und die Zahl derjenigen davon, die deinen Freund hier dazu geraten haben könnte ist noch geringer..."
"Wobei denn dabei waren?" gab sich Issan unverholen neugierig.
"Die in der Nacht dabei waren, als dein Mator den Divinimperator dazu brachte sich ihm zu beugen, so wie du es kürzlich mit Taeran und Ivan gemacht hast. Nur richtig" erzählte Trevastan nun.
Während die Jungen nun große Augen machten, erkundigte sich Isador wie als wenn nichts dabei wäre: "Trinkt einer von euch einen Irepo?"
Evan fasste sich schneller wieder als Issan und antwortete freundlich: "Ja, sehr gerne Conpatruon."
"Äh... Irepo... ja auch" stammelte Issan und dann konnte er nicht länger an sich halten: "Du hast den Divinimperator unterworfen?"
Isador war das sichtlich unangenehm und so wich er aus: "Du hörst doch was dein Pator erzählt..."
"Also mir hat mein Pator zu der Anrede geraten" bemerkte nun Evan, "aber er hat mir nicht gesagt wieso – und ich hab mich auch nicht getraut nachzufragen..."
"Das war sicherlich auch besser so!" kam es nun von Isador.
Kurz ließ dieser nun seine Macht aufblitzen und Evan der damit keinerlei Erfahrung hatte wäre beinahe von Stuhl gerutscht um auf die Knie zu gehen. Issan hingegen stemmte sich dagegen und seine Augen begannen zu funkeln ähnlich wie die seines Mators.
Trevastan hingegen spürte sie sehr wohl, dachte aber garnicht daran klein beizugeben sondern erzählte munter weiter: "Mit der Anrede als 'Vosta Augusteem Maiestaem' haben Eius Numeen Sublimeen damals zum Ausdruck gebracht, dass er die überlegenen Fähigkeiten deines Mators anerkennt..."
Er erntete eine bösen Blick von Isador, der sich aber zurück hielt, da er erkannte, wie sehr es Evan zusetzte der nur noch durch einen sehr entschlossenen Griff von Issan davor bewahrt wurde förmlich unter dem Tisch zu liegen.
"Nun wisst ihr es" erklärte Isador, "ich wäre euch aber sehr verbunden, wenn ihr das für euch behaltet."
"Oh, natürlich" versicherte ihm Evan, "ich wäre ja verrückt wenn ich mir dich zum Feind machen würde!"
"Nun ja, du bist verrückt genug eine Beziehung mit meinem Sohn und Kronprinz Leton zugleich anzufangen" erwiderte Isador, musste dann aber doch grinsen.
"Übrigens gehen wir davon aus, dass auch Issan irgendwann über diese Kräfte verfügen wird" schmunzelte jetzt Trevastan, "sage also nicht, du wurdest nicht gewarnt..."
"Ach, ist das so schlimm mit mir?" erkundigte sich jetzt Isador mit einem gut gespielten Schmollen.
"Furchtbar" erwiderte Trevastan mit einem ebenso gut vorgetäuschten Ernst, "zum Glück muss ich das ja nur noch sechs- bis siebenhundert Jahre ertragen..."
Sichtlich irritiert schaute Evan nun zwischen den Beiden hin und her.
Anders als Issan durchschaute er nicht was da Ernst und was nur Rumalbern war. Doch der ließ seinen Freund nicht im Stich: "Lass dich nicht verarschen von denen, das machen die gerne..."
Dann erst wurde ihm klar, was er da gerade erfahren hatte: "Wartet, ich werde diese Kräfte auch haben? Wann? Und wie?"
"Wirst du" bestätigte ihm sein Pator und sein Mator ergänzte: "Vermutlich dann wenn du dich mit einer – oder mehreren? – Personen verbindest die du liebst."
"Aber du warst kein Divinoble als du dich verbunden hast" wandte Issan nun ein
"Das stimmt" bestätigte ihm Isador da, "aber um ehrlich zu sein, wir vermuten, dass alles – oder zumindest vieles – was wir über Divinobles und über die Verbindungen von Divinobles miteinander wissen bei dir nicht zutrifft."
"Was meinst du damit?" fragte nun Evan der ihrem Gespräch aufmerksam gefolgt war.
"Nun, womöglich kann Issan sich binden lassen ohne seinen Geschlecht zu ändern" erwiderte Isador, "und niemand weiß was überhaupt passiert wenn ein Divinoble sich von zwei anderen Divinobles binden lässt."
"Was macht mich anders, was macht dich anders?" wollte Issan nun wissen.
"Das Erbe der Götter" erwiderte ihm Trevastan nun.
Worauf Issan verwundert nachfragte: "Welches Erbe von welchen Göttern?"

¹in etwa 12. Klasse
²14. Klasse
³13. Klasse
⁴Kaiser-Trevor-Flughafen
⁵Nordensche Luftfahrtgesellschaft
⁶feste Freunde
⁷Eure hoch erhabene Größe und Hoheit und Eure Erhabenheit, es ist mir eine große Ehre Gast sein zu dürfen in Eurem Haus und an Eurer Tafel.
⁸Erzherzogssohn Evan Rurikawitschi von Apolla, wir sind immer erfreut einem der festen Freunde unseres Sohnes kennenzulernen.
⁹Neffe
¹⁰Haus (Gebäude)
¹¹Haus (die Familie)
¹²Onkel, väterlicherseits
¹³angeheirateter Onkel