#144 Falsche Götter
Da Lillian aus Gründen die er ihnen irgendwann einmal würde erklären müssen, keine Landung in Inneren eines Gebäudes ausführen konnten, landeten sie in Tsarigrad auf dem Schönen Platz direkt vor den Toren des Krepkim.
Issan mit seinen hellen Haaren hatte sich den Spaß erlaubt und hatte sich so gekleidet - oder besser verkleidet - wie man sich in Silistrien den Czernobog vorstellte: Silberweiße Haare, schwarze Kleidung, schwarze Stiefel und schwarze Flügel, auf dem Kopf die Krone mit den silbernen Stacheln und in der Hand den flammenden Stab. Lillian hatte ihm mit seinen überragenden Fähigkeiten Materie zu formen dabei geholfen.
Isador trat als Bielobog auf in weißer knielanger Tunika mit rotem Gürtel, dem Mech pravosudiya¹ in der Hand und der goldenen Sonnenkrone auf dem Haupt.
Lillian war ohnehin der Blitzreiter und damit für jeden Silistrier mit Peran, dem Gott des Gewitters, des Donners und der Blitze gleichzusetzen.
Um das zu verdeutlichen ließ er immer wieder kleine Blitze von den Spitzen seiner Finger zu Boden fahren.
Merans Männer hatten längst die Überwachungskameras auf den Schönen Platz übernommen und die Kameras ihrer Orbitelles auf diesen gerichtet.
Und wie der Zufall es wollte, waren von der zwei Querstraßen entfernt liegenden sorenischen Botschaft zwei Kameradrohnen aufgestiegen.
Wenige Minuten vor dem Eintreffen der Drei auf dem Schönen Platz waren auf allen Sendefrequenzen in Silistrien nur noch Livebilder von diesem zu sehen, ebenso im Udaset'² auf allen Diensten.
Erstaunt betrachtete eine trotz der fortgeschrittenen Stunde in Silistrien immer noch sehr große Menge Fernsehzuschauer die Bilder des Schönen Platzes auf denen eigentlich nichts zu sehen kann als eine durchaus ansehnliche Menge von Anhängern des Großfürsten und der Regierung die Richtung Haupttor des Krepkim jubelten.
Plötzlich jedoch schien es als würde ein breiter, heller Blitz in Zeitlupe einschlagen.
Entsetzt stoben die Menschen auf dem Schönen Platz auseinander. Geblendet schlossen die vor den Bildschirmen ihre Augen.
Als sie alle dann wieder hinsahen, hinsehen konnten, waren sie da, die Götter. Ihre Götter!
"In der Stunde Silistriens größter Not kommen unsere Götter uns zu helfen!" rief jemand mit sehr lauter Stimme auf dem Schönen Platz.
Laut genug, dass es auch die Zuschauer vor den Empfangsgeräten hören konnten und viele glaubten es und atmeten erleichtert auf.
Doch wie aus dem Nichts erklang bedrohliche Musik mit Trommeln und dann trat der vor, den sie als Bielobog identifizierten und sang nur zwei Worte:
"Gore vam!"³
Und alle hielten ihren Atem an.
Dann drehte sich der weißgewandete der Drei zum Krepkim und deutet mit seinem Schwert auf diesen und seine Stimme war laut ohne wirklich laut zu sein, voll bedrohlichen Mahnens als er mit dem Gesang fortfuhr:
"Knyaz' Alexej
Kakoye zabluzhdeniye okruzhayet vas?
Chto ty igrayesh' s ognem
A zhizni millionov?
Razve ty ne vidish', kakaya ozorstva
Vashe zhelaniye podtverzhdayetsya?"⁴
Götter die ihrem Großfürsten vorwarfen im Wahn zu handeln und das Unheil herauszufordern waren wohl nicht gekommen um ihrem Land beizustehen.
Auch Alexej und Marla sahen die Bilder.
Und natürlich erkannten sie, wen sie da vor sich hatten.
"Das sind zumindest Isador und seinem Sohn Issan" stellte Alexej fest, "und der Dritte ist dieser sagenhafte Blitzreiter..."
"Wie aber sind die hierher gekommen?" war Marla sichtlich verunsichert.
"Mit irgendeinem ihrer billigen Tricks" erwiderte Alexej, "aber da falle ich nicht drauf herein. Letztendlich sind das nur ein paar langlebige Hinterlader die hier eine billige Show abliefern!"
Doch nun wandte sich auch Lillian in Richtung des Krepkim und schleuderte einen Blitz gegen dessen Haupttor, der dieses krachend zerbersten und auf das Pflaster stürzen ließ.
"Knyaz' Alexej" sang er und seine Stimme war fordernd und drohend,
"Yesli ty potyanesh'sya k silam bogov,
Bogi nakazhut tebya!
Vykhodi, velikiy knyaz'
Eto my sudim vas!"⁵
Wenn auch Alexej keine Angst bekam, die Menge auf dem Schönen Platz bekam Angst, insbesondere als nun die Glocken des gegenüber vom Krepkim liegenden Khram Beloboga Spasitelya⁵ dumpf zu läuten begannen.
