#174 Wehklage
Zu Isadoras Erstaunen war Emeran weder mit dem eigenen Wagen da, noch stand irgendwo einer mit Fahrer für ihn bereit.
Emeran bestellte einen Omer, sogar einen selbstfahrenden, also einen ohne Fahrer.
Als sie dann in dem Wagen saßen, wollte Isadora gerade einen leicht spöttische Anmerkung zu so viel Bescheidenheit bei einem Divinoble machen, da fiel ihrem Bruder aber just in dem Moment ein, dass er noch eine Frage hatte.
"Woher wusstest du eigentlich, dass Gaston dem Eleonor sein Zeug da noch nicht gegeben hatte?" lautete diese.
"Du meinst woher ich wusste, dass Eleonor noch nicht gebunden war?" erwiderte Emeran.
"Ja genau" bestätigte Amor.
"Als Divinoble merkt man das" erklärte Emeran, "ein gebundener Mann, also ein Uxvir, ist in der Lage Botenstoffe zu produzieren. Und auch wenn die in den meisten Fällen auf alle anderen Divinobles und Uxvirs keine Wirkung haben, können diese ihre Existenz wahrnehmen."
"Also ein Uxvir riecht für andere Divinoble nach 'ist schon besetzt'?" erkundigte sich Isadora milde entsetzt.
"Ist das abschreckend oder eher abtörnend oder wie muss ich mir das vorstellen?" war Amor nun neugierig.
"Nein. Weder können wir daran erkennen wer genau dessen Virion ist – also kann es auch keine Furcht vor diesem auslösen – noch ändert es etwas daran ob und wie sehr wir diesen Menschen anziehend finden" erläuterte Emeran nun, "also ein Divinoble kann auch Gefühle oder Verlangen für den Uxvir eines anderen entwickeln. Leider..."
"Leider?" stellte Isadora fest, "das klingt so, als hättest du damit Erfahrungen gemacht..."
Einmal mehr färbten sich Emerans Wangen rosig. Mit einer Stimme die mehr Coolness suggerierte als er gerade hatte, entgegnete er: "Und wenn dem so wäre?"
"Echt?" begeisterte sich Amor, "erzähl, wann war das? Wer war es?"
Isadora war nicht so davon überzeugt, dass das Begehren ihres Bruders jetzt so angemessen und für Emeran angenehm war, also intervenierte sie mahnend: "Ich denke nicht, dass das Thema bei Emeran so eine große Begeisterung hervorruft..."
"Oh..." machte Amor und klang sichtlich enttäuscht, schaute aber dennoch Emeran mit bittenden Welpenaugen an.
"Ach, es ist ja nicht so, dass etwas passiert wäre für das ich mich peinlich wäre" meinte Emeran, "aber es gibt schon einen Grund warum ich mich so lange von gesellschaftlichen Ereignissen ferngehalten habe und in meinem Alter immernoch keinen Gefährten gefunden habe..."
"Du hattest dich in den Uxvir eines anderen verliebt!" entfuhr es Amor aufgeregt.
"Der Kandidat bekommt hundert Punkte" entgegnete Emeran leicht sarkastisch.
"Wer war es... ist es?" Amor tat sich schwer seine Neugierde zu zügeln.
"Sagt euch der Name An-Taetsin etwas?" tastete sich Emeran nun vorsichtig an das für ihn doch etwas unerquickliche Thema heran.
"Der Uxvir von Meran ab Martiam?" war Isadora überrascht. Amor war es ebenso: "Der Uxvir des Supremator Militaris?"
"Eben der" seufzte Emeran.
Worauf Isadora bewies, dass auch Frauen durchaus in der Lage waren es an jeder Feinfühligkeit missen zu lassen.
"Der ist doch bei der Holite, warum hast du nicht bei denen mitgemacht?" sprach sie, "da wärst du sicherlich mal zum Schuss gekommen..."
Fassungslos schauten Emeran und Amor sie an. Dann zeterte ihr Bruder los: "Sag mal spinnst du? Der war in den verliebt und nicht nur auf einen Fick aus! Und du haust hier einfach so etwas raus!"
