#20 Verloren
Auch die Anderen hatten die andere Yacht erspäht. Und erkannt.
"Das ist doch die 'Amman'¹ von der A Coniunction Velificatiam Egussia²!" brüllte Taeran sehr laut.
"Einholen, Einholen. Einholen!" riefen Issan, Evasan, Taeran und Ivan nun im Chor.
"Holla, die scheinen nicht beliebt zu sein" stellte Leton fest.
"Nein, nicht bei uns Divinobles" erwiderte ihm Evan, "die CVE steht politischen Strömungen nahe welche die Stellung der Divinobles im sorenischen Staat kritisch sieht. Erst kürzlich kam da die Forderung auf, die Divinobles sollten alle 50 Jahre eine 15 prozentige Vermögensangabe zahlen, weil die ja so selten Erbschaftssteuer zahlen müssten..."
"Oh, das kam sicher nicht gut an" verstand Leton die Grundlagen der Abneigung sofort.
Tatsächlich näherte sich die Vexillunia nun immer mehr der Amman an. An deren Bord hatte man die Vexillunia natürlich auch schon bemerkt und setzte alles daran nun mehr Fahrt zu machen.
Selbst wenn sie aber noch nicht bemerkt hätte, starteten Issan, Ivan, Taeran und Evasan nun eine Aktion, welche ihnen die Aufmerksamkeit nicht nur der Amman auf alle Fälle sicherte.
Mit Megafonen bewaffnet traten sie nun an die Reeling und dann erscholl ein Spottlied über die Wellen des Mariungo:
"Nos esos los filions do Bulan, heia hoho
E vellos veller con mortalans, heia hoho!
Rapidam! Audaxam!
Asedes in ipos las flammas!"³
"Das ist aber schon ziemlich provokant" stellte Leton fest, während er das Steuerrad fest umklammerte um die Vexillunia so hart am Wind zu halten wie nur irgend möglich.
Was ihm offensichtlich sehr gut gelang, denn sie holten immer weiter auf.
Doch die Besatzung der Amman, zufälligerweise alles ebenfalls Jungen im selben Alter, ließen das natürlich nicht auf sich sitzen.
So versammelten sie sich am Heck ihres Schiffes und schmetterten zurück:
"Cuam Ascur fod' e Emla nerve, heia hoho
Ubi esve nam lo Libulan? heia hoho!
Rapidam, l'impeteres
Vex' do Libertion preportares!"⁴
"Ascur und Emla sind dieselben wie bei uns Askon und Embla?" hatte Leton nun eine Frage zum Verständnis
"Ja" bestätigte ihm Evan, "das sind die sagenhaften ersten Menschen..."
"Oh, sowas trauen die sich zu singen?" staunte Leton der sich nicht sicher war ob sich jemand dergleichen gegen die herrschenden Klassen in Angevinien erlauben könnte. Zumindest nicht ohne unerfreuliche Folgen...
"Wir sind ein freies Land" erwiderte Evan achselzuckend.
Deswegen setzen Issan, Ivan, Taeran und Evasan auch gleich zu einer Erwiderung an:
"Wir wollen nur immer unser göttliches Recht, heia hoho
Denn wir sind Erste, ihr seid Knecht, heia hoho!
Schnell voran! Drauf und dran!
Setzt auf ihren Kahn den roten Hahn!"
Inzwischen war der Bug der Vexillunia gleichauf mit dem Heck der Amman.
Dann allerdings fielen Wellen ein und ob diese nun die Querkräfte für die Amman so sehr erhöhten oder deren Steuermann die Sache im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Ruder liefen war im Nachhinein nicht mehr festzustellen, jedoch schlug die Amman quer.
Und das dergestalt, dass der Bug der Amman nach Porlatun⁵ ausbrach und somit direkt in den Kurs der Vexillunia kreuzte.
Weder Evan noch Leton hatten auch nur den Hauch einer Chance einzugreifen.
"Festhalten!" brüllten Taeran und Evan unisono während Evan nun Leton am Steuerrad beisprang.
Dann traf die Vexillunia auf Backbord der weit nach Steuerbord krängenden Amman.