Erneut nun begann Isador zu singen und dieses Mal erreichte seine Stimme überreichten Höhen als er voller Verachtung sang:
"Marla!
Impure daughter of Boleyne
You speak of dishonour?
Most unworthy and obscene harlot
May your shame fall upon your head
The second throne is being desecrated
Oh vile bastard, by your foot!"⁶
"Wie kann er es wagen" fuhr Marla im Inneren des Krepkim nun von ihrem Sessel auf, "meine Mutter bezichtigen, sie hätte mich von Lord Boleyne empfangen!"
"Das ist jetzt gerade unser geringstes Problem" erwiderte Alexej mit einem erstaunlichen Mangel an Einfühlungsvermögen.
"Die Ehre deiner Gattin sollte aber niemals dein geringstes Problem sein!" warf eine erboste Marla ihm sogleich vor.
"Von dieser Ehre haben wir aber auch nichts mehr wenn wir hier verlieren" konterte Alexej ungerührt.
In Hanyang war Alexa hingegen verwirrt.
"Was meint Isador mit 'unreine Tochter des Boleyne'?" erkundigte sie sich verwirrt.
Margon wusste es: "Er spielt auf die Gerüchte an, dass nicht Lord Igon Landon, Duke of Ecossia der Vater deiner Mutter war, sondern der angebliche Liebhaber deiner Großmutter mütterlicherseits, Lord Anon Boleyne..."
"Das ist doch nicht wahr?!" rief Alexa nun empört.
Doch ihr Bruder zuckte nur mit den Achseln: "Nicht genaues weiß man nicht, aber wenn es wahr wäre, dann hätte Terastan das im Erbfolgestreit zwischen Trevor und Mutter sicherlich lautstark verkündet..."
"Nun ja, ohne eure Mutter, Lord Boleyne oder Lord Landon in den Finger zu haben war auch für einen Terastan der Beweis damals schwer zu führen" gab Margon zu bedenken.
"Ich denke auch nicht, dass man in Angevinien damals schon so etwas wie Vaterschaftstest kannte" ergänzte Marlej, "man hätte Terastan vermutlich ohnehin nicht geglaubt..."
"Das kam dann noch dazu..." stimmte Margon ihm zu.
"Aber wenn unsere Mutter ein Svoloch'⁷ ist" rief Alexa nun, "dann sind wir..."
"...immer noch die legitimen Kinder von Alexej Rurikawitschi und seiner Frau" fiel ihr Bruder ihr ins Wort, "was uns aber auch nichts bringt, denn dass Isador und Issan mit diesem Blitzgott da sind heißt nur eines: Dass unser Vater auf jeden Fall unterliegen und womöglich sein Leben oder seine Freiheit, mit Sicherheit aber seinen Thron verlieren wird."
"Dann werden wir Bürgerliche?" Alexas Stimme kickste vor Entsetzen als sie diese Feststellung aussprach.
"Oh, das ist noch eines der netteren Szenarien..." erwidere ihr Marlej sarkastisch.
"Ich heirate dich" versuchte Margon sie zu trösten, "dann bist du wenigstens Baronin Slater..."
Der Titel eines Baron oder in Nordens Reike Baror war nun wahrlich kein hoher Adel. Es gab nicht einmal eine Entsprechung bei den Archpeers als Archbaron.
Baron war ein eher niedriger Adeliger der Mensch war.
So war es nicht verwunderlich, dass sich Alexas Begeisterung in engen Grenzen hielt...
Derweil Lillian einen weiteren Blitz gegen den Krepkim schleuderte der dieses Mal die Mauer traff die sichtbaren Schaden nahm.
Dann knöpfte er sich ebenfalls Marla vor.
"Marla!
Filia impuram do Boleyno" sang er und Isador musste sich eingestehen, dass er das ebenso gut konnte wie er selbst, "Loquios Suo da dishonoria?
Meretrix indignam e obscenam
Inhosta Sussa cadere in Sussu caput!
Profanarse ese lo selion secundo
Vila bastarda, per Sussi pedin!"⁶
Die Menschen auf dem Schönen Platz waren inzwischen vor Angst erstarrt.
Doch als es nun still wurde, erklang plötzlich eine tiefe Männerstimme sonor über den Platz.
Einer, der wohl dachte, dass Unterwerfung unter die Götter immernoch besser war als Untergang durch diese, sang mit dem Mut der Verzweiflung:
"Tebé pojem
Tebé blagoslovím...."
Rasch erkannten die Umstehenden sein Vorhaben und kurz darauf schallte es über den Platz:
"Tebé pojem
Tebé blagoslovím...."
Tebé blagodarím
O Peran!
My molimsya vam, Bogi nashi
My molimsya vam, Bogi nashi
My molimsya vam, Bogi nashi
Bogi nashi
Tebé pojem
Tebé blagoslovím...."
Tebé blagodarím
Bielobog!
My molimsya vam, Bogi nashi
My molimsya vam, Bogi nashi
My molimsya vam, Bogi nashi
Bogi nashi..."⁸
Anders als sein Volk hatte Alexej keine Angst vor diesem vermeintlichen Göttern.