Voller Schuldbewusstsein sah Isadora nun aus dem Fenster des Wagens, wollte gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, als Amor etwas anderes einfiel.
"Du warst doch in ihn verliebt?" fragte er voller Besorgnis, "oder bist du es noch?"
"Ich wäre wohl kaum jetzt hier..." erwiderte Emeran, unterbrach sich dann aber selbst.
"Das ist die Party des neuen Divinimperators" begann er nochmal, "also ich wäre schon auch hier, wenn ich noch....
...aber nein, ich hätte mich anders verhalten... Ich würde nie so wie mit dir, wenn ich mir nicht sicher wäre über ihn hinweg zu sein...
Ich meine, ich habe nie versucht ihm nahe zu kommen. Ich bin ja kein Pragoman!"
"Besser ist das!" erklärte Isadora in einem warnenden Tonfall.
Amor sagte nichts. Aber er griff vorsichtig nach Emerans Hand. Und als er sie hatte, drückte er sie fest, aber nicht zu fest.
Dann aber war er doch wieder neugierig: "Was ist denn ein Pragoman?"
"Wer, nicht was" erwiderte Emeran.
"Pragoman war also eine Person" schlussfolgerte Isadora, "ein Divinoble nehme ich an?"
"Richtig" bestätigte Emeran, "zu Beginn der Regierungszeit von Divinimperator Ieran lo Liberator¹, lange bevor Sore das Leix Basic bekam und alle die Grundrechte, Freiheiten und Mitbestimmungsmöglichkeiten die wir heute so haben, da wurde das Imperion vom Senat regierten und vor allem vom Dugon, der Hand des Divinimperators. Zu dieser Zeit begab es sich, dass Pragoman ab Apollam vom frisch gekrönten Divinimperator in das Amt des Dugon berufen wurde.
Zu jener Zeit expandierte Sore zum ersten Mal über den Antautischen Ozean, eroberte die Gebiete die wir heute als Nova Beria kennen. Es war also durchaus eine Zeit der Veränderungen und des Umbruches.
Pragoman, der später den Beinamen lo Raccondo² bekommen sollte, war nicht unbedingt der geeignetste Mann um die Regierung des Imperions in einer solchen Zeit zu führen.
Ihn interessiert vor allem der Erhalt und die Mehrung seiner Macht, dazu kam, dass er verschlagen war und extrem mißtrauisch.
Er überzog das ganze Reich mit einem Spitzelsystem dem der Rat der Zehn vorstand, welcher mit zehn Gefolgsleuten Pragomans besetzt war und den ihr euch als eine Mischung aus Sondergericht und Geheimdienst vorstellen könnt.
Dieser Pragoman verliebte sich eines Tages – sofern er überhaupt in der Lage war zu lieben – in einen wunderschönen Jungen, welcher aber schon einem anderen Divinoble, nämlich meinem Patruon³ Elan, versprochen war.
Da mißbrauchte Pragoman seine Macht und die von ihm geschaffenen und beherrschten Institutionen um sich meines Onkels zu entledigen. So dann zwang er dem jungen Taorminur, so hieß der nämlich, sich mit ihm zu verbinden.
Als Uxvir dann An-Taorminur genannt bekam er sogar einen Sohn mit Pragoman.
Das war Teomastan ab Apollam und der war der Pator unseres gegenwärtigen Divinimperators.
Irgendwann jedoch wurde ruchbar, dass Pragoman für die Ermordung eines Divinobles verantwortlich war.
Ieran lo Liberator blieb wenig anderes übrig als in durch den Rat der Zehn verurteilen zu lassen. Der verurteilte ihn zum Tode und Ieran zögerte nicht, das Urteil vollstrecken zu lassen.
Der unglückliche Taorminur aber, den zu lieben zwei Divinobles das Leben gekostet hatte, begann ohne das Divinpotion von Pragoman wieder zu altern. Er starb einsam auf Caprae wohin sein eigener Sohn, Teomastan, der seinem Mator die Schuld für den Tod seines Pators gab, ihn verbannt hatte.