Das hässliche Geräusch berstenden Kunststoffes war zu hören, dann wurde die Amman zur Seite gedrückt und von der Vexillunia mitgerissen, auch weil sich deren unteren Rahen der Takelage der Amman verfangen hatten.
Anders als die Amman bestand die Vexillunia aus Xylocarbon und nahm keinerlei Schaden durch den Zusammenprall, die Amman hingegen hatte nun ein enormes Leck in welches das Wasser infolge des Mitreißens durch die Vexillunia nun förmlich hineingepresst wurde.
Taeran reagierte schnell und strich das Trahenvelun während Evan den Motor startete und auf volle Kraft zurück stellte.
So verlor die Vexillunia rasch an Fahrt und kam in einem großen Bogen nach Steuerbord schließlich zu Stillstand.
Das Schicksal der Amman war jedoch besiegelt. Unaufhaltsam strömte nun das Wasser des Mariungo in deren Rumpf.
Fassungslosigkeit und Schock spiegelten sich in den Mienen der sechs sorenischen Jungen an Bord.
"Los, Los, klettert zu uns!" schrie Evan nun, "euer Boot wird sinken!"
Das sah nun auch der Schiffsführer der Amman so, denn er kreischte nun leicht hysterisch: "Alle Mann von Bord, rette sich wer kann!"
Vier von ihnen waren schlau um nun auf die längsseits liegende Vexillunia hinüber zu klettern, zwei aber, drunter deren Schiffsführer selber, sprangen ins salzige Nass des Mariungo.
Inzwischen hatten sich Taeran und Leton mit großen Schiffsmessern ausgestattet und zerschnitten und zerhackten damit die Takelage der Amman bis diese sich von der Vexillunia löste.
Mit langsamer Fahrt zurück löste Evan nun sein Schiff von dem Wrack des anderen Bootes.
Kaum aber, dass sie sich getrennt hatten, bekam die Amman immer mehr Schlagseite nach Backbord bis sie dann mit der Spitze ihres Großmastes auf die Wasseroberfläche aufkam und sank.
Mit vereinten Kräften hatten Issan und Ivan den beiden im Wasser treibenden Besatzungsmitgliedern der Amman nun Rettungsringe zugeworfen.
Nachdem die Jungs diese erreicht haben, zog man sie mit vereinten Kräften zur Vexillunia wo Taeran eine Strickleiter hinabließ an welcher sie nun hinauf in Sicherheit klettern konnten.
Just in diesem Moment verschwand die Amman mit einem letzten, lautstarken Entweichen von Luft von der Wasseroberfläche.
"Da ist die Sonne jetzt wohl untergegangen" kommentierte Ivan spöttisch, angesichts der äußerst bedröppelten Mienen der sechs Menschenjungs hatte aber sogar dann er Mitleid und erkundigte sich: "Ihr seid doch versichert?"
"Ja schon" barmte nun der Schiffsführer des gesunkenen Bootes, "aber meine Eltern bringen mich um, oh, das gibt Jahrhunderte Hausarrest..."
"Das hättet ihr euch vielleicht vorher überlegen sollen" merkte Evasan nun etwas spitz an.
Nachdem er mit Leton die Kollisionsflagge gehisst und das Magnuvelun eingebracht hatte, begab sich Evan nun mit diesem zu den an Bord genommenen Schiffsbrüchigen.
"Ich bin Evan Rurikawitschi ab Apollam, der Ductor naveam der Vexillunia und das ist mein Steuermann Prinz Liang Taejeom Leton ab Somnia e Oceania" stellte er sie beide vor.
"Ach du Scheiße" kam es da vom Steuermann der Amman, "wir haben denen von ganz oben ans Bein gepisst, wir sind sowas von erledigt..."
"Das mag sein, trotzdem wäre es schön wenn ihr ein paar Namen für uns hättet bevor ihr gänzlich im Selbstmitleid zerfließt..." konterte Evan nun eher amüsiert als mitleidig.