"Schickt die Armee raus!" brüllte er außer sich vor Wut, "blast sie weg. Sie sind sterblich so wie wir alle. Lasst euch von den Tricksereien nicht beeindrucken!"
Es dauert nicht lange und die Krempkin-Garde betrat mit gezückten Waffen und begleitet von gepanzerten Fahrzeugen den Schönen Platz.
Das war sozusagen das Stichwort für Issan in seiner Rolle als Czernobog.
"Wir wussten du greifst zu Gewalt" schallte seine Stimme über den Platz,
"Wir wussten, du machst vor den Göttern kein Halt
In deinem Wahn, zeigt sich, auch dir war ein Rurikawitschi Ahn...
Du machst das, was sich seit jeher bewährt
Wie deine Vorfahren zur Seite des Dunklen bekehrt!
Mag dein Volk auch zu Tausenden sterben
Dir steht der Sinn nur nach mehr Macht zu erben!"
Erneut hob nun Lillian seine Stimme und sang warnend:
"Wehe dir, Alexej, wehe
Warum gabst du dich dem Hass hin?
Lässt der Machtgier du dein Herz,
bleibt für immer Hass und Schmerz!
Wehe dir, Alexej, wehe
Wehe dir, dass dich Verblendung schlug
verloren und verkauft durch Selbstbetrug
liebst du die Macht auch noch so sehr,
festhalten kannst du sie doch nimmermehr!
Wehe dir, Alexej, wehe!
Ganz Silistrien wirst du zum Fluch!
Wehe, Alexej, mir wird's Herze schwer, Nacht für Nacht
werden deine Volk über dich weinen! -
Helfen kann dir keine Macht.
Greifst du zu der Sonnen Kraft, tötet es die Deinen!"
"Feuer!" befahl der kommandierende Offizier der Krepkim-Garde nun.
Und seine Männer feuerten.
Das Volk auf dem Schönen Platz suchte Deckung.
Doch Issan, Isador und Lillian zauberten etwas um sich, dass ein Augenzeuge später als "eine Art sirrende Seifenblase" bezeichnen sollte.
Doch dass es mehr war als nur eine Seifenblase zeigte sich deutlich daran, dass die Geschosse der Soldaten von Alexej daran abprallten als wäre es dicker Stahl.
Dumpf dröhnten die Glocken des Bielobog-der-Erlöser-Tempels in die Stille in der die Soldaten fassungslos auf die drei Wesen vor sich schauten.
Dann richtete Issan den flammenden Stab auf sie.
Das tat er mehr wegen des schauspielerischen Effektes, denn zugleich drangen er und Lillian in deren Köpfe ein.
"Unterwerft euch, solange ihr noch könnt!" vernahmen die Soldaten ihre Stimmen ohne sie zu hören auf unheimliche Weise in ihren Köpfen.
Wer konnte ihnen verdenken, dass der Mut sie nun verließ?
Wohl niemand.
Und so warfen sie ihre Waffen weg, beugten ihre Knie und ihr Haupt.
Alexej aber war außer sich!
"Holt mir meine Luftwaffe! Bombardiert den ganzen Platz!" schrie er.
"Aber die Menschen dort..." wandte jemand ein.
Doch Alexej entgegnete nur: "Sie haben mich längst alle verraten, was kümmert es mich wenn sie sterben?"
Und dann noch einmal wutentbrannt: "Bombardiert alles zusammen, mir egal wieviele dabei sterben, sollen sie mit ihren falschen Göttern untergehen!"
¹Mech pravosudiya = Schwert der Gerechtigkeit
²Udaset' = Internet
³Gore vam! = Wehe euch!
⁴Fürst Alexej!
⁵Khram Bieloboga Spasitelya = Bielobog-der-Erlöser-Tempel
Welch Wahn umgibt Euch?
Dass Ihr spielt ihr mit dem Feuer
Und dem Leben von Millionen?
Seht Ihr nicht welch Unheil
Euer Verlangen zeugt?
⁵Fürst Alexej!
Greift Ihr nach der Götter Kräfte,
Werden die Götter euch bestrafen!
Kommt heraus Großfürst
Auf das wir über Euch richten!
⁶Marla!
Unreine Tochter des Boleyne
Ihr sprecht von Schande?
Unwürdige und obszöne Hure
Möge Eure Schande auf Euer Haupt fallen
Der zweite Thron wird entweiht
Oh abscheuliche Bastardin, durch euren Fuß!
⁷Svoloch' = Bastard
⁸Wir singen für dich
Wir loben dich
Wir danken dir
O Peran
Wir beten zu euch, unseren Göttern
Wir beten zu euch, unseren Göttern
Wir beten zu euch, unseren Göttern
Unseren Götter
Wir singen für dich
Wir loben dich
Wir danken dir
Bielobog
Wir beten zu euch, unseren Göttern
Wir beten zu euch, unseren Göttern
Wir beten zu euch, unseren Göttern
Unseren Götter...
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