Seitdem ist der Name Pragoman ein Synonym für das verhängnisvolle, egoistische Verhalten wenn man ihn einen anderen, der schon vergeben ist, verliebt ist..."
"Wenn man Trevastan so erlebt, kann man sich garnicht vorstellen, dass so jemand dessen Großvater war" merkte Isadora nun an.
"Wenn man allerdings dessen Bruder Terastan früher erlebt hat, dann kann man sich das sehr gut vorstellen" entgegnete Emeran ihr.
Amors Gedanken waren ganz woanders. "Der arme Taorminur" raunte er ergriffen, "hat er deinen Onkel geliebt? Hat er diesen Pragoman geliebt?"
"Um ehrlich zu sein" antwortete Emeran ihm, "wir wissen es nicht. Damals wurden Menschen nicht nach ihrer Meinung oder ihren Gefühlen gefragt, wenn Divinobles sich für diese interessierten. Aber dass er mit Pragoman einen Sohn hatte, ist ein Indiz dafür, dass er sich zumindest mit Pragoman als seinem Virion arrangiert hatte. Denn die Mitwirkung dazu, kann man nicht erzwingen..."
"Wäre das dann nicht auch ein Indiz dafür, dass Pragoman ihn wirklich geliebt hat?" warf Isadora nun ein.
"Möglich" meinte Emeran, "Taorminur kam allerdings aus ärmsten Verhältnissen. Er war womöglich auch einfach nur ein Opportunist..."
"Woher weißt du das?" wollte Amor nun wissen.
"Mein Onkel hat Taorminur im Atelier meines Vaters kennengelernt, der Junge diente dem als Aktmodell" erklärte Emeran woher er das wusste.
"Taorminur" überlegte nun Isadora, "irgendwo her kenne ich den Namen..."
"Vermutlich über Eleonor" erwiderte Emeran ihr, "Lo lamento do Taorminur ist eine sehr berühmte Canote aus dem Melodrama 'Le Puer Taorminur'."⁴
An-Tinur hatte Evasan hinausbegleitet, da diesem nach frischer Luft war.
Doch dann war jener auf einer Bank neben ihm sitzend und an ihn gelehnt eingeschlafen.
Lillian, welchen das schlechte Gewissen zwischenzeitlich schwer erfasst hatte, hatte sich auf die Suche nach seinem Uxvir gemacht.
Und traf ihn schließlich draußen vor der Tür an, seinen Arm liebevoll tröstend um dem entschlummerten Evasan gelegt.
Da loderte sie wieder auf in Lillian, seine alte Freundin, die Eifersucht.
Für die dieser doch so wenig Anlass hatte wie An-Tinur viel Anlass für Selbige hätte haben können.
"Was macht ihr hier?" ging Lillian ihn sogleich an, "was machst du hier?"
An-Tinur sah ihn nur an. Nicht strafend, nicht verächtlich und auch nicht hassend. Mitleidig sah er auf zu seinem Virion.
Und dann sang er leise die berühmte Arie aus 'Le Puer Taorminur' über die sich drei andere Personen in einem sich von dem Ort an dem er sich gerade befand rasch entfernenden Wagen wenige Minuten vorher noch unterhalten hatten.
"Ese la usilta fabula do l'amo
Lo pauperon ragation vellve ipa fabuler"⁵ sang er leise und doch eindringlich und deutete dabei mit dem Kopf auf Evasan. Dann fuhr er mit zunehmend anklagender Stimme fort:
"E ip'obdormiscerve
Ese in dormion l'elablion
Come ip'invidetero!
Sette igo mallto dormir itapere
In somnion reperiro l'elablion admeno
La pace solo igo vello quaerer
Vellto posserto tutto elaber!
Sed quisqu'operma'se frustram
Igo avo semper anto mei
Lo dulcis sembion ab tei
La pace ese abcepterse de mei
Cur igo malunaro itatun?