"Ich bin Lorenur" erklärte der Schiffsführer des gesunkenen Bootes nun und schob gleich leicht aggressiv hinterher, "und ich habe eine Freundin!"
Es war sehr klar, was er damit sagen wollte und so meinte Issan nun spöttisch: "Was du nicht sagst, stell dir vor, ich habe auch eine Freundin..."
Das verstand Lorenur jetzt aber anders als Issan es gemeint hatte, entsprechend verdattert schaute er nun drein.
Sein Steuermann stellte sich nun auch vor: "Ich bin Mercur."
"Und, hast du auch eine Freundin?" erkundigte sich jetzt Taeran sofort.
Mercur schüttelte den Kopf worauf Ivan lachend fragte: "Hättest du denn gerne eine?"
"Ich... ähh.." stotterte Mercur jedoch nur.
"Keine Sorge" beruhigte ihn Leton nun, "wir fallen jetzt nicht über dich her nur weil du dir eine Freundin nicht vorstellen kannst.... Oder weil du dir auch einen Freund vorstellen könntest..."
Mercur wurde nun ziemlich rot, grinste aber dennoch verlegen.
"Oh, er ist knuffig" freute sich nun Ivan, "kann ich ihn behalten? Ich habe ihn schließlich aus dem Wasser gefischt..."
"Frag ihn doch einfach?" schlug Nathon nun vor.
"Die Frage ist eh jetzt wohl, was wir nun machen" wandte Taeran nun ein.
"Wir warten auf die Vigilia de Mare⁶" beantwortete Evan nun diese Frage, "die sichert unsere Kameraaufnahmen und nimmt die Schiffsbrüchigen mit. Dann segeln wir weiter ins Mare Nosteram..."
In einer so dicht besiedelten und stark befahrenen Meerenge wie dem Mariungo war der Zusammenstoß der beiden Segelyachten natürlich nicht unbemerkt geblieben und so dauerte es nicht lange bis eines der grellblauen Schnellboote der Vigilia de Mare⁶ herangebraust kam und dann längsseits ging.
Zwei sehr geschniegelt wirkende Amtspersonen in Uniform, ein Mann und eine Frau, kamen nun an Bord der Vexillunia um den Unfallhergang aufzuklären.
Zumindest war das sicherlich ihre Absicht bis sie sich die sehr illustre Gruppe an Bord des Schiffes vergegenwärtigt hatten.
Interessanterweise schienen alleine die Personalien von Leton, Evan und Issan ungeheuerlich zur Aufklärung des Sachverhaltes beizutragen.
Denn die Beiden von der Wasserschutzpolizei sahen nun nur kurz durch die Kameraaufnahmen der Vexillunia, zogen sich eine Kopie derselben und kamen dann rasch zu dem Schluss, dass das ganze wohl ein Unfall war, der durch das querschlagen der Amman verursacht worden war.
Lorenur murmelte zwar noch was von "Divinobles-Bonus", traute sich aber auch nicht offen etwas dagegen auszusagen.
In der Zwischenzeit hatte Ivan tatsächlich Mercur in Beschlag genommen und – direkt wie er war – hatte ihn gefragt ob dieser nicht mit ihnen den Ausflug ins Mare Nosteram machen wolle.
Mercur hatte nicht sofort abgelehnt, vielmehr hatte er gefragt: "Und was sind da deine Hintergedanken bei diesem Angebot?"
"Ich würde dich gerne näher kennenlernen" lautete Ivans offene Antwort, "und natürlich habe ich die Hoffnung, dass daraus eine Freundschaft oder vielleicht mehr entsteht. Aber ich kenne dich seit nicht einmal einer halben Stunde und habe keine Ahnung wer du wirklich bist..."
"Ich gefalle dir also zumindest vom Aussehen?" vermutete Mercur.
"Das stimmt" bestätigte Ivan ihm, "aber ich bin niemand der auf ein schnelles Abenteuer aus ist. Nur falls du da Befürchtungen hast..."
"Ich habe viel zu wenig Ahnung um Befürchtungen zu haben" erklärte Mercur nun und rollte dabei lustig mit den Augen, "ich bin gerade mal achtzehn..."
"Dann hätten wir das" verkündete die Beamtin der Vigilia de Mare nun, "ich gehe davon aus, dass wir die Besatzung der Amman nun zurück an Land mitnehmen?"
"Ja, das wäre uns fraglos sehr angenehm" bestätigte Lorenur ihre Vermutung und die anderen vier Jungs machten sich sofort daran an Bord des Polizeibootes zu wechseln.
Nur Mercur kann nicht.
Also rief Lorenur nach ihm: "Mercur! Mercur?"
Er erntete jedoch keine Reaktion.
Also brüllte er: "Mercur Banquo!"
Nun wandte Mercur seinen Blick von Ivan ab und drehte seinen Kopf in Richtung desjenigen der seinen Namen gerufen hatte.
"Ja?" erkundigte er sich nicht übermäßig interessiert.
"Kommst du?" fragte ihn Lorenur, "wir können hier weg. Zum Glück!"
"Moment..." hielt Mercur ihn hin und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Ivan.
"Ich bin ehrlich, über Typen wie dich, wie euch hier auf dem Boot, hat man mir bisher eher nicht so viel gutes erzählt..." meinte er nun zu dem Bunthaarigen.
"Das ist schade..." seufzte Ivan.
Doch Mercur schüttelte sanft seinen Kopf und mit einem feinen Lächeln fuhr er fort: "...aber vielleicht ist das hier meine Chance mir ein eigenes Bild zu machen."
Erneut wandte er sich Lorenur zu: "Geht ihr schon mal, ich bleibe noch ein bisschen hier. Ivan hier scheint ganz nett zu sein und hat mich eingeladen."
Das war definitiv nicht die Antwort mit der Lorenur gerechnet hatte und ganz sicher nicht diejenige die er hören oder gar akzeptieren wollte.
"WAS?" brüllte er, "du willst hier bleiben? Bei solchen?"
"Ja" bestätigte Mercur schlicht.
"Geh besser mit" wisperte Ivan ihm besorgt zu, "nicht, dass du dich mit deinen Freunden verstreitest."
"Wenn du jetzt hier bleibst" fauchte Lorenur da aber schon los, "dann bist du nicht mehr mein Freund. Dann kenne ich dich nicht mehr. Mit jemandem der mit solchen sich abgeben will werde ich es nicht tun!"
Ganz langsam erhob sich nun Mercur und machte ein paar Schritte auf Lorenur zu.
Sehr traurig sah er ihn an und mit hörbarem Schmerz in der Stimme sprach er zu ihm: "Wenn dir das schon ausreicht um mir die Freundschaft aufzukündigen, dann kann es um unsere Freundschaft schon vorher nicht gut bestellt gewesen sein.
Nach deinen Worten ist es egal ob ich jetzt mit dir komme oder hier bleibe, denn ich sehe nicht, dass sich unsere Freundschaft davon so schnell oder überhaupt erholen kann."
Lorenur wurde blass wie eine frisch gekalkte Wand. Aber nur kurz, dann lief er vor Wut rot an.
"Das wirst du bereuen, Mercur Banquo!" drohte er nun, dann machte er kehrt und begab sich auf das Polizeiboot.
"Kommt, wir gehen, wir haben hier nichts mehr verloren" kommandierte er die anderen vier Jungen.
Mercur hingegen stand da mit hängenden Schultern und sah ihm nach, bis Ivan an ihn herantrat und ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter legte.
"Doch" flüsterte er dann, "er hat hier etwas verloren. Aber das weiß er einfach nicht zu schätzen..."
¹Sonne
²Segelsportverein Sonne (CVE)
³Wir sind des Bulans stolze Söhne, heia hoho
Und wollen mit den Mortalejern raufen, heia hoho
Schnell voran! Drauf und dran!
Setzt auf ihren Kahn den roten Hahn!
⁴Als Ascur grub und Emla spann, heia hoho
Wo war denn da der Libulan? heia hoho
Schnell voran, greift sie an
Der Freiheit Banner tragt voran!
⁵Backbord
⁶Wasserschutzpolizei
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