Tuo! Loquies adhuc ad mio cor
Fatalis vision, tuo desereres mei
Mei vulnerares itapere! Ahime!..."⁶
Fassungslos starrte Lillian hinab auf seinen Uxvir. Noch nie in den vielen Jahren seines Daseins hatte jemand ein Lied so sehr passend für eine Situation gefunden wie An-Tinur gerade jetzt.
Alles passte vom vor Liebeskummer erschöpft eingeschlafenen Evasan bis hin zu der Tatsache, dass sein Uxvir litt und ihn selbst die Schuld dafür traf.
Langsam sank Lillian auf die Knie, senkte seinen Kopf.
Dann brach es aus ihm hervor:
"Bitte verlasse mich nicht! Ich ertrage das nicht. Ich habe schon so viele gehen sehen, die mir wichtig waren. Du weißt nicht wie das ist, wenn man alle ziehen lassen muss, die man je geliebt hat. Wenn du gehst, dann weiß ich nicht was ich tue..."
"Ich weiß nicht wie das ist?" empörte sich An-Tinur nun aber, "wer wenn nicht ich sollte wissen wie das ist? Alle die ich geliebt haben und die mir von Bedeutung waren sind längst nur noch Schatten der Vergangenheit. Denn anders als du hatte ich nicht die Freiheit neue zufinden welche die Leere füllen könnten, welche Bedeutung für mich erlangen konnten. Du weißt nicht was du dann tust? Wie wäre es einmal darüber nachzudenken wann es lange genug ist?"
"Du wirfst mir immernoch Fernan vor?" war Lillian nun betroffen, "ich habe ihn geliebt, ich habe ihn wirklich geliebt."
Spitz konterte An-Tinur nun: "Vielleicht werfe ich dir ja auch vor, dass du mir keinen Fernan gestattet hast?"
"Ich habe Fehler gemacht" räumte Lillian nun ein, "wie hätte ich denn auch keine Fehler machen können? Ich war, ich bin außer den Göttern das erste Wesen was so alt geworden ist!"
"Und ich bin das zweite Wesen und hatte keine Wahl" hielt ihm An-Tinur nun vor. "Aber vielleicht ist das genau der Fluch der Göttlichkeit: Die Einsamkeit. Es hat vielleicht schon einen Grund warum die Götter sich in den Legenden immer wieder mit Sterblichen eingelassen haben, Kinder mit ihnen gezeugt haben..."
"Götter haben Söhne als Nebenwirkung ihrer Einsamkeit..." resümierte Lillian betroffen, worauf An-Tinur einwarf: "...und Töchter. Aber im Gegensatz zu den Göttern waren mir nicht einmal Kinder vergönnt...."
"Sei froh" entgegnete ihm Lillian nun, "du musstest nie den Schmerz erfahren dein eigenes Kind zu überleben."
"Vielleicht aber wäre mir das Glück eines zu haben den Schmerz wert gewesen" widersprach ihm An-Tinur und dann sehr vorwurfsvoll: "Nie hast du mich gefragt!"
¹lo liberator = der Befreier
²lo raccondo = der Verpetzer, der Denunziant
³patruon = Onkel väterlicherseits
⁴Lo lamento = Das Wehklagen, Canote = Arie, Melodrama = Oper, Le puer = Der Junge
⁵Es ist die übliche Geschichte der Liebe
Der arme Junge wollte sie erzählen
⁶Und er schlief ein
Im Schlaf ist das Vergessen da
Wie ich ihn beneide!
Auch ich würde gerne so schlafen
Im Schlaf wenigstens das Vergessen finden
Den Frieden will ich nur suchen
Ich wünschte ich könnte alles vergessen
Doch jede Mühe ist vergebens
Ich habe immer vor mir
Den süßen Anschein von dir
Der Frieden ist mir genommen worden
Warum muss ich soviel leiden?
Du! Du sprichst immernoch zu meinem Herzen
Fatale Vision, du verlässt mich
Du hast mich so sehr verletzt! Ach weh!
(Lamento di Federico, wer einen Eindruck davon haben will wie das klingt..)
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